Blau-Rot-Grün will weiter regieren. Darauf haben sich die Parteispitzen der aktuellen Koalitionspartner bereits verständigt. Dennoch war „Gambia II“ im Verlauf des Wahlabends alles andere als ausgemacht. Die Geschichte einer wahren Zitterpartie.

Es war knapp, aber es sollte noch einmal knapp reichen. Dass DP, LSAP und Déi Gréng das Ruder der niederschmetternden Prognosen noch einmal herumreißen könnten, hatten sich die wenigsten Unterstützer erwartet. Und doch deutete bereits am späten Wahlabend nach dem Vorliegen der vorläufigen Endresultate alles auf eine Weiterführung von Blau-Rot-Grün hin.

Knappe 20 Minuten brauchte die DP am Montag für den einstimmigen Beschluss im Vorstand: Man werde sich in den Gesprächen mit der vom Großherzog ernannten „Informatrice“ für Verhandlungen mit der LSAP und Déi Gréng einsetzen. Somit steht fest, dass sich die Liberalen keine tiefgründigen Gespräche mit der CSV mehr wünschen und dass die Möglichkeit von Schwarz-Blau für die DP vom Tisch ist. Man rechnet gar damit, dass Xavier Bettel bereits am Dienstagabend, spätestens am Mittwoch vom Großherzog zum Formateur ernannt werden soll.

Derweil staunt so mancher Wähler, wie schnell das doch alles (wieder) geht. Die Frage drängt sich auf: War das, was jetzt passiert, genau wie 2013, bereits im Vorfeld minutiös geplant? Hatte auch Gambia „e Plang“?

Wie 2013, aber doch ganz anders

Eines ist heute definitiv anders als 2013. Es handelt sich nicht um eine neue Mehrheit, sondern um eine Regierungskoalition, die vom Wahlvolk bestätigt wurde. Dass diese Koalition ihre, wenn auch um einen Sitz gestutzte Mehrheit jetzt nutzt, darf eigentlich niemanden überraschen.

Das was jetzt so schnell und einfach zu laufen scheint, verlief am Wahlabend aber alles andere als reibungslos. „Mit 31 Sitzen zu regieren, das wäre sehr eng“, hieß es noch kurz vor der Verkündung der definitiven Resultate von einem hochrangigen DP-Mitglied. Dem Vernehmen nach war ein solches Szenario bereits innerhalb der Partei angesprochen worden – hatte aber nicht unbedingt überzeugt.

2013 wollten die Wähler anscheinend keine Gambia-Regierung. Heute wollen sie Gambia, das ist ganz klar.“Ein DP-Parteimitglied

Letztlich waren aber die Sitzverluste der CSV entscheidend. Unabhängig von der Konstellation würden demnach zwei Wahlverlierer (CSV und DP oder eben DP und LSAP) in einer Regierung vertreten sein. Der Wahlsieg der Grünen bestärkte „Gambia“ schließlich darin, dass man es bei diesem Ergebnis noch einmal wagen müsse.

Das Risiko einer denkbar knappen, also mitunter punktuell brüchigen Mehrheit im Parlament und die mögliche Blockade bei Gesetzen sei jedoch klar vorhanden. Dieses Szenario dürfe in dem Fall nicht unterschätzt werden, hieß es hinter vorgehaltener Hand bei der DP. Eine Aussage, die darauf hindeutet, dass die drei Parteien eben nicht wie 2013 schon im Vorfeld einen Pakt geschlossen hatten und es zumindest die Liberalen nicht auf Teufel komm raus noch einmal mit den aktuellen Partnern versuchen wollten.

Unerwartete Freude

Dass die DP derart gut abschneidet und wieder zum Königsmacher avanciert, damit hatte nicht jeder auf der Wahlparty der Liberalen im hippen „Hitch“ in Limpertsberg gerechnet. Auch bei den ersten nationalen Hochrechnungen, die die DP zumindest nicht als großer Wahlverlierer darstellten, wagte sich anfangs kaum einer das Wort „Gambia II“ überhaupt in den Mund zu nehmen. Es war lange ein Wunschdenken – auch im Parteivorstand.

Viele Parteianhänger übten sich in Zurückhaltung. Im Vergleich zu den Prognosen verzeichneten die Liberalen immerhin vertretbare Resultate bei der Auszählung der Listenstimmen. Trotzdem traute sich anfangs kaum jemand in die für den Abend auserwählte Wahlzentrale in der liberalen Hochburg. Die Wahlveranstaltung war anfangs gar schlecht besucht. Die Stammwähler standen zaghaft am Eingang, als erstmals ein DP-Mann für eine Live-Schaltung vor die RTL-Kameras treten sollte. Prompt wurden sie von einem Parteimitarbeiter aufgefordert: „Kennt Dir w.e.g. all e bëssen méi an de Sall réckelen, dann gesäit et e bëssen méi voll aus fir d’Kamera.“

Nach der Vermeidung eines Sitzverlustes im Osten feierte kaum jemand – DP-Generalsekretär Claude Lamberty und Bürgermeisterin Lydie Polfer verkündeten ganz ohne Lächeln, dass noch alles offen sei. Wahlparty ist anders.

Marc Hansen wollte seine Enttäuschung nicht zugeben, sah aber offensichtlich auch kein Grund zum Feiern. (Foto: Eric Engel)

Wie würden die Newcomer der Regierung Corinne Cahen und Pierre Gramegna in dem wahlentscheidenden Bezirk Süden und in der liberalen Hochburg Zentrum abschneiden? Als schlechtes Omen wollte es offiziell niemand sehen, dass Regierungsmitglied Marc Hansen es im Norden nicht ins Parlament schaffte.

Im Gesichtsausdruck des Wohnungsbauministers war der Ärger aber nicht zu verkennen. Eingestehen wollte er dies auf keinen Fall. Seine Aussage gegenüber REPORTER zeugt aber von dem generellen Bangen um Sitzverluste. „Ech sinn am Norden matgaangen, fir dass meng Partei hier zwee Sëtz do géing behalen an dat ass geschitt“, so Marc Hansen.

Mir mussen d’LSAP elo bei der Staang halen.“Ein Mitglied aus dem DP-Vorstand

Das Resultat des Partei-Vize schürte zumindest in den Köpfen einiger DP-Mitglieder frühzeitig Ängste um eine Abrechnung mit unbeliebten Ministern. Die Frage um das Ausmaß eines wichtigen Stimmenverlustes stellte sich vor allem beim einstigen DP-Liebling im Süden Claude Meisch. Er hatte 2013 ganze 22.300 persönliche Stimmen geholt – fast doppelt so viele wie die Nummer zwei der Partei.

„Es ist klar, dass Claude Meisch im Süden nicht länger Bestgewählter der Partei wird“, so das frühzeitige Vorgefühl eines Parteimitglieds, nachdem die ersten Resultate aus dem Heimatort Differdingen verkündet wurden. „Das Bildungsministerium ist einfach ein sehr schweres Ministerium. Da macht man sich nicht beliebt.“ Er sollte Recht behalten: Claude Meisch büßte massiv Stimmen ein: Am Sonntag reichte es nur für 15.527 Stimmen, obwohl seine Partei nicht zuletzt dank dem neuen Top-Gewählten, Finanzminister Pierre Gramegna, im Bezirk stabil blieb.

Claude Meisch konnte man am Wahlabend kaum ein Lächeln entlocken. (Foto: Eric Engel)

Dass man sich alle Optionen einer Koalition als Junior-Partner mit einer CSV offenlassen sollte, war auf der DP-Wahlparty am Sonntagabend allen bewusst. Es war die logische Fortsetzung der vor allem von Premier Xavier Bettel verfolgten Strategie im Wahlkampf. Nach außen offen für jegliche Koalitionen sein – insgeheim aber eine klare Präferenz für die Weiterführung der Dreierkoalition haben. Doch immer wieder schwanden die Mehrheitsprognosen der aktuellen Regierung – von 31, auf 30, auf zwischenzeitlich 29 Sitze. Und das überraschte niemanden.

„Keine frühzeitigen Aussagen machen“, lautete die klare Anweisung an jene, die den Parteivorstand vor der Ankunft von Xavier Bettel und Parteipräsidentin Corinne Cahen vertraten. Sie mussten die Stellung bis kurz vor 22 Uhr halten – obwohl die Unterstützung der Parteispitze ihnen für 20 Uhr zugesagt worden war. Ihr Credo wieder und wieder: „Wir müssen die Resultate noch abwarten.“

Nach den ersten nationalen Hochrechnungen gegen 21 Uhr wollte niemand in der DP-Zentrale ein Statement abgeben, obwohl sie zumindest eine Umkehrung der niederschmetternden Umfragen des Politbarometers voraussagten. In den Kulissen war früh zu verstehen, dass die DP noch nicht an eine Bestätigung von Partei und Koalition zu hoffen wagte.

Wackelkandidat LSAP

Auch als die nationalen Hochrechnungen die Möglichkeit von „Gambia II“ mit 31 Sitzen in Aussicht stellten, war man in den Kulissen noch sehr skeptisch. „Für uns sind die Resultate gut und eine Dreierkoalition bleibt theoretisch machbar. Wenn man die Resultate der LSAP betrachtet, denke ich, dass sie egal wie die Opposition antreten werden“, hieß es. Später dann: „Mir mussen d’LSAP elo bei der Staang halen.“

Die große Frage war seitens der DP in der Tat, ob die LSAP bei einer Dreierkoalition überhaupt noch einmal mitmachen würde. „Bei der LSAP-Basis spart man generell nicht an interner Kritik. Da wird es sicherlich mehrere Entscheider geben, die sich das sehr gut überlegen werden und für die eine Opposition mehr Sinn macht“, verlautete es aus der DP-Parteiführung.

Die düstere Aussicht von fünf Oppositionsjahren hatte die LSAP-Leitung bereits vor Augen. Der rund 30 Mitglieder zählende Parteivorstand der Sozialisten zog sich im Club Melusina ungefähr einmal pro Stunde zurück. Beobachten konnten sie Parteimitglieder und Journalisten dabei hinter einer Glaswand – mitsamt ihrer angespannten Gesichter.

Kein Grund zum Feiern gab es bei der LSAP. (Foto: Matic Zorman)

Welche Image-Strategie sollte man wählen? Der Martin-Schulz-Effekt und seinem übereifrigen Eingeständnis der Wahlniederlage und dem sich deshalb aufdrängenden Oppositionsgang war für den ambitionierten Etienne Schneider wohl eher keine Option. Vor die Parteianhänger wollte man aber noch nicht treten. In den Kulissen verwies man immer wieder auf den verantwortungsbewussten und deshalb zaghaften Fraktionschef Alex Bodry.

CSV-Déi Gréng: Keine Option

Auch bei Déi Gréng wollte François Bausch keine voreiligen Aussagen machen. Dass man sich selbst an der Regierung wiederfinden werde, war lange nicht ausgemacht. Lange gab man sich vorsichtig optimistisch.

Früh schälte sich nämlich heraus, dass die Basis eine ausgesprochene Abneigung für das oft vorausgesagte schwarz-grüne Szenario verspürte: Immer, wenn ein CSV-Sprecher auf dem RTL-Livestream zu sehen war, wurden Buhrufe im Publikum laut. Früh wurde die CSV ohnehin als großen Wahlverlierer betrachtet. Offen war also nur noch eine Weiterführung der Dreierkoalition.

Gutes Resultat im Zentrum birgt Kampfansage

In der DP-Zentrale fand die Party schließlich erst richtig statt, als gegen 22 Uhr die Sitze im Zentrum ausgezählt waren und die Wahlniederlage der CSV in den zwei größten Bezirken weiter Gestalt annahm. „Mir hunn all Grond fir den Owend ze feieren“, rief Corinne Cahen als geborene Stimmungsmacherin durch den Saal. Und es wurde gejubelt.

Ein Sitzverlust im Zentrum konnte der Feierlaune des Xavier Bettel nichts anhaben: „12 Sëtz ass e fantastescht Resultat fir eis Partei. Et ass eng Bestätegung, dass mir di gutt Politik gemaach hunn.“ Es wirkte ehrlich als er eingestand: „Dëst Resultat as eng Mega-Iwwerraschung.“

Selbstverständlich war für ihn mittlerweile der Regierungsanspruch: „Mir kruuten e kloert Mandat vun de Bierger fir eng weider Verantwortung an der Regierung“. Gleich darauf wurde er gegenüber der Journalisten auch noch etwas präziser: „Ech gesi keng Ursaach, fir net weider ze maachen. Des Koalitioun ass net ofgewielt ginn.“ Das Wahlresultat bedeutete für ihn, „dass alle drei Parteien gemeinsam eine gute Arbeit geleistet haben. Jetzt müssen wir miteinander reden.“

Überraschung für Corinne Cahen: Mit einer derart ausgesprochenen Beliebtheit hatte sie nicht gerechnet. (Foto: Eric Engel)

Auf einmal ging alles sehr schnell. Xavier Bettel verabschiedete sich zur Elefantenrunde ins RTL-Studio – Corinne Cahen brach angesichts ihres ausgezeichneten persönlichen Resultats in Freudentränen aus. Endlich ließ der unglaubliche Druck nach, den sie den ganzen Abend verspürt hatte. Nicht nur wurde die doch so umstrittene Familienministerin plötzlich landesweit zur zweitbestgewählten DP-Politikerin. Ob Selfies oder herum hüpfende VIP-Politiker: Die bis dahin ausgebliebene Wahlparty sollte möglichst schnell nachgeholt werden.

Gambia II zum Greifen nahe

„Wir sind in der nächsten Regierung, das ist die Hauptsache“, so der Tenor der im Saal Befragten. „In einer CSV-geführten Regierung müsste die DP den Premierminister stellen“, so noch die zu dem Zeitpunkt für mehrere Anhänger realistisch klingende Forderung. Bettel müsse logischerweise jetzt zum Formateur ernannt werden und die nächste Regierung zusammenstellen, hieß es.

Ausgerechnet der für den Wähler unnahbare Finanzminister und Schöpfer des „Zukunftspak“, Pierre Gramegna, konnte im Süden Claude Meischs verlorene Stimmen gutmachen. Erst als sich dann herausschälte, dass die LSAP im Süden nicht zwei, sondern lediglich einen Sitz verlieren werde und so das Gesicht in einer zukünftigen Dreierkoalition wahren könnte, schien „Gambia II“ zum Greifen nah. In der DP-Zentrale übernahm man Etienne Scheiders Argumentation mit Leichtigkeit.

Schuld sei am starken Sitzverlust der LSAP ohnehin das „tückische Wahlsystem“, sprich weniger als drei Prozent Einbußen auf Nationalebene, die die Sozialisten ganze drei Sitze im Parlament gekostet hätten, wohingegen die CSV mit über fünf Prozent Verlusten lediglich zwei Sitze am Krautmarkt frei machen müsse. Die faktisch schlechte Vertretung in der Chamber liege also an Luxemburgs bizarrem Sitzberechnungssystem.

Und plötzlich sagen alle Cheese. (Foto: Eric Engel)

Dass eine Weiterführung von Blau-Rot-Grün überhaupt möglich ist, ist aber genau derselben bizarren Restsitzberechnung im Süden zu verdanken: nicht die Grünen wie laut Hochrechnung vorausgesagt, sondern die Sozialisten haben diesen erhalten. Ein vierter Sitzverlust hätte die Sozialisten sicherlich in die Opposition gedrängt, hieß es noch am Sonntagabend aus LSAP-Parteikreisen.

„Gambia II“ war nicht ausgemacht, weil man es sich schlicht nicht zu erhoffen wagte. Es war nicht klar, dass die DP ein weiteres Mal Königsmacher sein würde. „2013 wollten die Wähler anscheinend keine Gambia-Regierung. Heute wollen sie Gambia, das ist ganz klar“, so ein Parteimitglied.