Im Dezember sollen im Einzugsgebiet des Stausees die neuen Trinkwasserschutzzonen gelten. Die damit einhergehenden Auflagen treffen insbesondere die Landwirte. Sie sorgen sich um ihre Existenz.
Die Atmosphäre in der Lultzhausener Sporthalle ist angespannt. Rund 300 Menschen aus der Umgebung haben sich am vergangenen Donnerstagabend zur Informationsversammlung über die Trinkwasserschutzzonen versammelt, die das Umweltministerium organisiert hat. Man kennt sich, tauscht sich aus. Etwa darüber wie der Betrieb so läuft. Die meisten der Anwesenden sind in der Landwirtschaft tätig.
Vor der Tür liegen stapelweise Gebrauchsanweisungen zum Geoportal des Umweltministeriums. Anhand von Kadasterplänen können die Anwohner online ermitteln, in welche Schutzzone ihr Grundstück fällt – und welche Einschränkungen auf sie zukommen. „Du läis do och mat e puer Hektar an der Zon IIc, do kënnt nach eppes op dech zou“, warnt ein Landwirt seinen Sitznachbarn.
Die meisten der Anwesenden wirken unsicher, gar aufgebracht. Ungeduldig warten sie mit verschränkten Armen darauf, dass es losgeht. „Geschwë kanns de hei nëmmen nach Golf spielen. D’Regele si fir deen ee sou, fir den aneren anescht“, beschwert sich ein betroffener Bauer. „Wats de manner héiers a gesäis, wat besser“, antwortet seine Nachbarin.
Währenddessen gehen Helfer mit Headsets durch den Saal: Die Versammlung wird zeitgleich auf Französisch übersetzt. Es scheint, Carole Dieschbourg und ihr Staatssekretär lassen nichts aus, um die Bewohner zu besänftigen.
Über drei Stunden nehmen sie sich Zeit um die Sachlage zu erklären, Fragen zu beantworten. Besonders Carole Dieschbourg sieht man an, wie wichtig es ihr ist, die Menschen auf ihre Seite zu bringen. Geduldig hört sie sich ihre Einwände an. Immer wieder nickt sie ermutigend in den Saal. Sie gibt den Anwesenden zu verstehen, dass sie ihre Sorgen versteht. Jedes Mal, wenn Claude Turmes es nicht schafft, seinen Standpunkt klarzumachen, übernimmt Carole Dieschbourg und liefert zusätzliche Erklärungen. Ihr Motto an diesem Abend: „Zesumme fir de Waasserschutz.“
Gewässer in schlechtem Zustand
Der Grund für die große Unsicherheit bei den Bewohnern des Stausee-Einzugsgebietes ist das Projekt der großherzlichen Verordnung, das Ende Juni vom Regierungsrat beschlossen wurde. Das Projekt bestimmt neue Schutzzonen für das Stauseegebiet. Denn die aktuellen Zonen, die 1961 per Gesetz ausgewiesen wurden, richten sich nicht nach wissenschaftlichen Kriterien.
Ab Dezember sollen die neuen Schutzzonen in Kraft treten. Um die Trinkwasserqualität zu verbessern, werden die Auflagen verschärft. 129 Seiten beträgt der Text der Verordnung. Das Projekt legt unter anderem fest ob, wie viel und was Landwirte düngen können; wo Pferde oder Kühe grasen dürfen, Holz gelagert wird oder Grillfeste stattfinden. Seit dem 15. September läuft die öffentliche Prozedur, bei der die Bürger ihre Einwände einreichen können.
Dabei fällt auf, dass die neuen Zonen, die im Projekt der großherzoglichen Verordnung vorgeschlagen werden, deutlich größer ausfallen als die aktuellen. Sie umfassen das gesamte Einzugsgebiet des Stausees bis zur belgischen Grenze: von Winseler über Esch-Sauer bis hinunter nach Wolwerange. Es wird zwischen drei Zonen unterschieden; die strengsten Maßnahmen betreffen die Zone I. Die Einteilung richtet sich nach den Analysen des Wassersyndikates SEBES.

Legende der unterschiedlichen Zonen (wie im Projekt der großherzoglichen Verordnung vorgesehen)
- Rot: Zone I, unmittelbare Schutzzone
- Schraffiert: Zone IIA, engere Schuttzone mit stark erhöhter Vulnerabilität
- Dunkelorange: Zone IIB, engere Schutzzone mit erhöhter Vulnerabilität
- Hellorange: Zone IIC, engere Schutzzone
- Grün: Zone III, weitere Schutzzone
Dass der Trinkwasserschutz eine wichtige Angelegenheit ist, steht außer Frage – da sind sich alle Akteure einig. Die Gewässer sind in keinem guten Zustand. Die Blaualgen auf dem Stausee, die diesen Sommer zum Schwimmverbot führten, sind nur die Spitze des Eisbergs. „Die Belastung der Gewässer ist groß, vor allem durch die Besiedelung und die landwirtschaftliche Nutzung der angrenzenden Flächen“, erklärte Carole Dieschbourg REPORTER.
Der Stausee ist nicht der einzige Problemfall – nur drei von Luxemburgs Gewässern waren 2015 in einem guten Zustand. Mehr als 70 Prozent der Trinkwasserquellen sind mit Pestizidrückständen belastet.
Die Landwirtschaft wird an den Pranger gestellt. Die Bauern sind immer die Schuldigen.“Marc Fisch, CEPAL
Doch der Stausee ist Luxemburgs größtes Trinkwasserreservoir: er liefert etwa die Hälfte des hiesigen Trinkwassers. Je schlechter sein Zustand, je höher sind die Kosten für dessen Aufbereitung. Erst 2014 musste der See aufgrund eines Herbizid-Unfalls tagelang schließen. „Präventiver Wasserschutz ist unabdingbar, wenn wir unsere Souveränität behalten wollen “, betont Carole Dieschbourg.
Die Konsequenzen dieser Aufgabe tragen die Menschen, die im Einzugsgebiet des Stausees leben. Die Landwirte sind besonders stark von den geplanten Schutzmaßnahmen betroffen.
„Die Landwirtschaft steht am Pranger“
Viele von den Bauern sind von den neuen Maßnahmen überrumpelt, erklärt der Präsident der Bauernzentrale (CEPAL) Marc Fisch. Er kritisiert, es werde immer mehr von den Landwirten verlangt. „Die Landwirtschaft wird an den Pranger gestellt. Die Bauern sind immer die Schuldigen.“ Die strengen Auflagen im neuen Schutzzonen-Projekt machen es schwer, im Stauseegebiet überhaupt noch Landwirtschaft zu betreiben.
Besonders hart treffen sie diejenigen, die gerade noch in ihren Betrieb investiert haben: „Sie haben vielleicht gerade ihren Stall vergrößert. Und nun können sie ihre Tiere nicht mehr auf die Weide lassen, da diese in die falsche Schutzzone fällt“, moniert der Verbandsvertreter.
Dabei beteiligen sich viele Landwirte bereits jetzt an entsprechenden Pilotprojekten, weiß auch Carole Dieschbourg. Im Rahmen des neuen Wasserschutzgesetzes hat das Umweltministerium 2015 die Landwirtschaftliche Kooperation Obersauer (LAKU) ins Leben gerufen. Das Pilotprojekt wird durch Subventionen aus dem staatlichen Wasserfonds unterstützt. Gemeinsam mit dem Trinkwassersyndikat SEBES ermitteln Bauern, wie sie Landwirtschaft und Wasserschutz besser in Einklang bringen können. Rund 100 Betriebe beteiligen sich am Projekt.
Mangelnde Absprache
Doch so gut die LAKU auch läuft – bei der Ausarbeitung der neuen Schutzzonen wurden die Akteure außen vor gelassen. So jedenfalls lautet der Vorwurf vieler Besucher des Informationsabends in Lultzhausen. „Politik bedéit och, wéi ee mat sénge Minoritéiten ëmgeet“, kritisiert dort der Vizepräsident der Bauernallianz, Marco Koeune.
Die CSV-Abgeordnete Martine Hansen legt im Gespräch mit REPORTER nach. „Die Bauern wurden anfangs nicht genügend mit einbezogen. Deswegen stehen einige Dummheiten im Text.“ Viele geplante Auflagen sind Hansen zufolge gar nicht umsetzbar.
Beim Informationsabend in Lultzhausen müssen Carole Dieschbourg und Staatssekretär Claude Turmes erst einmal die Wogen glätten und Missverständnisse aus dem Weg räumen. Stundenlang haben die beiden zuvor am selben Tag mit verschiedenen Akteuren – darunter Gemeindevertreter und Bauernverbände – über die angedachten Regeln diskutiert.
Wenn die Landwirtschaft einen Dienst für die Allgemeinheit leistet, dann müssen wir ganz klar sagen: Ja, die Regierung hat ihre Hausaufgaben gemacht.“Carole Dieschbourg
Das Resultat: Man konnte sich auf eine Reihe an Ausnahmen einigen – etwa zur Gülleausfuhr auf dem Eschdorfer Plateau. Rund zwei Prozent der landwirtschaftlichen Flächen fallen in die Schutzzone IIb – sie ist mit den strengsten Auflagen belegt. Claude Turmes wurde im Vorfeld des Infoabends ins Ösling geschickt, um die betroffenen Familien zu beschwichtigen. Dabei sei ihm klar geworden, dass es sich beim Eschdorfer Plateau um eine gerade Fläche handele, sinniert der Staatssekretär in Lultzhausen. Das bedeutet, dass die Auflagen gelockert werden können. Die Gülle darf nun doch ausgefahren werden.
„Hätten sie gleich mit den Akteuren gesprochen, wäre ihnen das wohl eher klar geworden“, kommentiert Martine Hansen. Die CSV-Abgeordnete hält dem Umweltministerium jedoch zu Gute, dass die versäumten Diskussionen jetzt nachgeholt werden. „Doch jetzt können nur noch Ausnahmen bestimmt werden. Der Text an sich steht.“
Entschädigungen für die Landwirte
Fest steht auch: Die Landwirte müssen sich anpassen. Dazu erhalten sie Unterstützung vom Umweltministerium, betont Carole Dieschbourg im Gespräch mit REPORTER. „Wenn die Landwirtschaft einen Dienst für die Allgemeinheit leistet, dann müssen wir ganz klar sagen: Ja, die Regierung hat ihre Hausaufgaben gemacht und zusätzliche Gelder mobilisiert. Wir lassen die Landwirte nicht alleine.“
Wir können den Betrieben eine neue Perspektive geben und den Wasserschutz vorantreiben.“Carole Dieschbourg
Tatsächlich erlaubt das Wassergesetz von 2017 erstmals die Entschädigung von Landwirten für Wasserschutzmaßnahmen. Nur so konnte die LAKU gegründet werden. Der Wasserfonds des Staates sieht jährlich acht Millionen Euro für den proaktiven Wasserschutz vor.
Die LAKU berät die betroffenen Betriebe bereits jetzt ausführlich, ergänzt Carole Dieschbourg. Jene Betriebe, die durch die neuen Schutzzonen besonders eingeschränkt sind, erhalten eine Sonderberatung. Dabei geht es etwa um alternative Anbaumethoden, die Umstellung auf Nischenkulturen wie Leinöl oder Hanf, oder die Grundumstellung auf Bio.
Carole Dieschbourg bedauert die Haltung der Landwirte, die sich gegen die aufgebotenen Alternativen sträuben. Sie zeigt aber auch Verständnis: „Viele von ihnen haben Angst. Veränderungen bedeuteten eine gewisse Anstrengung. Doch wir können den Betrieben die Hilfe anbieten, die sie brauchen.“
Zum jetzigen Zeitpunkt lassen die Alternativen jedoch zu wünschen übrig, moniert die CSV-Abgeordnete Martine Hansen. Zum Beispiel fehlen Absatzmärkte für alternative Kulturen. „Die Bauern müssen ihre Produkte an den Markt bringen können.“
Auch der Vizepräsident der Bauernallianz Marco Koeune kritisiert anlässlich des Infoabends in Lultzhausen die mangelnden Perspektiven. „Nischenproduktion ist einfach gesagt“, wirft er den Vertretern des Umweltministeriums vor. Aber wenn das was man bislang gemacht hat, worin man investiert hat, auf einmal keinen Wert mehr hat … dann sagt uns die Bank etwas anderes.“
Carole Dieschbourg jedoch bleibt optimistisch. „Ich bin überzeugt, dass wir beides schaffen. Wir können den Betrieben eine neue Perspektive geben und den Wasserschutz vorantreiben.“
Warten auf Fernand Etgen
Während die Hilfe für freiwillige Maßnahmen über den Wasserfonds subventioniert wird, soll das Landwirtschaftsministerium für die Ausfälle der Landwirte aufkommen. Bis zu 500 Euro können die Bauern laut EU-Gesetz pro Hektar erhalten. Nun müsse nur noch Landwirtschaftsministerin „seine Hausaufgaben machen“, ergänzt Carole Dieschbourg in Lultzhausen.
Darauf warten auch die Landwirte. Etgen bestimmt, wie viel Geld sie bekommen werden. „Wenn Wasserschutz eine Dienstleistung ist, dann müssen die Bauern mehr bekommen. Es reich nicht, bloß Verluste auszugleichen“, warnt Koeune auf der Informationsversammlung. Viele Landbesitzer machen sich Sorgen, dass ihre Flächen an Wert verlieren. „Was ist mein Hektar denn jetzt weniger wert, als der von jemandem im Süden des Landes“, fragt einer von ihnen. Ein zustimmendes Raunen geht durch den Saal. Claude Turmes Prophezeiung, dass die vielen Hilfen womöglich zu einer Wertsteigerung führen, überzeugt kaum jemand.
Das liegt auch an Fernand Etgen. Denn der Landwirtschaftsminister lässt auf sich warten. Er will die Entschädigungen erst festlegen, wenn der finale Text der großherzoglichen Verordnung vorliegt – wenn also alle Einwände der öffentlichen Prozedur geprüft worden sind. Danach muss die EU-Kommission die erhobenen Entschädigungen noch absegnen – denn sie fallen unter den EU-Entwicklungsplan für den ländlichen Raum. „Wir müssen in aller Ruhe vorgehen“, betonte der Landwirtschaftsminister jüngst gegenüber REPORTER. Er macht keinen Hehl daraus, dass er von Dieschbourgs Projekt nicht überzeugt ist. In Lultzhausen suchte man Etgen vergebens.
Will Dieschbourg den Wasserschutz „zesummen“ vorantreiben, braucht sie den DP-Minister. Ohne die Agrarhilfen sind die Einschnitte für die Landwirte nicht tragbar. Macht Etgen seine „Hausaufgaben“ nicht, war der Abend in Lultzhausen wohl nicht der letzte, an dem Dieschbourg und Turmes die Anwohner des Einzugsgebietes des Stausees besänftigen mussten.