Das Geschäft mit den Zusatzversicherungen boomt, auch in Luxemburg. Dabei ist die gesetzliche Gesundheitsversorgung eigentlich besser als in anderen europäischen Staaten. Und doch fördert das System in bestimmten Fällen eine Zwei-Klassen-Medizin. 

„Meine Kollegen aus dem Ausland fragen mich immer, was ich hier eigentlich mache“, sagt Stefan Pelger. Laut dem CEO der „DKV Luxemburg“ hat das Großherzogtum eines der „leistungsstärksten Gesundheitsversicherungssysteme in Europa“.

Die von Pelgers Unternehmen angebotene Zusatzversicherung müsste demnach eigentlich überflüssig sein. Tatsächlich ist der Leistungskatalog der Gesundheitskasse im Vergleich zu anderen Ländern breit aufgestellt. Doch viele Leistungen werden nur zu einem kleinen Teil von der CNS übernommen. Der Rest wird privat abgerechnet. Vor allem Zahn- und Augenbehandlungen können für die Patienten teuer werden.

Kein Wunder also, dass die Branche der Zusatzversicherungen in Luxemburg rund 165.000 Kunden zählt. Die nationale Genossenschaft „Caisse Médico-Complémentaire Mutualiste“ (CMCM) zählt noch einmal zusätzliche 270.000. Wer privat nicht ganz so tief in die Tasche greifen will, der sichert sich ab.

Allein die DKV hat in Luxemburg mittlerweile 65.000 Kunden. Medicis (Foyer Assurances) zählt knapp 60.000, die AXA 35.000. Die Prämien, die sich im Versicherungsbereich „Gesundheit“ verdienen lassen, sind von 2017 auf 2018 von 82 Millionen auf 87 Millionen gestiegen. Ein Plus von sechs Prozent. Fest steht: Die Privatversicherungen bieten etwas an, was die CNS als öffentliche Gesundheitskasse nicht leisten kann.

Mehr Komfort fürs Geld

Zusatzversicherungen geben ihren Kunden ein „Mehr“ an Absicherung. Mehr Komfort, mehr Flexibilität. Es geht über das medizinisch Notwendige der Gesundheitskasse hinaus. Zahnimplantate, Einzelbettzimmer im Krankenhaus, Alternativmedizin, Behandlungen im Ausland – all das übernimmt die Kasse nicht oder nur einen kleinen Teil davon. Hier kommen die Versicherungsgesellschaften ins Spiel.

Im Ausland sind private Zusatzpolicen besonders beliebt, weil die Politik die Leistungskataloge der gesetzlichen Krankenkassen stark eingegrenzt hat. In Luxemburg gelten sie dagegen als Luxus, den man sich leisten kann, oder eben nicht.

Was bei der CNS als „Nice to have“ eingestuft wird, verkaufen die Versicherungen als „Must Have“. Sie können dort punkten, wo die Hilfe der CNS überschaubar ist. Und gerade heute, da alternative Medizin kein Randphänomen mehr ist, sind immer mehr Patienten dazu bereit, darin zu investieren.

Das merkt man auch schon an Stefan Pelgers Ausdrucksweise. „Wenn der Kunde das wünscht“, kann er von der DKV vieles bekommen. „Wenn er das will“, auch. Dafür muss er nur zahlen. Und je mehr er zahlt, desto mehr darf er sich von seiner Police erhoffen.

Ob er die überhaupt irgendwann mal braucht, sei dahingestellt. „Die beste Versicherung ist immer die, die wir nicht brauchen“, so Stefan Pelger. „Beim Auto müssen wir auch eine Versicherung abschließen. Das ist uns meist sogar so wichtig, dass wir Vollkasko zahlen. Warum investiert der Mensch nicht mehr in seine Gesundheit?“

Es fehlt an Transparenz

Was der Kunde dabei konkret bezahlt, erfährt er meist erst kurz vor Vertragsabschluss. Die Anbieter werben zwar alle online mit ihren Policen, zeigen aber keine Preise an. Wer mehr wissen will, muss das Gespräch mit einem Versicherungsagenten suchen.

Fest steht aber: Je jünger und fitter der Kunde, desto günstiger wird die Versicherung. Auch der Zeitpunkt für einen Vertragsabschluss spielt demnach eine Rolle. Für jemanden um die 30 fallen in der Regel zwischen 50 und 60 Euro im Monat an. Zum Vergleich: Bei der Genossenschaft „Caisse Médico-Complémentaire Mutualiste“ (CMCM) gilt für Kunden ab 30 Jahren ein Basistarif von rund 20 Euro.

Die Caisse Médico-Complémentaire Mutualiste gibt es seit 1956. Konkurrenz hat sie in den vergangenen 30 Jahren von mehreren privaten Versicherungsgesellschaften bekommen. (Foto: Matic Zorman)

Ob er überhaupt für eine Zusatzversicherung infrage kommt, entscheidet ein Gesundheitscheck. Anhand eines Fragebogens oder eines Besuchs beim Arzt will die Versicherung herausfinden, wie hoch der Preis für die Rundumversorgung ausfällt. „Bestimmte Vorerkrankungen können wir aber nicht mitversichern“, sagt Stefan Pelger. Wenn das Risiko zu groß ist, wird der Kunde zum Problemfall. Denn: Nur was heute gesund ist, kann für morgen versichert werden. Wer nicht gesund ist, kann deshalb auch abgelehnt werden. Das sei aber nur äußerst selten der Fall, behaupten die unterschiedlichen Versicherer.

Strenge Regeln

„Jeder weiß: Je jünger man ist, desto gesünder“, so Marc Hengen, Präsident der „Compagnies d’Assurances et de Réassurances“ (ACA). Er sagt auch, dass Versicherungen zwar ein Business sind, dass man sich dennoch an klare Regeln halten muss. Willkürlich sei nichts. Weder Preiserhöhungen noch Kündigungen. All das sei gesetzlich festgelegt. Kontrolliert wird die Branche vom „Commissariat aux Assurances“. Jede Versicherungsgesellschaft müsse deshalb auch eine Reserve aufweisen können, um ihre Kunden finanziell abdecken zu können.

Was jedoch nicht festgelegt ist, ist der Tarif-Dschungel mit unterschiedlichen Regeln und Leistungen, der auf den Patienten wartet. Bei AXA gibt es drei unterschiedliche Pakete, bei der DKV vier, bei Medicis zwei. Diese können auch personalisiert und preislich angepasst werden. Nach Wunsch der Kunden und nach Wille der Versicherung.

Leisten könnten sich diese Preise vor allem diejenigen, die die Versicherungen wohl am wenigsten bräuchten, sagt Georges Clees von der „Patientenvertriedung“. Man würde sich eigentlich wünschen, dass die nationale Gesundheitskasse so gut wäre, dass die Menschen nicht zusätzlich auf eine private Versicherung zurückgreifen müssten. Das führe nur zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. „Wenn der Leistungskatalog im Bereich der Zähne und Augen angepasst würde, würde das den Patienten schon viel helfen“, so der Sprecher des gemeinnützigen Vereins.

Interne und externe Konkurrenz

Auch die Branche selbst ist dabei in zwei geteilt. Einerseits gibt es die Versicherungsgesellschaften, andererseits die „Caisse Médico-Complémentaire Mutualiste“ (CMCM). Die CMCM hat das Problem, dass sie eine Genossenschaft ist. Sie ist nicht-kommerziell und nimmt jeden auf, der Mitglied werden will – egal, ob krank oder gesund, jung oder alt. So steht es in den Statuten.

Fabio Secci, Generaldirektor der CMCM, kann seinerseits gar nicht verstehen, dass Menschen mit einer Krankheit von einer privaten Krankenversicherung abgelehnt werden. „Was die machen ist medizinisch betrachtet eine Sauerei“, sagt er. Die CMCM sei da flexibler und nicht auf den Profit aus. Als Genossenschaft hat sie allerdings auch keine andere Wahl.

Eine Konkurrenz zu den Versicherern? Sieht er nicht. Und dann wieder doch. „Mit 270.000 Mitgliedern sind wir konkurrenzlos in Luxemburg“, sagt er. Er meint aber auch, dass die Konkurrenz „von den anderen“ ausgeht. Sie seien in ein Business eingetaucht, in dem sie überflüssig sind. „Wir waren lange vor ihnen da“, sagt Secci. Das sieht Stefan Pelger ähnlich. Deshalb sei die Genossenschaft auch etwas eingestaubt.

Tatsächlich war ihr Image angeschlagen. „Als ich hier angefangen habe, hatten wir pro Jahr zwischen 4.000 und 5.000 Kündigungen – das waren vor allem junge Leute“, so Fabio Secci. Heute seien es lediglich 1.300 Kündigungen, dafür kämen aber wieder 5.000 neue Kunden pro Jahr hinzu.

Wer mithalten will, muss sich anpassen

Neben den teuren Zusatzversicherungen ist die CMCM vergleichsweise günstig. Dafür gibt es aber auch weniger Leistung. Und genau das ist ihr Problem. Die Genossenschaft gibt fast ausschließlich auf den Leistungen der CNS eine zusätzliche Rückerstattung, nicht aber auf neue medizinische Anwendungen, Alternativmedizin und nur wenige ärztliche Leistungen im Ausland. „Dabei kommt gerade das bei den Kunden gut an“, meint Marc Hengen von der ACA. Der Kunde einer Zusatzversicherung habe die freie Entscheidung, ob er sich im In- oder Ausland behandeln lassen will und bei welchem Arzt.

Erst im vergangenen Jahr kam dann neuer Aufschwung. Seitdem tastet sich die CMCM langsam aber sicher an Leistungen heran, die zur Prävention oder Alternativmedizin gehören, aber nicht im Katalog der CNS verankert sind. Sie will ihren Mitgliedern so auch ein wenig mehr Flexibilität und Komfort bieten. Eine Augenlaser-Operation wird nun mit 1.000 Euro pro Auge zurückerstattet und 25 Euro gibt es pro Jahr für osteopathische Behandlungen.

Während Ersteres recht viel ist, reichen 25 Euro nicht einmal ansatzweise für eine Behandlung beim Osteopathen aus. Das hat laut Fabio Secci aber einen Grund. „Es ist falsch, wenn man erst zum Arzt geht, wenn es zu spät ist. Dann fallen automatisch mehr Behandlungsstunden an“, so Secci. „Wer aber ein- bis zweimal pro Jahr präventiv zum Arzt geht, der kann vorbeugen.“ Die 25 Euro sollen ein Ansporn dafür sein.

Das zeigt: Die CMCM erstattet nach dem Prinzip der CNS. Das, was medizinisch notwendig ist, wird teilweise übernommen. An neuere Therapieformen tastet sich die Genossenschaft erst langsam heran. Die privaten Zusatzversicherungen bieten deutlich mehr, kassieren dafür aber auch mehr Beiträge.

Letztlich versprechen aber alle das Gleiche. Jeder soll Anspruch auf eine gute medizinische Versorgung haben. Wie luxuriös und umfassend die wird, hängt immer noch vom privaten Budget ab.