Auf der Place Clairefontaine in der Hauptstadt kampieren rund 20 abgelehnte Flüchtlinge und sorgen so zunehmend für Aufsehen. Was passiert mit den Irakern und wie ergeht es generell Menschen, denen das Flüchtlingsstatut verwehrt wurde? REPORTER erklärt die Hintergründe.
Von insgesamt 50 irakischen Staatsbürgern ist die Rede. Ihr Antrag auf das Flüchtlingsstatut in Luxemburg wurde abgelehnt. Doch sie sind nicht bereit, in ihre Heimat zurückzukehren. Auf der Place Clairefontaine, mitten im Regierungsviertel der Hauptstadt, protestieren einige von ihnen nun seit 17 Tagen. Etwa 25 Schutzsuchende wechseln sich im Sitzstreik ab – Frauen, Kinder und ältere Männer verbringen dort lediglich den Tag, die Nachtschicht übernehmen ausschließlich Männer. Um die zehn Iraker sind so zu jeder Uhrzeit unweit des Staatsministeriums vorzufinden.
„Wir sind jetzt schon sieben Tage hier“, erklärt der zwölfjährige Karar bereits vor einer Woche im Gespräch mit REPORTER. „Mein Vater bleibt ständig hier, aber ich kann nicht hierbleiben, weil ich zur Schule muss.“ Der junge Bara sagt seinerseits, dass man Kinder, Frauen und ältere Männer schützen wolle. „Es ist sehr kalt, immer Regen“, sagt er auf Deutsch. Die Stimmung auf der Place Clairefontaine sei „nicht gut“.
Drohende Eskalation
Mittlerweile wurden Zelte aufgerichtet, in denen die Demonstrierenden schlafen und sich gegenseitig mit Essen versorgen. Doch die Lage könnte bald eskalieren. Denn die abgelehnten Iraker fordern die Anerkennung ihrer Schutzbedürftigkeit und eine Arbeit – geschieht dies nicht, wollen sie in den kommenden Tagen in den Hungerstreik treten.
Wir wollen den Minister um Erbarmen bitten.“
Vor einer solchen Eskalation warnte der Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn (LSAP) bereits ausdrücklich in mehreren Medien. Ein anderes Druckmittel sehen die abgelehnten Iraker allerdings nicht. Oder wie es Samer aus Baghdad formuliert: „Es ist nicht unsere Absicht, das Ministeriums zum Handeln zu zwingen. Wir wollen den Minister um Erbarmen bitten.“
Hören Sie sich hier die Aussagen von einigen Teilnehmern des Protestes an:
Aus Ministeriumskreisen verlautet, dass Asselborn über die Situation „not amused“ sei. Mehrere Vertreter des Immigrationsministeriums erkundigten sich gleich am ersten Tag des Sit-ins nach dem Wohlergehen der Flüchtlinge und versuchten ihnen die rechtliche Lage zu erklären. So steht für die Beamten fest, dass die betroffenen Iraker in ihrer Heimat an sich nicht gefährdet seien und sie dort auch nicht persönlich verfolgt würden. Die Kriterien für den Erhalt des Flüchtlingsstatuts seien daher nicht erfüllt.
Rekursmöglichkeiten ausgeschöpft
Seit 2015 haben insgesamt 827 Iraker einen Asylantrag in Luxemburg gestellt. Rund 500 erhielten das Statut, 20 von ihnen wurde ein subsidiärer Schutz zugesprochen. Fast 150 wurden abgelehnt. Jean Asselborn betont seinerseits immer wieder, dass Luxemburg im EU-Vergleich in vergleichbaren Statistiken recht gut abschneide. Die Anerkennungsquote der Iraker sei mit 77 Prozent deutlich höher als die EU-weite Anerkennungsquote – diese liegt durchschnittlich bei rund 60 Prozent.
Ihre Frustration ist nachvollziehbar.“
Die Verwaltung des Ministeriums lehnte die jeweiligen Asylanträge zum Teil bereits vor mehreren Monaten ab. Jean Asselborn entschied als zuständiger Minister allerdings, ihre Abschiebung vorübergehend auszusetzen. Der „Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés“ (ASTI) zufolge, wirft genau dieser Punkt jetzt Fragen bei den Schutzsuchenden auf.
„Es gilt die Einschätzung, dass die Lage im Heimatland zu gefährlich ist, um diese Iraker zurückzuschicken, aber nicht gefährlich genug, um ihnen Asyl zu gewähren. Das ist an sich kontradiktorisch“, sagt Marc Piron von der ASTI.
Immer weniger Asylanträge von Irakern
Wie viele Iraker sich gegenwärtig in Luxemburg noch in einer Asylprozedur befinden, geht aus keiner öffentlichen Statistik hervor. Generell gilt aber die Feststellung, dass sich die Wartezeiten verkürzt haben und das Immigrationsministerium dank der Aufstockung des Personals zwischen 2015 und 2017 ganze 6.750 Fälle entscheiden konnte. Im selben Zeitraum gingen 6.804 Asylanträge ein. Seit 2017 haben die Asylanträge der Iraker deutlich abgenommen. Im Januar und Februar 2018 stellten lediglich 22 Iraker einen ersten Asylantrag.
Wie es mehrere mit den Dossiers vertraute Personen bestätigen, handelt es sich bei diesen abgelehnten Irakern um Menschen, die ihre ganzen Rekursmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Nachdem ihr Asylantrag nach einer Wartezeit von über einem Jahr das erste Mal vom Immigrationsministerium abgelehnt wurde, befand das Verwaltungsgericht ihre Asylanfrage zwar als legitim. Dennoch wurde daraufhin auch der zweite Antrag vom Ministerium abgelehnt.
„Mit diesen Menschen wurde bereits viel Pingpong gespielt“, kritisiert Marc Piron. „Ihre Frustration ist nachvollziehbar.“ Bindend wäre lediglich ein positives Urteil des Verwaltungsgerichtshofs. Ein solches liegt derzeit nicht vor.
Bangen um die Familie im Irak
Vorübergehend dürfen die abgelehnten Iraker in Luxemburg bleiben. Jean Asselborn reagiert auf den Protest mit einer Mischung aus menschlichem Verständnis und dem kühlen Verweis auf die geltende Rechtslage. „Wir haben noch keinen Iraker zurückgeschickt“, betonte der zuständige Minister allerdings jüngst in einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“. Zudem stellt der Minister ihnen die Möglichkeit einer „autorisation d’occupation temporaire“ (AOT) in Aussicht, mit der sie in Zwischenzeit arbeiten könnten. Doch gilt dies nur in Theorie.
Wie eine Arbeitgeberin gegenüber REPORTER vor kurzem erklärte, ist die vorübergehende Arbeitserlaubnis (AOT) für den Arbeitgeber sehr aufwendig. Hinzu kommt, dass diese Schutzsuchenden erst einmal einen Arbeitgeber finden müssten, der bereit wäre, sie trotz geringer Sprachkenntnissen einzustellen.

Die Aussetzung der Abschiebung, die nun sechs Monate gilt und daraufhin erneuert werden kann, verleiht den Irakern kaum Grund zur Hoffnung. So bangen einige von ihnen um das Leben ihrer Familienangehörigen im Irak. „Auch eine Arbeit würde es uns nicht ermöglichen, einen Familiennachzug zu beantragen“, erklärt Samer sehr nüchtern. Die Bedrohung sei unterdessen immer noch real. „Zwei von uns haben letzten Monat ihre zurückgelassene Kinder aufgrund der Gewalt im Irak verloren“, beteuert der Iraker.
Familiennachzug von Flüchtlingen aus dem Irak
383 Iraker konnten derweil 2016 und 2017 im Rahmen der Familienzusammenführung nach Luxemburg nachkommen. Wurde einem Familienmitglied das Flüchtlingsstatut gewährt, kann das Immigrationsministerium veranlassen, dass Ehegatten und Kinder auf sicherem Weg nach Luxemburg eingeflogen werden. Ihnen wird das Bleiberecht dann im Rahmen des Familiennachzugs gewährt. Von dieser international geregelten Maßnahme profitieren auch die leiblichen Eltern von allein reisenden Minderjährigen. Auch kranke und bedürftige Familienmitglieder können unter einigen Bedingungen nach Luxemburg nachkommen. Insgesamt wurden in Luxemburg seit 2016 2.047 Familienmitglieder über den Familiennachzug ein Aufenthaltsrecht genehmigt. 75 Prozent von ihnen stammen aus Syrien oder dem Irak.
Auch Riad, der seit September 2015 in Luxemburg ist, beklagt die Gefahr, die von Milizen und Terroristen ausgeht. Über 350 Menschen starben laut Schätzungen der Homepage „Iraq Body Count“ allein im Monat März im Irak. Bei dieser Zahl muss allerdings berücksichtigt werden, dass viele Todesopfer in Mossul und anderen Städten gezählt wurden, die auch vom Luxemburger Immigrationsministerium als unsicher eingeschätzt werden. Menschen aus diesen als unsicher anerkannten Herkunftsgegenden wird das Flüchtlingsstatut in der Regel immer gewährt.
1.083 Abschiebungen seit 2016
Zwischen 2015 und 2017 wurden in Luxemburg 6.804 Asylanträge gestellt, darunter die Mehrheit von Syrern und Irakern. 2.116 Menschen wurden als Flüchtlinge anerkannt, 108 Menschen erhielten einen subsidiären Schutz. 1.216 Menschen blieb das Flüchtlingsstatut verwehrt. Für die restlichen rund 3.000 Menschen war Luxemburg entweder gemäß der Dublin-Reglung nicht zuständig oder der Antrag wurde von den Asylbewerbern zurückgezogen.
Von den 1.216 abgelehnten Schutzsuchenden, wurde aber lediglich bei 153 Menschen die Abschiebung ausgesetzt. Diese Aussetzung kann der Minister laut Gesetz von Fall zu Fall entscheiden, ohne dass hierfür ein bestimmter Grund angeführt werden muss. So besagt Artikel 125bis des Immigrationsgesetzes: „Le ministre peut reporter l’éloignement de l’étranger pour une durée déterminée selon les circonstances propres à chaque cas et jusqu’à ce qu’existe une perspective raisonnable d’exécution de son obligation. L’étranger peut se maintenir provisoirement sur le territoire, sans y être autorisé à séjourner.“
Berichten des Außenministeriums zufolge wurden seit 2016 1.083 abgelehnte Schutzsuchende in ihr Heimatland ausgewiesen – die meisten von ihnen wurden auf einem kommerziellen Flug zurückgeflogen. Die Mehrheit der abgeschobenen Schutzsuchenden stammt aus den Balkanländern (rund 780). Von den rund 150 abgelehnten Irakern entschieden 103 die Heimreise freiwillig anzutreten – mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung aus Luxemburg. Der Großteil der restlichen abgelehnten Iraker lebt dem Vernehmen nach immer noch in Luxemburg.