Immer wieder haben die Betreiber der Chemie-Plattform im grenznahen Carling gegen geltendes Umweltrecht verstoßen. Besonders eine Firma hat auch die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter gefährdet. Zehn Jahre nach einem tragischen Unfall hat sich die Situation nur bedingt verbessert.
„50 Jahre menschliches Abenteuer“, so wirbt die Firma Total Petrochemicals France (TPF) für ihre „dynamische Plattform“ im lothringischen St. Avold, knapp eine Autostunde südöstlich von Schengen. Auf der Chemie-Plattform würden „unverzichtbare Alltagsgegenstände“ hergestellt und Hunderten eine Beschäftigung geboten, heißt es.
Vor allem Anrainern ist jedoch auch bekannt, dass es dabei immer wieder zu Umweltvergehen kommt. „Duft von Carling“, so nennen die Saarländer den Gestank, der vor allem bei Störfällen von der Plattform ausgeht. Dass die Betreiberfirmen manchmal auch die Sicherheit ihrer Mitarbeiter aufs Spiel setzen, wissen dagegen nur wenige.
Vor zehn Jahren erschütterte ein Fall die breite Öffentlichkeit: Am Nachmittag des 15. Juli 2009 starben durch eine Explosion auf der Chemie-Plattform der 21-jährige Lehrling Maximilien Lemerre und der 28-jährige Arbeiter Jérôme Griffoul. Sechs weitere Menschen wurden verletzt. Sieben Jahre später verurteilte das Strafgericht von Saargemünd TPF zu einer Geldbuße von 200.000 Euro und den ehemaligen Firmenchef Claude Lebeau zu einem Jahr Haft auf Bewährung. Die Richter kritisierten, dass die Verantwortlichen, trotz eines massiv erhöhten Explosionsrisikos, Sicherheitsroutinen schon vor Jahren einfach abgeschafft hätten. Kurz: ein „unentschuldbares Fehlverhalten“.
Anhaltende Risiken und Vergehen
In einer Pressemitteilung gab sich der Konzern damals reumütig. „TPF spricht den Opfern noch einmal ihre Anteilnahme aus“, hieß es. Dieses Drama ermahne den Konzern, sich kontinuierlich zu verbessern: „Es liegt in unserer Verantwortung, dass sich so etwas nicht wiederholt.“ Und tatsächlich hat sich ein derartiger Vorfall seitdem nicht erneut ereignet, weder bei Total noch einem der anderen Unternehmen der Lothringer Chemie-Plattform. Während bei Total und auch dem zweiten großen Konzern Arkema seitdem offenbar genauer hingesehen wird, werden Versäumnisse kleinerer Firmen kaum beachtet.
Seit dem Vorfall vor zehn Jahren ist vor allem das Chemie-Unternehmen Protelor mit rund einem Dutzend Mitarbeitern den Umweltkontrolleuren immer wieder negativ aufgefallen. Genau wie Total und Arkema wird auch Protelor laut der EU-Seveso-Richtlinie der höchsten Gefahrenkategorie zugeordnet und wegen seiner Einstufung „nationale Priorität“ zusätzlich auch unangekündigt kontrolliert.
Seit dem Betriebsstart Anfang der 1970er Jahre ist die Firma rund 20 Mal wegen Umweltvergehen in Verzug gesetzt worden, häufig ging es dabei um Mängel im Zusammenhang mit der Sicherheit der Anlagen. Erst im September dieses Jahres verlangte die Präfektur Rücklagen für den Umweltschutz zu bilden. In dem Schreiben vom 3. September 2019 werden erneut zahlreiche Missstände offenbar. Die Firma müsse ihre Müllmenge reduzieren oder mehr Rücklagen bilden. Außerdem sei die Gefahren-Analyse des Standorts nicht schlüssig, was unter Umständen sogar die Arbeit von Sicherheitskräften beeinträchtigen könnte. Außerdem merkten die Beamten an, dass nicht genutzte Maschinen identifiziert, gesichert und in der Regel auch entsorgt werden müssten.
Eine Firma, mehrere Probleme
Am 14. Februar 2012, fast drei Jahre nach dem tödlichen Zwischenfall bei Total, konstatierten die Kontrolleure der „Industrie-Polizei“ dann eingefrorene und damit unbrauchbare Löschwasser-Anlagen bei Protelor. Die Firma sei nicht gegen Brände und Explosionen gewappnet. Noch im September vergangenen Jahres stellten Mitarbeiter der zuständigen Präfektur in Metz dann einen weiteren Missstand auf dem Firmengelände fest und verhängten sogar eine Strafzahlung. Bereits vor fünf Jahren hatten die Beamten demnach gefordert, ein Gas-Reservoir zu entleeren. Bei einer Kontrolle sei nun aufgefallen, dass das noch immer nicht passiert sei.
Am 25. Oktober 2012 stellten Kontrolleure der „Industrie-Polizei“ Dreal bei einer Notfall-Übung „zahlreiche Unregelmäßigkeiten“ fest. Es gebe Probleme bei der Benutzung der Atemschutzgeräte; die Mitarbeiter seien nicht in der Lage, das Aufkommen des (krebserregenden) Formaldehyds zu verhindern; Sicherheitsvorschriften wie das Betreiben eines Ventilatoren würden nicht eingehalten, es fehle ein Alarmsystem für den Schienentransport und überhaupt seien die Angestellten für Krisen-Situationen nicht geschult.
Der für die Kommunikation zuständige Mutterkonzern Protex International wollte auf wiederholte Nachfrage von REPORTER keine Stellungnahme zu den gravierenden Missständen abgeben.
Eine gemischte Umweltbilanz
Doch nicht nur beim Thema Sicherheit, auch beim Thema Umweltverschmutzung gab und gibt es in St. Avold Defizite. Seit einigen Jahren brüsten sich Total und die anderen Betreiberfirmen mit ihren Bemühungen. Immer wieder betonen sie dabei den gesunkenen CO2-Ausstoß der Anlagen. Und tatsächlich: Allein zwischen 2014 und 2017 hat sich der Wert von 360.000 auf nunmehr 182.000 Tonnen fast halbiert. Das geht aus Zahlen des französischen Umweltinformationsportals „Géorisques“ hervor.
Nun zeigt sich, dass es bei manchen Parametern hingegen sogar Rückschritte gab. Sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC), die sowohl dem Klima als auch der Gesundheit schaden, werden mittlerweile vermehrt in die Umwelt geblasen. Sowohl Arkema als auch Total erhöhten zuletzt ihre diesbezüglichen Ausstöße. Arkema hält beispielsweise seinen Fluorkohlenwasserstoff-Ausstoß seit Jahren konstant hoch.
Das Unternehmen erklärte dazu auf Anfrage, die jüngsten Werte ließen sich durch „eine vorübergehende Störung einer Anlage im Jahr 2017“ erklären. Im Übrigen sei der Grenzwert nicht überschritten worden. Total Petrochemicals France teilte mit, dass laut eigenen Messungen allein zwischen 2015 und 2016 die VOC-Ausstöße, zu denen auch CO2 gehört, um drei Viertel zurückgegangen seien. Die Inbetriebnahme neuer Anlagen im Jahr 2017 habe lediglich zu einem geringen Anstieg geführt.
Ein Umwelt-Alarm und die Folgen
Sowohl Umweltaktivisten als auch Experten der französischen Wasserschutzbehörde Agence de l‘Eau Rhin-Meuse mahnen die Plattform-Betreiber seit Jahren eindringlich an, auch weniger Schadstoffe in den von der Plattform gespeisten Wasserlauf Merle abzulassen. Nach wie vor Probleme bereiten demnach teils krebserregende Benzol-Verbindungen. Wie in der letzten Sitzung des Begleitausschuss der Plattform bekannt wurde, gab es auf der Plattform-eigenen Kläranlage bereits im Februar dieses Jahres einen drei Tage andauernden Umwelt-Alarm. Bei einem Unwetter waren zahlreiche Schadstoffe in die Merle gelangt. Dabei wurde beim Benzol der geltende Grenzwert um das 60-Fache überschritten, bei der Benzol-Verbindung Xylol um das 50-Fache, bei Ethylbenzol um das Zehnfache.
Im Begleitausschuss erklärte Total dazu, dass der Unfall nur von kurzer Dauer gewesen sei und die Wasserqualität der Merle kaum beeinträchtigt wurde. Der französische Umweltschützer Jean Marie Bonnetier erzählte dagegen: „Anwohner hatten uns damals auf üble Gerüche aufmerksam gemacht.“ Selbst bis hinein in Wohngegenden habe es gestunken, bei einigen habe das zu Übelkeit und Unwohlsein geführt. Selbst im fast fünf Kilometer entfernten deutschen Lauterbach sei an einem der Tage ein Spitzenwert gemessen worden, sagte der Vorsitzende des lokalen Umweltvereins Adelp. Er bedauere, dass die WHO keinen stündlichen Grenzwert für Benzol vorgebe: „Besondere Gefahr droht Kindern und Schwangeren.“
Neue Akteure, alte Vorbehalte
„Ein neuer Akteur auf dem Markt der organischen Säuren auf biologischer Basis“: Mit diesem Spruch wirbt aktuell die Firma Afyren für ihren neuen Standort in Lothringen. Im Rahmen der jüngsten Sitzung der Begleit-Kommission (CSS) der Chemie-Plattform Carling stellte der selbsternannte „Biochemie-Konzern“ nun seine Pläne vor. Ab 2021 will die Firma Bioabfälle wie Rübenschnitzel in organische Säuren umwandeln. Die Produktionskapazität betrage 16.000 Tonnen jährlich, wenigstens 50 Arbeitsplätze sollen so entstehen. Abnehmer gebe es beispielsweise in der Lebensmittel-, der Pharma- und der Kosmetik-Industrie.
„Auch die sogenannte Bio-Chemie kommt nicht ohne Umweltverschmutzung aus“, kritisiert dagegen der Umweltschützer Jean Marie Bonnetier. Die Anlage soll schließlich nicht ohne Grund von der Umwelt-Polizei Dreal überwacht werden. Sicher müsse man erst abwarten, dass die Anlagen anliefen, um die Folgen auf Mensch und Natur zu bewerten. Klar sei aber schon jetzt, dass man beispielsweise die in diesem Zuge geplante Produktion von Buttersäure schnell riechen werde, befand der Chemiker mit Doktor-Abschluss zum Thema Umweltgifte. Ihm vorliegende Unterlagen schienen vor allem darauf ausgerichtet, die noch ausstehenden Genehmigungen der Behörden zu ergattern. Bereits im September kommenden Jahres will bekanntlich auch die Firma Metex in St. Avold Buttersäure herstellen.