Fernand Etgen stand die letzten fünf Jahre zwischen den Fronten. Umweltministerin Carole Dieschbourg forderte eine grüne Landwirtschaftspolitik, die Landwirte einen Minister, der ihre Interessen verteidigt. Etgen ließ sich davon allerdings nicht die Laune verderben.

Fernand Etgens Büro im Herzen der Stadt wirkt mit den hohen Stuckdecken und den in Gold gerahmten Gemälden und Spiegel geradezu herrschaftlich. Der DP-Minister sitzt an einem massiven Holztisch in der Ecke des Raumes. Ein Bein hängt lässig über die Stuhllehne. Der Minister ist gewohnt jovial, er wirkt entspannt. Dennoch erscheint er zum Interview nicht nur mit einem ganzen Stapel an Dokumenten und Notizen, sondern hat auch den Direktor des Service d’économie rurale (SER) Pierre Treinen dabei. Immer wieder schaut Etgen in seine Notizen, liest manchmal ganze Absätze ab. Wie ein Schuljunge bei einem Referat.

Wie ein erster Schultag muss Etgen wohl auch sein Einstieg in die Regierung vorgekommen sein. Der Politiker aus dem Norden war für Charles Goerens ins Parlament nachgerückt, der auf sein Abgeordnetenmandat verzichtete. „Et war flott, et emol gemaach ze hunn“, antwortet Etgen auf die Frage, ob er sich eine weitere Amtszeit als Minister vorstellen könnte. Für den langjährigen Bürgermeister von Feulen war dieses Amt ein willkommenes Abenteuer – ein netter Abstecher aus der Kommunalpolitik. „Elo sinn ech keen candidat à vie méi.“

„Ech sinn nach do“

Es sollte das Landwirtschaftsministerium werden. Das war Etgens persönlicher Wunsch. „Ech hat de Fanger fir de Ministère ausgestreckt.“ Etgen grinst wie ein Schulbube, der sich einen Scherz erlaubt hat. Er erzählt, dass er auf dem Land aufwuchs, die Landwirtschaft habe er in seiner DNA. Im diesjährigen DP-Wahlvideo sagt er stolz: „Ech sinn am Stall grouss ginn.“

Sein Ressort ist der DP-Politiker tatsächlich wie ein Abenteuer angegangen: Stets motiviert und gut gelaunt – doch seine Dossiers kannte Etgen nicht immer bis ins letzte Detail.

Etgens Heiterkeit steht in starkem Kontrast zu der ernsten Lage, in der sich die hiesige Landwirtschaft befindet. Sein Ressort ist keineswegs eines der einfachsten. Luxemburgs Agrarpolitik wird größtenteils von Brüssel diktiert. Europaweit geht es den Landwirten schlecht, auch hierzulande. Abschaffung der Milchquoten, Krise im Schweinesektor, ständige Preisschwankungen, Klimawandel, die neue Gemeinschaftliche Agrarpolitik (GAP) – alleine in den letzten Jahren sahen die Landwirte einer Krise nach der anderen entgegen. Sie protestieren regelmäßig, weil ihre Erzeugnisse nicht ausreichen, um die Kosten zu decken.

Gleich zu Anfang war Etgen mit einem seiner schwierigsten Dossiers konfrontiert: Das Agrargesetz lief bereits 2013 aus. Das neue ließ auf sich warten. Das Gutachten des Staatsrats war mit 45 Einwänden eine „schallende Ohrfeige“, titelte das „Luxemburger Wort“. Das „Land“ legte nach. Manche würden ihm ein ähnliches Schicksal wie Maggy Nagel vorhersagen, schrieb Michèle Sinner. „Oooh“ entfährt es Etgen. Er schlägt mit der Faust in die Luft. „Ich bin noch da“, kichert er.

D’Carole an ech, mir schmusen dach nëmmen.“Fernand Etgen

Erst im Juni 2016 wurde Etgens Gesetz verabschiedet. Jedes Agrargesetz sei eine schwere Geburt, legt Etgen in ernsterem Tonfall nach. Es sei ihm wichtig gewesen, die bestmögliche Planungssicherheit für die Landwirte zu erreichen – etwa durch gezieltere Investitionen oder mit Anreizen, um Rücklagen für schwierige Zeiten zu schaffen.

Schmusen mit Carole Dieschbourg

Etgen weiß aber, dass er es sich mit den Bauern nicht verscherzen kann. Krach mit den Verbänden ist keine lustige Angelegenheit. Sie sind in Luxemburg eine mächtige Lobby.

Die Bauernallianz steht Etgens liberaler Partei zudem sehr nahe. Dass das Umweltministerium mit einer grünen Ministerin besetzt wurde, war für viele der traditionell eher konservativ eingestellten Vertreter der Landwirtschaft eine Umstellung. Pestizidstrategie, mehr Unterstützung für Biobauern … diese Themen standen sicher nicht auf ihrer Wunschliste.

Ein grünes Umweltministerium bedeutete auch, dass Etgen immer wieder zwischen den Fronten stand. Umweltministerin Dieschbourg machte Druck für eine grüne Agrarpolitik. Sogar Premierminister Xavier Bettel gab mehr als ein Plädoyer für die Biolandwirtschaft ab. Die Bauernverbände aber forderten, dass Etgen sich auf die Seite der Landwirte schlägt.

Fernand Etgen muss seine Hausaufgaben machen.“Carole Dieschbourg

Immer wieder soll es zwischen Fernand Etgen und Carole Dieschbourg zu Auseinandersetzungen gekommen sein. „Sie liegen sich in jeder Sitzung in den Haaren“, heißt es aus dem Umweltministerium. Etgen spielt die Differenzen herunter. „D’Carole an ech, mir schmusen dach nëmmen.“ Wieder muss der DP-Minister lachen. Dabei kommt seine ausgeprägte Heiterkeit vor allem dann zum Vorschein, wenn sich Etgen mit unangenehmen Fragen konfrontiert sieht. Es scheint, als wolle er mit Witzen seine Unsicherheit überspielen.

Foto: Eric Engel

Streit um den Wasserschutz

Die Differenzen zwischen den beiden Ministerien kamen in einigen Dossiers zum Vorschein. Aktuelles Beispiel ist das Projekt der großherzlichen Verordnung zur Ausweisung der Trinkwasserschutzzonen im Stauseegebiet. Dieschbourg macht Druck, will Fernand Etgen mit an Bord haben. Denn die Entschädigungen, die die Bauern für Kompensationsmaßnahmen erhalten, kommen aus dem Landwirtschaftsministerium. „Fernand Etgen muss seine Hausaufgaben machen“, betonte Dieschbourg erst letzte Woche.

Die Landwirte ihrerseits werfen ihm vor, er würde sie im Stich lassen. „Der Minister stellt sich hier nicht auf unsere Seite. Er hält sich zu sehr zurück“, bedauert etwa der Präsident der Bauernzentrale (CEPAL) Marc Fisch im Gespräch mit REPORTER. Dieschbourg schickte in den letzten Wochen ihren Staatssekretär Claude Turmes in den Norden, um die Wogen zu glätten. Die betroffenen Landwirte sind unsicher, fühlen sich alleine gelassen und an den Pranger gestellt.

Dabei ist Etgen von Dieschbourgs Ansatz nicht einmal überzeugt. Er spricht sich im Interview gegen verpflichtende Maßnahmen aus. „Ich bin für eine Wasserschutzpolitik. Aber nicht dafür, mit dem Wasserschutz Politik zu machen.“ Den Landwirten hat er das offenbar so nicht kommuniziert. Dabei wiederholte der Vizepräsident der „Bauerenallianz“ Marco Koeune – der wie Etgen Kandidat auf der Nordliste der DP ist – eben jenes Zitat letzte Woche auf einer Infoveranstaltung zum Thema.

Klassenfahrt nach Brüssel

Kommunikation ist tatsächlich nicht immer Etgens Stärke. Das weiß der Landwirtschaftsminister. Zu Beginn der Legislaturperiode stieß er die Landwirte vor den Kopf, als er sagte, er wolle der Anwalt der Bauern sein. Die Landwirte entzürnten sich daraufhin, sie bräuchten keinen Anwalt, schließlich säßen sie nicht auf einer Anklagebank. „Da habe ich gemerkt, dass ich mich geschickter ausdrücken muss“, erinnert er sich.

Wann de Landwirtschaftsminister eppes verpasst huet, dann datt mer dat net besser kommunizéiert hunn.“ Fernand Etgen

Auch auf europäischer Bühne wirkt Etgen oft, als habe er sich verirrt. Die sogenannten „Doorsteps“, die kurzen Interviews der Minister nach EU-Ratssitzungen, gehören nicht zu seinen Stärken, besonders dann nicht wenn sie auf Französisch sind. Hier wirkt Etgen wie ein Schuljunge auf Klassenfahrt. Die Dramatik in manchen Dossiers sei beeindruckend, kommentiert Etgen.

Doch gerade auf europäischer Bühne musste sich der DP-Minister behaupten. Er setzte sich – auf Druck Dieschbourgs – für Glyphosat-Austieg ein, und dafür, dass Brüssel den Landwirten weniger administrative Lasten auferlegt. Seine Rolle in der europäischen Milchkrise sieht Etgen mit Stolz. „Mir hunn als kleng Fëschelcher vill erreescht.“ Doch: „Wann de Landwirtschaftsminister eppes verpasst huet, dann datt mer dat net besser kommunizéiert hunn.“ Der Landwirtschaftsminister spricht öfter von sich in der dritten Person.

Tierschutz als Aushängeschild

Obwohl Etgen seinen Parteikollegen und EU-Abgeordneten Charles Goerens als Vorbild sieht, könne er sich ein Mandat im Europaparlament aber nicht vorstellen. Er genießt vor allem die Arbeit so nah am Volk. Ein Voksnarr sei er, der bei jedem „Dëppenfest“ dabei ist. Tatsächlich gehört er zu den Ministern, die sich nicht nur während des Wahlkampfs auf jedem „Äppelfest“ ablichten lassen. Hier scheint Etgen in seinem Element zu sein.

Sein Unvermögen, Erfolge zu vermitteln, hat Etgen so kurz zum Schluss der Legislaturperiode nachgeholt. Sein Tierschutzgesetz, das im Juni verabschiedet wurde, gilt als eines der fortschrittlichsten Europas. Um das zu veranschaulichen, mobilisierte Etgen prompt rund 100.000 Euro: In Kinos, Radios und im Fernsehen erfuhren die Bürger, dass die Tiere nicht mehr als Sache, sondern als Lebewesen gelten.

Sein Abenteuer in der Regierung konnte Etgen also mit einem Kommunikationserfolg abschließen. Doch seine Wähler im Norden sind keine Tierhalter aus Leidenschaft, sondern Landwirte mit wirtschaftlichen Interessen. Ihre Prioritäten liegen womöglich woanders.