Déi Lénk haben Großes vor: Sie wollen eine breite Bewegung ins Rollen bringen, die unsere Gesellschaft grundlegend reformiert. Die Wahlkampfstrategie der Partei ist jedoch nicht so klar definiert. Ein Interview mit David Wagner und Serge Urbany, die beide für Déi Lénk im Parlament saßen.

REPORTER: Wachstums- und Sprachendebatte: Der Wahlkampf ist bisher von Themen geprägt, die der ADR wichtig sind. Wie wollen Déi Lénk auf diesen Diskurs reagieren?

David Wagner: Wir reagieren, in dem wir über die wirklich wichtigen Themen reden. Dazu gehören: eine allgemeine Umstellung der Wirtschaft, eine Umverteilung des Reichtums, die Steuerpolitik, die Wohnungskrise und die Umwelt. Wir glauben, dass man Rassismus und identitäre Diskurse nur eindämmen kann, wenn man für mehr Gleichheit und Demokratie sorgt. Andere Parteien haben kein Interesse daran, dass über diese Themen geredet wird. Denn wenn man in diesen Bereichen etwas ändern will, muss man auch die aktuellen Hierarchien in unserer Gesellschaft in Frage stellen.

Ihre Strategie lautet also: An bewährten Forderungen festzuhalten, anstatt auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren?

Serge Urbany: Die ADR ist für mich vor allem ein Schreckgespenst, das an die Wand gemalt wird, um die Wähler in die Arme der etablierten Parteien zu treiben. In Luxemburg gibt es nämlich zur Zeit zwei Machtoptionen. Die gängigste Variante beruht auf der CSV, die zusammen mit einer kleineren Partei eine Regierung bildet. Im Moment erleben wir die zweite Option: Eine liberale Koalition, die auf den Ideen der DP fußt. Die ADR trägt dazu bei, diese Machtstruktur zu erhalten. Denn ihr Diskurs lenkt von den wirklichen Problemen ab. So wird verhindert, dass sich eine alternative Machtoption bildet, die sich tatsächlich für ein anderes Gesellschaftsmodell einsetzt.

In Luxemburg bringen die, die das Sagen haben, es immer wieder fertig eine Mehrheit hinter sich zu versammeln.“Serge Urbany

Déi Lénk sind seit der Parteigründung 1999 in der Opposition. Langfristig wollen sie also durchaus in die Regierung?

Urbany: Wir wollen um unsere Ideen einen gesellschaftlichen Gegenblock aufbauen, der die nötige Mehrheit erreicht, um ein anderes Gesellschaftsmodell durchzusetzen. Das Beispiel des früheren französischen Umweltministers Nicolas Hulot zeigt, dass das nur klappt, wenn man die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat. Hulot hat geglaubt, er könnte als bekannter Aktivist in der Regierung etwas erreichen. Am Ende musste er sich selbst eingestehen, dass es ihm an der nötigen Unterstützung fehlte.

Mit zwei Abgeordneten sind sie aktuell weit von der Mehrheit entfernt. Wie wollen Sie mehr Wähler erreichen? 

Urbany: In Luxemburg bringen die, die das Sagen haben, es immer wieder fertig eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. Das liegt zum Teil daran, dass ein großer Teil der Bevölkerung immer noch ein materielles Interesse daran hat, dass alles so bleibt, wie es ist. Zum Beispiel, weil sie verschuldet sind. Doch auch die Medien tragen eine Mitschuld daran, dass das aktuelle System nicht hinterfragt wird. So wird die extreme Rechte übermäßig dämonisiert und damit als einzig denkbare Alternative zum aktuellen Gesellschaftsmodell dargestellt.

Wagner: Man sollte auch nicht vergessen, dass die meisten Arbeitnehmer hierzulande gar nicht wählen dürfen, weil sie Ausländer sind.

Was wollen Sie als Partei konkret tun, um mehr Leute zu erreichen?

Urbany: Indem wir aufklären, indem wir versuchen, die Leute zusammenzubringen anstatt die Gesellschaft zu spalten, wie die ADR.

David Wagner: Der ehemalige Journalist („woxx“) sitzt seit 2015 als einer von zwei Abgeordneten für Déi Lénk im Luxemburger Parlament. (Foto: Matic Zorman) 

Das klingt, nach einer recht passiven Rolle für ihre Partei: Sie hoffen, dass die Verhältnisse sich früher oder später zu ihren Gunsten entwickeln…

Wagner: Nein, ein Bewusstseinswandel kommt nicht von alleine. Es ist wichtig, dass die Leute sich in Parteien und Gewerkschaften organisieren, um die gesellschaftlichen Entwicklungen in die richtige Richtung zu lenken.

Spätestens nach Nicolas Hulots Rücktritt müssten die Grünen kapiert haben, dass „grüner Kapitalismus“ ein Reinfall ist.“David Wagner

Hat ihre Partei denn eine Kommunikationsstrategie, die sie in diesem Wahlkampf benutzen wollen um das zu erreichen?

Wagner: Ja, haben wir. (lacht) Ich denke, wir brauchen uns darüber auch nicht übermäßig viele Gedanken zu machen. Unsere Inhalte haben ja, wie gesagt, wenig geändert. Wir wollen jedoch dieses Mal versuchen, unsere Ideen verständlicher zu vermitteln. Uns Linken wird ja oft vorgeworfen, eine verklausulierte Sprache zu benutzen. Deshalb versuchen wir eine zugängliche Sprache zu benutzen, die auch Leute erreicht, die keine Zeit haben sich rund um die Uhr mit Politik zu beschäftigen.

Inhaltlich fällt auf, dass Déi Lénk in diesem Wahlkampf verstärkt auf Umweltthemen setzen. Warum?

Urbany: Es sind einige Leute der Partei beigetreten, die sich sehr gut in diesem Bereich auskennen. International kann man beobachten, dass ökologische Themen immer wichtiger werden, und mittlerweile oft genauso wichtig sind, wie soziale Fragen. Das sieht man auch in Luxemburg. Denn die Verschandelung unserer Natur bleibt ein eklatantes Problem, trotz grüner Regierungsbeteiligung. In meiner Heimatgemeinde Sassenheim, haben Déi Gréng es sogar geschafft, eine Umgehungsstraße mitzutragen, die quer durch den Wald führt.

Sie wollen sich demnach bewusst als Alternative zu Déi Gréng profilieren?

Urbany: Auf die Grünen scheint in solchen Fragen ja kein Verlass mehr.

Wagner: Spätestens nach Nicolas Hulots Rücktritt müssten die Grünen kapiert haben, dass „grüner Kapitalismus“ ein Reinfall ist. Das funktioniert nicht. Die ökologische Frage ist direkt an die wirtschaftliche Produktion gekoppelt. Also: Wie produziere ich? Was produziere ich? Man muss also auch die Arbeitsorganisation und die Besitzverhältnisse in Frage stellen, wenn man ökologische Politik betreiben will. Wenn man das nicht tut, dann ist man überhaupt nicht grün.

Riskieren Déi Lénk mit dieser Rhetorik nicht einen Teil der Arbeitnehmer vor den Kopf zu stoßen? Umweltbelastende Industriebetriebe schaffen ja auch Arbeitsplätze…

Wagner: Es ist möglich, Industrie nach Luxemburg zu bekommen, die sauber ist und ihre Mitarbeiter gut behandelt. Die jetzt in Bettemburg geplante Jogurtfabrik ist ein gutes Beispiel. Der Staat hat hier durchaus Gestaltungsmöglichkeiten, denn das Gelände ist in staatlichem Besitz. Es wäre also möglich, einen Industriebetrieb hier anzusiedeln, der mehr Arbeitsplätze schafft und auch noch umweltfreundlicher ist als diese Jogurtfabrik.

Serge Urbany: Der Jurist und Gewerkschaftsfunktionär (OGBL) war von 2002 bis 2004 sowie von 2011 bis 2016 Mitglied der Abgeordnetenkammer. (Foto: Matic Zorman)

Wie würden Déi Lénk die Luxemburger Wirtschaft umstellen?

Urbany: Die Stahlindustrie ist der klassische Industriesektor in Luxemburg. Heute hat die Uni Luxemburg sich auf einem früheren Gelände dieser Industrie niedergelassen. Es liegt also auf der Hand, die Forschung mit der Stahlverarbeitung zu verbinden. So könnte man einen ganzen Wirtschaftszweig, um die klassische Stahlindustrie herum aufbauen. Dabei könnte man sich, zum Beispiel, darauf fokussieren, umweltfreundliche Stahlprodukte zu produzieren. Ich denke, man sollte dazu ein regionales öffentliches Konzept schaffen, da es durchaus Synergien mit Lothringen gibt. Im Saarland gibt es eine erfolgreiche staatliche Intervention in diesem Bereich. In der Landwirtschaft könnte man außerdem gezielt kleinere einheimische Betriebe fördern, die Produkte für den hiesigen Markt produzieren. Anstatt in jedem Supermarkt spanische Tomaten anzubieten, wie im Moment. Daneben bräuchten wir mehr heimische Handwerksbetriebe und kleine Geschäfte in den Ortschaften als Alternative zu den Supermärkten.

Wir sind keine Etatisten, die sich dafür einsetzen, dass die Industrie komplett staatlich gesteuert wird.“David Wagner

Welche Mittel würden Sie denn einsetzen, um die Wirtschaft in diesem Sinn zu steuern?

Wagner: Um die wirtschaftliche Ausrichtung zu ändern, müsste man zu erst die etablierten Wirtschaftsdogmen infrage stellen. Der Staat kann aber auch ganz konkrete Maßnahmen ergreifen, um kleine Betriebe zu unterstützen. In der Landwirtschaft könnte man zum Beispiel gezielt kleine Betriebe subventionieren, die auf ökologischen Anbau setzen. Da wurde in den letzten Jahren viel verpasst.

Sollte der Staat auch stärker in die Industrie eingreifen?

Wagner: Wir glauben schon, dass der Staat eine wesentlich wichtigere Rolle in der Wirtschaft spielen sollte. Man sollte das aber nicht karikaturartig darstellen. Wir sind keine Etatisten, die sich dafür einsetzen, dass die Industrie komplett staatlich gesteuert wird. Aber wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, dass der Staat einschreitet, um die Produktionsstätten in der Stahlindustrie zu vergesellschaften und den Mitarbeitern mehr Mitspracherechte zu geben.

Das Parlament ist für sie als kleine Partei eine wichtige Tribüne, um solche Ideen in die Diskussion zu bringen. Im Moment haben Sie zwei Sitze im Parlament. Weil ihre Partei ein Rotationsprinzip anwendet, gab es aber insgesamt vier Déi Lénk-Abgeordnete in den letzten fünf Jahren. Wollen Sie sich auch weiterhin an dieses Prinzip halten?

Wagner: Das Prinzip hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass man seinen Platz nach zweieinhalb Jahren räumen muss, wenn man seinen Job erst richtig beherrscht. Der Vorteil ist aber, dass ein Neuer nachrückt. Dadurch bekommen mehr Mitglieder die Möglichkeit, Erfahrung in politischen Ämtern zu sammeln. Das kann man an unseren aktuellen Kandidatenlisten sehen. Besonders im Südbezirk haben zahlreiche Mitglieder bereits Erfahrung in Gemeinderäten gesammelt.

Urbany: Die Rotation ist in unseren Parteistatuten verankert. Wir haben die Regeln aber letztes Jahr leicht geändert: Das Prinzip ist jetzt nicht mehr absolut, sondern es sind nun einmalige Ausnahmen möglich. Allerdings müssen drei Viertel unseres Parteigremiums zustimmen, um einem Amtsträger eine Ausnahme zu gewähren.

Es wäre ideal, wenn wir fünf Sitze im Parlament erreichen würden.“David Wagner

Trotz Rotationsprinzip saßen über die vergangenen fünf Jahre vier Männer für Déi Lénk im Parlament. Tut ihre Partei genug, um Frauen in politischen Ämtern zu fördern?

Wagner: Unser Wahlsystem führt dazu, dass bekannte Kandidaten größere Chancen haben, gewählt zu werden. Männer, die schon ein Mal ein Amt bekleidet haben, sind dadurch im Vorteil. Man kann dem aber entgegen steuern. Wir respektieren auf unseren Kandidatenlisten die Parität zwischen Frauen und Männern. Das reicht aber nicht. Besonders in einer kleinen Partei muss man Frauen gezielt in den Vordergrund setzen. Wir versuchen deshalb Frauen bevorzugt die Möglichkeit zu geben, sich in den Medien zu äußern. Bei den Gemeindewahlen ist es uns so gelungen, dass Nathalie Oberweis und Ana Correia im Geimeinderat mitrotieren werden. Ich glaube, dass es durchaus möglich ist, dass dieses Mal auch eine Frau für uns ins Parlament gewählt wird.

Welches Resultat erwarten Sie sich bei den Wahlen am 14. Oktober?

Wagner: Ideal wäre es, wenn wir Fraktionsstärke erreichen würden, also fünf Sitze. Das ist ein langfristiges Ziel, auf das wir hinarbeiten. Ich glaube es ist sehr realistisch, dass wir dieses Mal im Südbezirk einen zweiten Sitz hinzugewinnen. Im Zentrum ist es etwas schwieriger, aber auch nicht unmöglich einen zweiten Sitz zu erreichen. Die Fraktionsstärke ist also heute definitiv realistischer als noch vor ein paar Jahren.