Die Kosten für den Fusionsreaktor Iter sollen zukünftig als Klimafinanzierung verbucht werden. Dabei ist nicht einmal klar, ob der Testreaktor jemals Energie produzieren wird. Brüssel scheint den Klimawandel immer noch nicht ernst zu nehmen. Ein Kommentar.
Die Möglichkeiten scheinen unendlich. Stromgewinn aus Kernfusion. Das ist die Zukunft. Und schon bald sind die Klimaprobleme unserer Erde gelöst. Wenn es um das Projekt des Fusionsreaktors Iter geht, scheint kein Ziel zu klein. 35 Nationen arbeiten in Südfrankreich zusammen, damit aus der Idee Wirklichkeit wird.
Eine sichere, emissionsfreie und vor allem unerschöpfliche Energiequelle: Das soll dank dem Iter-Reaktor bald möglich sein: „L’objectif étant, à terme, d’obtenir pour l’humanité toute entière une énergie abondante et une énergie qui ne dégrade pas notre climat et notre planète“. So beschrieb der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac das Projekt.
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Doch jene, die durch diese Versprechen ins Träumen geraten, landen angesichts der Fakten schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen. Etwa beim Preis. Ursprünglich sollte das Projekt fünf Milliarden Euro kosten. Inzwischen rechnet man mit rund 15 Milliarden.
Der geplante Start des Reaktors wurde immer wieder verschoben. 2025 soll es jetzt soweit sein – wenn nichts, aber so gar nichts dazwischen kommt. Wirft man einen Blick auf die Webcam des Iter, sieht man vor allem eines: eine große Baustelle. Und hier soll lediglich der Testreaktor entstehen. Niemand weiß, wann mit dem ersten Fusionsreaktor zu rechnen ist, der tatsächlich Energie produziert. Oder ob die große Vision überhaupt je mehr ist, als eben bloß ein schöner Traum.
Iter wird zum Klimaprojekt
Das hält die EU-Kommission aber nicht davon ab, auf einmal die Finanzierung des länderübergreifenden Projektes zu überdenken. Rund 45 Prozent der Ausgaben für das Experiment einer neuen Energiequelle werden von der EU übernommen. Im nächsten Finanzrahmen (2021-2027) werden das rund sechs Milliarden Euro sein. Eigentlich kommt das Geld aus dem Budget der europäischen Atomgemeinschaft Euratom. Doch in letzten Jahren musste Brüssel immer wieder Geld aus anderen Kompetenzbereichen für den Kernfusionsreaktor bereitstellen, um das Projekt überhaupt am Laufen zu halten.
Nun soll Iter zum Klimaprojekt werden. Genauer gesagt will Brüssel die Ausgaben des Projekts zu 100 Prozent als Klimaschutzmaßnahme verbuchen. Der Grund: Künftig soll die EU 25 Prozent des EU-Budgets für Klimaschutz ausgeben. Doch aktuell droht man bereits an der 20-Prozent-Hürde zu scheitern, schreibt der Spiegel. Das Nachrichtenmagazin hatte zuerst über den Sinneswandel der Kommission und deren „Rechentrick“ berichtet.
Iter soll es richten, suggeriert der Vorschlag der Kommission, der Ende Februar an alle Ratsmitglieder ging. „Dieser Entscheid soll dazu führen, das Ziel, dass 25 Prozent des EU Budgets für Klimaziele genutzt werden, zu erreichen“, heißt es im Dokument.

Ein fragwürdiger Vorreiter
Die Entscheidung wirft Fragen auf. Noch weiß niemand, ob in Südfrankreich jemals Plasma gezündet wird. Noch 2017 drückte sich die Kommission in einer Stellungnahme sehr vorsichtig aus: „Die Zukunft der Kernfusion als wirtschaftliche Energiequelle hängt vom Gelingen des Baus und Betriebs des Iter ab“, heißt es dort. Doch man müsste schon in die Zukunft sehen können, um zu wissen, ob das Projekt gelingen kann.
In der Zwischenzeit tickt die Klima-Uhr immer lauter. In Sachen Klimaschutz will Brüssel den Ton angeben. Man gibt sich ehrgeizig und wird nicht müde, die eigenen Ambitionen wirkungsvoll zu vermarkten. Die EU soll zum Vorreiter werden. Zumindest in jenen Bereichen, in denen der Einfluss der traditionellen Industrie-Lobbies nicht allzu zu stark ist.
Im Nuklearbereich aber ist er das. Denn nicht nur das Kernfusionsprojekt wird auf einmal zum Klimaprojekt. Auch die Art, wie Brüssel über Kernenergie redet, hat sich grundlegend verändert. Auf einmal ist sie unerlässlich, wenn es darum geht, den Planeten zu retten. Erneuerbare Energien alleine schaffen das nicht. Zu dem Schluss kommt auch die EU-Strategie für eine CO2-arme Wirtschaft.
Die Atomlobby reibt sich die Hände. Nun kann sie ihr Marketing neu ausrichten und sich als Klimaretter vermarkten. Nach dem Sinneswandel im Iter-Projekt scheint die Frage gar nicht mehr abwegig, ob die EU nun bald auch Atomenergie als Klimaschutz-Projekt finanziert. Spätestens dann nicht, wenn Brüssel ernsthaft am 25-Prozent-Ziel zu scheitern droht.
Energiegewinnung erst Ende des Jahrhunderts
Es reicht nicht, sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu präsentieren und Milliarden für einzelne Projekte auszugeben. 25 Prozent für den Klimaschutz sind eine Sache. Doch sollte die Frage erlaubt sein, welche Klimaprojekte sinnvoll sind? In einer rezenten Stellungnahme schreibt die Kommission, „die Kernfusion könnte bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen in geeigneter Weise ergänzen.“
Nur leider ist das Ende des Jahrhunderts für die Rettung der Erde ein wenig spät. Laut dem jüngsten Bericht der zwischenstaatlichen Gruppe für den Klimawandel (IPCC), bleiben noch genau zwölf Jahre, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Zum Erreichen der 2050-Klimaziele, um die es eigentlich gehen sollte, wird der Iter-Reaktor jedenfalls nicht beitragen. Im Gegenteil, der Vorstoß der EU lässt eher vermuten, dass Brüssel immer noch nicht verstanden hat, wie ernst die Lage eigentlich ist.
Die Schüler und Studenten, die tausendfach in Europas Städten demonstrieren, wird Brüssel mit der Iter-Finanzierung jedenfalls nicht vertrösten können. Vor allem dann nicht, wenn sie sich ausmalen, was man alles mit sechs Milliarden Euro bewegen könnte. Meint es die EU mit ihrem Kampf gegen den Klimawandel ernst, sollte es sich auch den Nutzen der Investitionen vor Augen halten statt blind zu investieren. Luxemburg blockiert übrigens den Vorschlag der Juncker-Kommission. Österreich will nachziehen.
Es gibt sicherlich vielversprechendere Forschungsprojekte als einen Fusionsreaktor, der vielleicht, Ende des Jahrhunderts, die Welt retten kann. Denn wie die von Klimakatastrophen heimgesuchte Welt bis dahin aussieht, steht genauso in den Sternen wie die Frage, ob es den entsprechenden Reaktor bis dann geben wird. Bis zum Ende des Jahrhunderts ist der Klimatraum wohl ausgeträumt.