Schulreform, Sprachförderung, Abschaffung des Religionsunterrichts: In den vergangenen fünf Jahren hat Claude Meisch so einiges umgesetzt. Kritiker werfen ihm vor, es sei zu viel gewesen. Und längst nicht alles kam gut an. Ihn stört das aber wenig. Porträt eines Machers.
Der Blick hat manchmal etwas Lehrerhaftes. Wenn das Kinn sich senkt und die Augen sich fest nach vorne richten, spätestens dann wird deutlich: Jetzt kommt etwas Wichtiges.
Claude Meisch mag klare Worte. Er sagt, was er zu sagen hat. Das kann man hinnehmen oder auch nicht – doch eigentlich ist es ihm egal. Und genau nach diesem Prinzip macht er auch Politik. Er will seine Reformen, Ideen, Konzepte nicht lange diskutieren. Er setzt sie einfach durch. Ob er damit aneckt, ist das Problem der anderen. „Ich wusste von Anfang an, dass wir Gegenwind bekommen würden. Dass über unsere Dossiers diskutiert wird, ist für mich normal“, sagt Meisch.
Es ist diese Überlegenheit, fast schon Überheblichkeit mit der er immer wieder hitzigen Debatten die Emotion und seinen Gegnern den Wind aus den Segeln nimmt. Da ist er ganz Businessman. Trocken, sachlich, aber auch unnahbar.
Wie es sich anfühlt, so jemandem gegenüber zu stehen, haben in dieser Legislaturperiode so einige zu spüren bekommen. Von Gewerkschaften, über Lehrer bis hin zu Studenten. Sie alle hatten mit ihm und seinen Reformen zu kämpfen.
Erst Grundschul-, dann Sekundaschulreform, Mini-Crèches, Sprachdiversifikation, iPad-Klassen, Speziallehrer, kostenlose Schulbücher: Während die blau-rot-grüne Koalition die Fenster weit aufreißen und durchlüften wollte, hat Meisch mit seinen 43 neuen Gesetzen und 138 Verordnungen die alten Fenster des Luxemburger Bildungssystems praktisch aus den Angeln gehoben und neue eingesetzt. Was er damit zeigen wollte? „Dass Schule reformierbar ist.“ Und: „Dass es unterschiedliche Schulen für unterschiedliche Schüler“ geben soll. Gesagt, getan.
Lieber Bildung statt Finanzen
Dabei galt Claude Meisch während den Koalitionsverhandlungen 2013 als heißer Anwärter auf den Posten des Finanzministers. Vom Profil her hätte es gepasst wie die Faust aufs Auge, hat er doch in Trier Wirtschaftsmathematik studiert, als Banker gearbeitet und sich als Finanzpolitiker profiliert. In einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“ vom Oktober 2013 sagte Meisch, viele Bereiche würden für ihn in Frage kommen, um Verantwortung zu übernehmen. Am liebsten „ein Ressort, in dem man Gestaltungsspielraum hat“. Als Bürgermeister habe er festgestellt, dass es einen bereichere, wenn man gestalten, Dinge bewegen, Ideen umsetzen kann.
Es wurde nicht das Finanzministerium. Heute sagt er, er habe eine neue Herausforderung gesucht. Es sollen aber auch familiäre Gründe ausschlaggebend gewesen sein, dass er das mit vielen Reisen verbundene Amt ablehnte. Stattdessen wurde er Minister für Bildung, berufliche Ausbildung, Kinder- und Jugendbetreuung, Hochschule und Forschung.
Strippenzieher hinter den Kulissen
Claude Meisch wird am 27. November 1971 in Petingen geboren. Dort besucht er das Lycée technique Mathias Adam und beginnt 1999 seine berufliche Karriere als Bankangestellter bei der Banque de Luxembourg. Kurze Zeit später wird er ins Parlament gewählt und im Jahr 2002 wird der damals 30-Jährige Bürgermeister von Differdingen. Daneben besetzt er von 2004 bis 2013 den Posten des DP-Parteipräsidenten.
Jung und dynamisch sorgt Meisch als Bürgermeister für eine lang erhoffte Aufbruchstimmung in der Gemeinde Differdingen. 2005 kommt der Dank: Mit rund 43 Prozent kann die DP ihren Stimmenanteil verdoppeln. Meisch und Differdingen blühen weiter auf. Unter ihm werden unter anderem Projekte wie die Internationale Schule, das Creative Hub 1535 und das Schwimmbad Aquasud gestartet. Der Politiker ist in seiner Gemeinde beliebt – und will diesen kommunalpolitischen Erfolg auf die nationale Ebene übertragen.
Wenn man die Möglichkeit hat, so jemanden zu fördern, warum sollte man das dann nicht machen?“ Henri Grethen
Meischs Förderer
Neben Xavier Bettel ist Claude Meisch Teil einer neuen Generation der DP. Sie drängen auf Veränderung, wollen neue politische Wege einschlagen und endlich Verantwortung übernehmen. Dabei sind die Rollen von Anfang an klar verteilt: Es ist vor allem Meisch, der hinter den Kulissen die Akzente setzt. Er ist der nüchterne Mann der Inhalte und Dossiers, sein jovialer Parteikollege Bettel eher zuständig für die medienwirksame Außendarstellung. Die nötige Unterstützung bekommen sie von den erfahreneren Liberalen.
Nicht zuletzt ist es Henri Grethen, der Meisch 1999 einen Platz im Parlament verschafft. „Wir hatten damals mit der CSV ausgehandelt, dass wir fünf Minister und zwei Staatssekretäre stellen wollen – mit einem zweiten Kandidaten aus dem Süden. Dafür verzichteten wir im Gegenzug auf europäische Mandate“, sagt Grethen.
„Es war wichtig, dass wir den Nachwuchs in der Partei förderten und ihm einen Platz einräumten“, so der DP-Politiker weiter. Meisch sei motiviert gewesen, habe den nötigen Elan gehabt. „Wenn man die Möglichkeit hat, so jemanden zu fördern, warum sollte man das dann nicht machen?“
Meisch und die Srel-Affäre
Wie zielstrebig Meisch ist, zeigt sich auch während der Geheimdienst-Affäre. Er ist nicht nur Mitglied der Srel-Untersuchungskommission, er übt auch persönlich Druck auf Jean-Claude Juncker aus – und zwar deutlicher als andere. Er wird zum Sprachrohr seiner Partei, ist eigentlich prädestiniert, um die erste Geige zu spielen. Sein einziges Problem: Xavier Bettel ist bei den Wählern beliebter.
Die junge Generation will einen Machtwechsel – aber ohne CSV. Als dieser Wechsel nach der Regierungsauflösung 2013 in greifbare Nähe rückt, handeln Meisch und Bettel geschickt. Beide lassen sich nicht zu voreiligen Koalitionsaussagen hinreißen, auch wenn hinter den Kulissen längst klar ist, dass Blau-Rot-Grün Realität werden soll. Das Duo will die Wählerschaft lieber im Glauben lassen, dass alle Koalitionsoptionen offen sind, um Wechselwähler aus dem CSV-Lager nicht zu verprellen. Meisch hätte wohl persönlich auch nichts gegen eine liberal-konservative Koalition gehabt. Das Problem, das er und andere haben, heißt Jean-Claude Juncker.
Der Plan von Bettel und Meisch geht am Ende auf: „Gambia“ wird Wirklichkeit und die Wähler werden erst im Nachhinein vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine Taktik, die Meisch auch als Bildungsminister immer wieder anwendet. Die hellblauen Hemdärmel hochkrempeln, handeln – und die kontroversen Reaktionen in Kauf nehmen.
Ein holpriger Start
Claude Meischs Start als Bildungsminister ist holprig. Der Neue macht sich gleich an mehreren Fronten unbeliebt. Bei Schülern und Studenten und bei den Lehrern des „Secondaire“ gleichermaßen.
Bei den Studienbeihilfen will er Kürzungen durchsetzen und bringt so Studenten und Schüler auf die Straße. Monatelang hält der Schlagabtausch an. Doch die Protestaktionen der Studenten haben Erfolg – Meisch bessert nach Gesprächen bei den Beihilfen nach.
Könnte ich noch einmal anfangen, würde ich von Anfang den Dialog mit den Betroffenen suchen.“
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit kommen auch Streitigkeiten mit den Sekundarschullehrern hinzu. Auslöser dieses Konflikts sind auch hier Sparmaßnahmen. Vor allem Lehrer der Abschlussklassen sollen im Rahmen des „Zukunftspak“ ihre finanziellen Vorzüge gekürzt bekommen. Gespräche und sogar ein Schlichtungsversuch scheitern, die Fronten sind verhärtet.

Was ihm diese Streitigkeiten einbringen? Das Image eines kompromisslosen Managers. Um das aufzupolieren, entscheidet er sich 2015 dazu, den Kontakt zu den Lehrern zu suchen. „Wenn ich mit den betroffenen Menschen vor Ort spreche, erschließt sich mir oft ein ganz anderes Bild, als wenn wir in Gremien über Probleme diskutieren“, sagt Meisch heute.
Könnte er noch einmal anfangen, „dann würde ich das sofort machen“, so der Minister. „Mit allen Beteiligten vor Ort sprechen.“ Bei aller Kompromisslosigkeit ist er also doch lernfähig. Doch Zugänglichkeit gehört laut Weggefährten nicht gerade zu seinen Stärken – ebenso wenig wie eine offene Kommunikation.
Gesetze wurden von ihm einfach durchgeboxt, ohne dass im Vorfeld mit den Betroffenen diskutiert worden ist.“Martine Hansen
Auch wenn Meisch seit 2015 von Schule zu Schule zieht und den Kontakt zu den Leuten sucht, eine aufrichtige Beziehung zum Schulpersonal scheint nie so richtig zustande zu kommen. „Gesetze wurden von ihm einfach durchgeboxt, ohne dass im Vorfeld mit den Betroffenen diskutiert worden ist“, wirft ihm auch Martine Hansen (CSV) vor. Lehrer fühlen sich dadurch überrumpelt, Gewerkschaften hintergangen.
Mangelware Lehrer
So geschehen auch beim Thema Lehrermangel. Die Verantwortung dafür liegt sicherlich nicht alleine bei Claude Meisch. „Ich bin überrascht darüber, dass die Menschen so überrascht sind“, sagt er – und will jenes Problem kleinreden, das eigentlich seit Jahren bekannt ist.
Zumindest teilweise hat er den Mangel dennoch mitzuverantworten. Das liegt auch an seinen personalintensiven Reformen. „Unter anderem wurden 150 Lehrer aus normalen Schulkassen genommen und als Speziallehrer eingesetzt“, erklärt Martine Hansen. Dass das zu einem Problem werden könnte, hätte in ihren Augen früher von Meisch erkannt werden müssen.
Meisch gesteht den Fehler seinerseits ein. Natürlich nicht bei sich selbst – sondern beim Ministerium. „Da gab es ganz klar Probleme hier im Haus“, sagt er. Man habe aneinander vorbeigeredet, die Verwaltung nicht richtig funktioniert. Es haperte mal wieder an der Kommunikation.
Der Minister weiß sich aber zu verteidigen – wie immer.“
Im Zusammenhang mit dem Lehrermangel hat Meisch aber auch an einer anderen Front zu kämpfen: Viele Anwärter scheitern an der Aufnahmeprüfung, dem sogenannten Concours. Die Prüfungen müssten überarbeitet und die Ausbildung angepasst werden, sagt der Minister einerseits. Andererseits verstehe er nicht, warum jemand Lehrer werden will, wenn er selbst Probleme in einer Sprache hat. Wer scheitert, ist also quasi selber Schuld.
Eine Meisch-Reform, die aber sicher bleiben wird: Die Abschaffung des Religionsunterrichts und die Einführung des Wertefachs „Vie et Société“. Eine wichtige Umsetzung, nicht nur für den Bildungsminister selbst, sondern für die ganze Regierung. „Dorop sinn ech houfreg“, sagt er. Ein Satz, den er gerne verwendet, wenn ihm ein Thema besonders am Herzen liegt. Ein Jahrzehnte andauernder Kampf um die Trennung von Schule und Religion sei endlich beendet. Und Meisch wird mit der Reform wohl in die Geschichtsbücher eingehen.
Das große Sprachproblem
Mehr Englisch, früher Französisch, in einzelnen Klassen Chinesisch, daneben auch noch Luxemburgisch – das Angebot an Sprachen wird unter Meisch vielfältiger. Getreu seinem Motto: „Unterschiedliche Schulen für unterschiedliche Schüler“. Das kommt aber nicht überall gut an. Die Sprachprogramme, vor allem für Englisch-Klassen, orientierten sich zu stark an ausländischen Programmen, sagen die einen. Kleinkinder seien mit einer mehrsprachigen Erziehung überfordert, meinen die anderen.
Der Minister weiß sich aber zu verteidigen – wie immer. Beispiel Französisch in den Crèches: Luxemburg habe ein Problem mit der französischen Sprache – darauf habe man reagiert. Auch das wurde kontrovers diskutiert – unter anderem von Gewerkschaften, die sich fragten, wie eine mehrsprachige Erziehung vom Personal gestemmt werden kann.
Ob die mehrsprachigen Crèches den Kindern später tatsächlich den Umgang mit Französisch erleichtern, bleibt erst einmal abzuwarten. Die Ergebnisse von Meischs Initiativen lassen sich frühestens in ein paar Jahren bewerten. Oder auch nicht: Denn es ist bekanntlich das Schicksal eines jeden Bildungsministers, dass der Nachfolger seine eigenen Pläne umsetzen und vorangegangene Reformen gerne rückgängig machen will.
Das weiß auch Meisch selbst. Dennoch glaubt er an eine Zukunft seiner Projekte. Aller Skepsis und andauernden Kontroversen zum Trotz.
Wenn die Fassade bröckelt
Selbstzweifel sucht man beim Minister vergebens. Dafür ist er zu sehr von seiner Arbeit überzeugt – zu „houfreg“.
Auf die Kritik, dass er zu viel gemacht habe, kann er deshalb nur müde mit den Schultern zucken. „Hätten wir denn nichts machen sollen?“, fragt er trocken zurück. Dass zwischen 181 Initiativen und „Nichts“ aber jede Menge Spielraum bleibt, blendet er einfach aus. Und bleibt dabei: Alles, was umgesetzt wurde, war auch notwendig.
Ech sinn, wéi ech sinn. Dozou gehéiert, datt ech alles ginn, wann ech an der Saach iwwerzeegt sinn, un d’Noutwendegkeet gleewen.“
Doch manchmal bröckelt diese doch so pragmatische Macher-Fassade. Dann, wenn eine Debatte immer weiter geht und er sich nicht mehr für etwas erklären oder rechtfertigen will. Was dann kommt? In der Regel ein sarkastischer bis aggressiver Kommentar. Fast im Stile eines Jean-Claude Junckers. Auf die gängige Frage nach dem Leistungsabfall bei den Schülern, versucht er erst gar nicht ernsthaft einzugehen. „Was soll ich denn dazu noch sagen? Heute kann doch eigentlich niemand mehr irgendetwas und die Menschheit ist komplett verblödet.“ Ende der Diskussion.
Ein Buch, das vor allem Meisch überzeugt
Um seine Sicht auf das Luxemburger Schulwesen zu erklären – ohne, dass ihm jemand reinreden kann – hat Meisch „einfach mal drauf losgeschrieben“. Entstanden ist das Buch „Staark Kanner – Eng Häerzenssaach“. Auf 230 Seiten stellt er seine Überzeugungen zusammen, zieht Bilanz. Das Credo seines Werks: Schule diversifizieren, inklusiv gestalten und modernisieren. Und ganz nebenbei bringt er diese Gedanken kurz vor den Wahlen noch schnell an den Leser und die Wähler.
Die scheint er dann aber noch nicht erreicht zu haben. Der Macher bleibt eben unnahbar. Das zeigt eine Episode vor der Librairie Ernster in Luxemburg-Stadt. Geplant war eine Signierstunde. Innerhalb von zwei Stunden habe der Minister gerade einmal sechs Bücher unterzeichnet, heißt es in einem Artikel des „Tageblatt“. Das Interesse der Kunden hielt sich demnach in Grenzen und seinen „mitgebrachten Kugelschreiber“ musste Meisch nicht wirklich oft zücken, wie es im Artikel heißt.
Eigentlich teilt Meisch das Schicksal aller Bildungsminister. Sie haben immer einen schweren Stand, sind nie wirklich beliebt. Was er aber anders macht: Er will sich nicht anpassen, nicht für andere verbiegen. Und bleibt seinem Prinzip treu: Sachen werden so angegangen, wie nur er sie für richtig hält.
Genau mit dieser Überzeugung beginnt er auch sein Buch: „Ech sinn, wéi ech sinn. Dozou gehéiert, datt ech alles ginn, wann ech an der Saach iwwerzeegt sinn, un d’Noutwendegkeet gleewen.“ Ein Macher eben, der nur äußerst ungerne zu Kompromissen bereit ist.