Auch Luxemburg mischt sich in den Venezuela-Konflikt ein und erkennt den Oppositionsführer Juan Guaidó als Übergangspräsidenten an. Damit überschreitet Luxemburgs Außenpolitik eine Grenze und schafft einen Präzedenzfall für kommende internationale Krisen. Ein Kommentar.

Eigentlich wollte Jean Asselborn am Montag eine klare Positionierung vor der Presse vermeiden. Andere Staaten seien in einer besseren Lage, um eine Position im internen Venezuela-Konflikt zu beziehen, so der Außenminister. Wenige Stunden später dann der Kurswechsel. Auch Luxemburg teilt die Sicht anderer EU-Staaten und erkennt den selbst erklärten Übergangspräsidenten des lateinamerikanischen Landes als solchen an, heißt es in einem Kommunique des Außenministeriums.

Luxemburgs Außenminister hätte sich an seine erste Stellungnahme halten sollen. Auch wenn er mit der Vermeidung einer Position, wie schon öfter in der Vergangenheit, seine eigene Daseinsberechtigung in Frage gestellt hätte, wäre eine überlegte, differenziertere Aussage die bessere Wahl gewesen. Stattdessen stimmte Asselborn auf Druck mächtigerer Partner in die Rufe nach einer aktiven Einmischung in den inneren Konflikt eines souveränen Staates ein.

Eine kontraproduktive westliche Anmaßung

Es ist durchaus legitim, dass die EU dem venezuelanischen Machtkampf nicht tatenlos zuschaut. Die Wirtschaftskrise, der Hang der Maduro-Regierung zum autoritären Durchregieren, die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf den Straßen von Caracas halten schon zu lange an. Doch es ist ein Unterschied, ob man einen demokratisch legitimierten Wandel fordert oder einseitig für eine Konfliktpartei eintritt und damit die Krise weiter anheizt. Es ist zudem kontraproduktiv, wenn man dem Präsidenten Venezuelas ein Ultimatum stellt, wie es die EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien vergangene Woche getan haben.

Man hätte sich von Luxemburg einen diplomatischen Weg zwischen den interventionistischen Scharfmachern und den ebenso ideologischen und kompromisslosen Verteidigern des Maduro-Regimes erwarten können.“

Kritiker der entsprechenden EU-Position haben durchaus Recht, wenn Sie fragen: Mit welchem Recht erkennt die EU den Vorsitzenden eines Parlaments als Übergangspräsidenten eines Staates an? Mit welchem Recht beteiligt sich Luxemburg an einer Politik, die mit ziemlicher Sicherheit nicht zur Befriedung des Landes, sondern zur weiteren Konfrontation beitragen wird? Mit welchem Recht gerieren sich ehemalige Kolonialstaaten als die wahren Kenner und Verteidiger der venezuelanischen Demokratie?

Man sollte gleichzeitig betonen, dass der Präsident Venezuelas Nicolas Maduro an der Eskalation der politischen Spannungen nicht unschuldig ist. Zudem ist er offenbar nicht in der Lage, zur Befriedung und Versöhnung seines Landes beizutragen. Dass man die aktuelle Regierung komplett von der von der EU betonten „friedlichen und politischen Lösung“ des Konflikts ausschließen will, ist jedoch ebenso nicht zielführend. Mit der Anerkennung von Maduros Gegenspieler als Übergangspräsident hat die EU letztlich eine wichtige Karte im Spiel um eine zivile Beilegung des Machtkampfs aus der Hand gegeben.

Ein Präzedenzfall für die Glaubwürdigkeit der EU

Diese ungeahnte Einmischung schafft zudem einen Präzedenzfall. Sie ist Wasser auf die Mühlen von anderen Kräften in der internationalen Politik, die es dem „Westen“ in Sachen Ausbreitung seines Einflussbereiches gleichtun wollen. Mit welchen Argumenten will sich die EU denn zukünftig gegen Interventionsversuche, zum Beispiel von Russland, in die Angelegenheiten anderer souveräner Staaten wehren? Die Überzeugung, dass man auf der „richtigen Seite“ der Geschichte von Demokratie und Freiheitsrechten steht, genügt dazu nicht.

Luxemburgs Einfluss in der Weltpolitik ist gelinde gesagt überschaubar. Doch regelmäßig vertritt die Außenpolitik des Großherzogtums den vernünftigen Anspruch einer zurückhaltenden, auf Ausgleich ausgelegten Diplomatie. Das hätte der Regierung auch in diesem Fall gut zu Gesicht gestanden. Man hätte sich von Luxemburg einen diplomatischen Weg zwischen den interventionistischen Scharfmachern (angeführt von den USA) und den ebenso ideologischen und kompromisslosen Verteidigern des Maduro-Regimes (unterstützt von Russland, China, Iran, Türkei) erwarten können.

Luxemburg hätte die Einheit der EU-Außenpolitik nicht gefährdet, wenn es entschlossen für Freiheit und Demokratie eingetreten wäre, sich aber nicht an der aktiven Einmischung in einen innerstaatlichen Konflikt beteiligt hätte.“

Heute zeigt sich, dass diese Position innerhalb der EU nicht weniger konsensfähig gewesen wäre als die Politik der expliziten Anerkennung von Juan Guaidó als Übergangspräsident. Die Union ist in der Frage gespalten. Rund die Hälfte der EU-Staaten sind bisher der zuvor auch von den USA vorgegebenen harten Linie gefolgt. Andere Staaten wie Italien oder Griechenland stellten sich strikt dagegen. Doch das Beispiel der belgischen Regierung zeigt, dass es auch einen verantwortungsvollen Mittelweg zwischen Anerkennung und Verweigerung gab. Luxemburg hätte die Einheit der EU-Außenpolitik nicht gefährdet, wenn es entschlossen für Freiheit und Demokratie eingetreten wäre, sich aber nicht an der aktiven Einmischung in einen innerstaatlichen Konflikt beteiligt hätte.

Man setze sich dafür ein, dass „die Grundrechte und Freiheiten des venezolanischen Volkes respektiert“ werden, heißt es in der besagten Pressemitteilung des Außenministeriums vom Montag. Die Lösung der „schwierigen Situation“ könne nur eine „politische und friedliche“ sein. Und man wolle alles dafür tun, um einen „glaubwürdigen demokratischen Prozess“ in Venezuela einzuleiten, so die Stellungnahme von Jean Asselborn. Diesen Zielen kann man als freiheits- und demokratieverbundener Mensch eigentlich nur zustimmen. Die Sache mit der Glaubwürdigkeit hat die EU-Außenpolitik, und mit ihr in diesem Fall Luxemburg, allerdings wieder einmal verspielt.