Die Debatte über den Islam werde oft einseitig geführt, sagt Fari Khabirpour. Für den ehemaligen Direktor des Abschiebezentrums am Findel gehört dazu aber auch, dass man unangenehme Fragen nicht ausklammern darf. Ein Gespräch über Religion, Ängste und politische Kontrolle.

Interview: Charlotte Wirth

Herr Khabirpour, immer wieder steht der Islam negativ in den Schlagzeilen. Attentate, Geschlechterungleichheit, Einschränkung fundamentaler Freiheiten: Muss man vor dem Islam Angst haben?

Ich habe das Gefühl, dass es in der Gesellschaft eine gewisse Angst vor Muslimen gibt. Diese hat mit der Migrationskrise zugenommen. Aber man muss differenzieren. Man kann nicht einfach sagen, dass diese Ängste immer irrational und unbegründet sind. Rein psychologisch ist es ja so, dass der Mensch sich vor Neuem fürchtet. Man muss differenziert über den Islam reden können. Es gibt innerhalb des Islams fundamentalistisch-extremistische Bewegungen, die bedrohlich sind. Deren Anhänger sind bereits so von ihrer Weltanschauung und ihrem Glauben überzeugt, dass sie denken, dass andere Kulturen, Gesellschaften oder Glaubensrichtungen schlecht und gottlos seien. Und dass sie diese ändern und islamisieren müssen, weil nur sie die Wahrheit besitzen. Gewalttaten wie kürzlich in Sri Lanka nähren diese Ängste noch weiter.

Wie differenziert man denn?

Da sind auch die Behörden gefragt. Also die Institutionen, die darüber entscheiden, wer als Flüchtling anerkannt wird. Ich glaube, die sind sich nicht immer bewusst, dass es nicht ausreicht, lediglich herauszufinden, ob der Betroffene verfolgt wird. Und er oder sie dann automatisch ein Recht auf Schutz hat. Ich glaube, da müssten auch andere Themen berücksichtigt werden. Manche kommen etwa mit dem Vorwand hierher, als Flüchtling anerkannt zu werden. Sie verlassen ja auch ihre Heimat, weil sie dort nicht gut angesehen werden, oder verfolgt werden – deswegen kriegen sie hier das Statut. Doch, sie bringen die ganze Weltanschauung mit. Darüber muss man auch reden.

Der durchschnittliche luxemburgische Beamte, der die Interviews mit Schutzsuchenden führt, ist schnell überfordert.“

Welche Weltanschauung meinen Sie?

Damit meine ich das kulturelle Denken: Nicht jeder, der hierher kommt, ist allein deshalb eine Bereicherung für unsere Kultur. Werte, die jenen eines demokratischen Rechtsstaates komplett entgegengesetzt sind, muss man hinterfragen dürfen. Dazu brauchen wir qualifiziertes Personal. Nehmen wir Luxemburg: Der durchschnittliche luxemburgische Beamte, der die Interviews mit Schutzsuchenden führt, ist schnell überfordert. Es ist aber auch eine schwierige Arbeit, die das Personal bewältigen muss. Sie müssen wissen, wie Neuankömmlinge aus islamischen Ländern ticken und denken. Um das abschätzen zu können, müssten sie in interkultureller Kommunikation ausgebildet sein und fremde Kulturen besser kennen. Etwa anhand ihrer Körpersprache. Mir haben Beamte oft gesagt, dass Asylsuchende bei den Interviews gelogen hätten. Auf die Frage, woran sie das festmachten, antworteten sie, dass die Asylbewerber ihnen nicht in die Augen geschaut hätten. Dabei muss man wissen: In manchen Kulturen gilt es als respektlos, Autoritätspersonen in die Augen zu schauen.

Fari Khabirpour ist Psychologe und früherer Direktor des „Centre de rétention“. (Foto: Matic Zorman)

Sie sagten, dass kulturelle Aspekte berücksichtigt werden müssen. Aber es gibt doch Integrationsprogramme, die das Zusammenleben erleichtern sollen?

Das ist schwierig. Denn bei Menschen mit einer fundamentalistisch-extremistischen Weltanschauung reicht es nicht aus, unsere Sprache zu lernen und unsere Lebensweise zu erfahren. Die sind an unseren Werten gar nicht interessiert. Sie kommen ja her, um uns, um unser System und unsere Wertvorstellungen zu ändern, und nicht umgekehrt. Und das schürt Ängste. Diese Ängste sind eine Art Vorsicht: Was sind das für Menschen, wie müssen wir mit ihnen umgehen, wie müssen die Behörden damit umgehen? Man kann sie nicht einfach in unsere Gesellschaft hereinlassen und den Menschen sagen, dass sie keine Angst haben müssen. Aber vor dem Islam als solches muss man keine Angst haben.

Besteht so nicht eben jene Gefahr, dass man die Dinge vermischt? Islam und Islamismus zum Beispiel …

Absolut, man muss da unterscheiden. Mir geht es um gewisse Interpretationen des Islams, in denen Werte wie Freiheit und Gleichheit keine Rolle spielen, etwa die Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Rein etymologisch bedeutet Islam übrigens Unterwerfung vor dem Willen Gottes. Es geht immer auch darum, wie man diese Unterwerfung interpretiert und ob man sie anderen aufzwingt. Wenn die Prinzipien der Freiheit nicht beachtet werden, dann ist das problematisch. Der Islam vermittelt aber auch positive Werte. Liebe, Versöhnung … Auch das findet man im Koran. Es geht also um die Auslegung.

Aber das ist ja nicht nur beim Islam so. Wenn man die Bibel liest, findet man dort auch vieles, was nicht in unsere heutige Gesellschaft passt …

Ja. Das Phänomen gab es zum Beispiel auch bei streng gläubigen Christen. Man nehme die Zeit der Inquisition, die Zeit der Kreuzzüge, aber auch die Missionare in der Kolonialzeit. Es gab eine Phase, in der die Christen versucht haben, anderen ihren Glauben aufzuzwingen. Das ist aber heute nicht mehr der Fall. Heute gilt der Glaube als etwas sehr Privates. Ob jemand glaubt oder nicht glaubt, ist seine persönliche Angelegenheit. Das Christentum ist in diesem Sinne nicht mehr mit einem politischen Auftrag verbunden.

Und der Islam?

Beim Islam ist das Bestreben, andere zu bekehren noch sehr präsent. Viele, nicht alle, Muslime glauben, dass sie den Auftrag haben, andere von ihrem Glauben zu überzeugen. Wenn es sein muss mit Gewalt. Das ist der Aspekt des Islams, der fragwürdig ist. Das beobachtet man ja viel in islamischen Ländern, die unter dem Einfluss ihrer Religion stehen, eine Sittenpolizei haben, andere Religionen nicht akzeptieren. Nicht überall hat sich der Islam mit der Zeit weiterentwickelt und modernisiert. Die Religionen, die sich mit der Zeit weiterentwickelt haben, sind keine Bedrohung für die aufgeklärte Gesellschaft. Doch die, die irgendwo zurückgeblieben sind, sind eine Bedrohung. Und das sind manche Formen des Islam bis heute.

Es ist schwer, zu trennen, zwischen dem eigenen Glauben und der Religion als Thema einer Debatte.“

Sie sagen, auf der einen Seite sind die Ängste vor dem Islam nachvollziehbar. Auf der anderen Seite schüren ja auch gewisse Stereotypen und Feindbilder diese Ängste. Wieso konnten sich manche Bilder so stark durchsetzen?

Ich glaube da spielen die Medien und die Politik eine große Rolle. Mit Angst kann man ja bestimmte Ziele, auch politische Ziele, besser verfolgen. Wenn ich in einer Gesellschaft Ängste erzeuge, kann ich die Gesellschaft besser kontrollieren. Menschen, die frei sind von Angst, lassen sich schwerer manipulieren. Es geht um Kontrolle.

Wenn über Islam geredet wird, wird daraus schnell eine emotionale Debatte. Lässt sich rational über die Angst vor dem Fremden reden?

Sobald man sich mit einer Sache identifiziert, reagiert man emotional auf dessen Kritik: Das kann die Nation sein, die Herkunft, aber auch die Religion. Für viele Menschen, die gläubig sind, ist es schwierig, sachlich zu bleiben, wenn jemand das kritisiert, woran sie glauben. Das liegt daran, dass viele Menschen, die gläubig sind, sich sehr stark mit ihrem Glauben identifizieren. Es ist schwer, zu trennen, zwischen dem eigenen Glauben und der Religion als Thema einer Debatte. Und dann gleicht die Kritik an der Glaubensform einer Attacke gegen die eigene Identität.