Mit einer Magenverkleinerung können Schwergewichtige schnell Kilos verlieren. Der Eingriff gilt als ergiebige Methode. Doch nur wer bestimmte Kriterien erfüllt, bekommt die OP auch von der Krankenkasse genehmigt. Manche Patienten wissen diese Regeln aber zu umgehen.

Eine Magenverkleinerung ist für Fettleibige eine große Hoffnung. Die Hoffnung auf weniger Kilos, eine bessere Gesundheit und eine höhere Lebensqualität. Zurecht. Denn die sogenannte bariatrische Operation, bei der der Magen zu einem Schlauch verkleinert oder das Organ mit einem Bypass umgangen wird, gilt als wirksamste Methode, um Gewicht zu verlieren. Sie verspricht ein leichteres Leben.

Doch nicht immer zahlt die Krankenkasse für dieses Versprechen. Der Patient muss bestimmte Kriterien erfüllen. Unter anderem muss er 18 Jahre alt sein. Bei einem Body-Mass-Index (das Verhältnis von Körpergröße zu Körpergewicht) von 35 muss er mindestens eine Begleiterkrankung wie Bluthochdruck, Diabetes, Schlafstörungen, Cholesterin oder Arthrose aufweisen. Übergewichtig ist man ab einem BMI von 25, fettleibig ab 35. Wer beispielsweise 1,80 Meter groß ist und 90 Kilo wiegt, gilt mit einem Wert von 27,8 als übergewichtig.

Nur wer einen Body-Mass-Index von mindestens 40 hat, bekommt von der Krankenkasse automatisch das Okay für die OP.

Es hört sich so an, als hätte die CNS genau im Blick, wer für einen solchen Eingriff infrage kommt. Das stimmt aber nur teilweise. Denn damit die Kasse zahlt, wird manchmal geschummelt.

Erst zulegen, dann drastisch abnehmen

Knackpunkt ist der BMI. Wer adipös, also fettleibig ist, aber unter dem geforderten BMI liegt, darf die OP nicht machen. Deshalb gibt es Patienten, die vor dem Pflichttermin bei der CNS bewusst zulegen – in der Hoffnung, bis zur Kontrolle den passenden Wert erreicht zu haben. Das ist gefährlich, wenn man bedenkt, dass adipöse Menschen nicht nur viele Kilos mit sich tragen, sondern auch häufig andere Probleme, wie Diabetes oder Atembeschwerden aufweisen.

Das Prinzip „erst zu- und dann abnehmen“ mag paradox erscheinen. Dennoch gibt es solche Fälle. Einer davon ist Alex*. Er hat von Kuren über Diäten alles ausprobiert – bis er seinen Magenbypass bekommen hat. Dafür musste er aber an Gewicht zulegen – und das, obwohl er schon damals an Schlafstörungen und Bluthochdruck litt. „Ich war knapp unter dem BMI und habe bis zum Kontrolltermin bei der CNS noch einmal Gas gegeben“, sagt er. Und es klappte – die Kasse stimmte dem Eingriff zu.

Eine andere Betroffene erklärt, dass früher praktisch jeder operiert worden ist, der „20 Kilo zu viel auf der Waage hatte“. Deshalb müsse der Patient heute einen bestimmten BMI haben, um überhaupt für einen Eingriff infrage zu kommen. Sie selbst habe den passenden Wert gehabt, kenne aber Menschen, die noch 20 bis 30 Kilos zugenommen hätten, um die Bestätigung der Krankenkasse zu erhalten. Alle nötigen Informationen seien für Interessenten auf der Seite der CNS abrufbar, so die Frau weiter. Man könne sich demnach gut auf den Termin beim Kontrollarzt vorbereiten.

Wer weiß was?

Ob die Verantwortlichen sich bewusst sind, dass die bestehenden Regeln praktisch problemlos umgangen werden können? Dr. Martine Goergen ist Expertin auf dem Gebiet der bariatischen Chirurgie und erklärt, dass sie im Centre Hospitalier du Luxembourg nur die Kandidaten trifft, die bereits eine Bestätigung von der Krankenkasse erhalten haben. „Hier in der Clinique de l’Obésité sehen wir pro Jahr etwa 900 neue Patienten. Von diesen 900 werden etwa 150 operiert.“

Dass Patienten extra für die Operation zunehmen, kann Dr. Goergen nicht bestätigen. „Es mag aber sein, dass ein Patient beim ersten Versuch nicht als Kandidat für eine OP infrage kommt, im Laufe der Zeit weiter zunimmt und nach ein paar Jahren noch einen Versuch startet“, so die Ärztin.

Von Fällen wie Alex habe sie noch nichts gehört. Ebenso wenig wie die CNS oder die Leitung des Contrôle Médical. Die Gesundheitskasse verweist auf Nachfrage von REPORTER auf die Kontrollstelle. Sie würde darüber entscheiden, ob ein Patient für die OP infrage kommt. Die Kasse müsse diese Entscheidung dann annehmen.

Beim Contrôle Médical heißt es, man habe keine Kenntnis davon, dass Patienten vor dem Kontrolltermin bewusst an Gewicht zunehmen. Kurz: Dass die Regeln der CNS umgangen werden, wird vor allem hinter vorgehaltener Hand erzählt. Offiziell weiß niemand etwas davon.

Jede Operation kann man austricksen. Deshalb muss man sich eingestehen, dass man auch selbst etwas an seinem bisherigen Lebensstil ändern muss.“
Dr. Martine Goergen

Das darf auch niemand, hat die CNS doch erst im Jahr 2011 die Kriterien für bariatrische Eingriffe verstärkt. Damals sollte die Zahl der Anfragen durch die Maßnahmen eingedämmt werden. Es sei bis zu dem Zeitpunkt häufig „zu früh und unnötig zum Messer gegriffen“ worden, heißt es im „Lëtzebuerger Land“. Die Anzahl der Eingriffe habe in den 2000er Jahren bei „um die 300“ gelegen, 2009 sei sie sogar auf 396 gestiegen – mehr als doppelt so viele wie heute.

Also wurden strengere Regeln eingeführt. Die Zahl ist demnach tatsächlich zurückgegangen. Geschummelt wird trotzdem weiterhin.

Abnehmen ist auch Kopfsache

Eine die öffentlich darüber redet, ist Ernährungsberaterin Lis Muller. „Diese Fälle gibt es tatsächlich“, sagt sie. „Manche Patienten machen das, weil sie denken, dass eine Magenverkleinerung ein Allheilmittel ist und danach all ihre Probleme wie von selbst gelöst sind.“ Ganz so einfach sei das aber nicht. „Eine Operation reicht nicht aus. Wer dauerhaft abnehmen will, muss lernen, was und wie er essen soll“, sagt die Expertin.

Die Kriterien, die in Luxemburg gültig sind, sind gesunde Kriterien und es sind die, wie man sie auch im Ausland findet. Das ist alles korrekt.“Dr. Martine Goergen

Und das sei vor allem Kopfsache. „Sie können sich den Magen verkleinern lassen. Wenn Sie aber nichts an Ihrer Einstellung zum Essen ändern, besteht das Risiko, dass Sie im Laufe der Zeit wieder zunehmen. Ihr Körper wird gewisse kalorienreiche Lebensmittel trotzdem verwerten können.“ Die Operation sei für viele Betroffene zwar eine wahre „Erleichterung“, die Arbeit sei damit aber nicht getan.

Wer nicht ein Leben lang auf seine Ernährung achtet, kann nach dem Eingriff wieder zunehmen. „Jede Operation kann man austricksen. Deshalb muss man sich eingestehen, dass man auch selbst etwas an seinem Lebensstil ändern muss“, sagt auch Martine Goergen. „Der Eingriff ist nur eine Hilfe, aber keine Lösung.“

Strenge Regeln und eine risikoreiche OP

Die Regeln der CNS hält sie dennoch für richtig. „Die Kriterien, die in Luxemburg gültig sind, sind gesunde Kriterien und es sind die, wie man sie auch im Ausland findet. Das ist alles korrekt.“

Es brauche auch Regeln – immerhin sei ein Magenbypass oder ein Schlauchmagen mit Risiken verbunden. „Hierbei handelt es sich nicht um eine Schönheitsoperation. Die OP wird bei denjenigen angewandt, von denen wir wissen, dass das Risiko des Eingriffs geringer für sie ist, als wenn sie mit ihrem Gewicht so weiterleben würden.“

Für betroffene Patienten ist der Eingriff nicht unbedingt ein Versuch für eine schlankere Figur, sondern die Hoffnung auf eine bessere Gesundheit. Vor allem der Magenbypass wird in der Medizin seit Längerem als Goldstandard gefeiert. Denn der Eingriff wirkt auch hormonell: Die Betroffenen haben nicht nur weniger Hunger, sondern auch einen besseren Zuckerstoffwechsel, Diabetes kann praktisch rückgängig gemacht werden.

Damit die positiven Effekte anhalten, muss der Patient sich an strenge Regeln halten – ansonsten droht ein Rückfall. So wie bei Alex. Für ihn war es ein Erfolg, als die Pfunde nach dem Bypass praktisch alleine geschmolzen sind. Seine Einstellung zum Essen hat er dadurch nicht geändert: „Ich esse heute zwar kleinere Portionen, dafür aber mehr über den Tag verteilt.“ Das spiegelt sich auch auf der Waage wider. Nur noch 20 Kilo trennen ihn von dem Gewicht, das er vor dem Eingriff hatte.

*Name von der Redaktion geändert


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