Die großherzogliche Verordnung zur digitalen Patientenakte ist bereits seit Januar in Kraft. Bis Ende 2021 soll jeder in Luxemburg Versicherte ein „Dossier de soins partagé“ bekommen. Es soll einfach zu handhaben und sicher sein. Dennoch gibt es weiterhin Probleme.

„Wir schaffen hier keine Dunkelkammer. Wir schaffen eine Plattform im Interesse der Patienten“, sagt Mars Di Bartolomeo. Eine Ähnlichkeit mit der Datenbank-Affäre sieht er nicht. „Es ist eine ganz andere Philosophie als bei den Dossiers von Polizei und Justiz“, so der Präsident der Gesundheitskommission vor einer Woche.

Es geht um das sogenannte „Dossier de soins partagé“ (DSP), die digitale Patientenakte, die bis Ende 2021 jeder in Luxemburg bekommen soll. Wer künftig zum Arzt geht, muss somit weder einen Stapel an Unterlagen mitnehmen, noch seine komplette Krankengeschichte erzählen. Laborwerte, Röntgenbilder, Medikamenten-Liste – all das wird sich in der digitalen Patientenakte jedes einzelnen befinden.

Die Vorteile davon liegen auf der Hand: Der Arzt hat umgehend einen Überblick über den Zustand des Patienten. Sowohl er als auch Kliniken, Apotheken oder Krankenpfleger sollen über ein gesichertes System Zugriff auf die DSP des Patienten haben. Nur mit Einverständnis des Patienten. Und nur unter hohen Sicherheitsstandards.

Zehn Jahre Arbeit – und immer noch nicht fertig

Soweit zur Theorie. In Wirklichkeit wird seit gut zehn Jahren an der digitalen Patientenakte gewerkelt. Schon in der Gesundheitsreform von 2010 war davon die Rede. Sie legte auch den gesetzlichen Rahmen für die digitale Patientenakte fest. Damals war Mars di Bartolomeo noch Gesundheitsminister. Danach lag das Dossier auf dem Schreibtisch seiner Nachfolgerin Lydia Mutsch. Etienne Schneider ist somit der dritte Gesundheitsminister, der sich mit der Umsetzung beschäftigt. Doch auch heute sind noch Fragen offen.

Auf dem Papier ist die entsprechende Verordnung seit dem 1. Januar in Kraft. Es ist aber nur eine Umsetzung in kleinen Schritten. Denn das System der digitalen Patientenakte wird erst nach und nach anlaufen. Jeder wird in den kommenden Monaten per Brief über seine digitale Akte in Kenntnis gesetzt. Wer kein solches Dossier haben will, hat durch das sogenannte „Opt-Out“ 30 Tage Zeit, um es abzulehnen.

Etienne Schneider schätzt, dass bis Ende 2021 jeder, der eine will, eine digitale Patientenakte haben wird. Es werden laut Minister etwa 860.000 Personen sein.

Einwände und Bedenken

Die Botschaft der Politik ist dabei ganz klar: Es hat so lange gedauert, weil man nichts übers Knie brechen wollte. Dabei gab es in der Vergangenheit vor allem viel Kritik von außen. Einerseits war es wohl das Bestreben der Politik, bei einem solch delikaten Thema wie persönlichen Daten, keine Fehler zu begehen. Andererseits gab es bei der Ausarbeitung der großherzoglichen Verordnung bereits mehr als genug Kritik und Beschwerden, mit denen sich die Politik auseinandersetzen musste.

Im Januar 2018 hatten der Verband der Pflegedienstleister COPAS, der Ärzteverband AMMD sowie das Syndikat der Apotheker die Europäische Kommission eingeschaltet. Außerdem gab es Bedenken der Datenschutzkommission sowie Einwände des Staatsrates. Die meisten dieser Fragen und Kritiken seien heute aus der Welt geschafft, sagen sowohl Gesundheitsminister Etienne Schneider als auch Mars Di Bartolomeo.

Momentan befinden wir uns in einer unmöglichen Situation.“Laurent Mosar, CSV

Doch die Ärzteschaft AMMD kann sich immer noch nicht mit der geplanten Patientenakte anfreunden. Im Gespräch mit RTL sagt AMMD-Präsident Alain Schmit vergangene Woche: „Bei jeder Sprechstunde muss der Arzt mit dem Patienten absprechen, ob sie ins Dossier kommt oder nicht.“ Der Arzt müsse erst immer das Einverständnis des Patienten haben – das würde die Arbeit „unmöglich“ machen, so Schmit weiter.

Außerdem würden die Dokumente zu lange in der Akte gespeichert werden. Die Idee hinter dem DSP sei, dass Ärzte Informationen über den Patienten schnell und einfach untereinander austauschen können. Würden aber Dokumente zu lange in der Akte aufbewahrt, würde so das ganze Dossier unübersichtlich.

CSV will weiterhin ein Gesetz

Doch vor allem die CSV zeigt sich unzufrieden mit der Umsetzung. Ihr ist die großherzogliche Verordnung als Grundlage für die digitale Patientenakte ein Dorn im Auge. Man habe sich ein Gesetz statt einer Verordnung gewünscht, so Laurent Mosar. „Wir werden nicht nachgeben, bis wir ein Gesetz haben. Momentan befinden wir uns in einer unmöglichen Situation. Immerhin geht es hier um fundamentale Rechte des Patienten“, so der Abgeordnete.

Wir werden beobachten, wo es Schwächen gibt und dort werden wir dann nachbessern – gegebenenfalls durch ein Gesetz.“Mars Di Bartolomeo, LSAP

Wer Daten missbrauche, könne nur anhand eines Gesetzestextes bestraft werden, argumentiert der Parlamentarier. Doch neben dem Strafmaß ist in seinen Augen auch noch immer die Frage nicht geklärt, wie mit den Daten von Minderjährigen umgegangen wird oder wie lange die Daten überhaupt gespeichert werden sollen.

„Es bleibt bei der Verordnung“

Die Regierung sieht das anders. Ja, es seien noch Fragen ungeklärt. Aber die Verordnung reiche „largement“ aus, so Etienne Schneider. „Es bleibt bei der Verordnung“, sagt auch Mars Di Bartolomeo. „Wir werden beobachten, wo es Schwächen gibt und dort werden wir dann nachbessern – gegebenenfalls durch ein Gesetz.“ Das könnte man sich beispielsweise bei Minderjährigen vorstellen. In Stein gemeißelt ist aber offenbar noch nichts.

Fest steht aber: Der Patient soll Herr seiner Akte sein. Er soll selbst entscheiden, wer darauf Zugriff  hat, wer welche Unterlagen sehen darf und welche Informationen überhaupt erst in das Dossier einfließen. Er soll komplett selbstbestimmt über seine Daten walten können. Bei Minderjährigen sollen die Eltern entscheiden. Dabei steht wohl schon jetzt fest, dass wohl kaum der Arzt selbst alle Dokumente in die digitale Akte einspeisen wird – sondern eher eine Sekretärin oder Hilfskraft.

Doch wie sicher ist dieses Datensystem wirklich? In Deutschland ist es Hackern vor Kurzem gelungen, sich Zugang zum Datennetz von Patienten zu verschaffen. Wie der „Spiegel“ schreibt, brauche es für einen solchen Zugriff nicht einmal „besondere IT-Kenntnisse“.

Eine Frage der Verantwortung

Etienne Schneider sagt, es gebe „sehr hohe Standards“, damit die Sicherheit gewährleistet ist. Ähnlich sieht es auch Hervé Barge, Leiter der Agentur e-Santé: „Nur die Ärzte können auf das Dossier zugreifen, die vom Patienten einen Zugriffscode bekommen haben.“ Außerdem würde der Patient sehen, wer sich in seine Akte eingeloggt hat, beziehungsweise wer Zugriff hatte.

Die Datenschutzkommission stellt sich allerdings weiterhin personen- und datenschutzrechtliche Fragen. „Die Daten sind nicht sonderlich strukturiert“, so Thierry Lallemang von der Datenschutzkommission CNPD. Entweder ein Dokument werde vom Arzt eingescannt oder nicht. Der Patient könne zwar entscheiden, wer auf seine Dokumente Zugriff habe, er könne aber nicht einzelne Details auf den Dokumenten verdecken. Das Dokument kommt entweder ganz rein – oder gar nicht.

Durch die Verordnung sind die Entscheidungen an uns und am Parlament vorbeigelaufen.“Thierry Lallemang, CNPD

Die Kommission wirft auch die Frage auf, wer verantwortlich für diese Daten ist. Der Patient kann über seine Akte entscheiden, die Aufsicht hat aber die Agentur e-Santé. Es sind laut Thierry Lallemang die Mediziner, die die Informationen ins System setzen. Sie und der Patient könnten außerdem entscheiden, Daten zu löschen. Die Agentur kann dann allerdings nicht mehr kontrollieren, ob diese Entscheidung gerechtfertigt war oder nicht.

Knapp 500.000 Dossiers bis Ende 2020

Wie die CSV hat sich auch die CNPD ein Gesetz statt einer Verordnung gewünscht. „Durch die Verordnung sind die Entscheidungen an uns und am Parlament vorbeigelaufen“, so Thierry Lallemang. Er sagt allerdings auch, dass viele Vorschläge der Kommission in der Verordnung verankert worden seien. Gut findet er auch, dass jetzt im Nachhinein noch einige Punkte durch ein Gesetz nachgebessert werden können. „Es wäre aber auch genug Zeit gewesen, um einen Gesetzentwurf auszuarbeiten.“

Das sah die Politik anders. Stichdatum war der 1. Januar 2020. Alles andere wird jetzt nachgebessert. Und auch im Gesundheitsbereich muss jetzt noch einiges geschehen. In der Testphase von 2015 bis 2019 wurden etwa 59.000 digitale Patientendossiers geschaffen. Mittlerweile liegt die Zahl bei 68.902 Dossiers und 327.142 Dokumenten (Stand Januar 2020). Das macht im Schnitt 4,75 Dokumente pro DSP aus. Die Agentur e-Santé setzt sich das Ziel, bis Ende 2020 auf 489.000 Dossiers zu kommen.

Nicht alle sind für die Digitalisierung bereit

Die Zugangsdaten werden dem Patienten per Post zugeschickt. So kann er sich zu Hause auf der Plattform anmelden und seine Daten und Akten verwalten. Das bedeutet aber nicht, dass auch sein Arzt bereits über das nötige System verfügt, um Dokumente in seine digitale Patientenakte einzuspeisen.

Momentan sind sechs von sieben Laboren, drei von vier Krankenhäusern und etwa 200 bis 300 Ärzte mit dem System der Agentur ausgestattet. Dabei antwortete Etienne Schneider im März 2019 auf eine parlamentarische Frage, dass in Luxemburg 1.780 Ärzte praktizieren – 534 davon sind Allgemeinmediziner, 1.246 Fachärzte. Bis sie alle Zugang zur digitalen Patientenakte haben, wird es demnach wohl noch dauern.