Immer mehr Staaten steigen aus dem UN-Migrationspakt aus. Rechte Parteien sehen darin eine Bedrohung der nationalen Souveränität – so auch die ADR in Luxemburg. Dabei schafft der Pakt keine neuen Verpflichtungen, sondern bestätigt bestenfalls geltendes Recht.
Im September 2016 anlässlich der UN-Generalversammlung verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten. Angesichts der Syrien-Krise sollten zwei Instrumente entstehen, um die weltweiten Flucht- und Migrationsströme besser zu regeln: Ein globaler Pakt für Flüchtlinge und ein Migrationspakt. Beide sollen am 10. und 11. Dezember in Marrakesch formell angenommen werden.
Doch besonders der Migrationspakt sorgte in den letzten Wochen immer wieder für Diskussionen. Nach den USA, Israel und Australien haben weitere Staaten verkündet, sich von dem Pakt zurückzuziehen. Auch in der EU kann gibt es keine geschlossene Haltung. Nach Ungarn, Österreich, Bulgarien, Tschechien, Estland und Polen, hat sich zuletzt die Regierung Italiens vom Abkommen distanziert.
Gegner des Pakts befürchten, dass das Dokument die Migration in Industrieländer fördere und die nationale Souveränität der Unterzeichner untergrabe. Auch in unseren Nachbarländern wird der Pakt kontrovers diskutiert. In Deutschland wettern insbesondere die Alternative für Deutschland (AfD), aber auch Mitglieder anderer Parteien bis hin zur Linkspartei gegen den Pakt. In Belgien ist es die flämische Regierungspartei N-VA, die den Premierminister Charles Michel unter Druck setzt.
ADR kritisiert „positive Darstellung der Migration“
In Luxemburg hat sich bisher nur die ADR kritisch zum Migrationspakt positioniert. Die Partei sage klar „Nein zum UN-Migrationspakt“, sagte der Abgeordnete Fernand Kartheiser auf einer Pressekonferenz vor rund zwei Wochen. Per Interpellation will die ADR das Thema auch im Parlament diskutieren. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (LSAP) soll sich am kommenden Donnerstag in der Abgeordnetenkammer bei einem Hearing den Fragen der Parlamentarier stellen.
Die Kritik der ADR lässt sich dabei als stellvertretend für die Position der rechten Parteien in Europa betrachten. Dass in dem Pakt eine „einseitig positive Darstellung der Migration“ vorgenommen werde, sei „inakzeptabel“, so die ADR in einem Presseschreiben. Dass man in den Text ein „Menschenrecht auf Migration hinein interpretieren“ könne, sei „bedenklich“.
Die politische Kritik von Rechts ist noch immer die gleiche, sie hat sich nur ein neues Zielobjekt herausgesucht.“
Ebenso befürchtet die ADR „negative Konsequenzen“ für die Pressefreiheit. Damit macht sie sich ein in den vergangenen Wochen von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD verbreitetes Gerücht zu eigen, wonach der Migrationspakt den Medien eine migrationsfreundliche Agenda vorschreiben werde.
Das deckt sich allerdings nicht mit dem Wortlaut des Textes. Dort steht lediglich, dass sich die unterzeichnenden Staaten für eine „unabhängige, objektive und qualitative“ Berichterstattung einsetzen. Gleichzeitig sollen die Staaten keine Medien finanzieren, die „systematisch Intoleranz, Xenophobie, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung von Migranten“ fördern. Dass solche Medien nicht auf staatliche Subventionen zurückgreifen können, ist in den meisten Staaten jedoch ohnehin gesetzlich gegeben.
Migration besser verwalten, Ursachen verstehen
Laut dem letzten Weltmigrationsbericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es weltweit rund 244 Millionen Migranten. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Krieg, Vertreibung, Klimakatastrophen oder wirtschaftliche Not sind nur einige der Gründe, die Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Tun sie das auf illegalem Weg, setzen sie sich enormen Gefahren aus. Und ihre Erfolgschancen, sich irgendwann legal in einem anderen Land niederzulassen, sind gering.
Die Absicht des Migrationspaktes ist es generell, die Migrationsströme besser zu verwalten. 23 Punkte sollen dazu verhelfen. Grenzmanagement und Rückführung sind ebenso Thema wie die Bekämpfung von Menschenhandel und die Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt.
Neben der Eingrenzung von Fluchtursachen soll der Pakt die legale Zuwanderung erleichtern, während illegale Migration bekämpft werden sollen. Der Pakt ruft zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Zielländern auf und stellt die Wahrung der Menschenrechte von Migranten in den Vordergrund. Es sind gute Absichten, die rechtlich jedoch kaum eine Wirkung haben werden.
Ein rechtlich nicht bindendes Dokument
Letzteres liegt unter anderem daran, dass das Abkommen nicht bindend ist. Die Staaten sprechen sich lediglich dafür aus, die 23 Punkte des Paktes zu respektieren. Zwingen kann sie dazu niemand. Der Pakt könnte vielleicht politischen Druck erzeugen, aber mehr auch nicht, schätzt der Historiker und Migrationsforscher Hannes Hofbauer.
Rechtlich gesehen hat er jedenfalls kaum Gewicht. „Rechtlich-bindende internationale Verpflichtungen wie die Einhaltung von Menschenrechtserklärungen stehen ganz klar über diesem Pakt und behalten ihre Wirkungskraft“, erklärt die Dozentin für Flüchtlingsrecht an der Queen Mary University London, Violeta Moreno-Lax.
Der Migrationspakt falle unter das sogenannte weiche Recht, ergänzt die Expertin. Es kann hinzugezogen werden um bestehendes Recht zu interpretieren. Neue Verbindlichkeiten schaffe es nicht. „Letztlich kommt es darauf an, wie viel Bedeutung die einzelnen Staaten dem Pakt zuordnen wollen“, so die Forscherin.
Konkrete Forderungen und Kontrollen fehlen
Laut Moreno-Lax hat der Text seine eigentlichen Absichten verfehlt. Denn ursprünglich ging es darum, vorhandene internationale Verpflichtungen, insbesondere die geltenden Menschenrechtskonventionen, zu implementieren. Der Text sollte konkrete, operationelle Mechanismen für deren Umsetzung schaffen.
„Das wurde aber verfehlt“, kritisiert die Dozentin für Migrationsrecht. Denn der Text stellt keine konkreten Forderungen und wiederholt nur, was bereits in anderen internationalen Abkommen steht. Violeta Moreno-Lax bedauert: „Er ist zu vage, es gibt weder einen Aktionsplan noch eine Strategie. Es gibt keine Beschlüsse, wie Migranten verteilt werden sollen oder auf welchem Weg legale Migration stattfinden soll.“
So soll etwa die internationale Migrationsbehörde IOM über die Umsetzung des Paktes wachen. Angesichts der Tatsache, dass der Pakt keine konkreten Bestimmungen formuliert, was von wem, bis wann umgesetzt werden muss, ist unklar, wie die IOM dies tun soll.
Indem der Text anerkennt, dass es Migration gibt und sie politisch gestaltet werden muss, entfacht er die Migrationsdebatte auf ein Neues.“
Rechtlich gesehen sind die Argumente der Gegner des Paktes – etwa die Untergrabung der nationalen Souveränität oder die Förderung von Migration– also nicht haltbar. Migration zu verwalten bedeute etwa, dass die Grenzen weder offen noch geschlossen sind, unterstreicht Violeta Moreno-Lax. „Es heißt lediglich, dass man ein System hat, welches von den Staaten geregelt wird und welches sich nach geltendem Völkerrecht richtet.“ Es gehe bei dem Pakt schließlich nicht um die Gewährung von Privilegien, sondern um geltendes Recht, so die Forscherin.
Da der Pakt rechtlich nicht bindend sei, könne auch die Staatssouveränität allein schon deshalb nicht untergraben werden. Das Argument sei absurd, findet die Expertin für Migrationsrecht. „Nur weil Staaten souverän sind, können sie überhaupt Verpflichtungen eingehen.“
Verlagerte Kontroverse um Flüchtlingspolitik
Vor diesem Hintergrund hat der Migrationspakt vor allem symbolischen Charakter. Denn indem der Text anerkennt, dass es Migration gibt und sie politisch gestaltet werden muss, entfacht er die Migrationsdebatte auf ein Neues. Die politische Kritik von Rechts ist noch immer die gleiche, sie hat sich nur ein neues Zielobjekt herausgesucht.
Das sei aber die falsche Diskussion, kritisiert indes der Historiker Hannes Hofbauer. Im Gespräch mit REPORTER bedauert er, dass der Migrationspakt zu wenig an den Ursachen ansetzt. Migration sei immer ein Ausdruck von Ungleichheiten und es gelte diese Ungleichheiten aufzuheben, statt die Menschen lediglich von der Peripherie ins Zentrum zu holen. Denn an diesen Ungleichheiten seien auch die Zielländer maßgeblich Schuld: Etwa indem sie Freihandelsabkommen mit strukturschwachen Staaten abschließen.
Doch auf die Gründe für Migration, etwa Krieg, Klimakatastrophen oder Armut, gehe der Migrationspakt kaum ein. Wird Migration im Pakt zwar als positiv dargestellt, müsse man sich fragen für wen, so Hofbauer: „Für jene, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen oder aber jene, die billige Arbeitskräfte ins Land holen können?“
Wenn Jean Asselborn sich am 6. Dezember den Fragen der Luxemburger Abgeordneten stellt, drängt sich demnach die Frage auf, worum die Diskussion eigentlich geht. Geht es darum, welche Verpflichtungen Luxemburg mit seiner Zustimmung zu diesem Pakt eingeht, ist die Frage faktisch schnell geklärt. Geht es um die Frage nach Sinn, Ursachen und Gestaltungsmöglichkeiten von Migration, ist die Diskussion eine andere.