Die Regierung will die Pflicht einführen, eine Fotovoltaikanlage auf jedem neuen Gebäude zu installieren. Die Initiative sollte schnellstmöglich umgesetzt werden, sagen Experten. Doch allein mit der Produktion von Solarstrom kann die Energiewende kaum gelingen.

„Heute hat man den Eindruck, dass eine Fotovoltaikanlage die Ausnahme ist. Sie müsste die Regel sein und keine zu haben, müsste die Ausnahme sein“, sagte Luxemburgs Regierungschef auf der Weltbühne der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich. „Meine Regierung wird nach einer Übergangsphase eine Pflicht einführen, auf dem gesamten Dach jedes neuen Gebäudes eine Fotovoltaikanlage zu installieren“, so Xavier Bettel (DP).

Der Premier wiederholte damit seine Ankündigung aus seiner Rede zur Lage der Nation im Oktober. Es sei eine „Win-win-win-Initiative“, betonte er. Der Staat übernehme die Kosten der Solarpanels für jene Bürger, die sich die Investition nicht leisten können. Das Prinzip: Nachdem die Stromproduktion die Investition ausgeglichen hat, soll der Staat den Haushalten die Anlage schenken. Auch bestehende Häuser sollen zu einem späteren Zeitpunkt in das Programm aufgenommen werden. Wer die Anlage selbst finanziert, kann den Strom sofort selbst kostenlos nutzen.

Es ist ein ehrgeiziges Vorhaben der Regierung – so viel ist klar. Viele Details fehlen allerdings noch. Sie sollen zusammen mit dem aktualisierten Klima- und Energieplan (PNEC) vorgestellt werden, so der Zeitplan der Regierung. „In den kommenden Monaten“ solle der Rechtsrahmen definiert werden. Doch da das Update des PNEC bis Mitte 2024 läuft, wird es noch dauern, bis die Fotovoltaik-Pflicht kommt.

„Endlich“, sagt Paul Zens, Präsident von „Eurosolar Lëtzebuerg“ in Bezug auf die Initiative. Die Experten, mit denen Reporter.lu sprach, sehen durchaus Punkte, auf die die Regierung bei der Ausgestaltung achten sollte. Vor allem betonen sie aber, dass die Stromproduktion nur ein Aspekt der Energiewende sein kann.

Wirklich „auf jedes Dach“?

Wer die Energie der Sonne nutzen will, braucht Sonnenlicht. Das klingt banal, doch es ist ein entscheidender Faktor für den genauen Umfang des geplanten Programms. Der Premier blieb in diesem Punkt vage. Einerseits sagte er, dass eine Fotovoltaikanlage auf jedes „geeignete Dach“ gehöre, andererseits sprach er von der „gesamten Dachfläche“ jedes Neubaus.

„Wenn es darum geht, kosteneffektiv zu sein, liefert nicht jedes Dach den gleichen Energieertrag“, betont Phillip Dale, Professor für Physik und Leiter des Labors für Energiematerialien an der Universität Luxemburg. Ob ein Dach nach Norden oder Süden ausgerichtet ist, macht einen deutlichen Unterschied. Anhand eines Simulators errechnet der Forscher, dass eine Anlage in Luxemburg mit einer Leistung von einem Kilowatt-Peak auf einem Norddach (30 Grad Neigung) etwa 600 Kilowattstunden Strom pro Jahr produziert. Bei einem nach Süden ausgerichteten Dach sind es knapp über 1.000 Kilowattstunden.

Wir sollten die Last der Energiewende nicht alleine auf die Schultern der Ingenieure und Wissenschaftler abladen.“
Phillip Dale, Physiker an der Uni Luxemburg

„Will man die Produktion über den Tag optimieren, ist eine Ost-West-Ausrichtung am besten“, erklärt Phillip Dale. Ein Flachdach erlaubt hier eine Produktion von etwa 880 Kilowattstunden. Für den Physikprofessor ist es wichtig, dass Architekten bei künftigen Gebäuden die Ausrichtung der Dachflächen bedenken. „Bei neuen Vierteln könnte man die Häuser bestmöglich anordnen“, hofft der Wissenschaftler.

„Die Ausrichtung der Dächer wird auch wichtiger, weil die Bürger immer mehr auf Eigenverbrauch setzen“, betont Paul Zens von Eurosolar. Im ersten Halbjahr nutzte ein Drittel der Eigentümer einer Anlage dieses Modell statt der Einspeisung des Solarstroms in das Netz. 2021 waren es lediglich knapp 15 Prozent, meldete die Regulierungsbehörde ILR. Ein Grund sind die hohen Strompreise, die eine direkte Nutzung deutlich interessanter machen als eine geringere, wenn auch garantierte Einspeisevergütung.

Es braucht Stromspeicher

Der steigende Eigenverbrauch des heimischen Solarstroms bedingt langfristig auch eine Änderung der Gewohnheiten. „Es ist dann sinnvoll, den Trockner so zu programmieren, dass das Gerät am Mittag läuft“, nennt Paul Zens als Beispiel. Das Problem sei im Wesentlichen, dass die Sonne am meisten Energie liefert, wenn die meisten Menschen nicht zu Hause sind.

Eine Lösung: Batterien. „Das macht absolut Sinn bei den Haushalten. Der Strom der Fotovoltaikanlage wird über den Tag gespeichert und so kann man diesen abends nutzen, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt“, sagt Gilles Reding von der Handwerkskammer. Tatsächlich geht die Regierung jetzt auf diesen Weg: Künftig lässt sich ein Batteriespeicher in die Kosten einer Fotovoltaikanlage mit einberechnen. Damit fördert der Staat diese Investition mit bis zu 62,5 Prozent der Kosten. Das gilt für eine Batterie mit einer Kapazität von maximal 12 Kilowattstunden für ein Einfamilienhaus, teilt das Umweltministerium auf Nachfrage mit.

Die PV-Pflicht in Baden-Württemberg

Seit diesem Jahr hat das deutsche Bundesland Baden-Württemberg nach und nach eine Pflicht eingeführt, auf jedem Dach eine Fotovoltaikanlage zu installieren. Das gilt bereits für Neubauten und ab 2023 auch für bestehende Gebäude, falls das Dach grundsaniert wird. Mindestens 60 Prozent der Dachfläche müssen für die Anlage genutzt werden. Nach Norden ausgerichtete Dächer sind von der Pflicht ausgenommen. Solarthermie-Module zur Warmwasserproduktion können von der Fläche abgezogen werden.

Batterien sind nötig, aber auch keine Wunderlösung. „Wir sollten uns über Speicherlösungen Gedanken machen: sowohl Speicher für die tägliche Nutzung als auch langfristige, saisonale Speicher“, sagt der Forscher Phillip Dale. Wichtig sei aber auch, dass wir unseren Verbrauch besser planen – also das Elektroauto am Tag laden und nicht in der Nacht. „Es macht wenig Sinn, eine Batterie zu laden, um anschließend eine andere Batterie zu laden“, warnt der Physikprofessor. In solchen Ketten komme es immer zu unnötigen Verlusten.

Es sei wichtig, bei der Planung neuer Wohnviertel die Speicherlösung mitzudenken, betont Paul Zens. „Gibt es eine Batterie für das Neubaugebiet, dann wird es für den einzelnen Haushalt billiger“, so der Präsident von Eurosolar.

Am Energiesparen führt kein Weg vorbei

Die begrenzte verfügbare Fläche und das Problem der Speicherung des Solarstroms führen aber vor Augen, wie wichtig ein anderer Aspekt der Energiewende ist: das Sparen. „Es kommt auf die Energiebilanz an: Wie viel Energie brauchen wir wirklich und was können wir davon erzeugen?“, betont Phillip Dale. Einwohner in Luxemburg verbrauchen mit durchschnittlich 200 Kilowattstunden pro Tag das Doppelte des europäischen Durchschnitts. „Wäre unser Energieverbrauch auf europäischem Niveau, dann würde das auch den Flächenbedarf für die Produktion erneuerbarer Energien im Land halbieren“, betont der Physikprofessor.

Der Fotovoltaik-Bereich ist extrem gewachsen seit dem Amtsantritt von Claude Turmes.“Gilles Reding, Handwerkskammer

Traditionell konzentriere sich die Klimapolitik auf die Steigerung der Energieeffizienz und der Erzeugung erneuerbarer Energien, schreibt seinerseits das wissenschaftliche Observatorium für Klimapolitik. „Dies sind wichtige erste Schritte, die jedoch nicht ausreichen werden“, betont das Gremium, das die Luxemburger Regierung berät. Neben dem technologischen Wandel seien auch Veränderungen im Verhalten und in der Gesellschaft nötig, so das Observatorium in seinem ersten Bericht. „Wir sollten die Last der Energiewende nicht alleine auf die Schultern der Ingenieure und Wissenschaftler abladen“, meint auch der Forscher Phillip Dale.

Das Potenzial der Sonne

Auch wenn der technologische Wandel nicht ausreicht, so sind die Fortschritte dennoch wichtig. Der Solarstrom ist dabei ein gutes Beispiel. „In der Fotovoltaik besteht noch ein großes Potenzial. Bei der Windenergie ist das weniger der Fall“, betont Phillip Dale, der an neuartigen Materialen forscht. „Die besten kommerziell verfügbaren Module für Solarstrom haben heute eine Effizienz von 24 Prozent“, erklärt der Physiker. Neuartige Tandem-Solarzellen könnten in den nächsten Jahren einen deutlichen Effizienzsprung erlauben. Wie der Name verrät, handelt es sich um eine Zelle mit zwei Schichten, die damit das Lichtspektrum besser nutzen kann. „Im Labor wurde mit diesem System eine Effizienz von 31 Prozent erreicht“, so der Experte.

Die Fotovoltaik sei aber bereits heute ausgereift: „Es gibt keinen Grund, nicht bereits heute mit dem Ausbau der Fotovoltaik zu starten“, sagt Phillip Dale. Die Produktionskapazitäten steigen weltweit ebenfalls rasant. 2021 produzierten die Hersteller Module mit einer Leistung von 182 Gigawatt-Peak. „Mit dieser Kapazität könnten in 40 Tagen genügend Module produziert werden, um den gesamten Energiebedarf Luxemburgs zu decken“, rechnet er vor.

Im Juli 2022 produzierten die Luxemburger Fotovoltaikanlagen (hier in Grevenmacher) doppelt so viel wie ein Jahr zuvor. Doch es braucht trotzdem weiter einen beschleunigten Ausbau. (Foto: Mike Zenari)

Das Großherzogtum hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. „Der Fotovoltaik-Bereich ist extrem gewachsen seit dem Amtsantritt von Claude Turmes“, sagt Gilles Reding von der Handwerkskammer. Zwischen 2020 und 2021 stieg die installierte Kapazität zur Produktion von Solarstrom um 90 Megawatt – das ist dreimal mehr Zuwachs als in den Jahren davor.

Allerdings: Das reicht nicht. Die Fotovoltaikanlagen speisten im vergangenen Jahr 179 Gigawattstunden in das Netz ein – ein Achtel mehr als im Jahr zuvor. Will Luxemburg bis 2030 seinen Energiebedarf zu einem Drittel selbst aus erneuerbaren Energien decken, dann braucht es aber sehr viel mehr. Jedes Jahr müssten 145 Gigawattstunden Solarstrom zusätzlich erzeugt werden, um dieses Ziel zu erreichen, berechnete Eurosolar in einer Studie.

Ein nötiger und logischer Schritt

Einen gewissen Wow-Effekt hatte die Ankündigung des Premiers im Oktober durchaus. Allerdings war die Regierung auch zum Handeln gezwungen. Denn im Bereich der Wohnhäuser und Nutzgebäude hat Luxemburg sein Klimaziel für 2021 deutlich verfehlt. Die CO2-Emissionen in diesem Bereich lagen zehn Prozent über dem vorgegebenen Wert, wie die vorläufige Bilanz des Umweltministeriums zeigt. Sowohl der Klima-Bürgerrat als auch das wissenschaftliche Observatorium für Klimapolitik forderten in ihren Berichten den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Für Gilles Reding von der Handwerkskammer ist die Fotovoltaik-Initiative vor allem ein logischer nächster Schritt. Neue Energieeffizienzvorgaben sehen vor, dass neue Nutzgebäude Leitungen haben müssen, die eine nachträgliche Installation einer Fotovoltaikanlage vereinfachen. Zudem ist eine solche Anlage in Zukunft nötig, um die strengen Vorgaben zur Energieeffizienz überhaupt einhalten zu können. Dazu kommen die zahlreichen Initiativen der Regierung, um Fotovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen, öffentlichen Gebäuden und Industriehallen zu fördern.

Doch die Pflicht einer Fotovoltaikanlage auf jedem Dach wird eine neue Dimension hinzufügen. In Baden-Württemberg gab es sehr viele Fragen der Bürger, lange Wartezeiten und – nicht zuletzt – überlastete Handwerksbetriebe. Im Handwerk sieht man es hierzulande noch gelassen: „Mit einer gewissen Anlaufzeit werden immer mehr Unternehmen bereit sein, die Herausforderung anzunehmen“, sagte Gilles Reding.

Beim Staat wird es auch große Anpassungen brauchen, die zum Teil bereits laufen. Mitte November stellte sich durch eine parlamentarische Anfrage heraus, dass das Umweltministerium noch keinen einzigen von den in diesem Jahr eingereichten Förderanträgen für Fotovoltaik bewilligt hat.

Der Staat geht auch nicht mit gutem Beispiel voran. Das Ziel ist laut PNEC zwar, bis 2025 alle „geeigneten“ Dächer von öffentlichen Gebäuden mit Fotovoltaikanlagen auszustatten. Doch Anfang 2022 waren von 1.500 Gebäuden nur 59 mit einer Solaranlage ausgestattet, antworteten Bautenminister François Bausch und Energieminister Claude Turmes (beide Déi Gréng) auf eine parlamentarische Anfrage. Es bleibt also die Ausnahme statt der Regel, wie der Premier es forderte.


Mehr zum Thema