Die Regierung hat sich Prioritäten in der Abfallvermeidung gegeben. Doch den Plänen mangelt es an Ehrgeiz und die Umsetzung ist zögerlich. Dabei setzt das Bevölkerungswachstum die Akteure zusätzlich unter Druck. Eine Analyse.

Ein Samstagvormittag im Recyclingzentrum ist ein ganz besonderer Ort in der Hölle: Man steht mit dem Auto in der Schlange, kämpft mit komplizierten Vorgaben zur Trennung von Plastiktypen und ärgert sich über das genervte Personal. Trotz der Mühen sind die Luxemburger vergleichsweise eifrige Recycler. So wird etwa knapp 90 Prozent des Papiers und Kartons wiederverwertet. Und der Luxemburger verlässt selten das Haus ohne seine „Öko-Tut“.

Doch neben dem Licht gibt es auch Schatten. Jeder Luxemburger produziert 625 Kilo an Abfällen jährlich. Das zeigen die Eurostat-Zahlen für 2015. Luxemburg zählt damit in relativen Zahlen zu den Ländern mit den größten Müllbergen. Die Umweltverwaltung relativiert dies jedoch mit dem Verweis auf die knapp 170.000 Grenzgänger. Doch selbst wenn man diese in die Rechnung einbezieht liegt Luxemburg mit 555 Kilo pro Jahr noch deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 477 Kilo.

Die Herausforderung einer wachsenden Bevölkerung

Um diese Lage zu verbessern, nahm die Regierung Anfang Juni den „Plan national de gestion des déchets et des ressources“ an. Seit 2000 ist es die dritte Auflage eines nationales Abfallplans.

Deutlich wird aus den im Plan genannten Zahlen, dass das Bevölkerungswachstum der letzten Jahre durchaus ein Problem ist. Sie zeigen, dass zwischen 2009 und 2015 die Masse an Haushaltsabfällen leicht zurückging. Im gleichen Zeitraum stieg die Bevölkerung um 14 Prozent. Allerdings sank das Abfallaufkommen nach 2009 deutlich, ehe es in den letzten Jahren wieder anstieg. Aktuell zeigt die Kurve nach oben.

Valorlux verzeichnet einen Anstieg von jährlich 2,5 bis 3 Prozent bei den Verpackungsabfällen, die im „blauen Sack“ sowie in Papier- und Glascontainern gesammelt werden, sagt Valorlux-Direktor Claude Turping. Damit liegt die Entwicklung leicht über dem Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre.

Die Verpackungsabfälle pro Kopf nehmen demnach nicht zu. Doch eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcennutzung ist es auch nicht. Sprich: Die Lage ist noch weit entfernt von qualitativem Wachstum.

Eine weitere Folge des Wachstums ist die ebenso rapide zunehmende Zahl der Baustellen, und damit der Bauschutt, der anfällt. 2015 entsprach dies 9,29 Millionen Tonnen. Allerdings bestand das Gesamtaufkommen zu 93 Prozent aus Erdaushub – sprich Erde und Steine. Und dennoch landen diese Massen in Bauschuttdeponien.

Neue Bauschuttdeponien verzögern sich

Und so werden die Deponien knapp. Aktuell bestehen elf Standorte, dabei handelt es sich allerdings nur bei vier um Deponien im engeren Sinne. Zwei sind Stellen, wo aufgeschüttet wird, fünf sind Steinbrüche.

Eigentlich bräuchte es 15 Standorte, sagt Patrick Koehnen von der „Fédération des entreprises de construction et de génie civil“. Dem Umweltministerium liegt seit Ende 2016 eine Studie vor, die 15 potentielle Standorte für neue Deponien enthält, so Koehnen. Das Ministerium will die Studie nicht herausgeben, heißt es dort auf Nachfrage. Sie soll nun im „Sommer“ zusammen mit einer großherzoglichen Verordnung veröffentlicht werden, die Kriterien für neue Standorte festlegt.

Mitte 2019 müssten neue Deponien aufgehen, sonst werde es knapp, sagt Koehnen. Gerade im Süden fehle es an Kapazitäten. Doch noch wissen die Betreiber der Bauschuttdeponien nicht, wo sie neue Standorte öffnen sollen und damit auch nicht, wo sie das nötige Land kaufen müssen. Eine neue Konvention mit dem Hauptbetreiber Recyma wird gerade verhandelt, heißt es aus dem Umweltministerium. Die Genehmigungsverfahren werden allerdings Zeit brauchen, denn die Bürger in der Nachbarschaft von Deponien sind selten von solchen Plänen begeistert.

Das Umweltministerium sagt dagegen, die Kapazitäten der Deponien würden noch für sieben Jahre reichen. Die Verwaltung appelliert aber an die Verantwortung der Bauträger und -unternehmen, den Erdaushub möglichst zu vermeiden. Das heißt vor allem, dass weniger in die Tiefe gebaut werden soll. Aber dann müssen die Gebäude höher sein, sagen die Bauunternehmen. Das jedoch verhindern in vielen Fällen die Regelungen der PAG und PAP der Gemeinden. Da aber aktuell im ganzen Land die neuen allgemeinen Bebauungspläne abgeschlossen werden, scheint die Idee etwas spät zu kommen.

Ein Plan ohne Umsetzung

Auch in anderen Punkten herrscht eine merkwürdige Ungleichzeitigkeit. Der Abfallplan wurde am 1. Juni vom Ministerrat angenommen. Doch das Umweltministerium schloss mit zwei der wichtigsten Akteure neue Rahmenverträge ab, bevor das Dokument offiziell galt.

Der für den Verpackungsabfall zuständige Verein Valorlux erhielt eine neue Konvention, die Umweltministerin Carole Dieschbourg am 1. Februar unterzeichnete. Das war knapp, denn am 31. Januar war der bestehende Vertrag ausgelaufen. Da aber der neue Abfallplan noch nicht verabschiedet war, wird in den Erwägungsgründen auf den vorigen Plan von 2010 verwiesen.

Auch die Aktion Superdreckskëscht wurde im Mai 2017 EU-weit neu ausgeschrieben. Was die Entsorgung und Verwertung von gefährlichen Haushaltsabfällen betrifft, drängte offenbar ebenfalls die Zeit. Die Bewerber hatten gerade einmal einen Monat Zeit, um ihr Dossier bei der Umweltverwaltung einzureichen. Seit dem 1. Januar 2018 läuft der Vertrag mit den alten und neuen Betreibern, dem Unternehmen Oeko-Service Luxemburg SA, wie der Sprecher Thomas Hoffmann bestätigte.

Zwar sagen sowohl Valorlux als auch Superdreckskëscht, dass Elemente des neue Abfallplans in die jeweiligen Verträge eingeflossen sind. Doch im Zweifel wird der neue Abfallplan nicht rechtlich durchsetzbar sein. Und die neuen Verträge haben lange Laufzeiten: Bei der Superdreckskëscht sind es zehn Jahre, bei Valorlux fünf Jahre.

Maßnahmenkatalog ohne Finanzierung

Beide Akteure sind jedoch zentral in der Umsetzung der Ziele, die die Regierung sich setzt. Valorlux taucht im Abfallplan 14 Mal auf, Superdreckskëscht wird 64 Mal genannt.

Auffällig ist dagegen, dass im Abfallplan die Finanzierung der aufgestellten Zielen kaum thematisiert wird. Auch Kosten-Nutzen-Rechnungen fehlen ganz. Bereits 2010 kritisierte die OECD in ihrem Umweltbericht zu Luxemburg, der Abfallplan müsse effizientere Maßnahmen und die nötige Finanzierung beinhalten.

Valorlux finanziert die Sammlung, Trennung und Verwertung der Verpackungen ausschließlich über die Abgaben seiner Mitglieder wie etwa Getränkehersteller oder Supermärkte. 2017 waren das 6,75 Millionen Euro.

Die Superdreckskëscht unterstützte der Staat über den „Fonds pour la protection de l’environnement“. 2017 waren das 8,45 Millionen Euro, 2016 rund sieben Millionen Euro. Projekte außerhalb der normalen Aktivität der Superdreckskëscht werden gesondert finanziert, erklärt der Sprecher Thomas Hoffmann.

Gerade bei oft kleinteiligen Sensibilisierungskampagnen bleibt die Frage offen, welchen Nutzen sie tatsächlich haben. Ein Beispiel ist etwa „Ech kafen clever“, wo Firmen erfahren, welcher Ordner ein bisschen ökologischer ist. Bei der Vorstellung überhöhte Staatssekretärin Francine Closener die Aktion als Beispiel für die Kreislaufwirtschaft.

EU sieht Nachholbedarf

Dabei sind die Herausforderungen deutlich. 2015 wurde etwa die Hälfte der Haushaltsabfälle recycelt. Damit erfüllt Luxemburg momentan das Ziel, das die EU für 2020 vorgibt. Doch 2030 soll der Anteil bei 65 Prozent liegen und hier sieht die EU-Kommission noch Nachholbedarf in Luxemburg, wie es in einem Bericht von 2017 heißt.

Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass 2014 in den Mülltonnen der Haushalte 17 Prozent Plastikabfälle festgestellt wurden. Dafür gibt es eigentlich keinen Grund, denn fast alle Kunststoffverpackungen lassen sich recyceln, wie Valorlux-Direktor Claude Turping betont.

Lang bekannte Probleme werden nur zögerlich angegangen

Neu ist dieses ungenutzte Potenzial nicht, die OECD wies bereits 2010 darauf hin. Ein Grund ist, dass nur eine Minderheit der Gemeinden bei der Abfallentsorgung das Verursacherprinzip („pollueur-payeur“) tatsächlich anwenden. In den meisten Gemeinden wird die Müllabgabe auf das Volumen der Tonne berechnet und nicht auf das Gewicht des Tonneninhalts. Haushalte haben so keinen finanziellen Anreiz, ihren Müll zu trennen. „Leider“, schreibt das Umweltministerium. Dabei sieht ein Gesetz von 2012 eigentlich kostendeckende Abgaben vor. Doch die Umweltverwaltung arbeitet noch immer an einem Kostenmodell, das den Gemeinden dabei helfen soll.

Ein zweiter Grund ist, dass im „blauen Sack“ nur bestimmte Plastikarten gesammelt werden. Das sind vor allem PET-Getränkeflaschen und Hygienebehälter – etwa von Duschgel – aus PEHD. Valorlux will künftig zusätzliche Kunststofftypen sammeln, die man bisher nur im Recyclingzentrum abgeben kann. Welche Arten das genau sind, werde im Herbst entschieden, sagt Turping. In 21 Gemeinden sammelte Valorlux in einem Pilotprojekt auch Plastikfolien.

Das Vorzeigeprojekt der „Öko-Tut“

Dass es auch anders geht, zeigt die „Öko-Tut“. Drei Jahre nach der Einführung des wiederverwendbaren Einkaufsbeutels sank der Verbrauch der Einwegtüten um 90 Prozent. „Alle ziehen an einem Strang“, erklärt Turping den Erfolg. Dazu zählen ein einheitliches Marketing und gleiche Preise.

Diese Einheitlichkeit fehlt ansonsten. In jedem Recyclingzentrum gelten andere Regeln, in jeder Gemeinde wird dies oder jenes gesammelt oder eben nicht. Aber immerhin sieht der Abfallplan auch vor, das Netzwerk der Recyclingzentren zu verstärken. Damit wird der Samstagvormittag vielleicht nicht mehr zum Höllenritt.