Die Luxemburger Wirtschaft braucht ausländische Spezialisten. Die CSV und der Unternehmensverband UEL setzen auf Steuervorteile, um sie nach Luxemburg zu locken. Doch in der Praxis geht es oft um andere Fragen.
IT-Fachkräfte braucht das Land. 2017 suchten 13 Prozent der Firmen außerhalb des Finanzplatzes Mitarbeiter in diesem Bereich, zwei Drittel (neun Prozent) hatten Schwierigkeit die Stellen zu besetzen. Damit war der Notstand in Luxemburg im EU-Vergleich am größten, zeigen Zahlen von Eurostat.
Das ist allerdings nur ein Beispiel. „Luxemburg hat einen Mangel an hoch qualifizierten Mitarbeitern auch in der Finanzbranche“, sagt Jean-Paul Olinger, Direktor des Unternehmensverbandes UEL. Diese Personen finden die Unternehmen nicht in der Großregion. „Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Standorten wie Paris, Brüssel oder gar Asien“, so der Vertreter der Luxemburger Wirtschaftswelt und bis 2017 Partner beim Beratungsunternehmen KPMG.
Diese Konkurrenzsituation ist aus Luxemburger Sicht nicht einfach. „Es gibt viele Vorurteile gegenüber der Größe des Landes“, sagt Rémi Fouilloy, Managing Partner der Rekrutierungsagentur Morgan Philips Executive Search.
Politik und Wirtschaft wollen dieses Attraktivitätsproblem – wie so oft – über Steuern regeln. Die UEL fordert deshalb, ein wettbewerbsfähiges Steuerregime für Expats zu entwickeln, das es erlaube, die Talente anzuziehen und zu halten, die Luxemburg benötige. Gehör fand die UEL bei der CSV, die ein solches Modell in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat.
Steuervorteile für Expats bestehen seit 2011
Völlig neu ist das nicht, denn es gibt bereits seit 2011 umfassende Steuervorteile für ausländische Spezialisten, die in Luxemburg einen leitenden Job übernehmen. Die Maßnahme wurde über ein Rundschreiben des Direktors der Steuerverwaltung eingeführt und 2014 nochmals angepasst.
Das Ziel ist es nicht, eine neue Hintertür zu schaffen.“CSV-Finanzsprecher Gilles Roth
Um Grenzgänger auszuschließen, gilt die Begünstigung nur für Personen, die in Luxemburg steuerpflichtig sind und zuvor nicht im Umkreis von 150 Kilometern des Landes gewohnt haben. Weitere Bedingungen sind, dass sie mindestens ein Bruttogehalt von 50.000 Euro pro Jahr erhalten und für ein Unternehmen in Luxemburg arbeiten, das mindestens 20 Mitarbeiter beschäftigt.
Wenn Unternehmen solche Mitarbeiter rekrutieren, dann zahlen sie oft nicht nur das Basisgehalt, sondern auch den Umzug, einen Teil oder die gesamte Miete, die Schulgebühren und Zuschüsse für Lebenskosten. Sind alle Bedingungen erfüllt, dann sieht das Rundschreiben vor, dass der Arbeitgeber diese Ausgaben während fünf Jahren als Betriebskosten steuerlich absetzen kann. Für den Mitarbeiter werden diese Zahlungen seines Arbeitgebers nicht als geldwerter Vorteil („avantage en nature“) gewertet. Sie sind also steuerfrei.
Falsche Lösung für Start-ups
Doch dieser Steuervorteil ist wenig bekannt und wird kaum genutzt. Eine Umfrage der Agentur Morgan Philips unter 172 Unternehmensleitern sowie Personal- und Finanzchefs ergab, dass nur die Hälfte von der Existenz des Expat-Regime wusste. 18 Prozent haben die Regelung für einen ihrer Mitarbeiter genutzt.
‚Stock options’ kommen vor allem Personen zugute, die seit langem in Luxemburg etabliert sind.“Headhunter Rémi Fouilloy
„Die Bedingungen sind recht restriktiv“, erklärt Rémi Fouilloy, der die Umfrage durchführte. Ein Unternehmen, das einen Expat unter dieser Regelung einstellen will, muss in Luxemburg mindestens 20 Personen beschäftigen. Für Start-up-Unternehmen ist das zumindest am Anfang eine hohe Hürde.
Finanzministerium fehlt der Überblick
Doch für den Staat geht es potentiell um hohe Steuerverluste. Das Beratungsunternehmen Deloitte rechnete 2014 aus, dass ein verheirateter Expat mit zwei Kindern und mit einem Gehalt von 200.000 Euro bei einem „Standart-Paket“ zusätzlich mit Sachleistungen (Miete, Schulgebühren und Prämien) in Höhe von nochmals 200.000 rechnen kann. Auf diesem Gesamteinkommen kann der Expat laut Deloitte knapp 60.000 Euro im ersten Jahr an Steuern einsparen. Das ist mehr als die im Schnitt 36.500 Euro, die ein Manager über „stock options“ spart. Und es verhindert nichts, dass ein Expat beide Steuervorteile kombiniert.
Wie viele Expats von den spezifischen Steuervorteilen profitieren und wie hoch der Steuerausfall ist, weiß weder die Steuerverwaltung noch das Finanzministerium. Zumindest rückt das Ministerium auf Nachfrage von REPORTER nicht mit den Zahlen heraus. Dabei müssten die Daten vorliegen, denn das Rundschreiben schreibt den Unternehmen vor, jeden Mitarbeiter zu melden, der von den Expats-Vorteilen profitiert.
Ein möglicher Ersatz für „stock options“
Als die „stock options“ 2002 eingeführt wurden, sollte dieser Steuervorteil internationalen Unternehmen in Luxemburg helfen, Personal zu rekrutieren. Finanzminister Pierre Gramegna betonte kürzlich, dass dieses Steuerprivileg aus diesem Grund weiterhin wichtig sei, wenn auch in einer leicht eingeschränkten Form. Eine Abschaffung der „stock options“ drohe, Luxemburg weniger attraktiv für hoch qualifizierte Talente und internationale Spezialisten zu machen. Diese Profile seien gerade wichtig, um den Konzernen im Kontext des Brexit und des Kampfes gegen Steuervermeidung zu ermöglichen, mehr Personal hierzulande zu beschäftigen. Sprich mehr wirtschaftliche Substanz aufzubauen.
Die Erfahrung des Headhunters Rémi Fouilloy ist allerdings eine andere. „‚Stock options’ kommen vor allem Personen zugute, die seit langem in Luxemburg etabliert sind“, so der Experte. Außerdem kämen die Aktienpakete meist nur im Fall von Boni zu Einsatz, anders als die Expats-Vorteile.
Es braucht eine Balance zwischen Steuergerechtigkeit, der besonderen Leistungen solcher Spezialisten und dem Wettbewerb mit anderen Ländern.“UEL-Direktor Jean-Paul Olinger
Dazu kommt, dass die Position des DP-Ministers kaum noch mehrheitsfähig ist. LSAP und déi Gréng wollen die „stock options“ nach einer Übergangsfrist möglichst abschaffen. „Die CSV will die ‚stock options‘ zeitlich begrenzen, einen Höchstbetrag einführen und auf Aktien des Arbeitgebers einschränken“, erklärt Finanzsprecher Gilles Roth auf Nachfrage.
Setzt sich die CSV durch, dann wäre der Einsatz der „stock options“ stark eingeschränkt gegenüber der aktuellen Regelung, die kaum Leitplanken setzt. Geht es der Partei also darum, die eine Begünstigung durch die andere zu ersetzen? „Nein, das Ziel ist nicht, eine neue Hintertür zu schaffen“, betont Roth. Es gehe der CSV darum, sowohl „stock options“ als auch das Expat-Regime in einem Gesetz zu verankern. Der Grund ist klar: Die aktuellen Rundschreiben verstoßen gegen die Verfassung, die klar vorschreibt, dass Steuerbegünstigungen nur per Gesetz eingeführt werden dürfen.
Der heilige Graal der Wettbewerbsfähigkeit
Allerdings verweist die CSV in ihrem Wahlprogramm auf bestehende Vorteile für Expats in Frankreich, Italien und Spanien. Doch genau wie Belgien haben diese Länder sehr weitreichende Begünstigungen, die teils dazu führen, dass die Expats nur halb soviel Steuern zahlen wie einheimische Beschäftigte mit dem gleichen Gehalt.
Die Steuervorteile für Expats in der EU
Frankreich: Die Prämie, die ein im Ausland rekrutierter Mitarbeiter für seinen Umzug nach Frankreich erhält, ist steuerfrei. Dieses zusätzliche Gehalt darf maximal 30 bis 50 Prozent des gesamten Gehalts betragen. Unter gewissen Bedingungen müssen auch die Prämien für seine Arbeit außerhalb Frankreichs sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht besteuert werden. Die Steuervorteile gelten während acht Jahren.
Belgien: Wie in Luxemburg zahlen Expats etwa auf Schulgebühren oder Umzugskosten keine Steuern. Zusätzlich ist das Gehalt für im Ausland geleistete Arbeitstage völlig steuerfrei. Die Dauer ist nicht begrenzt, aber die Verwaltung hat einen Ermessensspielraum, um Missbräuche zu verhindern.
Spanien: Unter gewissen Bedingungen zahlen Expats lediglich einen Steuersatz von 24 Prozent statt den üblichen 45 Prozent. Das gilt bis zu einem Einkommen von maximal 600.000 Euro.
Italien: Während fünf Jahren ist die Hälfte des Gehalts von Managern oder Direktoren, die aus dem Ausland kommen, steuerfrei.
Wie weit kann Luxemburg gehen? Gilles Roth bleibt vage in dieser Frage. Klar müsse sein, dass ein Expat keinen finanziellen Nachteil habe, weil er nach Luxemburg zieht. Auch der UEL-Direktor betont, Luxemburg müsse sich an Ländern wie Großbritannien oder Frankreich orientieren. „Es braucht eine Balance zwischen Steuergerechtigkeit, der besonderen Leistungen solcher Spezialisten und dem Wettbewerb mit anderen Ländern“, so Jean-Paul Olinger.
Über das Gehalt hinaus
„Letztlich entscheidend ist der Nettolohn“, erklärt Rémi Fouilloy. Aus seiner Erfahrung berichtet er, dass es schwierig ist, einen Kandidaten nach Luxemburg zu holen, wenn er auch ein Angebot aus Brüssel hat. Das liegt am attraktiven belgischen Expat-Regime aber auch daran, dass Wohnungen in Luxemburg teuerer sind, so der erfahrene Headhunter.
Vor zehn Jahren gab es nicht viele Alternativen zu den Luxemburger Schulen. Das hat sich geändert, das Angebot ist deutlich gewachsen.“Beraterin Barbara Daniel
In seiner Umfrage fand Fouilloy heraus, dass ein Fünftel der Befragten das hohe Gehaltsniveau in Luxemburg für attraktiv hält. Die Personalverantwortlichen nannten ebenfalls die Lebensqualität, das multikulturelle Umfeld und die Sicherheit im Land als Vorteile. Sind die ersten Vorurteile überwunden, schätzen viele Expats das Leben in Luxemburg, betont er. „Ich werde oft von Personen kontaktiert, deren erster Vertrag mit einem Konzern in Luxemburg ausläuft und die weiter im Land arbeiten und wohnen wollen“, erzählt er.
Forscher sorgen sich um Wohnungen und Visa-Bedingungen
Wenn es um hoch qualifizierte Personen geht, dann sind nicht nur Bank- und Fondsmanager gemeint. Das können auch Forscher mit Doktortitel sein oder Doktoranden, die in Luxemburg bei einem Forschungsinstitut oder etwa in der Industrie arbeiten wollen. Um sie kümmert sich die Luxemburger Kontaktstelle von Euraxess.
Die häufigsten Fragen der Forscher betreffen die Formalitäten rund um die Arbeitssuche, wie man in Luxemburg eine Wohnung findet und welche Einwanderungsregeln es gibt, erzählt Barbara Daniel. Sie koordiniert das Euraxess-Netzwerk in Luxemburg.
Oft seien gerade kleine und mittlere Unternehmen abgeschreckt von den Prozeduren, um einen ausländischen Forscher einzustellen, sagt Barbara Daniel. Doch eine Reform des Immigrationsgesetzes erlaube eine deutlich einfachere Vergabe von Visa an Forscher und ihre Familie, erklärt die Beraterin.
Zusätzliche internationale Schulprogramme tragen Früchte
In einem Punkt sind sich die Forscherberaterin Barbara Daniel und der Headhunter Rémy Fouilloy einig: Die Expats sind mit dem Luxemburger Schulangebot weitgehend zufrieden.
„Vor zehn Jahren gab es nicht viele Alternativen zu den Luxemburger Schulen. Das hat sich geändert, das Angebot ist deutlich gewachsen, auch weiter Nachholbedarf besteht“, sagt Barbara Daniel. „Vor fünf Jahren war die Frage nach den Schulen noch ein Problem. Inzwischen haben die Anstrengungen in diesem Bereich ihre Früchte getragen“, meint auch Rémy Fouilloy.
Am Ende geht es dann eben auch in Luxemburg nicht nur um Steuern.