Der Rücktritt von Roberto Traversini als Bürgermeister von Differdingen bedeutet für Déi Gréng einen großen Einschnitt. Für die längst zur gewöhnlichen Regierungspartei gewordenen Grünen steht nicht weniger als die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Ein Kommentar.
Spätestens als am Freitagnachmittag mitgeteilt wurde, dass die Justiz gegen Roberto Traversini ermittelt und die Polizei bereits Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Affäre um den Bürgermeister von Differdingen durchgeführt hat, war auch dem Letzten der Ernst der Lage bewusst geworden. Dass ein Amtsträger zurücktritt, ist in Luxemburg äußerst selten. Dass Traversini diesen Schritt unternahm, verdient zwar durchaus Respekt. Allerdings hat er seine Lage selbst zu verantworten.
Auch wenn es anfangs für viele so aussah, ist der Fall Traversini keine Lappalie. Ein Bürgermeister hat sein Amt bewusst für seinen persönlichen Vorteil ausgenutzt und dies erst nach öffentlichem Druck als Fehler eingeräumt. Es ist das Scheitern eines der Aushängeschilder von Déi Gréng, dem angesichts seines fulminanten Wahlerfolgs in der drittgrößten Gemeinde des Landes vor zwei Jahren eine große Zukunft in der Partei vorausgesagt wurde.
Es geht aber auch um eine Partei, die offensichtlich ihren einstigen moralischen und politischen Kompass verloren hat. Der tiefe Fall des Roberto Traversini wird sich wohl oder übel auch auf die Zukunft von Déi Gréng auswirken. Zwar konnte diese Partei bei den vergangenen Nationalwahlen einen historischen Erfolg einfahren. Doch der Glanz der von den Wählern gestärkten Grünen ist längst verblasst.
Unfreiwillige Zäsur an der Parteispitze
Die Kontroverse um Roberto Traversini kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Durch die Erkrankung von Vizepremier Felix Braz stand die Partei ohnehin schon unter Schock. Nicht nur das. Mit der Abwesenheit von Braz fehlt den Grünen ihr unbestrittener Leader im Regierungsteam. Der Vizepremier war sowohl einer der Garanten dieser Dreierkoalition als auch der Ansprechpartner der Führungsfiguren der anderen Parteien. Ohne ihn muss sich die neue Machtstruktur der Grünen erst noch finden.
Institutionen und Verwaltungen sollen der Demokratie, den Bürgerinnen und Bürgern dienen und nicht Partikular- oder Parteiinteressen.“Wahlprogramm von Déi Gréng 2013
Denn François Bausch hat offenbar kein Interesse daran, die Rolle des führenden Grünen-Ministers wieder zu übernehmen. Zwar ist der erfahrene Politiker im Hintergrund einer der wichtigsten Strippenzieher der Koalition. Doch wie es heißt, arrangiert es ihn, dass nicht er, sondern Felix Braz bisher in der Öffentlichkeit als Aushängeschild von Blau-Rot-Grün wahrgenommen wurde. Nicht ohne Grund hatte Bausch seinem Parteifreund Braz nach dem Regierungswechsel 2013 diese Rollenverteilung schmackhaft gemacht.
Auch wenn das Kabinett mittlerweile umgebildet wurde, steht die schwere, aber koalitionsintern als unausweichlich geltende Entscheidung einer dauerhaften Ersatzlösung für den Vizepremier noch aus. Ein möglicher Kandidat für einen Ministerposten ist seit dieser Woche wohl aus dem Rennen. Roberto Traversini hätte als (nach Felix Braz) Zweitgewählter im Südbezirk eigentlich das erste Zugriffsrecht auf einen möglichen Kabinettsposten. Doch ein Aufstieg in die Regierung lässt sich angesichts der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Traversini zum jetzigen Zeitpunkt ausschließen.
Macht wichtiger als das eigene Programm
Damit rückt Fraktionschefin Josée Lorsché zur aussichtsreichsten Kandidatin auf einen Kabinettsposten auf. In diesem Szenario könnte der Abgeordnete Henri Kox neuer Fraktionschef werden. Doch schon jetzt zeigt sich innerhalb des Parlaments ein grundsätzliches Problem der Grünen: der Mangel an Erfahrung und profilierten Parlamentsmitgliedern. Und dieser Mangel spiegelt sich freilich auch in einer schwindenden Durchschlagskraft von Déi Gréng in den wichtigen Dossiers der Regierungspolitik wider.
Genauso wie ihre Koalitionspartner verstehen sich die grünen Abgeordneten generationsübergreifend vor allem als Fanclub und verlängerter Arm der Regierung.“
Bald sind die Grünen sechs Jahre lang an der Macht, doch die Bilanz in ihren einstigen programmatischen Kernbereichen ist durchwachsen. Ein grüner Justizminister hat die Verschärfung der Anti-Terror-Gesetzgebung und ein Burka-Verbot zu verantworten. Zwei grüne Minister sind verantwortlich für objektive Missstände in Sachen Datenschutz. Beim Ziel eines ambitionierten Klimaschutzes und einer ökologischen Steuerreform verharrt man dagegen bis auf Weiteres im Modus einer latenten Ankündigungspolitik.
Selbst wenn man die langsamen Fortschritte in der Dreierkoalition allesamt unter dem Deckmantel der Realpolitik entschuldigen würde, bleibt die Kritik an den Grünen zumindest in einem Punkt zulässig. Denn anders als früher in der Opposition kommen aus der grünen Fraktion so gut wie keine programmatischen Impulse mehr. Genauso wie ihre Koalitionspartner verstehen sich die grünen Abgeordneten generationsübergreifend vor allem als Fanclub und verlängerter Arm der Regierung. Die Erhaltung und der Ausbau der eigenen Macht ist wichtiger als die mutige Umsetzung des eigenen Programms. Ohne Druck aus dem Parlament oder von der Parteibasis haben die Ultra-Realos in der Regierung weiter freie Fahrt.
Erinnerung an die eigenen Ansprüche
„Déi Gréng wollen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik und Institutionen stärken. Politische Verantwortung darf nicht zu einer leeren Worthülse verkommen, sondern verlangt konsequent nach politischer Rechenschaft“, hieß es einst im grünen Wahlprogramm von 2013. „Institutionen und Verwaltungen sollen der Demokratie, den Bürgerinnen und Bürgern dienen und nicht Partikular- oder Parteiinteressen.“
Die Grünen sind zwar Regierungspartei und haben bei Wahlen enorme Erfolge errungen. Doch gleichzeitig sind sie auf dem Weg, ihre Glaubwürdigkeit als fortschrittliche Partei zu verspielen.“
Passender könnte man das Problem der Entwicklung von Déi Gréng in den vergangenen sechs Jahren nicht auf den Punkt bringen. Roberto Traversini hat in ungeahnter Art und Weise gegen die Grundprinzipien der eigenen Partei verstoßen. Als wäre das nicht schlimm genug, machen sich die führenden Parteipolitiker auf nationaler Ebene durch ihr eisernes Schweigen zur Affäre mitschuldig an dem allseits festgestellten bröckelnden „Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik und Institutionen“.
Es gab mal eine Zeit, in der die Grünen an vorderster Front für Transparenz, Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien eintraten. Jetzt hört man schlicht kein Wort mehr zu diesen Zielen. Die Grünen sind zwar Regierungspartei und haben bei Wahlen enorme Erfolge errungen. Doch gleichzeitig sind sie auf dem Weg, ihre Glaubwürdigkeit als fortschrittliche Partei zu verspielen. Spätestens im Licht der „Affäre Traversini“ wäre es an der Zeit, sich an die eigenen Ansprüche von 2013 zu erinnern und sich auf das zurück zu besinnen, wofür sich die heutigen Machthaber einst überhaupt auf den Marsch durch die Institutionen gemacht haben.