Viele ostfranzösische Departements sind vom wirtschaftlichen Zerfall geprägt. In direkter Nachbarschaft zu Luxemburg hat der Untergang der Kohle- und Stahl-Industrie Dutzende Industriebrachen zurückgelassen, um die sich teils ein giftiger Cocktail angesammelt hat.
Wo einst Kohleöfen brannten und Stahl kochte, wo Arbeiter Tag für Tag zu Tausenden geschäftig in die Werke strömten, ist heute oft Stille eingekehrt. Luxemburgs französische Nachbarregion Grand-Est hat in den vergangenen Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel durchlebt. Der Rückgang der weit verbreiteten Schwerindustrie hat die Arbeitslosigkeit vor allem in Lothringen zeitweise auf mehr als zehn Prozent anschwellen lassen.
Zwei Jahrhunderte Kohle- und Stahlindustrie haben jedoch auch in der Landschaft Spuren hinterlassen. Während die verlassenen Halden mit ihren gigantischen Baggern sofort ins Auge fallen, bleibt ein Teil des industriellen Erbes zumindest auf den ersten Blick verborgen. Die Verschmutzung der Böden unter den Industriebrachen war lange kein Thema. Doch Studien beweisen: In der Erde unter den oft verwaisten Lothringer Anlagen finden sich heute große Mengen an Schadstoffen, vor allem Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe.
Viele Tonnen gefährlicher Industriemüll
Nur wenige wissen, dass beispielsweise im Bodenwasser unter der grenznahen Chemieplattform Carling rund 100 Tonnen krebserregendes Benzol schwimmen, das Erbe einer alten Kokerei. Laut der regionalen Wasserbehörde drohen die Schadstoffe das Grundwasser zu verseuchen. In Algrange, auf halber Strecke zwischen Esch/Alzette und Amnéville, wurden über die Jahrzehnte mehrere Millionen Tonnen Stahl verarbeitet. Heute ist das Gelände Teil eines Industriegebiets, in der Nähe befindet sich eine Siedlung. Unter der Brache schlummern noch immer große Mengen an Schwermetallen und Kohlenwasserstoffen.
Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, welche Gefahren von solchen Böden ausgehen können. Menschen, die auf oder in der Nähe von kontaminierten Gebieten leben, seien dadurch oft nicht nur psychisch belastet, sie leiden auch häufiger unter Kopf- und Gliederschmerzen sowie chronischer Müdigkeit. Sie würden auch unter vermehrten Erektionsstörungen leiden und häufiger missgebildete Säuglinge gebären, schreibt etwa das französische Institut für sanitäre Sicherheit in einer neueren Studie.
Laut Einschätzung der EU sind Industriebrachen besonders gefährlich für Kinder, weil sie sich beim Spielen schnell mal Erde in den Mund steckten oder giftigen Staub einatmeten. Dadurch könne das kindliche Nervensystem, das Gehirn oder andere Organe wie Leber, Herz oder Niere geschädigt werden. Außerdem mehrten sich Anzeichen dafür, dass Schadstoffe wie Asbest und Arsen im Boden das Krebsrisiko erhöhten.
Sind die Brachlandschaften also Schuld daran, dass die Lothringer im Schnitt rund ein Jahr kürzer leben als der Durchschnitts-Franzose? Nein, sagt die regionale Gesundheitsbehörde. Das ließe sich anders erklären: Die Menschen in Lothringen rauchen über die Maße viel und sterben deshalb besonders häufig an Lungenkrebs.
„Tickende Zeitbomben“ an Luxemburgs Grenze
Das Problem der Industriebrachen ist dennoch nicht zu unterschätzen, vor allem deshalb, weil es noch nicht umfassend erforscht ist. Noch Mitte der 1980er Jahre habe es in Lothringen kaum ein Bewusstsein für die Thematik gegeben, schreibt die ostfranzösische „Industrie-Polizei“ Dreal in einem Dossier. „An Wasserläufen und teilweise sogar in Zentren von Städten fanden sich insgesamt fast 6.000 Hektar meist verwaister und oft hochbelasteter Industriebrache.“
Seit den 1990er Jahren zählt das nationale Umweltministerium immerhin belastete Grundstücke und Böden, die behördliches Eingreifen erfordern. Die Datenbank „Basol“ verzeichnet aktuell 186 verseuchte Areale allein für das an Luxemburg angrenzende Departement Moselle – im Verhältnis zur Fläche sind das fast dreimal so viele wie im nationalen Schnitt. Und auch das Departement Meurthe-et-Moselle, mit dem Luxemburg ebenfalls einige Kilometer Grenze teilt, weist verhältnismäßig beinahe doppelt so viele belastete Objekte auf.
Gerade einmal fünf Prozent dieser Brachen wurden in der Datenbank mit einem grünen Punkt markiert, soll heißen, sie sind „dekontaminiert und frei von Auflagen“. Deutlich mehr Gelände ist der Datenbank zu Folge dagegen noch nicht einmal gesichert. Gérard Landragin, Vorsitzender des lothringischen Umweltdachverbands „Mirabel“, schätzte einst im Gespräch mit dem saarländischen Magazin „Forum“, dass es alleine in Moselle mehr als ein Dutzend „tickende Zeitbomben“ gibt.
Das anhaltende Problem der Insolvenzfälle
Damit meine er vor allem Insolvenzfälle, bei denen sich die Dekontaminierung über Jahre hinzieht. Für Insolvenzfälle sehe der Gesetzgeber vor, dass aus dem verbleibenden Firmenvermögen zuerst die Gläubiger ausgezahlt werden müssten: „Ausgaben für den Umweltschutz kommen erst nach ausstehenden Gehältern, Sozialabgaben und den anderen Schuldnern.“ Währenddessen kann liegengebliebener Giftmüll in Brand geraten, explodieren, in einen Bachlauf geraten – oder in den Mund eines Kindes.
Es habe zuletzt aber auch Fortschritte gegeben, sagte der ehemalige Umweltingenieur Gérard Landragin. So müssten neue Unternehmen mittlerweile Geld für Räumungen zurückstellen. Aber selbst die Neuregelung sorge oft nicht dafür, dass ausreichende Summen für den Fall einer Firmenpleite zurückgehalten würden, beklagt der Experte. Zwar unterstützt auch die Behörde für Umwelt und Energiesicherheit (Ademe) seit 2010 derartige Fälle. In Lothringen reicht das Budget jedoch nicht einmal für eine Handvoll Räumungen im Jahr.