Alexej Nawalny gilt im Westen als politische Hoffnung für Russland. Dabei beschreiben Experten den Oppositionspolitiker als Populisten mit nationalistischen Tendenzen. Annäherung an einen paradoxen Charakter.
Alexej Nawalny ist der Kandidat, der nicht sein durfte: Bei der heutigen Präsidentschaftswahl in Russland steht sein Name nicht auf den Stimmzetteln. Ende Dezember hatte die zentrale russische Wahlkommission den Anti-Korruption-Aktivisten definitiv von der Wahl ausgeschlossen. Um teilnehmen zu können, hätte Nawalny eine Sondergenehmigung gebraucht, da gegen ihn zur Zeit eine Bewährungsstrafe wegen Betrugs gilt. Doch dieses Urteil ist umstritten: Nawalny und seine Anhänger bezeichnen es als politisch motivierte Vergeltungsaktion des Kreml, und rufen dazu auf, die Präsidentschaftswahl zu boykottieren.
Der ausgebildete Rechtsanwalt hat sich in den letzten Jahren mit scharfer Korruptionskritik als Oppositionspolitiker in Russland etabliert. Seit rund zehn Jahren nutzt Nawalny diverse Weblogs, um Korruption in russischen Staatsbetrieben anzuprangern. Putins Regierungspartei „Geeintes Russland“ nannte er einmal die „Partei der Gauner und Diebe“.
Vor gut einem Jahr gelang ihm schließlich einer seiner größten Coups als er eine 50-minütige Dokumentation veröffentlichte, die Premier Dmitri Medwedew der Korruption bezichtigt. Das Video verbreitete sich auf Social Media über 20 Millionen mal.
Zwischen Liberalismus und Nationalismus
Um sich für die Präsidentschaftswahl zu positionieren, hatte Nawalny den Wahlkampf bereits eröffnet, bevor überhaupt klar war, ob er zur Wahl zugelassen würde. Letztes Jahr baute er ein Netzwerk von Kampagnen-Büros auf, das von Freiwilligen betrieben wird, und in über 80 russischen Städten eine Niederlassung hat. Allerdings ist nur schwer abzuschätzen wofür ein Präsident Nawalny eigentlich stehen würde.
In westlichen Medien werde Nawalny häufig als „positiver Faktor dargestellt, der gegen das böse Konservative kämpft,“ so der Politologe Alexander Rahr im Gespräch mit REPORTER. Das sei aber ein „Trugschluss“. Nawalny halte sich in größeren politischen Fragen „taktisch bedeckt.“ Man wisse daher nicht ob er eine „westlich liberale“ Position vertrete, oder doch eher eine „national russische“ Sichtweise.
Rahr, der die Seite Russlandkontrovers.com betreibt, kommt in deutschen Medien häufig als Russland-Experte zu Wort. Verschiedene Beobachter bezeichnen ihn als Putin-nah, doch mit seinen Einschätzungen zu Alexej Nawalny steht der umstrittene Politologe nicht alleine da.
Auch Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sagt, Nawalny sei kein liberaler Politiker nach westlichem Verständnis: „Er ist eher Nationalist, er ist ein Patriot, der für die Krim-Annexion ist.“ Mit diesen Positionen stoße er „in der breiten russischen Bevölkerung auf viel mehr Resonanz“ als die „klassischen liberale Kräfte“.
Man müsse sich bewusst sein, dass „Liberalismus“ und „offene Märkte“ nach den chaotischen Erfahrungen der 1990er Jahre „diskreditierte Begriffe“ seien. Mit klassischen liberalen Positionen erreiche man in Russland nur „eine kleine städtische Schicht von 2-3 Prozent“ der Wähler. Der Großteil der Bevölkerung sei dagegen „eher konservativ, und eher nationalistisch,“ so Meister.
Keine wirkliche Gefahr für das System Putin
Nawalny schlug in der Vergangenheit mehrfach in diese Kerbe, und fiel mit teils derben Aussagen gegen Einwanderer auf. In einem kurzen Video verglich er kaukasische Einwanderer 2008 mit Kakerlaken, die man beseitigen müsse. Auch im Wahlkampf für das Amt des Oberbürgermeisters von Moskau, machte er 2013 Stimmung gegen Zuwanderer aus dem Kaukasus, und erreichte damit 27 Prozent der Stimmen.
Stefan Meister betont, Nawalny hätte seine „patriotisch, nationalistische“ Line mittlerweile „abgeschwächt“. Heute stelle Nawalny den Kampf gegen die Korruption und die Beteiligung der Bürger am politischen Prozess in den Fordergrund, so der DGAP-Forscher. Seine wirtschaftspolitischen Positionen blieben dagegen weiterhin vage: „Er ist gut darin die Schwächen des Systems aufzuzeigen. Aber er ist in dieser Hinsicht eher ein Populist. Denn ein durchdachtes Programm, was auch wirtschaftlich funktionieren würde, sehe ich bei ihm nicht.“
Trotz solcher Kritiken, sieht Jussi Lassila den Oppositionspolitiker in der heutigen Situation als „sehr begrüßenswerten Faktor“. Nawalny bringe eine „neue politische Kultur nach Russland,“ weil er die Bürger ermutige sich an der Politik zu beteiligen, so der Politikwissenschaftler vom Finnish Institute of International Affairs in Helsinki: „Populismus kann, in meinen Augen, sehr hilfreich sein, um die Fehler des politischen Establishments zu korrigieren. Aber wenn ein Populist an die Macht kommt, haben wir ein Problem. Dann kann es gefährlich werden.“
Doch alle drei Experten sind sich einig: Auch wenn Nawalny an der heutigen Wahl teilgenommen hätte, hätte er keine reelle Chance gehabt, Präsident Putin vom Thron zu stoßen. Nawalnys Rückhalt in der Bevölkerung sei dafür ganz einfach zu gering.