Von der Schule in die Schreinerei, vom Bankangestellten zum Bierbrauer: Akademiker entdecken das Handwerk für sich. Viele satteln um und machen statt Bürojobs das, was sie wirklich lieben. Ganz ohne Risiko geht das allerdings nicht.

Am Ende einer Sackgasse verbirgt sich ein eher unscheinbares Familienhaus, das Garagentor steht weit offen. Auf dem Briefkasten zeigt sich, dass hier aber nicht nur eine Familie wohnt, sondern auch ein kleiner Betrieb beherbergt ist. Die Mikro-Brauerei von Antoine Biasino und Joe Hallack-Wolff befindet sich im Keller von Antoines Elternhaus mitten in einem ruhigen Wohnviertel in Steinsel. Dort stapeln sich braune Kartons praktisch bis unter die Decke. In ihnen verbergen sich Flaschen, bedruckt mit bunten Etiketten und befüllt mit hausgemachtem Bier. „Home made“ ist bei der Stuff Brauerei mehr als nur ein Modewort. Der Slogan ist Programm.

Ein Blick in die Produktionsstätte zeigt: Die Stuff Brauerei ist anders. Sie ist klein, unkonventionell, irgendwie cool. In der Garage werden Hopfen und Malz gelagert, in einem renovierten Raum im Keller werden die Biersorten gemischt und in Flaschen gefüllt und in einem dunklen Abstellraum werden die fertigen Kartons bis zur Auslieferung gelagert.

Dort befindet sich auch ein kleiner Schreibtisch, als Bürostuhl dient ein in die Jahre gekommener Gartenstuhl. Hört sich experimentell an? War es zu Beginn sicher auch. Funktioniert hat es trotzdem.

Eigentlich gilt Brauen in Luxemburg als Industrie – so wie die Stuff Brauerei produziert, fällt es aber ins Handwerk. Denn Joe und Antoine produzieren sogenanntes Craft Beer, also Bier das handwerklich gebraut wird, jeden Schritt der Produktion übernehmen sie selbst.

Zwei, die sich was brauen

Der 37-jährige Joe führt durch den Keller. In der Garage bleibt er vor den Säcken mit Hopfen-Kernen stehen und greift hinein. Die Kerne, die er heraus nimmt, sind klein, dunkel und riechen nach Kaffee. „Man schmeckt die Noten im Bier auch richtig gut raus“, sagt er.

Joe Hallack-Wolff und sein Geschäftspartner Antoine Biasino lernten sich durch Zufall in einer Bar in Brüssel kennen. Und durch Zufall trafen sie sich ein paar Monate später noch einmal. Wieder in einer Bar – dieses Mal aber nicht in Belgien, sondern in Luxemburg.

Das Problem mit den Bars und Cafés in Luxemburg ist, dass sie alle eine Lizenz bei einer großen Brauerei haben.“Joe Hallack-Wolff

Schnell stand für beide fest, dass sie gemeinsam etwas aufbauen wollen. Antoine hängte dafür seinen Job in der Bank an den Nagel. Kaum Abwechslung, immer die gleichen Arbeitsabläufe, wenig Kreativität – das reichte ihm nicht aus. Er wollte etwas, das ihn selbst erfüllt. „Ich war nie wirklich glücklich bei dem, was ich machte“, sagt er. „Ich habe nichts kreiert und nie für mich, sondern nur für die Firma gearbeitet.“

Mit Joe wollte er das ändern. Also kündigte er seine Stelle, Joe schloss sein Studium ab und half parallel beim Aufbau des Betriebs mit. Sie stellten einen Business-Plan auf, 2015 haben sie die Stuff Brauerei gegründet, 2017 kam die Genehmigung, um die Bierproduktion starten zu können.

Die Konkurrenz hat Wind bekommen

Doch der Sprung in die Selbstständigkeit war ein teurer. „Wie viel wir investiert haben, will ich nicht sagen – aber es war richtig viel“, sagt Antoine. Er nickt langsam mit dem Kopf, senkt den Blick. 400 Liter pro Jahr müssen produziert und verkauft werden, damit der Business-Plan aufgeht. Die Kartons, die sie über ihren Onlineshop verkaufen, beinhalten 24 Flaschen und kosten 70 Euro. Das ist mehr als drei Mal so viel wie herkömmliches Bier.

(Foto: Matic Zorman)

Die beiden sind noch weit von der Gewinnzone entfernt. Davon lassen sie sich aber offenbar nicht aus der Ruhe bringen. „Das hier ist richtiges Craft Bier, es ist stärker, vielfältiger im Geschmack. So etwas gab es bisher noch nicht auf dem Luxemburger Biermarkt.“

Davon hat auch die Konkurrenz Wind bekommen. In einem Café sind die Biere der Stuff Brauerei seit Kurzem nicht mehr geduldet. „Der Vertrag wurde aufgelöst. Das Problem mit den Bars und Cafés in Luxemburg ist, dass sie alle an die Lizenz bei einer großen Brauerei gebunden sind. Und die hat entschieden, uns rauszudrängen“, sagt Joe.

Die beiden Geschäftsmänner versuchen das als Erfolg zu verbuchen. Ihr Bier habe sich eben zu gut verkauft.

Das Ergebnis in der Hand halten

Joe und Antoine stecken jede freie Minute in ihren Betrieb. Alleine das Brauen braucht seine Zeit. Ganze vier Wochen benötigen sie, bis der Produktionsvorgang für eine Sorte abgeschlossen ist. Insgesamt haben sie vier im Verkauf, eine neue Sorte steht bereits in den Startlöchern. „Wenn du richtig gutes Bier haben willst, brauchst du eben Geduld“, sagt Joe.

Selbstgebrautes Bier ist körperliche Arbeit. Doch am Ende halten die beiden Produkte in der Hand, die sie selbst gemacht haben. Aus Rezepten, die sie selbst zusammengestellt haben. In Flaschen, die sie selbst abgefüllt haben.

Eine Generation entdeckt das Handwerk

Nicht nur Joe und Antoine versuchen sich mit einem Handwerk selbstständig zu machen. Das traditionelle Handwerk erlebt weltweit eine Renaissance. Junge Menschen tauschen den sicheren Bürojob gegen etwas „Handfestes“. Sie wollen kreativ sein, sich selbst verwirklichen, selbst produzieren – und wenn es gut läuft, vielleicht sogar Geld damit verdienen.

So, wie es einen Trend hin zu lokalen Produkten beim Essen gibt, wollen auch sie etwas von Qualität herstellen. Sie wollen etwas mit „Bedeutung“ machen. „Wichtig ist, dass die Menschen sich für diese Jobs entscheiden, nicht weil sie cool sind, sondern weil sie sinnvolle Arbeiten sind (…)“, schreibt der amerikanische Autor Richard E. Ocejo in seinem Buch „Masters of Craft“ über die Auferstehung des Handwerks.

In Luxemburg gibt es im Schnitt 250 Neugründungen im Bereich des Handwerks. Junge Betriebe wie die Stuff Brauerei sind dabei häufig auf kleinen Events oder Märkten wie „De lokale Maart“ vertreten, können sich dort direkt mit der Kundschaft austauschen. Mit Menschen, die auf der Suche nach alternativen, lokalen und handgemachten Produkten sind.

Wenn du richtig gutes Bier haben willst, brauchst du eben Geduld.“Joe Hallack-Wolff

„Früher musste das Kind Arzt, Anwalt oder Professor werden, damit etwas aus ihm wird. Das Handwerk war für diejenigen, die in der Schule nicht so stark waren“, erklärt Patrick Dahm von der Mutualité des PME das Phänomen. Heute sei das anders.

Ähnlich sieht es Christian Reuter von der Fédération des Artisans: „Betriebe wurden in der Regel von den Leuten gegründet, die den klassischen Weg gegangen sind. Schule, handwerkliche Ausbildung, Meisterbrief. Heute haben aber viele das Handwerk als sinnstiftendes Element für sich entdeckt. Es ist etwas Handfestes, etwas Kreatives. Und dennoch müssen alle, die den Schritt wagen, eine passende Ausbildung nachholen.“

So wie Antoine und Joe gibt es Akademiker und Quereinsteiger, die einen „alten“ Beruf neu für sich entdecken. Sie sind nur eine Mikro-Brauerei, machen weder Millionen Umsatz noch bieten sie Massenproduktion. Darum geht es ihnen aber auch nicht. Das mag sich idealistisch anhören, Joe und Antoine machen es aber aus Überzeugung.

Zurück zum Holz

So auch Guy Masselter. Er machte sich 2013 mit seiner Schreinerei Moma selbstständig. „Schon mein Großvater war Schreiner“, sagt Masselter. Er habe immer eine gewisse Affinität für das Handwerk gehabt, es wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Um das auszuleben, hat er mit 40 seinen Job als Schulinspektor an den Nagel gehängt. „Ich wollte noch einmal etwas Neues probieren.“

(Foto: Martine Pinnel)

Masselter hatte den richtigen Riecher, und auch etwas Glück. Alles hätte sich irgendwie gefügt, sagt er heute. Zufällig hat er in Bissen eine passende Halle gefunden, die Familie war mit dem Projekt einverstanden, die Banken hätten „mitgezogen“ und die nötigen Kredite freigegeben. Die Schreinerausbildung hat Masselter in Abendkursen nachgeholt.

Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass es manche Leute mit akademischem Hintergrund ins Handwerk zieht. Er ist aber auch eine Ausnahme. „Fälle wie der von Guy Masselter sind nicht die Regel“, sagt Patrick Dahm von der Mutualité des PME. „Es gibt aber Menschen mit guten Ideen, die ihre Stelle beim Staat aufgeben und den Sprung in die Selbstständigkeit und ins Ungewisse wagen.“

„Die Idee muss aber auch reell funktionieren“, so Dahm weiter. „Manchmal müssen wir Antragstellern ihre Illusion nehmen und sie darauf hinweisen, dass ihre Vision keine Zukunft hat.“

Bei Guy Masselter hat es geklappt. „Man lebt nur einmal“, sagt er. „Ich habe in dieser Zeit so viel hinzugelernt. Warum hätte ich es nicht machen sollen? Ich bereue es nicht.“ Es dauerte auch nicht lange bis Guy Masselter erste Kunden an Land gezogen hatte. Heute zählt die Schreinerei 17 Mitarbeiter.

Wer sich traut, bekommt Unterstützung

Wer sich mit einem Handwerksbetrieb selbstständig machen will, bekommt Unterstützung. Wobei einige reine Beratungsstellen sind, andere auch finanzielle Unterstützung bieten.

    • Die Genossenschaft Mutualité des PME stellt kein Geld zur Verfügung, bürgt aber für den Betrieb bei den Banken. Geht das Projekt schief, holt sich die Bank ihr Geld bei der Genossenschaft zurück.
    • Bei der Chambre des Metiers kann jeder kleine oder mittlere Betrieb bis zu 20 Prozent an Materialkosten erstattet bekommen – unabhängig davon, ob er neu gegründet wird oder bereits besteht. Außerdem hilft die Handwerkskammer bei Formalitäten.
    • Eine Beratung und Hilfe bei der Ausarbeitung der Dossiers bekommen Betriebsgründer auch von den Experten des House of Entrepreneurship.
    • Das Creative Cluster dient als Networking-Plattform im Bereich des Kreativhandwerks und finanzielle Unterstützung gibt es von der „Société Nationale de Crédit et d’Investissement“ (SNCI) oder auch vom Staat. Die SNCI kann bei einem Gründungskredit maximal 250.000 Euro zur Verfügung stellen, beim Staat ist die Finanzspritze unter anderem an die Größe des Unternehmens gekoppelt.

Das nötige Know-How

Die Schreinerei Moma arbeitet mit Gemeinden zusammen, die Konzepte für Crèches und Maison Relais ausarbeiten. Guy Masselters Erfahrungen im Lehr- und Erziehungsbereich sind hier ein Vorteil für die Firma. „Bei den Gesprächen weiß ich, was für die Kinder und Erzieher wichtig ist. Wir können Raumkonzepte erarbeiten und umsetzen, die Sinn machen.“

(Foto: Martine Pinnel)

Dass die Preise andere sind, als bei Schränken, Regalen oder Tischen „von der Stange“, sei normal. Der Aufwand ist größer, es wird nach Maß gearbeitet und Konzepte werden individuell erarbeitet. „Bei kleinen Unternehmen und Privatkunden spielt der Preis natürlich eine Rolle“, sagt Masselter. „Aber auch Gemeinden müssen ihr Budget einhalten und schauen aufs Geld.“

Trotzdem sind die Auftragsbücher gut gefüllt. Viele würden das Luxemburger Handwerk unterstützen wollen, so Masselter. Neben den Gemeinden sind Privatkunden das zweite Standbein des Betriebs.

Doch für die vielen Aufträge braucht es auch das nötige Personal. Dort liegt das Problem. Ein Problem, das seit Langem bekannt ist. „Wir brauchen Leute, die etwas drauf haben.“ Die zu finden, sei aber alles andere als einfach. Handwerk sei heute eben nicht mehr nur Hand-Werk. „Der Beruf ist technischer als früher“, so Masselter. Die meisten seiner Angestellten kommen aus Deutschland. Seiner Überzeugung nach müsste deshalb auch die Schreinerausbildung in Schulen attraktiver und anspruchsvoller gestaltet werden.

Denn ein Problem bleibt bestehen: Egal, wie hip eine Idee ist – ohne gute Leute kann ein Projekt auf Dauer nicht bestehen.


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