Ein schnelles Vorankommen in Sachen europäische Steuerharmonisierung und ein Schließen immer noch bestehender Schlupflöcher: So lautet die Stoßrichtung eines Hearings im Unterausschuss „Tax“ des EU-Parlaments mit Experten und Journalisten zu den „CumEx Files 2.0“

„Bitte, bitte hören Sie auf die Experten!“ Das Plädoyer von Olaya Argüeso Pérez, Chefredakteurin des Recherchezentrums CORRECTIV, an die Adresse der EU-Abgeordneten enthielt einen gewissen Grad an Frustration und Wut. Zuvor hatte Argüeso Pérez die Parlamentarier darauf aufmerksam gemacht, dass der größte Steuerraub der Geschichte vor allem „ihr Fehler“ und jener der nationalen Politiker sei.

Der Kontext: Argüeso Pérez war nicht zum ersten Mal Gast des Unterausschusses „Tax“ des EU-Parlaments. Bereits nachdem die ersten „CumEx-Files“ 2018 herauskamen, war die Journalistin nach Straßburg eingeladen worden. In der Folge beauftragten die Parlamentarier die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) damit, die nationalen Finanzaufsichten zu befragen, wie sie Cum-Ex-Geschäfte wahrnehmen und was sie gegen den Steuerbetrug zu tun gedenken.

Für ein Ende der Ausnahmen

Auch wenn die Antworten nicht öffentlich waren, hat CORRECTIV sie über Transparenzanfragen in die Hände bekommen: „Das Ergebnis war ernüchternd“, so Argüeso Pérez. Die in der vergangenen Woche veröffentlichten neuen Recherchen zu den „CumEx Files 2.0“, an denen Reporter.lu beteiligt war, basieren auch auf den Antworten der ESMA.

Es hat sich herausgestellt, dass es den Behörden am Bewusstsein mangelt, Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäfte überhaupt als problematisch einzustufen. Dazu kommt die allgemeine Feststellung, dass es bei den Steuerbehörden in Europa mit der Zusammenarbeit immer noch hapert.

Ähnlich sahen es auch die Experten, die dem Parlament per Video zugeschaltet waren. Nadine Riegel von der Universität Münster argumentierte zwar, dass die aktuellen Schätzungen, was den Missbrauch von Steuerrichtlinien angeht, schwer zu interpretieren seien, da die Auswirkungen der kürzlich implementierten Maßnahmen, wie etwa BEPS oder Atad, noch nicht messbar seien. Aber auch sie plädierte für mehr Kollaboration und weniger Unterschiede bei der Quellensteuer.

Ihr Kollege Arjan Lejour von der Universität Tilburg in den Niederlanden ging die Problematik etwas radikaler an und verurteilte vor allem das „Treaty Shopping“ scharf. Bei diesem Vorgang versuchen Einzelpersonen Steuerverträge zwischen einzelnen Ländern so auszuspielen, dass ihnen daraus ein Vorteil entsteht – also die Basis für Cum-Ex-Betrügereien.

„Die Länder müssen aufhören, in Steuerfragen Ausnahmen zu gewähren. Jede solche Ausnahme ist ein Anreiz für multinationale Unternehmen, um Steuern zu optimieren“, so Lejours Fazit.

EY sieht das Heil in der Blockchain

Konkrete Vorschläge kamen vom Wiesbadener Professor Lorenz Jarass. Der Energie- und Steuerexperte empfiehlt ein System, in dem sämtliche Einkommen, also auch Dividenden aus Aktiengeschäften, innerhalb der EU-Grenzen gleich besteuert werden sollen und das unabhängig davon, wo die Person ihren Wohnsitz hat. Jarass zufolge hätte dies den Vorteil, dass die Rückerstattungen wegfallen würden – und mit ihnen die Basis für Cum-Ex-Geschäfte.

Einen anderen Weg schlug Marlies de Ruiter von „EY“ vor. Die „Global International Tax & Transaction Services Policy Leader“ des Big Four-Unternehmens bot an, eine Art Steuer-Blockchain zu schaffen, mit der sich die nationalen Steuerbehörden vernetzen könnten. Zudem könnte die in der Krypto-Branche beliebte „Zero Knowledge Proof“-Technologie, die es erlaubt, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu bestätigen und weiterzugeben, ohne die Information selbst zu verraten, zum Einsatz kommen.

Schlussendlich nahmen die anwesenden EU-Abgeordneten einen Bericht des portugiesischen Parlamentariers Pedro Marques (S&D) an. Dieser fordert unter anderem einen Rahmen für eine harmonisierte europäische Quellensteuer. Obwohl der Bericht provisorisch angenommen wurde, schälten sich aus den politischen Stellungnahmen die Gründe heraus, warum die EU dabei bisher nicht weiterkommt. Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) und „Renew Europe“ äußerten sich erwartungsgemäß skeptischer, während sich Grüne (Verts/ALE), Sozialdemokraten (S&D) und Linke (The Left) kämpferischer gaben. Luxemburgs Vertreter im Unterausschuss „Tax“, Christophe Hansen (EVP), intervenierte hingegen gar nicht in der Debatte, die auch sein Heimatland betrifft.


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