Von Klempnerei bis Pergolabau: Die Dienste, die ein belgischer Unternehmer jahrelang in Luxemburg anbot, waren vielfältig – die Praktiken dubios. Mehrere Kunden fühlten sich betrogen, die Klagen häuften sich. Nun geht die Justiz gegen die Verantwortlichen vor.

Ein Abend im Oktober 2018. In einem Einfamilienhaus im Hauptstadtviertel Mühlenbach ist ein Stockwerk ohne Strom. In dem Gebäude wohnt die Mutter von Corinne Dury. Da die Frau an Demenz erkrankt ist, versucht ihre Tochter noch am selben Abend eine Lösung für den Stromausfall zu finden. Im Internet sucht sie nach einem Elektriker-Notdienst. Schnell wird sie fündig: Die Firma „Henri Müller sàrl“ verspricht kurzfristige Hilfe. Kurz nachdem sie die Firma kontaktiert hat, erscheint ein Mitarbeiter. Er erklärt der Frau, dass es sich um ein größeres Problem handele. Die Lichtschalter müssten ausgetauscht werden. „Der Mann wollte sofort 550 Euro auf die Hand, und weil ich in einer Notlage war, habe ich ihm das Geld gegeben“, erklärt die Lehrerin im Gespräch mit Reporter.lu.

Der vermeintliche Elektriker repariert den Schalter anschließend behelfsmäßig. Als wenige Wochen später der Strom wieder ausfällt, sucht Corinne Dury erneut nach einem Elektriker. Bewusst entscheidet sie sich für einen anderen Anbieter. Ihr Erstaunen ist demnach groß, als derselbe Handwerker erscheint, um seine Dienste anzubieten. „Ich habe ihn natürlich sofort weggeschickt und ihm gesagt, dass er keinen Fuß mehr in das Haus setzen wird“, so die 47-Jährige.

Was Corinne Dury zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Sie ist einer mutmaßlichen Betrugsmasche aufgesessen. Denn hinter den verschiedenen Anbietern im Internet verbirgt sich in Wirklichkeit dieselbe Firma. Diese betreibt zahlreiche Internetauftritte, die allesamt Notfallhandwerksdienste anbieten. Die Webseiten tragen Namen wie „serrurier.lu“, „depannage.lu“, „depannage-electrique.lu“ und sie sind allesamt so optimiert, dass sie bei einer Suchanfrage möglichst oben in der Suchmaschine angezeigt werden.

Daher ist Corinne Dury wohl auch nicht die Einzige, die sich an besagte Firma wendet – und sich in der Folge betrogen fühlt. Mehrere Kunden haben bereits rechtliche Schritte eingeleitet.

Die zwei Henris

Was vielen Kunden beim Besuch der besagten Internetseiten womöglich nicht auffällt: Bei fast allen Seiten ist die gleiche Telefonnummer angegeben. Wer anruft, landet also immer bei derselben Firma. Diese schickt dann jemanden vorbei, der, noch bevor er mit den Arbeiten beginnt, Vorkasse verlangt. Meist ein deutlich höherer Betrag als üblich. Die anschließend durchgeführten Arbeiten sind dann meist von eher zweifelhafter Qualität.

Wie die Firmenstruktur hinter diesem Geschäftsgebaren aussieht, zeigt das Beispiel „Idi Lux sàrl“. 2014 wird die Gesellschaft gegründet, um mit Fantasieschmuck und Kunsthandwerk zu handeln. Knapp zwei Jahre später wechseln die Gesellschafter. Neuer Firmeninhaber wird Djeremi M., ein Jungunternehmer, der gerade erst 18 Jahre alt geworden ist. Mit dem neuen Inhaber ändert sich auch der Zweck der Gesellschaft. Die Firma bietet fortan „services de dépannage multiservice et de petites réparations“ an. Zeitgleich erhält die Firma einen neuen Handelsnamen und wird zu „Henri Reddinger“.

Dieser Name taucht auch kurze Zeit später im Internet auf und wirbt mit einem „24h/24h“-Sanitär-Notdienst. Zu erreichen ist die Firma unter anderem über die Seite „plombier.lu“. Die handwerklichen Talente des fiktiven Henri Reddinger beschränken sich jedoch nicht auf die Klempnerei. Denn ist der Abfluss frei, der Strom jedoch weg, hilft Henri Reddinger ebenfalls, diesmal als „Electricien au Luxembourg 24/7“. Die Kontaktnummer bleibt dabei die gleiche.

Rund ein Jahr nach der Firmenübernahme meldet „Idi Lux“ Konkurs an und damit verschwindet auch Henri Reddinger aus dem Luxemburger Baugewerbe. Ersetzt wird der erste Henri durch einen zweiten: „Henri Müller“. Jener „Henri“ war es auch, den Corinne Dury an einem Oktoberabend kontaktieren sollte. Die Vorgehensweise bleibt immer die gleiche. 2018 übernimmt dann ein gewisser Balasz G. die Firma „Properlux sàrl“ mit Sitz in Howald und ändert sowohl den Zweck als auch den Handelsnamen der Gesellschaft. Wieder bietet die Firma über zahlreiche Websites Handwerkernotdienste an, zum Teil sind es die gleichen, die bereits „Idi Lux“ nutzte. Wieder meldet die Firma kurze Zeit nach der Übernahme Konkurs an.

Pergolas als neues Geschäft

Der Drahtzieher hinter dem Netzwerk tritt erstmals 2019 in Erscheinung und das nicht nach einer Firmenübernahme, sondern mit einer Neugründung. Der Belgier Dino M., der Vater von Djeremi M., gründet im November 2019 die „Innovatis Groupe“, die neben Notdiensten noch ein weiteres Geschäftsfeld für sich entdeckt: Pergolas.

Wie die Firma in ihrem neuen Geschäftsfeld operiert, weiß Raphael de Roy aus Canach. Ende 2019 plant er gemeinsam mit seiner Frau, eine Pergola an ihrem Wohnhaus zu errichten. Bei der Recherche im Internet stößt das Ehepaar auf eine Unterfirma der Innovatis Groupe: „Deponti.lu“. Besonders dreist an dem Internetauftritt: Die niederländische Firma „Deponti“ baut und vertreibt tatsächlich Pergolas. Nur mit ihrem vermeintlichen luxemburgischen Ableger hat die Firma nichts zu tun.

Doch davon erfährt Raphael de Roy zunächst nichts. „Ich habe die Firma kontaktiert. Der Vertreter kam vorbei und hat die Maße genommen“, erklärt de Roy. Noch vor Ort formuliert der Mitarbeiter einen Kostenvoranschlag: Für die Pergola sollen samt Baukosten 6.800 Euro anfallen – ein fast unschlagbar günstiger Tarif.

Doch das Angebot hat einen Haken: Die Firma verlangt 3.400 Euro Anzahlung. Raphael de Roy bezahlt und dann passiert erst einmal lange Zeit nichts. Als der eigentlich geplante Bautermin im Oktober 2020 verstreicht, fragt Raphael de Roy immer wieder in der Firmenzentrale in der Route de Longwy nach. Ein gewisser Djeremi M. vertröstet ihn und beteuert, es gebe Lieferschwierigkeiten bei Deponti.

„Irgendwann hat es mir dann gereicht und ich habe in den Niederlanden nachgefragt. Ich spreche ja Niederländisch. Bei Deponti wussten sie aber überhaupt nichts von meiner Bestellung“, erklärt de Roy. Daraufhin erstattet er Anzeige bei der Polizei und beginnt, im Internet zu Dino und Djeremi M. zu recherchieren. Dabei stößt er auf zahlreiche Kommentare von ebenfalls Betroffenen. Und erfährt: Dino M. ist kein Unbekannter.

Betrug als Familienunternehmen

Wer sich auf die Suche nach Dino M. begibt, dem begegnet ein Leben wie eine Groteske – mit Stationen in Belgien, Ungarn und Luxemburg. In seiner Heimat versuchte sich der mittlerweile 54-Jährige in den frühen 2000er Jahren als Medienunternehmer und Moderator. Auf einer Videoplattform findet sich noch immer eine Pilotfolge für die Talkshow „Conflit!“ mit ihm als Moderator. Doch bereits damals fällt Dino M. wegen seiner zweifelhaften handwerklichen Praktiken auf. Ein Brüsseler Gericht verurteilt den Unternehmer 2004 zu einer Geldstrafe von 15.001 Euro, weil er eine alleinerziehende Mutter betrogen hatte. Die Frau wollte Bauarbeiten an ihrem Haus durchführen lassen. Die damalige Firma von Dino M. verlangte 80 Prozent der Kosten als Anzahlung und verschwand danach spurlos.

In den vergangenen Jahren entdeckte Dino M. neben dem Fernsehen noch eine neue Leidenschaft: das Poker-Spiel. In der Spielerdatenbank „Globalpokerindex“ wird sein Gesamtgewinn seit 2011 auf rund 123.000 Dollar geschätzt. Für 2020, dem letzten Jahr, in dem er als Spieler aktiv war, geht die Datenbank von einem Gewinn von 10.500 Dollar aus. Die Passion für das Kartenspiel verschlägt Dino M. und seinen Sohn Mitte der 2010er Jahre denn auch nach Ungarn. In Budapest versucht sich der Unternehmer mit Gründungsgeist an einer eigenen Online-Pokerplattform.

Öffentliche Aufmerksamkeit erregt Dino M. 2013 jedoch noch aus einem anderen Grund: Er hat die Tendenz, seine Luxuslimousine im absoluten Halteverbot zu parken. Fotos von dem falsch geparkten Bentley in den sozialen Medien zu posten, wird in der ungarischen Hauptstadt kurzzeitig zum Volkssport. Die Presse greift die Story auf und macht ein Interview mit dem notorischen Falschparker. Darin erklärt Dino M. auch den Grund für seinen Umzug nach Ungarn: die billigen Arbeitskräfte.

Ungarische Rhapsodie

Denn die für Unternehmer günstigen Lohnkosten nutzt der Belgier prompt aus und gründet weitere Unternehmen. Darunter auch eines mit Bezug zu den Geschäften in Luxemburg: „Mediaweb“. Das Werbevideo für die Firma, in dem auch das Logo der Innovatis Groupe zu sehen ist, moderiert die ungarische Sängerin Anna Pasztor – damals die langjährige Lebensgefährtin des Keyboarders ihrer Band „Anna and the Barbies“: Balasz G.. Neben der Leitung von Properlux verbindet den Musiker dabei noch etwas mit Dino M.: Auch er liebt Poker. Er nimmt zum Teil an denselben Turnieren teil wie Dino M. So etwa 2017 beim „Banco Casino Masters“ in Bratislava, wo er den dritten Platz belegt.

Im ungarischen Firmenverzeichnis sind die Hauptaktivitäten von Mediaweb als „Werbeagentur“ und „Datenverarbeitung und Webhosting“ gelistet. Noch im September 2018 versuchte der Sohn von Dino M. über die sozialen Medien neue Mitarbeiter anzuwerben und versprach eine monatliche Bezahlung von 500.000 Forint (umgerechnet rund 1.400 Euro). Ein Nutzer kommentierte die Anzeige lapidar mit: „Innovatis ;-)“. Der Verdacht liegt also nahe, dass die verschiedenen Websites in Luxemburg, wie „plombier.lu“ oder „depannage.lu“,  zumindest zeitweise aus der ungarischen Hauptstadt betrieben wurden. Doch spätestens Anfang 2020 sind Dino M. und sein Sohn auch physisch in Luxemburg präsent.

Das vorläufige Ende einer Masche

Das bestätigt im Gespräch mit Reporter.lu auch Henri Hilger. Er interessierte sich ebenfalls für eine Pergola der Innovatis Groupe und auch hier verlangte die Firma eine Anzahlung. Als er dies ablehnte, rief die Firma immer wieder bei ihm an. Irgendwann reichte es dem Mann aus Bereldingen und er entschied sich, der angegebenen Firmenzentrale in der hauptstädtischen Route de Longwy einen Besuch abzustatten.

„Die Räumlichkeiten der Firma waren imposant. Im Eingangsbereich wurde ich begrüßt von einem Foto des Inhabers mit dem Dalai Lama. Im Konferenzzimmer stand ein schwerer Nussbaumtisch und Djeremi M. versuchte mich erneut vom Kauf einer Pergola zu überzeugen“, erinnert sich Henri Hilger an den Besuch im Oktober 2020. Er lehnte jedoch erneut ab und bestand darauf, nicht mehr kontaktiert zu werden. Rechtliche Schritte leitet er, anders als Raphael de Roy, jedoch nicht ein.

Offiziell endet die Geschichte der Innovatis Groupe am 21. Mai 2021. An diesem Datum reicht auch die vorerst letzte Luxemburger Firma aus dem Umfeld von Dino M. Insolvenz ein. Für den Unternehmer selbst dürfte es aber nicht bloß bei einem weiteren geschäftlichen Rückschlag bleiben. Informationen von Reporter.lu zufolge sitzt der Unternehmer aktuell in Luxemburg in Untersuchungshaft.

Ein Sprecher der Luxemburger Justiz bestätigt auf Nachfrage lediglich, dass aktuell Ermittlungen gegen den Belgier laufen. Welches Ausmaß diese haben, zeigt bereits die Anzahl der Nebenkläger. Der Untersuchungsrichter arbeite derzeit aktiv an mehreren Dutzend Klagen gegen den Beschuldigten, so der Justizsprecher. Weder sein Anwalt noch Dino M. selbst wollten sich auf Nachfrage zu den Vorwürfen äußern.