Steht ein Gemeinderat über dem Verwaltungsgericht oder kann er sich einem Urteil durch kreative Abstimmungsverfahren de facto widersetzen? Und wann ist es die Aufgabe des Innenministeriums, einzuschreiten, damit der Rechtsstaat respektiert wird? Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) will sich offenbar nicht weiter zu diesen Fragen äußern.
Konkret geht es um einen Streit zwischen der Gemeinde Diekirch und mehreren Grundstückbesitzern, über den Reporter.lu im Juni 2022 exklusiv berichtete. Die zuständige Ministerin geriet dabei durch ihr Nicht-Einschreiten in die Kritik. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des ADR-Abgeordneten Fred Keup bleibt Taina Bofferding nun bei ihrer Linie, wonach sie sich nicht weiter in die Affäre einmischen will.
Der Hintergrund: Mehrere Grundstückbesitzer hatten vor Gericht Recht bekommen, dass ihr einstiges Bauland unrechtmäßig in eine Grünzone umklassiert worden war. Doch wurden die betroffenen Grundstücke daraufhin vom Gemeinderat nicht wie erwartet in Bauland umgewidmet. Der Gemeinderat führte eine Pattsituation herbei, in der sich der damalige Bürgermeister und heutige Minister Claude Haagen (LSAP) enthielt. Die ausschlaggebende Stimme des Bürgermeisters führte dazu, dass faktisch keine Entscheidung getroffen und die Umsetzung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofes in der Praxis verhindert wurde.
In ihrer Antwort auf die parlamentarische Frage versucht die Ministerin sich allerdings zu rechtfertigen, warum sie ihre Befugnisse als Ministerin nicht ausübte, um die Entscheidung der Gemeinde zu annullieren. „Da es aufgrund der Pattsituation nie zu einer zweiten Abstimmung kam, konnte das Innenministerium die Gemeinde nicht zu einer dritten Abstimmung auffordern, um gegebenenfalls etwas zu berichtigen/begradigen“, so Taina Bofferding.
Demnach war das Ministerium anfangs der Interpretation gefolgt, dass die Enthaltung des Bürgermeisters nicht mit einer impliziten Ablehnung gleichzusetzen sei und ein solches Abstimmungsverhalten laut Gemeindegesetz nicht untersagt sei.
Im Urteil des Verwaltungsgerichtes in letzter Instanz hieß es, Taina Bofferding habe sich das Fehlverhalten der Gemeinde durch ihr Nicht-Einschreiten gewissermaßen zu eigen gemacht. Die Richter hatten festgehalten, dass das Innenministerium die Nicht-Entscheidung der Gemeinde hätte annullieren müssen, um den Respekt der Rechtsordnung und der Funktionsweise einer Demokratie zu garantieren. Die Vorgehensweise des Gemeinderats und vor allem von Claude Haagen sei „in einer parlamentarischen Demokratie vollkommen unzulässig“, schrieben die Richter in ihrem Urteil.
Nachdem Reporter.lu über den Fall berichtet hatte, erklärte das Innenministerium Anfang Juni, dass es Kontakt zu der Gemeinde Diekirch aufnehmen werde, um über die Umsetzung des Urteils zu beraten. Das Urteil würde einen Präzedenzfall schaffen, dem man in Zukunft Rechnung tragen werde, so das Innenministerium damals. (LB)
