Cum-Ex und Cum-Cum: Dubiose Aktiengeschäfte kosten die europäischen Steuerzahler enorme Summen. Neue Recherchen deuten auch für Luxemburg auf einen Milliardenschaden hin. Dennoch bleibt das Finanzministerium passiv und lässt die Öffentlichkeit im Dunkeln.

Im Grunde ist der Trick ganz einfach, sagt Sanjay Shah. „Das Schlupfloch besteht darin, dass du Besitzer der Aktien wirst am Tag, an dem du sie kaufst – nicht erst, wenn du sie bezahlst.“ Findige Börsenhändler nutzen diese Diskrepanz aus, indem sie Aktien kaufen und verkaufen um den Zeitpunkt, an dem Unternehmen ihre Gewinne ausschütten.

Sogenannte Cum-Ex-Geschäfte sind ein bewusstes Verwirrspiel: Der Staat kann nicht mehr nachvollziehen, wer auf die Dividenden die Quellensteuer bezahlt hat und wer Anrecht auf eine Erstattung hat. In Extremfällen führte das dazu, dass die Steuer mehrfach zurückgezahlt wurde, obwohl sie nur einmal beglichen wurde.

Sanjay Shah muss wissen, wie Cum-Ex-Deals funktionieren. Dänemark hat er um knapp eine Milliarde Euro gebracht, Belgien um mutmaßlich über 100 Millionen Euro und Luxemburg um zehn Millionen Euro. „Ich bereue nichts“, sagt der wohl bekannteste Cum-Ex-Drahtzieher im Interview mit „ARD Panorama“. Er habe schlicht ein legales Schlupfloch genutzt, das die Staaten aus Nachlässigkeit offengelassen hätten.

Ein gigantischer Steuerschaden

Viele Länder sehen das mittlerweile anders. Sie verfolgen Cum-Ex-Geschäfte als strafbaren Steuerbetrug. Doch hinter dieser kriminellen Form verbergen sich weitere dubiose Aktiendeals von noch größerem Ausmaß. Sie haben eins gemeinsam: Der Handel mit Wertpapieren verfolgt keinen wirtschaftlichen Zweck, sondern der Gewinn besteht in den Steuern, die den Staaten entgehen.

Welche Ausmaße das Problem hat, zeigen die „CumEx-Files 2.0“. Es ist eine durch das Recherchezentrum CORRECTIV koordinierte Recherche von Medienhäusern weltweit, an der auch Reporter.lu teilgenommen hat.

Eine ernüchternde Erkenntnis der Recherchen lautet: Die Profite der Finanzjongleure bedeuten Verluste für die Allgemeinheit. Schätzungsweise 150 Milliarden Euro an Schaden für die Steuerzahler verursachten Banken, Börsenhändler und Investmentfonds in neun europäischen Ländern plus den USA in den vergangenen 20 Jahren.

Allein für Luxemburg rechnen Steuerexperten mit einem Schaden von 2,2 Milliarden Euro für den Zeitraum zwischen 2000 und 2020. Zum Vergleich: Mit dieser Summe könnte Luxemburg ein Jahr sein ganzes Schulsystem finanzieren oder vier Mal ein „Südspidol“ bauen.

Luxemburg verliert 100 Millionen Euro pro Jahr

Dieser Schaden entsteht in Luxemburg vor allem durch sogenannte Cum-Cum-Geschäfte. Dabei wechseln die Aktien rund um die Dividendenauszahlung kurz den Besitzer. Das Ziel: Weniger oder gar keine Steuern zu zahlen. Dividenden-Stripping nennen das die Eingeweihten. Der Trick: Ausländische Aktienbesitzer verleihen die Wertpapiere an Banken oder Fonds im Land des Unternehmens. Diese zahlen im Regelfall keine Quellensteuer. Und so wird die Dividende von der Steuer „befreit“.

Was sind die „CumEx Files“?

Cum-Ex zählt zu den größten Steuerraubzügen der Geschichte. Die „CumEx Files 2.0“ zeigen, dass dieser Betrug weitergeht. 15 Medien weltweit – darunter Reporter.lu – berichten über neue Tricks, Behörden am Limit und den globale Schaden. Die Recherche wird koordiniert von CORRECTIV.

Die „CumEx Files“ stellen knapp 200.000 Seiten dar. Sie beinhalten Ermittlungsberichte von unterschiedlichen Behörden, Protokolle von Befragungen von Kronzeugen und Beschuldigten sowie interne Bankdokumente. Beteiligt sind internationale Medien wie „Le Monde“, „BBC“, „NBC“ in den USA und „ABC“ in Australien.

Die Dimension ist gigantisch: Für zehn Länder und innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte könnte der Schaden alleine aus dieser Art der Steuervermeidung bei 141 Milliarden Euro liegen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Universität Mannheim in Zusammenarbeit mit CORRECTIV. Dazu kommen Cum-Ex-Betrugsfälle in Deutschland, Dänemark und Belgien in Höhe von insgesamt über neun Milliarden Euro.

Der Schaden aus Cum-Cum-Geschäften ist eine Schätzung, betont Professor Christoph Spengel, der mit seinem Team die Studie durchführte. Der ausgewiesene Experte für betriebs­wirtschaft­liche Steuerlehre sagte vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags und vor dem Europäischen Parlament aus. Die Forscher gehen bei ihrer Schätzung davon aus, dass die Hälfte der ausländischen Aktienbesitzer auf Cum-Cum-Transaktionen zurückgreift. Statt der in den meisten Doppelbesteuerungsabkommen festgehaltenen 15 Prozent bezahlen sie auf diese Weise keine Quellensteuer.

Durch die Steuervermeidung auf Dividenden entgehen Luxemburg demnach im Schnitt 100 Millionen Euro pro Jahr – das Doppelte dessen, was der gratis öffentliche Transport jährlich kostet. Der Schaden schwankt allerdings gewaltig, denn Unternehmen wie SES, ArcelorMittal oder RTL Group zahlen in manchen Jahren hohe Dividenden, in anderen gar keine. Die Höhe der Dividenden, die von Luxemburger börsennotierten Unternehmen an ausländische Aktienbesitzer ausbezahlt wurden, bezogen die Forscher von den kommerziellen Anbietern „Bloomberg“ und „Eikon“.

Das Schweigen des Finanzministers

Reporter.lu konfrontierte die Pressestelle von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vor zwei Wochen mit dieser Schadenssumme. Als Reaktion wurde auf Antworten auf parlamentarische Anfragen verwiesen. In der rezentesten von September 2021 heißt es: „Eine öffentliche Auskunft über etwaige Steuergeldausfälle [ist] durch das Offenbarungsverbot nicht möglich.“ Auf die Frage, was Minister Pierre Gramegna gegen diese Einbußen für die Staatskasse unternimmt, heißt es: kein Kommentar.

Seit der Veröffentlichung der „CumEx Files I“ vor genau drei Jahren wurde das Dividenden-Stripping auch in Luxemburg zum Thema. Nach Recherchen von Reporter.lu hakten vor allem die CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth immer wieder beim Finanzministerium nach. Die Antworten blieben die gleichen.

Die Erstattungsanträge betreffend die Quellensteuer würden durch die Steuerverwaltung geprüft und im Zweifel abgelehnt, so heißt es in einer weiteren Antwort. Stellen die Beamten Hinweise auf schwere Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug fest, würden die Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Im Januar 2021 gab der Finanzminister zumindest eine kleine Information preis: „In den letzten Jahren hat die Steuerverwaltung durchschnittlich 7.000.000,00 EUR Steuerabzüge auf Kapitalerträge rückerstattet.“ Die Daten, an wie viele Firmen diese Beträge gingen, seien aber nicht verfügbar. Konkret heißt das, dass in diesem (undefinierten) Zeitraum der Schaden aus Cum-Ex-Geschäften unter sieben Millionen Euro liegt – falls es einen gibt. Über den Schaden aus der einfacheren Variante der Cum-Cum-Deals sagt das aber nichts aus. Bei dieser Form der Steuervermeidung findet nämlich keine Erstattung statt.

Steuerverwaltung tappt im Dunkeln

Das Problem ist ein grundsätzliches: Die Steuerverwaltung hat einen begrenzten Einblick in die Geschäfte, die hinter den Erstattungsanträgen stehen. Es sei wahrscheinlich nicht möglich, Cum-Ex-Geschäfte von anderen ähnlichen Transaktionen zu unterscheiden, sagte die Direktorin Pascale Toussing vor der parlamentarischen Finanz- und Budgetkommission im September 2019. Sie betonte, dass die Mittel der Steuerverwaltung zur Aufklärung dieser Fälle begrenzt seien.

In einem mutmaßlichen Cum-Ex-Fall vor dem Verwaltungsgericht wurde zudem deutlich, dass die Steuerverwaltung aufgrund des Bankgeheimnisses keinen Zugriff auf Daten von Clearstream Luxemburg als Abwickler von Aktiengeschäften hat. Die Steuerbeamten tappen also im Dunkeln, denn sie können nicht sehen, wer welche Wertpapiere zu einem gegebenen Zeitpunkt besaß.

"Ich bereue nichts", sagt Sanjay Shah im Interview mit "ARD Panorama". (Foto: Felix Meschede/ARD Panorama)

Das Finanzministerium leugnet das Problem. In den zwei bisherigen Urteilen zu möglichen Cum-Ex-Fällen sei es „um prozedurale Fragen“ gegangen, heißt es auf Nachfrage. Das ist eine bemerkenswerte Sicht der Dinge. Im ersten Urteil hielten die Verwaltungsrichter fest, dass es im Wesentlichen um die Frage ging, wer wirtschaftlicher Eigentümer („bénéficiaire effectif“) der Aktien war.

Es geht also um den Kern des Tricks, den Sanjay Shah beschreibt. Der Staat argumentierte vor Gericht, dass die Kläger den Besitz nicht beweisen könnten, und rettete sich so knapp vor dem Verlust von 8,5 Millionen Euro. Die „prozeduralen Fragen“ waren der sprichwörtlich letzte Strohhalm. Das Herunterspielen des Finanzministers und der Direktorin der Steuerverwaltung nutzten die Kläger vor den Richtern übrigens, um die Legitimität ihrer Aktiendeals zu belegen.

Sonderfall Steuerparadies

Ein wichtige Rolle spielt in Luxemburg bei diesen Geschäften das sogenannte Schachtelprivileg. Das sieht vor, dass Gewinne aus Beteiligungen an einem Unternehmen mit einem Wert von über 1,2 Millionen Euro (oder mehr als zehn Prozent) steuerfrei sind, wenn sie mehr als ein Jahr lang gehalten werden. Die Cum-Ex-Geschäfte, die in Luxemburg durchgeführt wurden, spielten alle mit dieser Regel.

Für die „softe“ Variante Cum-Cum bedeutet dieses Prinzip, dass es in Luxemburg einerseits einfacher durchzuführen ist. Es gibt mehr Akteure, an die man seine Aktien verleihen kann, um am Ende keine Steuern zu zahlen. Andererseits haben auch weniger Investoren Bedarf an aktiver Steuervermeidung, weil sie sowieso nichts zahlen.

Ein weiterer Faktor beeinflusst den Schaden aus der Steuervermeidung mit Cum-Cum-Geschäften. Im LuxX-Börsenindex sind im Grunde nur ArcelorMittal, SES und RTL Group für internationale Finanzakteure interessant. Aber die Luxemburger Unternehmen haben gewichtige Hauptaktionäre. Bertelsmann hält drei Viertel an RTL Group und die Familie Mittal knapp über ein Drittel von ArcelorMittal. Sprich: Sie haben keinen Bedarf für Cum-Cum-Geschäfte, weil die Dividenden durch die Größe der Beteiligung ohnehin nicht besteuert werden.

Insider bestätigten Reporter.lu jedoch, dass Cum-Cum-Geschäfte in Luxemburg häufig sind, auch wenn es meist um ausländische Aktien und damit Steuergelder anderer Länder geht. Die Infrastruktur besteht jedenfalls. Dazu kommt, dass Luxemburger Investmentfonds nicht vom Schachtelprivileg profitieren. Halten sie Aktien von ArcelorMittel, SES oder RTL Group, dann könnten sie durch Cum-Cum die Quellensteuer vermeiden. Der Schaden begrenzt sich also nicht nur auf ausländische Aktienbesitzer, auf die sich die Zahlen der Forscher beziehen.

„Cum-Cum-Geschäfte sind ein Produkt auf den Finanzmärkten wie etwa Investmentfonds“, betont Professor Christoph Spengel. Die Annahme, dass nur die Hälfte der ausländischen Aktienbesitzer darauf zurückgreift, sei konservativ. Aber: „Kein Finanzminister weiß, wie viele ausländische Aktienbesitzer in Cum-Cum-Geschäften aktiv waren. Niemand weiß das.“

Eine Frage der Zuständigkeiten

Doch das Dividenden-Stripping ist nicht nur ein Problem, mit dem sich die Steuerverwaltung befassen muss. Es ist auch eine Herausforderung für die Finanzaufsicht, also in Luxemburg für die „Commission de surveillance du secteur financier“ (CSSF). Die steuergetriebenen Geschäfte werden durch Banken und Investmentfonds mitgestaltet – also Finanzfirmen, die die CSSF direkt kontrolliert.

Die Finanzaufsicht ist in diesem Dossier aber noch schmallippiger als die Steuerverwaltung. Detaillierte Fragen von Reporter.lu wollte die CSSF nicht beantworten – teils mit dem Verweis auf das Berufsgeheimnis. In der Sitzung der Finanzkommission von September 2019 war Generaldirektor Claude Marx anwesend, aber im Protokoll findet sich keine Stellungnahme von ihm.

Reporter.lu liegen exklusiv die Antworten der Luxemburger Finanzaufsicht an die EU-Behörden vor. Sowohl die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) als auch die Europäische Bankenaufsicht (EBA) führten in der Folge der „CumEx Files“ Untersuchungen durch. Zu diesem Zweck befragten sie die nationalen Aufsichtsbehörden.

Bei der CSSF sorgte dies für eine gewisse Verlegenheit. Die Behörde sei nicht für die Durchsetzung von Steuergesetzen zuständig, betonte sie gegenüber der ESMA. Zudem teilten andere Behörden, wie etwa die Steuerverwaltung, nicht unbedingt „relevante Informationen“ mit der CSSF, heißt es weiter.

Anders ausgedrückt: Die CSSF scheint davon auszugehen, dass Cum-Ex-Fälle nicht in ihre Kompetenz fallen. Es habe einen Austausch mit ausländischen Aufsichtsbehörden und mit Justizbehörden gegeben. Aber die CSSF habe keine eigenständigen Untersuchungen der Fälle durchgeführt. Dabei ist die Beteiligung von Luxemburger Finanzakteuren an Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften belegt und von beachtlichem Umfang. Es mangelt also nicht an Fällen, die die CSSF aufarbeiten könnte.

Drei Banken und sieben Investmentfonds

Die Angaben jener Behörde, die dem Finanzministerium untersteht, sind brisant. Drei Banken mit Sitz in Luxemburg sind Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, schreibt die CSSF in ihrer Mitteilung an die ESMA. Im Dokument, das Reporter.lu vorliegt, sind die Namen der Kreditinstitute geschwärzt. In einem Fall gab die CSSF das Dossier an die Staatsanwaltschaft weiter. Die Ermittlungen seien aber eingestellt worden, weil die Entscheidungen im Ausland gefallen seien, betonte die Behörde gegenüber der EBA.

Zusätzlich berichtet die CSSF der ESMA, dass Luxemburger Investmentfonds Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen und Schweden tätigten. Sie betonte, dass diese Liste unvollständig sein könnte. Die Finanzaufsicht geht vom Zeitraum von 2011 bis 2013 aus, in dem die bekannten Fälle stattfanden.

Die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF führte keine eigenständigen Untersuchungen zu Cum-Ex-Deals durch, tauschte sich aber in mehreren Fällen mit in- und ausländischen Behörden aus. (Foto: Christian Peckels)

Das Ausmaß ist laut Recherchen von Reporter.lu nicht zu unterschätzen. In den „CumEx Files“ sind namentlich sieben Luxemburger Investmentfonds genannt, die Gegenstand von Ermittlungen der deutschen Staatsanwälte sind. Unangenehm für die CSSF: Dabei handelte es sich um Fondsgesellschaften der Kategorie „SICAV-FIS“ und „FCP-FIS“, die formal streng von der Behörde überwacht und zudem vor dem Start genehmigt werden mussten. Die CSSF wollte dieses Rechercheergebnis auf Nachfrage von Reporter.lu nicht kommentieren.

Aus den Dokumenten der "CumEx Files 2.0" lässt sich schließen, dass die CSSF die Tricks der Steuerbetrüger offenbar für legal hielt. Es sei nicht klar, ob bei diesen Geschäften eine Gesetzeslücke genutzt wurde oder nicht, sagte die CSSF im Gespräch mit Reporter.lu im Juli 2019.

Inzwischen warnt die Finanzaufsicht aber den Fondssektor, dass Cum-Ex-Deals als Straftaten die Luxemburger Akteure einem Geldwäscherisiko aussetzen würden. Seit der Steuerreform von 2017 machen sich Personen, die an schwerer Steuerhinterziehung beteiligt waren, der Geldwäsche schuldig. Die Fälle der Luxemburger Banken und Investmentfonds liegen zeitlich aber vor dieser Änderung.

In Zukunft könnte die CSSF einen besseren Durchblick bekommen. Ein Gesetzentwurf sieht eine engere Zusammenarbeit zwischen der Finanzaufsicht und dem „Enregistrement“ im Bereich der Mehrwertsteuer und der „Taxe d’abonnement“ vor. Ob ein Informationsaustausch auch zwischen CSSF und der „Administration des contributions directes“ geplant sei, ließ das Finanzministerium auf Nachfrage offen.

Der schwierige Kampf gegen Dividenden-Stripping

Doch was könnte die Regierung darüber hinaus tun, um Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte zu unterbinden? Die Steuerdirektorin Pascale Toussing glaubt nicht an eine einfache Lösung. „Es ist schwierig, sich eine Gesetzesänderung in diesem Kontext vorzustellen“, sagte sie 2019 vor der Finanzkommission.

Experten, mit denen Reporter.lu sprach, sehen die Möglichkeit, dass die Steuerverwaltung Dividenden-Stripping als Missbrauch des Steuerrechts („abus de droit“) bekämpfen könnte. Dazu müsste sie aber die gesamte Struktur kennen. „Die Teilnehmer an Cum-Cum-Transaktionen legen nie das ganze Schema offen. Eine Anti-Missbrauchsklausel kümmert sie nicht“, betont der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Spengel.

Cum-Ex, ein weltweiter Skandal

- 2015 stellte die dänische Regierung fest, dass Cum-Ex-Fälle in ihrem Land einen Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht hatten. Die dänische Steuerverwaltung prozessiert seitdem in mehreren Ländern, um das Geld zurückzuerlangen. Die Verfahren dauern an.
- 2013 begannen die Ermittlungen der deutschen Justiz gegen den Cum-Ex-Betrug. Inzwischen laufen Verfahren in München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und Köln. Die Liste der Beschuldigten umfasst 745 Personen aus mindestens 16 Ländern.
- Der deutsche Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geriet im deutschen Wahlkampf unter anderem wegen seiner Rolle in der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals in Bedrängnis. Ein Untersuchungsausschuss prüft derzeit, ob es Einflussnahme durch Politiker auf die Finanzbehörden gab.
- In den USA handelten Banken und Investmentfirmen mit europäischen Aktien mittels sogenannter „American Depositary Receipt“ (ADR). Die als „Cum-Fake“ bekannte Variante verursachte laut neuen Schätzungen einen Schaden von über 500 Millionen Euro von 2009 bis 2020. Luxemburg scheint bisher davon nicht betroffen.

In unserem Dossier finden Sie noch mehr Hintergrundartikel zum Cum-Ex-Skandal und seinen Verbindungen nach Luxemburg.

Bei der Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie „Atad 2“ hat Luxemburg zudem einen Absatz eingefügt, den die ausgewiesenen Steuerexperten Alain Steichen und Jean Schaffner als Maßnahme gegen Cum-Ex-Geschäfte verstanden haben. Das bestätigten beide im Gespräch mit Reporter.lu. Als damaliger Abgeordneter hatte Franz Fayot (LSAP) ebenfalls die Änderung in diesem Sinne aufgefasst. Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs stritt die Steuerverwaltung aber vor der Finanzkommission ab, dass es dabei um Cum-Ex-Geschäfte gehe.

Luxemburgs Nachbarländer änderten allerdings ihre Gesetzgebung, auch wenn manche Experten deren Wirksamkeit bezweifeln. Nach Bekanntwerden der Cum-Ex-Geschäfte änderte Belgien seine Gesetzgebung Anfang 2019. Das Ziel war unter anderem, das Schlupfloch zu schließen, das Sanjay Shah beschreibt. Zudem müssen ausländische Pensionsfonds Aktien mindestens 60 Tage besitzen, um die Quellensteuer erstattet zu bekommen.

Frankreich beschloss ebenfalls kurz nach den „CumEx Files“ im Dezember 2018, Klauseln gegen Cum-Cum-Geschäfte. Auch hier ging es um die Haltedauer der Aktien und die Einschränkung des kurzfristigen Verleihens von Wertpapieren um den Tag, an dem die Dividenden ausgeschüttet werden. Allerdings gehen Experten davon aus, dass diese Hürden einfach zu umgehen sind, berichtete „Le Monde“.

Niederlande und Deutschland greifen durch

Auch Deutschland hat versucht, gegen Cum-Ex und Cum-Cum vorzugehen. Doch die dubiosen Deals gehen weiter. Noch in diesem Juli hat das deutsche Bundesfinanzministerium seine Haltung verschärft: „Die Umgehung der [Kapitalertragssteuer] ist missbräuchlich und führt zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil.“

Die Botschaft dahinter: Cum-Cum wird in Deutschland nicht länger toleriert. Das hat bereits Konsequenzen: Die niederländische Bank ABN Amro nahm im zweiten Quartal eine Rückstellung in Höhe von 79 Millionen Euro vor, weil nicht ausgeschlossen sei, dass die deutschen Finanzbehörden diese Summe aufgrund von Cum-Cum-Geschäften zurückfordern werden. Das berichtete das niederländische Investigativmagazin „Follow the money“.

Die Niederlande gehen dagegen noch forscher vor. Die US-Bank Morgan Stanley ist Gegenstand einer strafrechtlichen Ermittlung der niederländischen Staatsanwaltschaft wegen der Beteiligung an Cum-Cum-Geschäften, schreibt ebenfalls „Follow the Money“.

Der Tipp von Sanjay Shah

Von seinem Wohnsitz in Dubai verteilt Sanjay Shah als früherer Cum-Ex-Mastermind Noten, wie gut oder schlecht Staaten das in seiner Sicht bestehende Schlupfloch in den Gesetzen geschlossen haben. Im Interview mit „ARD Panorama“ kommt Dänemark am schlechtesten weg. Das ist wenig überraschend, denn die dänischen Behörden prozessieren gegen ihn in neun Ländern. Verlässt der britische Investmentbanker sein Domizil in den Vereinigten Arabischen Emiraten, droht ihm die Verhaftung und die Auslieferung nach Dänemark.

Für ein Land hat Sanjay Shah jedoch besonderes Lob parat. „Die Schweizer haben einen sehr guten Job gemacht. Sie haben die beteiligten Leute hart bestraft“, sagt der frühere Hedgefonds-Manager. In der Essenz lautet sein Tipp: Gute Gesetze machen und von Gerichten klar stellen lassen, was geht und was nicht.

Tatsächlich hat die Eidgenössische Steuerverwaltung festgelegt, dass Erstattungsanträge einer bestimmten Dividende zugeordnet werden können. Mehrfache Rückzahlungen sollen so unmöglich werden. Zudem ging die Schweiz gegen einen wesentlichen Baustein des Dividenden-Strippings vor: Werden Aktien um den Zeitpunkt der Gewinnausschüttung gehandelt, fließen Kompensationszahlungen an den Handelspartner für Dividenden und Ausleihgebühren. Diese Zahlungen besteuert die Schweiz und macht damit die steuergetriebenen Geschäfte unrentabel. Die USA verfolgen übrigens einen ähnlichen Weg.

Zu Luxemburg äußerte Sanjay Shah sich in seinem Interview nicht, aber die Note fiele wahrscheinlich nicht sehr gut aus. Die Ermittlungen gegen seine Luxemburger Firmen "Athena Equity Trading", "Pallas Equity Trading", "Pandia Equity Trading" laufen noch, bestätigte ein Sprecher der Luxemburger Justiz auf Nachfrage von Reporter.lu. Ein Abschluss sei aber aufgrund des Umfangs des Falles derzeit nicht absehbar. Insgesamt ermittelt die Luxemburger Justiz gegen sieben Investmentfirmen, wie "Bloomberg" berichtete. Auch in Belgien ermittelt die Justiz weiterhin gegen Sanjay Shah, schreibt „De Tijd“.

Luxemburg macht also das exakte Gegenteil, vom dem, was in der Schweiz zum Erfolg führte. Die Steuerverwaltung geht gegen Betrugsversuche nur zögerlich vor, die Finanzaufsicht CSSF schiebt die Verantwortung von sich und der Finanzminister ignoriert das Problem oder spielt es herunter.


Reporter.lu recherchiert weiter zu den Verbindungen zwischen der Cum-Ex-Affäre und dem Luxemburger Finanzplatz. Wenn Sie Informationen zu diesen Geschäften haben, erreichen Sie unseren Reporter Laurent Schmit per E-Mail (öffentlicher Schlüssel), über den verschlüsselten Dienst Keybase oder über den sicheren Messenger Threema (ID: XJ8W8WWK). Alle Hinweise unterliegen dem Quellenschutz.


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