Mit « Permanent Record » liefert Edward Snowden die Geschichte hinter seiner Enthüllung über die Massenüberwachung durch die US-Geheimdienste. In einer Mischung aus Autobiografie und politischem Pamphlet gibt der Autor zudem bisher unbekannte Details über seine Absichten preis.
« Sind die Programme einmal auf Ihrem Computer installiert, kann die NSA nicht nur auf Ihre Metadaten, sondern auf alle Daten zugreifen. Ihr gesamtes digitales Leben gehört jetzt der NSA »: Es sind Sätze wie diese, die das gesamte Ausmaß der weltweiten Überwachungspraktiken durch US-Geheimdienste auf den Punkt bringen. Die Worte stammen aus dem Buch « Permanent Record » von Edward Snowden, in dem der wohl bekannteste Whistleblower unserer Zeit Einblicke in sein Denken und seine ganz persönliche Lebensgeschichte gibt.
Freiheitsheld oder Landesverräter? Nach der Lektüre wird wohl niemand seine bisherige Meinung über Snowden ändern. Darum geht es dem Autor auch nicht. In einer Mischung aus Autobiografie und Plädoyer gegen den übermächtigen digitalen Überwachungsstaat gelingt es ihm jedoch, seine Absichten und Beweggründe besser verständlich zu machen. Das geht so weit, dass Snowden ziemlich detailliert schildert, mit welcher Vorsicht und welchen Tricks er an jene geheimen Dokumente der « National Security Agency » (NSA) gelangte, die der Ausgangspunkt für die sogenannte NSA-Affäre waren.
Die bisher unbekannte Vorgeschichte
Wie Edward Snowden als Whistleblower vorging, was seit der ersten Veröffentlichung aus den « NSA files » im « Guardian » im Juni 2013 passierte und wie der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter im Exil in Russland landete, ist bereits gut dokumentiert. Der mit einem Oscar prämierte Dokumentarfilm « Citizen Four » zeigt etwa Ausschnitte aus den ersten Gesprächen zwischen Snowden und den von ihm auserwählten Journalisten in einem verschwiegenen Hotelzimmer in Hongkong.
Was bisher weniger bekannt war, ist Snowdens Vorgeschichte. Wer ist der Mann, der die Praktiken der US-Geheimdienste im Alleingang anprangerte? Welche Stationen in seiner Biografie bewogen ihn dazu, sein bisheriges Leben, seine Heimat und seine Familie aufzugeben? Das sind die Kernfragen des Buchs. Die Subjektivität vieler Ausführungen liegt dabei in der Natur der Sache. Und doch sind Snowdens Memoiren durchaus lesenswert und ein relevanter Beitrag zur bis heute andauernden Debatte über Sinn, Zweck und Grenzen der digitalen Überwachung.
The Internet I’d grown up with, the Internet that had raised me, was disappearing. And with it, so was my youth. The very act of going online, which had once seemed like a marvelous adventure, now seemed like a fraught ordeal. »Edward Snowden, « Permanent Record »
Im ersten Teil des Buchs beschreibt Snowden seine Kindheit. Das Verhältnis zu seinen Eltern, beide überzeugte Staatsbeamte, seine frühe Faszination für Computerspiele und das Internet, seine Schwierigkeiten mit dem Schulsystem: All das soll verdeutlichen, wie er selbst schreibt, dass er im Grunde ein ganz gewöhnlicher amerikanischer Junge war.
Ganz gewöhnlich trifft es allerdings nicht ganz. Snowden galt als hochbegabt. Er verbrachte seine Zeit am liebsten am Computer. Bis heute romantisiert er über die Pionierzeit des allgemein zugänglichen Internet als « fabelhaftes Abenteuer », als wertungsfreier Raum und absolute Freiheit – und nicht zuletzt als Möglichkeit für einen mit seiner Identität hadernden Jugendlichen, sich der Offline-Realität zu entziehen.
Vom Computerfreak zum CIA-Mitarbeiter
Parallel zur Popularisierung des « World Wide Web » und dessen Ausnutzung für wirtschaftliche und politische Zwecke begann Snowden damit, seine entdeckten Fähigkeiten zu nutzen. Edward Joseph Snowden, Jahrgang 1983, sieht sich als Vertreter der wohl letzten Generation, die eine Zeit vor dem allgegenwärtigen Internet noch aus eigener Erfahrung kannte. Als Generationsgenosse kann man leicht die Faszination des Autors nachvollziehen, wenn er etwa den Moment beschreibt, in dem sein Vater den ersten PC (« Compaq Presario 425 », « 25-megahertz 486 CPU ») mit nach Hause bringt oder in dem er erstmals über die schleppende Telefonleitung die Verbindung zum Internet herstellt.
From the moment it appeared, the computer and I were inseparable. »Edward Snowden, « Permanent Record »
Neben der Nostalgie geht es dem Autor aber immer wieder darum, den Wandel der Gesellschaft hin zum digitalen Zeitalter, wie wir es heute kennen, zu verdeutlichen. Das Internet wandelte sich laut Snowden vom « creative web », von einer neuen grenzenlos scheinenden Gemeinschaft zu einem dauernden Begleiter und einem Ort, an dem die Vermarktung der Privatsphäre des Einzelnen zum Kern eines ganzen Geschäftsmodells wurde.
Über viele Seiten liefert Snowden eine messerscharfe Analyse dieses Wandels. Das einzige, was er dabei nicht nachvollziehbar oder in vergleichbarer Ausführlichkeit schildert: Warum gerade er, für den das freie Internet « a friend, and a parent » war, ausgerechnet bei den US-Geheimdiensten anheuerte, die damit begannen, das Potenzial des « surveillance capitalism » im Netz hemmungslos auszuschöpfen.

Sicher scheint nur, dass die Stimmung in den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Rolle spielte. Snowden meldete sich zum Militärdienst, musste diesen jedoch aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. So entschied er sich dafür, seinen Einsatz für sein Vaterland in jenem Bereich auszuleben, in dem er ohnehin bessere Kompetenzen vorweisen konnte.
Als Systemadministrator der CIA und der NSA erhielt er schnell die höchste Sicherheitsfreigabe. Nicht weil er selbst spionierte, sondern weil er als « sysadmin » Zugang zu allen vertraulichen bis streng geheimen Dokumenten haben musste. Paradoxerweise war Snowden hier unter anderem dafür zuständig, die Systeme der Geheimdienste zu optimieren und sicherer zu machen.
In seinen unterschiedlichen Jobs als Mitarbeiter bzw. als Angestellter eines privaten Subunternehmens der Geheimdienste erfuhr Snowden immer mehr Details über das Ausmaß der Überwachungspraktiken, die er schnell als gesetzes- und verfassungswidrig bewertete. Was ihn vor allem umtrieb, war die Grenzenlosigkeit dieser Form der Kontrolle. Über die verschiedenen höchst geheimen Programme von CIA und NSA war es den Diensten letztlich möglich, jegliche Kommunikationsdaten außer- und innerhalb der USA verdachtsunabhängig einzusehen und zu speichern.
Zwischen Anklage und Geständnis
Der zweite und dritte Teil des Buchs lesen sich demnach eher wie ein Spionage-Thriller. Auch wenn der Leser weiß, wie die Geschichte ausgeht, gelingt es Snowden, seine Zeit im Geheimdienst auf spannende, intelligente und humorvolle Weise zu erzählen. Dabei überzeugt er nicht nur mit seinem technischen Knowhow, das er immer wieder pädagogisch verständlich machen will, sondern auch mit seinem Wissen über die gesetzlichen Rahmenbedingungen der geheimdienstlichen Arbeit.
Kritisch lässt sich dabei wohl nur sein Hang zum hochtrabenden, ja phasenweise pathetischen politischen Aktivismus sehen. Wenn er etwa über die Ideale der Gründerväter der USA, den Wert von Freiheit und Demokratie sinniert, läuft er Gefahr, den Kern seines Anliegens aus den Augen zu verlieren. Denn Snowden ist kein politischer Philosoph, sondern ein ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter, der zwar aus idealistischen Gründen zum Whistleblower wurde, aber nicht allein deshalb zum Demokratielehrer taugt.
I was reminded of what is perhaps the fundamental rule of technological progress: if something can be done, it probably will be done, and possibly already has been. »Edward Snowden, « Permanent Record »
So überzogen seine ideologischen Ausführungen zum Teil anmuten, so mächtig wirkt seine Erzählung aus dem Innenleben der NSA. Hier liefert der Autor den wirklichen Mehrwert seiner Erfahrungen. Diese Passagen sind denn auch das wirklich Neue an « Permanent Record ». Snowden schildert seinen Alltag und die Funktionsweise der digitalen Überwachungstechniken des Geheimdienstes wie wohl niemand vor ihm: Detailliert, kenntnisreich, kritisch, wenn auch nur im Ansatz selbstkritisch.
Dazu gehört nicht zuletzt sein Geständnis, wie er genau jene Dokumente las, kopierte, sicherte und verschlüsselte, deren Veröffentlichung die globale Öffentlichkeit im Jahr 2013 wochenlang beschäftigte. Snowden entschied sich für die simpel klingende Methode von SD-Speicherkarten, auf die er stunden-, ja tagelang geheime Dateien kopierte und die Karten dann in einem Rubik-Würfel versteckte und so samt den Staatsgeheimnissen einfach aus der Vordertür des NSA-Gebäudes marschierte.
In einem Punkt will sich der Whistleblower, gegen den seit 2013 eine Strafanzeige des FBI wegen Diebstahl und Weitergabe von Regierungseigentum sowie Spionage vorliegt, jedoch nicht in die Karten schauen lassen. Und zwar, wenn man so will, aus Mitleid mit seinem ehemaligen Arbeitgeber: Er sehe bewusst davon ab, so Snowden, seine genaue Vorgehensweise beim Kopieren und Verschlüsseln offenzulegen, « so that the NSA will still be standing tomorrow ».