Das Vogelsterben ist auch in Luxemburg eine Realität. Manche Arten, die vor 40 Jahren noch wie natürlich zur heimischen Tierwelt gehörten, gibt es heute nicht mehr oder sie sind vom Aussterben bedroht. Die Politik teilt zwar die Diagnose, kann die Entwicklung aber auch nur bedingt aufhalten.
Ein Vorgarten in einem Vorort von Luxemburg-Stadt: In der Mitte der Anlage thront ein japanischer Zwergbaum, ansonsten nur kahle Steine, kein Unkraut, keine Blumen. Ganz einsam hängt ein Säckchen Vogelfutter im Bonsaibäumchen. Von zwitschernden Vögeln jedoch keine Spur.
Vögel gelten als Indikatoren der Artenvielfalt. Sie liegen den Menschen am Herzen, sind hör- und sichtbar im ländlichen wie im urbanen Raum. Wenn sie weniger werden, fällt es irgendwann auf. Doch die Idee, dass das menschliche Leben mit dem Aufkommen von Vögeln zusammenhängt, kommt nicht jedem in den Sinn.
Dabei ist das Vogelsterben auch in Luxemburg eine nicht abnehmende Realität. Zwar wurden laut „natur&ëmwelt“ in Luxemburg bis 2016 immer noch 329 Vogelarten nachgewiesen. Allerdings gelten mittlerweile 13 Vogelarten als ausgestorbene Brutvögel, sieben weitere Arten sind akut vom Aussterben bedroht.
Fehlende natürliche Nahrungsquellen
„Den Vögeln fehlt ein Wohnzimmer“, sagt Patric Lorgé, Ornithologe vom „Biodiversum“ in Remerschen. Die natürliche Pflanzenwelt habe auch in Luxemburg durch die großräumige Landwirtschaft und den anhaltenden Städtebau notgedrungen abgenommen. Dabei tragen etwa Schlehensträucher oder Rosengewächse Früchte und Samen, die den Vögeln im Herbst und Winter als Nahrungsquelle dienen. Zudem sorgen sie für Lebensraum für Insekten, die wiederum in wärmeren Monaten zur Nahrung für viele Vogelarten werden.
Nicht nur in den Städten, sondern auch auf Feld und Wiese sind die Vögel laut dem „European Bird Census Council“ europaweit bedroht. Seit den 1980er Jahren sind die Brutbestände, also Vögel, die sich an einem Ort niederlassen und fortpflanzen, um über 50 Prozent zurückgegangen. Landwirtschaft und Weinanbau haben die Landschaften stark verändert. Das blieb nicht ohne Folgen für die angesiedelten Vogelarten.
„Eine intensivere Landwirtschaft hängt mit dem Artensterben zusammen. Das können wir nicht länger ignorieren“, sagt auch Elisabeth Kirsch von „natur&ëmwelt“. So wurden Feuchtwiesen trockengelegt, um sie landwirtschaftlich zu nutzen. Dabei sind diese kleinen Feuchtgebiete für einige Vogelarten das perfekte „Wohnzimmer“. Der Einsatz von Pestiziden hat die Entwicklung beschleunigt. Aber auch die Bauern seien „Gefangene des Systems“, die man nicht an den Pranger stellen solle, betont Elisabeth Kirsch.
Unabhängig von der Schuldfrage bleibt die Schlussfolgerung der Experten aber die gleiche: Weniger nahrungsreiche Pflanzen und weniger Insekten bedeuten weniger Nahrungsquellen für die Vögel und insgesamt eine schlechtere Biodiversität.
Weniger Insekten, weniger Artenvielfalt
Eine groß angelegte Studie hat 2017 Belege für das massive Insektensterben und damit die Bedrohung der Artenvielfalt von Vögeln geliefert. Über einen Zeitraum von 27 Jahren wurden so in Deutschland 75 Prozent weniger Insekten in schon geschützten Gebieten festgestellt. Nebenbei erwähnt die Studie, dass 60 Prozent der Vögel auf Insekten als primäre Nahrungsquelle angewiesen sind. Eine direkte Konsequenz dieser Verarmung ist daher, dass verschiedene Vögel ausgestorben oder vom Aussterben bedroht sind.
Ein Beispiel dafür ist der Raubwürger: Seit den 1980er Jahren gab es in Luxemburg einen Rückgang von 94 Prozent. 2006 konnten noch 120 Paare gezählt werden, vergangenes Jahr waren es sechs. Ähnlich dramatisch ist die Lage des Kiebitzes. Das Braunkehlchen ist ein weiteres Negativbeispiel: Heute steht dieser Singvogel auf der roten Liste von bereits oder fast verschwundenen Vogelarten. Die Liste wird alle fünf Jahre überarbeitet und mit neuen Daten gespeist. Die neuste Version für Luxemburg soll im kommenden Herbst veröffentlicht werden.
Hoffnung setzt die Ornithologin Elisabeth Kirsch auf die Reform der europäischen Agrarpolitik: „Wir brauchen konkrete und beträchtliche Naturschutzmaßnahmen.“ Zwar gibt es in der Agrarpolitik unter anderem das Instrument der Landschaftspflegeprämie. Diese Beihilfe zur Förderung einer umweltgerechten Landwirtschaft reiche aber bei weitem nicht aus, um das Problem des Artensterbens in den Griff zu bekommen, so Kirsch.
Naturschutz als politische Priorität
Kontraproduktiv wirke in ihren Augen zudem die Flächenprämie, die Bauern dazu bringe, immer größere Flächen zu bearbeiten. Solange es keine interessanten finanziellen Anreize für Umweltmaßnahmen gebe, könnten sogenannte „Greening“-Instrumente nicht greifen, meint auch Laure Cales von „natur&ëmwelt“. Die aktuelle staatliche Förderung der Diversifizierung und des Erhaltes des bestehenden Dauergrünlands würde nicht ausreichen.
Der Naturschutzverein bemängelt zudem die fehlende Entschlossenheit der Regierung. Von der beweisbaren Dringlichkeit, beim Artensterben gegenzusteuern, sei das neue Regierungsprogramm weit entfernt. Die Stärkung der Biodiversität und der „Kampf gegen das massive Verschwinden der Insekten“ wird im blau-rot-grünen Abkommen zwar ausdrücklich erwähnt. Zudem wird ein „Aktionsprogramm“ angekündigt. Elisabeth Kirsch und Laure Cales von „natur&ëmwelt“ fordern jedoch mehr. Der Naturschutz müsse endlich glaubhaft als politische Priorität anerkannt werden.
Dabei ist Vogelschutz keine neuere Errungenschaft: Bereits 1979 hat die erste europäische Vogelschutzrichtlinie auf den Schutz der am meisten bedrohten und seltensten Arten gesetzt. Die europäischen Regeln verlangen von den Mitgliedstaaten unter anderem das Ausweisen von besonderen Schutzgebieten. Luxemburg zählt 18 Vogelschutzgebiete.
Punktuelle Erfolge beim Artenschutz
Punktuell wurden die Lebensräume der gefährdetsten Arten auf diese Weise auch verbessert. Der Weißstorch, der Uhu und der Wanderfalke konnten beispielsweise in unseren Gegenden erhalten bleiben. Doch die politischen Ansätze von vor 40 Jahren reichen heute nicht mehr aus, um alle Arten zu schützen. Punktuelle Projekte erreichen zudem keine Verbesserung der gesamten Biodiversität.
Mittlerweile hat sich das Sterben nämlich auf viele weitere Gattungen ausgebreitet. Patric Lorgé vom „Biodiversum“ nennt das Beispiel des Hausspatzen. Auch bei dieser häufig vorkommenden Art seien Rückstände zu verzeichnen. So sei der Spatz in der Hauptstadt kaum noch anzutreffen. Andere Arten wie die Amsel können sich dagegen besonders gut anpassen und deren Bestände seien deshalb über die Jahrzehnte stabil geblieben.
Auch den Waldvögeln geht es mit einem Rückgang von nur sechs Prozent seit den 1980er Jahren relativ gut. Die Forstwirtschaft sei in Europa nicht besonders auf Produktion ausgelegt, lautet ein Grund dafür. Anders als die Landwirtschaft sei der Wald als Lebensraum in Luxemburg nachhaltiger verwaltet worden, so Patric Lorgé. Als „Wohnzimmer“ kommt er aber nicht für alle Vogelarten in Frage.