Der Weg zu einer Studentenstadt Esch ist noch lang. Nach fünf Jahren Belval lässt das Leben auf dem Campus weiterhin zu wünschen übrig. Hohe Mietpreise und administrative Hürden erschweren die Lage. Es fehlt ein Konzept für den Universitätscampus.
„Belval muss Teil von Luxemburg werden“, fasst Estelle Née von der Studentenvertretung UNEL die Situation auf dem Campus zusammen. „Am Wochenende war es wirklich schrecklich“, ergänzt Mathilde Codezzi. Die Studentin lebte zwei Jahre im „Uni-Val II“ gleich neben dem Universitätsgebäude. Dieses Jahr sollte sie eigentlich in Kanada ihr Auslandssemester antreten. Aufgrund der Einreisebeschränkungen bleibt sie nun doch in Luxemburg – und lebt wieder bei ihren Eltern in Longwy. „Damals hatte ich noch keinen Führerschein, sonst hätte ich das auch schon früher gemacht“, so die Jurastudentin.
Allerdings nicht aus Kostengründen oder wegen des fehlenden Soziallebens. Vor allem der Komfort des Elternhauses war für die Studentin ausschlaggebend. „Aber ich hätte vielleicht länger mit der Idee gehadert, wenn das Leben auf dem Campus aufregender gewesen wäre.“ Die inzwischen seit 17 Jahren bestehende Universität kann nur zum Teil gegensteuern. Trotz steigendem Angebot an Wohnheimen und Aktivitäten wirkt der Campus blass.
„So langsam baut sich auch was auf“, glaubt Vidiam Moreau, der in zwei Studentenorganisationen aktiv ist. Dennoch. In einer Umfrage im Herbst 2019 antwortete ein Drittel der Studenten, dass der Campus von zusätzlichem Leben profitieren könnte. Die Ergebnisse der Umfrage sind nur zum Teil öffentlich, sodass nicht klar ist, wie die Einschätzung der anderen Studenten ausfiel. Während die Universität vor allem die Studenten in der Verantwortung sieht, sprechen die Betroffenen von strukturellen Problemen.
Dauerbrenner Wohnraum
Seit 2017 verwaltet die Universität etwa 1.100 Studentenwohnungen. Die Zahl ist in den letzten Jahren konstant geblieben. Demnach können etwa 17 Prozent der Studenten in einer Unterkunft der Universität wohnen. Allerdings befinden sich diese nicht ausschließlich in Belval. Drei größere Wohnhäuser mit insgesamt 442 Einheiten liegen in unmittelbarer Nähe des Universitätscampus. Die restlichen Wohnungen verteilen sich größtenteils in Esch und anderen Südgemeinden des Landes, weitere 238 Zimmer befinden sich in Luxemburg Stadt.
Letztes Jahr gab es ganz sicher nicht genug Wohnungen. Dieses Jahr bin ich mir wegen Corona nicht sicher.“Alex Domin, Präsident der Studentenvertretung
Die Campusnähe ist laut Stefanie Knill, die Leiterin des „Service des études et de la vie étudiante“, von höchster Bedeutung. Bei der Wohnungssuche sei dies neben dem Preis das Hauptanliegen der Studenten. Der tägliche Zeitaufwand für das Pendeln zur Uni soll so klein wie möglich sein. Spätestens um Mitternacht fährt jedoch selbst nach Oberkorn in der Nachbargemeinde der letzte Zug ab. Von Düdelingen aus benötigt man ohne Auto fast eine Stunde zur Universität. Die dortigen Studentenwohnheime seien „historisch gewachsen“, so Stefanie Knill. Die Nachfrage sei trotzdem groß: „Verschiedene Studenten vor allem von höheren Jahrgängen wollen vielleicht auch mehr Ruhe haben.“
Internationale Studenten prioritär
Viele haben jedoch auch keine Wahl, wo sie unterkommen. „Letztes Jahr gab es ganz sicher nicht genug Wohnungen. Dieses Jahr bin ich mir wegen Corona nicht sicher“, sagt Alex Domin, Präsident der Studentenvertretung der Universität im Gespräch mit REPORTER. Laut Universitätsverwaltung gab es im letzten Jahr tatsächlich Schwierigkeiten, dennoch konnte man nach ein paar Monaten allen Anfragen nachkommen. Während dieser Zeit haben allerdings auch viele Studenten, die sich auf der Warteliste befanden, eine (teurere) Wohnung auf dem privaten Markt gefunden. Ein Teil von ihnen auch in WGs in Esch. Laut Stefanie Knill hat die Universität sich an die Gemeinde gewendet und den Wunsch geäußert, WGs auch künftig zu gestatten. Die Abstimmung über den umstrittenen PAG der Gemeinde Esch steht noch immer aus. Die Lage könnte sich für Studierende also noch weiter erschweren.
Am Wochenende war es wirklich schrecklich.“ Mathilde Codezzi, Jurastudentin
Dieses Jahr könne man noch nicht abschließend sagen, ob das Angebot reicht, sagt Stefanie Knill. Prinzipiell seien bereits alle Plätze verteilt, aber bis Mitte Oktober würden viele wieder abspringen. Der Prozess sei in diesem Studienjahr noch dynamischer, da pandemiebedingt viele Studierende ihre Pläne kurzfristig ändern wollen oder müssen.
Die Studenten, die weiter entfernt wohnen, können nur zum Teil zum Campusleben beitragen. „Manche wollen aber auch nicht wirklich teilnehmen“, glaubt Mathilde Codezzi. Gemeint sind die einheimischen Studenten. Die Luxemburger würden sich nur in geringerem Maße einbringen, weil sie bereits einen Freundeskreis außerhalb der Uni haben, meint die Studentin. Allerdings werden auch nur sechs Prozent der Wohnungen an Luxemburger vergeben. Der Großteil der 3.000 Luxemburger Studenten muss von ihrem Elternhaus nach Belval pendeln. „Da wir keine Mobilitätsbeihilfen erhalten, ist es fast unmöglich, aus eigener Tasche eine Wohnung im Süden zu mieten“, sagt Estelle Née. Ein längerer Aufenthalt auf dem Campus ist also für viele nicht möglich, weil sie angesichts der unzureichenden Transportanbindungen nicht mehr nach Hause kämen.
Schönes Gebäude, kaum Nutzer
Doch selbst wenn mehr Studenten auf dem Campus leben würden, werde Belval dadurch nicht gleich von Leben strotzen, befürchtet Alex Domin. „Die Universität gibt sich viel Mühe, ein attraktives Sport- und Kulturangebot zu schaffen. Größere Events sind allerdings die Ausnahme“, so der Präsident der Studentendelegation. Die Infrastruktur hierfür gebe es zwar, aber der Wille sei gering, sie auch zu nutzen.
Jetzt haben wir ein Gebäude, das für die Studenten nicht attraktiv ist.“Alex Domin, Präsident der Studentenvertretung
Eigentlich steht den Studenten in der „Maison des Arts et des Étudiants“ (MAE) ein Festsaal für etwa 1.000 Personen zur Verfügung. Laut Alex Domin müssen sie allerdings seit Anfang März für die Nutzung von verschiedenen Räumlichkeiten des MAE einen höheren Preis zahlen. Möglicher Grund soll eine mangelhafte Kommunikation zwischen dem „Fonds Belval“ und den Studenten sein. Bereits in der Planungsphase des Studentenzentrums wurden die Vorschläge der Studenten zwar gesammelt, aber später ignoriert, kritisiert Domin. „Jetzt haben wir ein Gebäude, das für die Studenten nicht attraktiv ist“, so der Studentenvertreter. Daraufhin sollten die leerstehenden Räume besser genutzt werden, indem der „Service des études et de la vie étudiante“ in die „Maison des Arts et des Étudiants“ verlegt wird. Jedoch wehrten sich die Studenten und stimmten im Februar gegen den Umzug. „Man erklärte uns, wir müssten für die Nutzung von verschiedenen Räumen nun einen höheren Preis zahlen“, sagt Domin.
Auf eine Anfrage von REPORTER antwortete der „Fonds Belval“ bis Redaktionsschluss nicht.
Tatsächlich gab weniger als ein Drittel der Studenten in der Umfrage zum Campusleben an, dass sie das Gefühl hätten, sie würden gehört. Das fehlende Mitspracherecht ist also mitverantwortlich für eine verfehlte Baupolitik.
Um zehn Uhr ist Schluss
Einer der wenigen frei zugänglichen Orte in der „Maison des Arts et des Étudiants“ ist die „Student Lounge“. Dort könnten sich immerhin 100 Studenten treffen, doch das Gebäude wird um 10 Uhr abgeschlossen. Alternativen gibt es auf dem Universitätsgelände kaum.
Die Studentenvereinigungen führen einen Kampf gegen Windmühlen und werden teilweise von der Universität unterstützt. Zwar bessert sich für die Studenten die Lage zunehmend, doch die strukturellen Probleme wurden noch immer nicht in Angriff genommen. Für viele Arbeiter und Studenten bleibt die Universitätsstadt unattraktiv. Estelle Née fordert deshalb mehr Wohnprojekte für alle Gesellschaftsschichten in der Universitätsstadt. Die Uni sei weiterhin eine Insel inmitten des Landes, in der eine soziale Vermischung kaum möglich sei, so die Pressesprecherin der Studierendenorganisation. In naher Zukunft wird Belval wohl auch noch nicht Teil von Luxemburg werden.