Nur selten erlangt ein Pestizid internationale Berühmtheit. Im Fall des Glyphosat-Verbots schafften es Umweltschützer, den Lobbyismus aus den Hinterzimmern in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Alleingang der Luxemburger Regierung wird dagegen ein juristisches Nachspiel haben.

„Es war eine politische Entscheidung und ein Zeichen, dass wir den Bedenken der Bevölkerung Rechnung tragen“, sagt Carole Dieschbourg. Nicht nur im Interview mit Reporter.lu betont die Umweltministerin von Déi Gréng stets den Idealismus, der hinter der Entscheidung zum Verbot des Herbizids Glyphosat stehe.

Seit Beginn dieses Jahres ist der Einsatz von Glyphosat in Luxemburg – als erstes Land in der EU – verboten. Der Entscheidung ging ein langer Zulassungsprozess auf EU-Ebene voraus, den die Glyphosat-Befürworter am Ende für sich entscheiden konnten. Der Schritt der Luxemburger Regierung, das etwa im Pflanzenschutzmittel „Roundup“ enthaltene Herbizid im Alleingang zu verbieten, kann also durchaus verwundern.

Vor allem ist es jedoch ein Erfolg für die Umweltorganisationen, die sich gegen die Interessen des Herstellers „Bayer“, und einige Bauernverbände durchsetzen konnten. Gleichzeitig ist es ein Paradebeispiel für eine neue Form des Lobbyismus, den Teile der Zivilgesellschaft nicht mehr nur den mächtigen wirtschaftlichen Interessenvertretern überlassen möchten.

Ein Tauziehen mit erstaunlichem Ende

Am 8. März 2016 sollten die europäischen Landwirtschaftsminister über eine 15-jährige Verlängerung der Zulassung des Wirkstoffes Glyphosat beraten. Die Abstimmung musste allerdings verschoben werden. Der Grund: Mehrere Staaten hatten vor, sich zu enthalten. Damit drohte die Zulassung zu scheitern. Mehr als ein Jahr später beendete der deutsche Landwirtschaftsminister das politische Tauziehen, indem er im Rat in letzter Minute einer fünfjährigen Verlängerung der Zulassung zustimmte. Es war ein chaotischer Abschluss einer ebenso chaotischen Prozedur.

Es ist ein politisch heikles Thema, das mit einem Verbot am einfachsten begraben werden konnte.“Raymond Aendekerk, „Greenpeace Luxembourg“

Dass die Zulassung überhaupt zu einem Politikum wurde, ist auf einen Bericht der internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückzuführen. Darin stufte die Agentur das Herbizid im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Umweltorganisationen nutzten diese Einschätzung, um in der Öffentlichkeit gegen Glyphosat zu mobilisieren.

Die Arbeit des ständigen EU-Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel kam somit ins Stocken. „Es handelt sich hierbei um ein sehr technisches Gremium, bestehend aus Experten der Kommission und der Mitgliedstaaten, das für eine politische Auseinandersetzung nicht gewappnet war“, erklärt ein Mitglied des Gremiums im Gespräch mit Reporter.lu.

Binnen kurzer Zeit wurde man von Studien „überflutet“, so der Beamte. Sowohl Hersteller als auch Umweltorganisationen lieferten wissenschaftliche Daten zu den gesundheitlichen Folgen des Produkts. Zudem startete ein Bündnis aus europäischen Umweltorganisationen eine europäische Bürgerinitiative unter dem Motto „Stop Glyphosat“, um den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen.

Kein klassischer Fall von Lobbyismus

„Für mich ist Glyphosat kein Beispiel von Lobbyismus. Die Debatte wurde ja komplett öffentlich geführt“, erklärt Blanche Weber im Gespräch mit Reporter.lu. Die Präsidentin des „Mouvement écologique“ kann sich nicht daran erinnern, mit dem Landwirtschafts- oder dem Umweltministerium Gespräche über Glyphosat geführt zu haben. Auch Raymond Aendekerk hat sich weder in seiner Funktion als Mitglied der Plattform „Meng Landwirtschaft“ noch als Direktor von „Greenpeace Luxembourg“ mit den Ministerien zum Thema Glyphosat ausgetauscht. Umso erstaunlicher ist es also, dass ein Verbot es in das Koalitionsabkommen geschafft hat.

Selbst die Hersteller suchten kein Gespräch mit Luxemburger Ministerien. Somit war die „Centrale Paysanne“ auf sich alleine gestellt, um für den weiteren Einsatz des Herbizids im Großherzogtum zu werben. „Wir haben es wohl versucht, aber es ist später sehr negativ auf uns zurückgefallen“, erinnert sich Josiane Willems im Gespräch mit Reporter.lu. Die „negative Berichterstattung der Medien“ habe dazu geführt, dass es keinerlei Akzeptanz für den Einsatz von Glyphosat gegeben habe, so die Direktorin der Bauernzentrale. Auch sie habe die Entscheidung deshalb nicht weiter beanstandet.

Eine politische Entscheidung, die nicht auf klassischen Hinterzimmer-Deals beruhte: Umweltministerin Carole Dieschbourg ist durchaus stolz auf Luxemburgs Alleingang beim Glyphosat-Verbot. (Foto: Eric Engel)

Den bewährten Weg, Beamte oder Minister hinter verschlossenen Türen von der Sicherheit ihres Produkts zu überzeugen, schlugen die Unternehmen somit nicht ein. Damit verlief der Weg zum Glyphosat-Verbot ganz anders als nach dem klassischen Lobbyismus-Lehrbuch, wie etwa bei neuen Richtlinien zur Steuerpolitik oder zur Regulierung der Finanzmärkte.

Dabei verschließt sich Luxemburg nicht prinzipiell gegen Interessenvertreter, auch ganz offiziell nicht. „Wir empfangen regelmäßig Unternehmen, die eigene Interessen vertreten. Das hilft uns auch dabei, die Positionen der anderen Mitgliedstaaten nachzuvollziehen“, erklärt ein hoher Beamter der ständigen Vertretung Luxemburgs bei der EU. Obwohl Brüssel als europäische Hauptstadt des Lobbying gilt, spielen die Mitgliedstaaten weiterhin eine wichtige Rolle. Für Entscheidungen im Rat der Europäischen Union müssen die jeweiligen Ministerien überzeugt werden. „Wir vertreten diese Ministerien, aber wir legen nicht deren Politik fest“, so der Beamte.

Luxemburg als vernachlässigbare Größe

Dabei hat sich die Firma „Monsanto“, die inzwischen von „Bayer“ aufgekauft wurde, durchaus auf den öffentlichen Meinungsumschwung eingestellt. In Zusammenarbeit mit der Consultingfirma „FleishmanHillard“ hat „Monsanto“ in mindestens sieben Ländern Listen erstellt, in denen sie Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Position zum Herbizid einteilten. Dadurch sollte festgelegt werden, bei welchen Entscheidungsträgern sich verstärkte Lobbyarbeit als nützlich erweisen könnte.

Zusätzlich verfasste das Unternehmen selbst etliche Meinungsbeiträge in Zeitungen. Wie die „Monsanto Papers“ darlegen, wurden von den Lobbys sogar eigens verfasste wissenschaftliche Artikel in Fachmagazinen publiziert, die von Forschern unterschrieben wurden. Das Ziel: Zweifel gegenüber all jenen Studien säen, die den Wirkstoff als krebserregend einstufen.

Man braucht schon Mut, um diesen Beschluss zu fassen. Es fühlt sich ein bisschen an wie David gegen Goliath.“Carole Dieschbourg, Umweltministerin

„Das ist eine bewährte Methode, die auch die Autoindustrie anwendet“, sagt Carole Dieschbourg im Interview mit Reporter.lu. Luxemburg wurde in der Überzeugungskampagne der Hersteller allerdings vernachlässigt. Die Unternehmen, die sich später in der sogenannten „Glyphosate Renewal Group“ (GRG) zusammentaten, versuchten in erster Linie größere Staaten von einer Verlängerung der Zulassung zu überzeugen. Dafür müssen lediglich 15 Mitgliedstaaten zustimmen, die mehr als 65 Prozent der Bevölkerung der EU darstellen. Bei solchen Entscheidungen spielt Luxemburg kaum eine Rolle.

„Da der Schwerpunkt der GRG auf der Erneuerung der Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat liegt, die in die Zuständigkeit der EU-Behörden fällt, war die GRG nicht an produktspezifischen Diskussionen auf Länderebene beteiligt“, erklärt die Pressestelle von „Bayer“ auf Nachfrage von Reporter.lu. Demnach hätte es auch keine Gespräche über die Entziehung der Marktzulassung von „Roundup“ gegeben.

Ohne öffentlichen Gegenspieler und mit der offenen Unterstützung der grünen Umweltministerin hatten die Umweltorganisationen in der öffentlichen Meinung demnach leichtes Spiel. Auch das bei der Prozedur federführende Landwirtschaftsministerium, damals unter der Führung von Fernand Etgen (DP), willigte ein, sich gegen eine Verlängerung der Zulassung auszusprechen.

Eigene Überprüfungen sind kaum möglich

Diese Strategie könnte sich zudem auch in Zukunft auszahlen. Da die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sich in ihrer wissenschaftlichen Untersuchung teils auf Studien stützte, die von „Monsanto“ selbst verfasst und unter anderem Namen veröffentlicht wurden, ist sie in Verruf geraten. Die Gefahr ist demnach groß, dass wissenschaftliche Daten zu anderen Pestiziden auch zukünftig hinterfragt werden und die jeweiligen Neuzulassungsprozesse sich somit in die Länge ziehen.

Ein effizientes Pestizid zur Unkrautbekämpfung, dessen schädliche Wirkung auf die menschliche Gesundheit jedoch immer wieder nachgewiesen wurde: International ist die Debatte über den Einsatz von Glyphosat noch nicht zu Ende. (Foto: Shutterstock)

Auf EU-Ebene nimmt somit die Arbeitsbelastung der zuständigen Beamten zu. Zeit, die sonst in andere Themenbereiche investiert wird, geht verloren. „Einem vergleichbaren medialen Aufwand kann man nicht ständig standhalten“, formuliert es ein Beamter im Gespräch mit Reporter.lu. Indem die Luxemburger Regierung klar Position bezog, konnte man wieder zu anderen Themen übergehen. Für den Staat wäre der Aufwand, unabhängige Studien über die gesundheitlichen Folgen zu erstellen, schlicht zu groß gewesen.

„Es ist ein politisch heikles Thema, das mit einem Verbot am einfachsten begraben werden konnte“, findet auch Raymond Aendekerk. Allerdings habe die Entziehung der Glyphosat-Zulassung nicht zu dem erhofften Paradigmenwechsel geführt. Eine Debatte über eine Zukunftsvision für die Landwirtschaft stehe noch immer aus, so der Direktor von „Greenpeace Luxembourg“.

Bayer klagt gegen Luxemburg

Ein Zurück in die Vergangenheit ist jedoch auch möglich, denn der „Roundup“-Hersteller hat nun eine Klage gegen den Luxemburger Staat eingereicht. Es ist eine Folge, mit der man im Umweltministerium bereits rechnete. „Man braucht schon Mut, um diesen Beschluss zu fassen. Es fühlt sich ein bisschen an wie David gegen Goliath“, sagt Ministerin Carole Dieschbourg. Wegen einer hohen Belastung des Grundwassers durch Metaboliten, die auf Pflanzenschutzmittel zurückzuführen sind, habe man bereits vor einigen Jahren den Einsatz dieser Produkte streng reglementiert. Die Hersteller drohten dem Ministerium mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht, reichten diese letztlich aber nie ein. Dieses Mal folgten der Drohung allerdings Taten.

Der Entzug einer Marktzulassung verstoße gegen EU-Recht und sei unvereinbar mit dem wissenschaftlichen Konsens der weltweit führenden Gesundheitsbehörden, argumentiert die Pressestelle von „Bayer“. Doch selbst Glyphosat-Befürworter schätzen die Klage als rein symbolischen Akt ein. „Die Klage soll andere Länder davon abhalten, auf die gleiche Idee zu kommen“, sagt Josiane Willems von der Bauernzentrale. Vorerst bleibt Luxemburg allerdings das einzige Land in der EU, das den Einsatz von Glyphosat untersagt.

Indes arbeiten Frankreich, die Niederlande, Schweden und Ungarn im ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel bereits an einem neuen Bericht für die Zulassungsverlängerung von Glyphosat. Die „Glyphosat Renewal Group“ hat den Berichterstattern die nötigen Daten und Studien vorgelegt. 2022 muss der Ministerrat über die Zulassung entscheiden.

Man hoffe nun auf eindeutige Forschungsergebnisse, um sich nicht erneut in der gleichen Lage zu befinden, heißt es aus Luxemburger Beamtenkreisen, die mit dem Dossier vertraut sind. Dabei wird Luxemburg wohl früher oder später nicht mehr das einzige Land mit einer ablehnenden Haltung sein. Kürzlich hat auch die deutsche Bundesregierung beschlossen, Glyphosat ab dem Jahr 2024 zu verbieten. Andere Staaten zögern dagegen noch. Die Umweltschutzorganisationen, und nicht zuletzt Luxemburgs Umweltministerin, können ihren Etappensieg also noch eine Weile weiter feiern.