Moschee oder Kathedrale? Gemischte Kultur oder stolze christliche Nation? Im südspanischen Cordoba kratzt ein jahrelanger Streit am pluralistischen Erbe Andalusiens. Doch es geht dabei nicht allein um die „Mezquita“, sondern auch darum, wie sich Spanien  heute selbst sieht.

Es ist ein seltsames Gefühl. Gerade haben sich die Augen an das Schummerlicht des endlosen Säulenwalds gewöhnt. Nun tritt man plötzlich in ein überdimensionales lichtdurchflutetes Kirchenschiff. Der Kontrast zwischen der Schlichtheit der niedrigen Moscheebögen und dem Prunk der in die Höhe strebenden Marmorkathedrale könnte größer nicht sein. Es ist der Geist unterschiedlicher Epochen, das Selbstverständnis zweier Weltreligionen, über die ein Besucher der Mezquita von Cordoba reflektieren kann. Kaum ein anderer Sakralbau der Welt steht so erkennbar für das jahrhundertelange Zusammensein, aber auch für den Zwist von Islam und Christentum.

„Mezquita“ (Spanisch für „Moschee“), so wird das Wahrzeichen von Cordoba in den Reiseführern gemeinhin genannt. Doch die Verwirrung fängt beim Blick in die Info-Broschüre an, die am Eingang ausliegt. „Kathedrale von Cordoba“ steht dort in großen Lettern. Das Wort „Moschee“ taucht nur in einem kurzen Absatz auf, in dem von einer „islamischen Intervention“ die Rede ist. Einige Sätze später wird eine der Bauphasen der Moschee als „nicht sehr originell“ beschrieben. Und schon ist man inmitten des Streits angelangt, der die Stadt Cordoba seit Jahren bewegt.

Die kultivierteste Stadt des Mittelalters

Der Name Cordoba stand über Jahrhunderte für den fruchtbaren Austausch der Religionen. Unter den Kalifen von Al-Andalus wurde Cordoba zu einem der kultiviertesten Zentren des Mittelalters; im Jahr 935 war die Stadt gar die bevölkerungsreichste der Welt. Wissenschaftliche Errungenschaften wie die erste Papierproduktion Europas gingen in Cordoba mit geistigen Höchstleistungen in der Philosophie und Theologie Hand in Hand.

Als man die Mezquita auf den Ruinen einer westgothischen Basilika baute, begann an der westlichen Peripherie der islamischen Welt eine intellektuelle Blütezeit. Beflügelt durch den Pluralismus von Al-Andalus verkehrten in Cordoba namhafte Denker wie der muslimische Phliosoph Averroes, sein jüdischer Kollege Maimonides oder der große Sufi-Meister Muhyiddin Ibn Arabi.

Die Stimmung schlug mit der „Reconquista“ (Wiedereroberung) durch die Christen um. Muslime wurden nun zu Eindringlingen erklärt, die Koexistenz bröckelte. Als man im 16. Jahrhundert eine Kathedrale im Zentrum der alten Moschee errichtete, wollte man dem Triumph über die Muslime mit allen Mitteln Ausdruck verleihen – mit Pomp statt Einfachheit, mit gleißendem Licht aus hohen Kirchenfenstern statt der Dunkelheit der Moschee, in der die Kirche den Islam gefangen sah. Einiges spricht dafür, dass diese Mentalität der Überlegenheit bis heute überlebt hat.

Unterdrückung des islamischen Erbes

Seit einigen Jahren versucht der Erzbischof von Cordoba, sich als alleiniger Eigentümer der Mezquita einzuschreiben. Zwar ist die Kathedrale Sitz der Diözese Cordoba, der gesamte Bau jedoch befand sich bisher in öffentlicher Hand. Der Bischof bedient sich bei seinem Bestreben einer Gesetzeslücke im Eigentumsrecht, das zu Francos Zeiten festgelegt wurde und im kommenden Jahr ausläuft.

Der Vorstoß des Bischofs ist die logische Fortsetzung einer Reihe von Schritten, mit der die katholische Kirche die islamische Identität des Bauwerks unterdrücken will. Lange war die Mezquita in Geschichtsbüchern und Broschüren unter dem Titel „Moschee-Kathedrale“ bekannt, doch 1998 setzte die Kirche eine Umbenennung in „Kathedrale (ehemalige Moschee)“ durch. Seit 2000 ist das Wort „Moschee“ allerdings ganz verschwunden. Nun wird der Bau nur noch als „Kathedrale von Cordoba“ beworben.

Cordoba ist eine sehr spirituelle Stadt, das spürt jeder Besucher.“Salma Al-Faruki, Betreiberin eines Museums und Kulturzentrums in Cordoba

Seitdem gibt es regelmäßige Aufschreie von Historikern und Aktivisten. Einige befürchten gar die Aberkennung des Weltkulturerbe-Status und betonen, dass es die islamisch-andalusische Baukunst sei, die der Mezquita ihren Charakter verleiht. Die Rede von einer „islamischen Intervention“ sei nicht nur irreführend, sondern schlichtweg Geschichtsklitterung. Auch bei den Kommunalwahlen ist der Mezquita-Streit in Cordoba immer wieder Top-Thema.

Gleichzeitig gab es von muslimischer Seite Initiativen, die Mezquita für das gemeinsame Gebet von Muslimen und Christen freizugeben. Während die Diözese in der Kathedrale jeden Tag eine Messe ausrichtet, waren in den letzten Jahrhunderten Muslimen Gebete in der alten Moschee untersagt. 2010 wurden zwei österreichische Muslime festgenommen, weil sie unter den Säulen beten wollten.

„Eine Schande für Cordoba“

Wenige Gehminuten von der Mezquita entfernt schüttelt eine ältere Dame den Kopf. Salma Al-Faruki, gebürtige Palästinenserin, macht der Streit um die Mezquita traurig. Die 75-Jährige trägt einen weiten blauen Kaftan, ein turbanartig gebundenes Kopftuch und einen reich verzierten Schal um den Hals. Die mit Kayal gezogenen Linien unter ihren Augen verleihen ihr einen mystischen Touch. „Der Streit ist eine Schande, die Cordobas Ruf als Leuchtfeuer der Toleranz vernichtet. Was der Bischof macht, ist das Gegenteil von den Lehren Jesus Christus.“

Salma, so nennen sie hier alle, floh als Kind mit ihrer Familie aus der Geburtsstadt Jerusalem nach Ägypten. Später ging sie nach Genf, wo sie für die UN arbeitete. Mitte der 1980er Jahre zog sie nach Cordoba, angezogen vom Zauber des alten Andalusiens. Seit zwanzig Jahren betreibt Salma das „Casa Andalusi“, ein im traditionell andalusischen Baustil errichtetes Wohnhaus, das nun als Museum und Kulturzentrum fungiert.

Salma Al-Faruki versucht das interreligiöse Erbe in Cordoba zu vermitteln und damit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. (Foto: Marian Brehmer)

Der grüne Innenhof des „Casa“, auf dem ein achteckiger Springbrunnen plätschert, ist eine Oase der Ruhe. Die Wände zieren Teppiche und Fliesen mit bunten geometrischen Mustern, wie sie für Andalusien typisch sind. Salma empfängt hier Touristen genauso wie Muslime aus aller Welt. Sie finden in dem Haus ein Stück der verloren gegangenen Welt von Al-Andalus wieder, tauschen sich über ihren Glauben aus und treffen sich zu arabischer Musik oder Vorträgen über Sufismus und maurische Kultur.

„Cordoba ist eine sehr spirituelle Stadt, das spürt jeder Besucher“, sagt Salma. „Man sagt, es habe in Cordoba einmal mehr als 600 Moscheen gegeben. Die Straßen der Stadt wurden nachts mit Öllampen beleuchtet.“ Die Mezquita ist für Salma das schönste Überbleibsel dieser Zivilisation, ein Symbol für etwas Höheres. Umso mehr schmerzt sie der Konflikt.

Doch es geht in Cordoba nicht allein um die Mezquita, sondern auch darum, wie sich Spanien heute selbst sieht. Als Nation mit einem gemischten kulturellen Erbe, das maßgeblich von der islamisch-maurischen Zivilisation mitgeformt wurde? Oder als christliche Nation, fest verankert in Europa, wonach die islamische Eroberung im Jahr 711 ein feindlicher Eingriff war?

Plädoyer für interreligiöse Toleranz

Der 1165 in Murcia geborene Mystiker Muhyiddin Ibn Arabi würde sich bei solchen Fragen wohl in seinem Damaszener Grab umdrehen. Kaum ein anderer beeinflusste die Entwicklung der islamischen Spiritualität so stark wie Ibn Arabi.

Es waren mystische Einsichten in Sevilla und Cordoba, die Ibn Arabi zu jenen berühmten Gedichtzeilen führten, die heute in der islamischen Philosophie- und Literaturgeschichte als ein leuchtendes Plädoyer für interreligiöse Toleranz hervorstehen: „Mein Herz hat sich für jegliche Form geöffnet / Es ist eine Weide für Gazellen / und ein Kloster für christliche Mönche / und ein Tempel für Götzenbilder / und die Kaaba der Pilgernden / und die Tafeln der Thora / und das Buch des Korans.“

Der Streit ist eine Schande, die Cordobas Ruf als Leuchtfeuer der Toleranz vernichtet.“Salma Al-Faruki, Betreiberin eines Museums und Kulturzentrums in Cordoba

Es scheint heute, dass sich kaum jemand rund 900 Jahre nach Ibn Arabis Tod in Cordoba auf seine Worte zu entsinnen scheint. Immerhin widmet das kleine Museum für andalusische Kultur heute einen Teil seiner Ausstellung dem Sufi-Mystiker.

Doch wie lässt sich der Streit um die Mezquita lösen? Franco meinte in den frühen 1970er Jahren, eine Lösung gefunden zu haben. Er wollte die Kathedrale einfach Stein für Stein abbauen und in eine andere Stadt verpflanzen. Das scheiterte jedoch rasch am Widerstand des damaligen Erzbischofs.

Und so wäre es vielleicht an der Zeit, sich einmal in die Gedankenwelt von Ibn Arabi zu versenken und von der Weisheit des maurischen Philosophen zu lernen. Salma Al-Faruki findet im Schatten ihres Patios, der im Sommer zur willkommenen Rettung vor der sengenden Hitze Cordobas wird, eine passende Metapher: „Wenn alle von uns zur gleichen Zeit die Sonne anblicken, fühlen wir eine Einheit, die uns alle verbindet. Es ist unsere Pflicht als Menschen, hart daran zu arbeiten, dass sich diese Einheit auch in unseren Taten widerspiegelt.“