Soziale Medien sind fester Bestandteil unseres Alltags geworden. Doch Selbstinszenierung, Datenklau und Suchtverhalten lassen immer mehr Menschen skeptisch werden. Ein Selbstversuch.
Wer kein Facebook-Profil hat, fühlt sich dieser Tage mit Nachrichten über Datenklau, Cambridge Analytica und Co natürlich bestätigt. Warum sollte man seine Daten freiwillig ins Netz stellen, sodass Großkonzerne sich fröhlich daran bedienen können?
Die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten der Überwachung, die man vor zehn Jahren noch eher in George Orwells Romanen angesiedelt hätte, als in der realen Gegenwart. Aber nicht nur die Überwachung stellt ein Problem dar, auch die schiere Flut an Informationen, die unseren Alltag durchzieht, erweist sich selbst für unsere anpassungsfähige Spezies als schwierig. So auch für mich.
Vor mehr als zehn Jahren, so um 2007 herum, habe ich mir ein Facebook-Profil angelegt. Damals hat sich die Plattform noch wie ein Dorf angefühlt. Man hatte vielleicht hundert Freunde und postete Abitur-Fotos. Von Selfies keine Spur. Wir vernetzten uns in der virtuellen Welt miteinander, es fühlte sich gut an, eine ganze Weile lang.
Wendepunkt Smartphone-Nutzung
Irgendwann kam der Wendepunkt. Das muss gewesen sein, als die Menschen angefangen haben vermehrt Facebook auf ihrem Smartphone aufzurufen. Jeder Menschen, den man von früher kannte, schickte eine Freundschaftsanfrage, die man widerwillig annahm. Das Dorf wurde zur Stadt, dann zur Metropole. Man loggte sich nicht nur einmal täglich zu Hause auf dem Rechner ein, sondern das soziale Medium war dank des Handys stets überall dabei.
Mein Newsfeed fing an, sich mit Inhalt zu füllen, der mich nicht interessierte. Die Selbstinszenierung wuchs. Schaut her, was habe ich für eine tolle Hochzeit gehabt. Und einen noch schöneren Urlaub. Ein oder zwei virtuelle Freunde, die sich außerhalb meines politisch-sozialen Realitätstunnels bewegen, posteten dubiose politische Inhalte. Andere Kontakte aus der Uni-Zeit benutzten soziale Medien um 200 bis 300 Likes über ihre Depression zu generieren. „Solidarität!“, stand mit einer großen Faust darunter. Ich begann, mir Fragen zu stellen. Soll das den Effekt einer realen Umarmung ersetzen?
Narzissmus ist einer der größten Motivatoren für den regelmäßigen Gebrauch von sozialen Medien. Es geht darum, sich im Netz als begehrenswert und interessant zu stilisieren.Gisela Kaiser, Psychologin und Buchautorin
Gisela Kaiser, Psychologin und Autorin des Buches “Digitale Süchte – Appst Du schon oder lebst Du noch?” steht der von ihr beobachteten, gesamtgesellschaftlichen Abhängigkeit von Technologie – also von sozialen Medien ebenso wie Smartphones – äußerst skeptisch gegenüber. “In den letzten Jahrhunderten gab es immer Angst vor neuen Erfindungen, sowohl vor der Eisenbahn als auch vor dem Buchdruck. Für mich ist jedoch seit das Smartphone da ist ein Paradigmenwechsel in unserem ganzen Verhalten passiert.”
Die Psychologin warnt vor Vereinsamung und davor, sich selbst durch die Annäherung zwischen Mensch und Maschine abhanden zu kommen. “Die Liebe oder Libido, wie es ein Psychoanalytiker nennen würde, bewegt sich auf Dauer dann nicht mehr in Richtung Partner oder Kinder, sondern Maschinen werden immer wichtiger. Normale Beziehungen werden in diesem Prozess abgelöst”, sagt sie.
Die Nutzung der sozialen Medien knüpft für sie an einer fundamentalen Angst an. “Die Grundangst des Menschen ist es, alleine und einsam zu sein. Die sozialen Medien haben es hervorragend geschafft, dass wir uns keine reale Freundesgruppe suchen müssen, uns da einfügen müssen, sondern dass das durch virtuelle Beziehungen ersetzt wird. Das ist ein raffinierter Vorgang, denn im Netz kann man natürlich lügen und alle möglichen Identitäten erproben.”
Algorithmus ist auch keine Lösung
Mein eigenes Verhalten begann sich über die letzten paar Jahre zu verändern. Ich versuchte Facebook für mich angenehmer zu gestalten, nutzte den Algorithmus „Weniger von dieser Person sehen“, wenn mir etwas missfiel. Es funktionierte nicht richtig. Öfters ertappte ich mich dabei, das Profil von jemandem anzuschauen, mit dem ich seit Jahren nichts zu tun hatte.
Meine engen Freunde schicken mir Fotos nun per E-mail. Oder sie zeigen sie mir, wenn ich sie sehe.
Ich bemerkte an mir selbst ein beklemmendes Suchtverhalten. Selbst postete ich immer weniger. Weil ich keine Lust hatte, selbstbestätigende Likes zu zählen. Und weil ich denke, dass mein Leben auch existiert, wenn ich es virtuell nicht abbilde. “Narzissmus ist einer der größten Motivatoren für den regelmäßigen Gebrauch von sozialen Medien. Es geht darum, sich im Netz als begehrenswert und interessant zu stilisieren”, sagt Gisela Kaiser. Die narzisstischen Tendenzen seien in jedem Menschen angelegt.
Und dennoch soll es ja um „Verbundenheit“ gehen. Das ist das Wort, das mit Netzwerk einhergeht. Connection. Eigentlich hätte ich mich also besser fühlen sollen, wenn ich einen Sonnenuntergang aus Thailand in meiner Newsfeed sah, einen guten Freund in den Wellen davor. Facebook verbindet mich doch mit allen die ich kenne! Eine Plattform, auf der wir alles miteinander teilen! Das ist das, was Marc Zuckerberg vermeintlich mit seinem Reich intendiert hat, “positive reinforcement” und so weiter. Eine Millisekunde Freude hatte ich auch ab und zu. Sie verschwand so schnell, wie man mit seinem Daumen nach unten scrollt.
Maßnahmen der Suchtbewältigung
Natürlich ist es wichtig, nicht in Schwarzmalerei zu verfallen. Zumal als Journalistin haben soziale Medien großen Recherchewert. Ich hatte viele Social-Media-Kanäle abonniert: Tageszeitungen, Magazine, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich fand Themen, über die ich schreiben konnte. Ich scrollte täglich mindestens eine halbe Stunde, oft eine Stunde durch den unendlichen Fluss an Informationen. Besonders zufriedenstellend war das auch beruflich nicht. Deshalb reduzierte ich meinen Gebrauch: Lediglich morgens ein Mal auf Facebook zu gehen und maximal 20 Minuten, das war mein Ziel. Und zunächst ungewohnt, wie alle neuen Gepflogenheiten.
Ein Stück Autonomie und Zeit für mich habe ich mir zurück geholt.
Eine Zeit lang fühlte ich mich besser. Doch die Zeit, die ich auf Facebook verbrachte, lief immer noch zu schnell und zu frenetisch. Und was gibt es bitte Schöneres, als mehr Müßiggang und Achtsamkeit im Alltag? Ja, ich rede von der stereotypen, aber so notwendigen Entschleunigung. Es mussten radikalere Schritte her. Mein Facebook-Profil sollte weg. Eine von mehr als zwei Milliarden aktiven monatlichen Nutzern, das bemerkt sicher niemand. Instagram hatte ich schon deaktiviert. Nach ein paar Tagen Entzugserscheinungen war das Geschichte gewesen.
Seit über fünf Monaten habe ich nun kein Facebook mehr. Den Messenger habe ich behalten. Den benutze ich ab und zu noch, um mit Freunden Kontakt aufzunehmen. Hätte ich den löschen müssen, wäre das auch in Ordnung gewesen. Meine engen Freunde schicken mir Fotos nun per E-mail. Oder sie zeigen sie mir, wenn ich sie sehe. Meinen Newsfeed vermisse ich nicht. Ich bin übrigens nicht die Einzige, die aussteigt: Die Marktforscher von eMarketer schätzten im Februar, dass in diesem Jahr die Zahl der Facebook-Nutzer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren in den USA erstmals überhaupt zurückgehen werde, und zwar um 5,8 Prozent. Bei den Zwölf- bis Siebzehnjährigen werde erstmals weniger als die Hälfte Facebook nutzen, hier betrage der Rückgang 5,6 Prozent.
„Mir geht es gut, sogar besser“
Die ersten Wochen landeten E-Mails von Facebook in meinem Posteingang, wo ich denn geblieben sei. „Nur ein Klick, und Sie sind wieder drin.“ Wenn ich in meiner Browser-Leiste Facebook eintippe, stehen sowohl meine E-Mail als auch mein Passwort bereit. Nur ein Klick. Das Bedürfnis, zurückzukehren, das die ersten Tage leicht im Hintergrund wummerte, ist verschwunden; einer Befreiung gleich. Als ich über Cambridge Analytica lese, lösche ich meine Facebook-Cookies, um mein Surfverhalten für Facebook weniger nachvollziehbar zu machen. Ich weiß, dass meine Facebook-Daten durch den Deaktivierungsprozess meines Profils nicht verschwunden sind. Ich muss es erst einmal hinnehmen.
Mir geht es gut, sogar besser. Online-Inhalte konsumiere ich natürlich trotzdem täglich. Aber bewusster. Ab und zu schaue ich auf den Twitter-Feed einer amerikanischen Psychologin, deren Werk ich schätze. Ich finde spannende journalistische Meinungsstücke auf den Homepages von Zeitungen. Ein Stück Autonomie und Zeit für mich habe ich mir zurück geholt. Ich denke nicht, dass ich es in absehbarer Zeit zurückgeben werde.