Überwiegend ausländische Saisonarbeiter werden dieser Tage wieder die Weintrauben lesen. Die Winzer geben ihr Bestes, doch die Behörden sind auf ihre Ankunft unvorbereitet. Sowohl bei der Krankenversicherung als auch bei der Teststrategie gibt es Unklarheiten.

Testgutscheine ohne Teststrategie, Arbeitsverträge ohne Krankenversicherung: Recherchen von REPORTER haben ergeben, dass es sowohl bei den der Pandemie geschuldeten Sicherheitsmaßnahmen, als auch bei der Versicherungslage der Erntehelfer Widersprüchlichkeiten gibt. Juristen finden die Situation „bedenklich“. In den zuständigen Behörden herrscht Verwirrung.

Von einer angemessenen Vorbereitung auf die schätzungsweise tausend ausländischen Erntehelfer, die in den nächsten Tagen vor allem aus Polen nach Luxemburg kommen, kann nicht die Rede sein. Besonders in Zeiten einer Pandemie, in der das Risiko, dass ein Arbeiter erkrankt, erheblich wächst, sollte das Worst-Case-Szenario zumindest einmal theoretisch durchgespielt werden.

Kostenlose Tests für alle

Bereits Mitte Juli hatte das Gesundheitsministerium Richtlinien veröffentlicht, die im Kontext der Pandemie für die nötige Sicherheit der anreisenden Saisonarbeiter sorgen sollen. Sie beinhalten Empfehlungen zu Hygiene, Organisation und Unterbringung für die Winzer, sowie Informationsblätter in polnischer, rumänischer und bulgarischer Sprache für die Saisonarbeiter. Auf Anfrage bekommen alle Winzer Gutscheine, um ihre Erntehelfer vor Arbeitsantritt kostenlos auf Covid-19 testen zu lassen.

„In der Theorie ist das ja wunderbar“, sagt Armand Schmit-Fohl. Doch bei der Umsetzung hat der Winzer aus Ahn durchaus seine Bedenken. Er sieht die Gefahr, dass die privaten Labore der Gegend schnell durch die hohe Anzahl an Tests, die innerhalb weniger Tage durchgeführt werden müssen, überlastet sind. Seine Frau Patrizia ist seit Tagen mit den Verantwortlichen der umliegenden Labore am Telefon, um eine Lösung zu finden.

Ich brauche erfahrene Leute, auf die ich mich verlassen kann.“Winzer Armand Schmit-Fohl

„Gemeinsam mit den Privatwinzern versuchen wir, einen Sammelort zu bestimmen, an dem wir ausschließlich die Tests der Saisonarbeiter durchführen“, erklärt dann auch Christiane Schmitt, Leiterin des Kundenbetreuungsteams der „Laboratoires réunis“. Dadurch könnten im gleichen Zeitraum mindestens doppelt so viele Menschen wie gewöhnlich getestet werden. „Bis zu 50 Tests pro Stunde“, schätzt die Krankenschwester. Eine endgültige Entscheidung lag bis Redaktionsschluss allerdings noch nicht vor. Am Mittwoch werden die ersten Saisonarbeiter erwartet.

Das Ministerium für Gesundheit stellt zwar die kostenlosen Tests zur Verfügung, zieht sich jedoch bei der Koordination aus der Verantwortung. Einfacher wäre es gewesen, die Tests der Saisonarbeiter über das „Large-Scale-Testing“ abzuwickeln, findet auch Stéphane Tholl, Betriebsleiter der „Laboratoires Réunis“. Er erklärt das Versäumnis damit, dass sich das „Large Scale Testing“ gerade in einer „Übergangsphase“ befindet. Die einen sind wohl „nicht mehr“ zuständig, die anderen „noch nicht“.

Notfallplan für die Trauben

Lucien Gloden beschäftigt auf seinem Weingut in Schengen in den nächsten Wochen zwölf Saisonarbeiter. Wie seine Kollegen legt er in diesem Jahr besonderen Wert auf genügend Abstand bei der Unterbringung und Einhaltung der Hygieneregeln. „Ich habe hier 1.300 Masken und tonnenweise Desinfektionsmaterial liegen“, sagt der Winzer. „Wir tun, was wir können.“

Ein Notfallplan steht dennoch: Sowohl die ADEM, als auch der Maschinenring haben in den letzten Wochen dazu aufgerufen, sich als Erntehelfer bei ihnen zu melden. Es liegen Listen vor, die die Winzer im Notfall anfordern können.

Auf Ersatz zurückgreifen zu müssen, das wünscht sich jedoch keiner. „Ich brauche erfahrene Leute, auf die ich mich verlassen kann“, sagt Armand Schmit-Fohl, der seinen Betrieb vor drei Jahren auf Bioanbau umgestellt hat und in den Reben des elf Hektar großen Weingutes vollständig auf Handlese angewiesen ist. Seit Jahren kommt dieselbe Gruppe von Saisonarbeitern zu ihm. Man kennt und vertraut sich.

Krankenversichert oder nicht

Angesprochen auf die Versicherungslage der Erntehelfer verweist Patrizia Schmit-Fohl auf das dem Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und ländliche Entwicklung unterstellte „Institut viti-vinicole“. Das dazugehörige Internetportal gibt „Auskunft über zu beachtenden Formalitäten sowie Hinweise auf gesetzliche Bestimmungen“. Hier lässt sich sogar ein Modell für einen Arbeitsvertrag herunterladen.

Doch die angeführten „gesetzlichen Bestimmungen“ sind aus arbeitsrechtlicher Sicht äußerst zweifelhaft: „Ich habe das Gefühl, dass hier Äpfel mit Birnen verwechselt werden. Aber vielleicht ist das ja so gewollt?“, fragt Michel Di Felice, Jurist bei der Arbeitnehmerkammer. Entscheidender Punkt ist die Frage, ob Erntehelfer von den Winzern bei dem „Centre Commun de la securité sociale“ angemeldet werden müssen oder nicht. Ob sie demnach neben der obligatorischen Unfall- und Pflegeversicherung in Luxemburg auch kranken- und rentenversichert sind.

Ich frage mich ernsthaft, wie viele von den Saisonarbeitern in ihrem eigenen Land versichert sind?“Michel Di Felice, Jurist

Der Pressesprecher des Ministeriums für Arbeit antwortete auf die Frage, ob Saisonarbeiter sozialversichert werden müssen, mit einem klaren „Ja“. Zumindest zunächst. Grundsätzlich hätten „Saisonarbeiter die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeitnehmer“. Mit den „gesetzlichen Bestimmungen“ auf dem Internetportal des Landwirtschaftsministeriums konfrontiert, verweist das Arbeitsministerium dann allerdings an das Ministerium für soziale Sicherheit.

Dieses schickt eine Tabelle, in der zwischen Saison- und Gelegenheitsarbeitern unterschieden wird. Daraus geht hervor, dass ein Arbeitnehmer, der weniger als drei Monate arbeitet, kein Saisonarbeiter, sondern ein Gelegenheitsarbeiter ist und auch nicht kranken- und rentenversichert werden muss. „Da kann ich nur staunen“, sagt Michel Di Felice. „Diese Differenzierung findet ihre Entsprechung nicht im Gesetz“, so der Jurist der Arbeitnehmerkammer.

Falsche Interpretation des Gesetzes

Laut dem Ministerium für soziale Sicherheit greife für die Erntehelfer, die weniger als drei Monate in Luxemburg arbeiteten, „die Versicherung des Heimatlandes der Arbeitskraft“. Michel Di Felice hat große Bedenken: „Ich frage mich ernsthaft, wie viele von den Saisonarbeitern in ihrem eigenen Land versichert sind.“ Studenten, Hausfrauen und Arbeitslose etwa seien es in den seltensten Fällen.

Die Verantwortung abzugeben und davon auszugehen, ein Saisonarbeiter habe eine Krankenversicherung in seinem Heimatland, ist das eine. Für Di Felice geht die zweifelhafte Handhabung jedoch weiter: „Hier wird ein Gesetzestext falsch interpretiert und angewendet“, sagt er. Er bezieht sich auf den „Code de la securité sociale“. Im Artikel 4 stünden eindeutig jene zwei Bedingungen, die erfüllt sein müssten, damit ein Arbeitgeber von der Versicherungspflicht (Kranken- und Rentenversicherung) seines Arbeiters entbunden sei. Die Arbeitszeit darf drei Monate nicht überschreiten und die auszuführende Arbeit darf nur gelegentlich erfolgen.

Letzteres sei bei Erntehelfern definitiv nicht gegeben, da sie Vollzeitverträge hätten. „Die Auslegung auf der Internetseite erzählt nur die halbe Wahrheit und ist meines Erachtens nicht richtig“, sagt Di Felice. Es scheint, als werde hier mit dem Wort „gelegentlich“ gespielt.

Bemerkenswert ist dann auch, dass der herunterzuladende Arbeitsvertrag nicht mit Gelegenheitsarbeiter, sondern dennoch mit Saisonarbeiter betitelt ist. Allerdings ohne die in der Tabelle des Ministeriums für soziale Sicherheit festgelegten Bestimmungen zu erfüllen. Der Vertrag folgt stattdessen den Regeln, wie sie das Ministerium für „Gelegenheitsarbeiter“ definiert.

„Worst-Case“-Szenario

„Den Begriff Gelegenheitsarbeiter gibt es im Arbeitsrecht nicht“, sagt dann auch Serge Fischer. Deshalb stehe Saisonarbeiter drauf. Auch wenn der Abteilungsleiter des Institut viti-vinicole zugibt, dass dies durchaus für Verwirrung sorgen könnte, macht er sich keine Sorgen: „Bisher hat das immer geklappt“, sagt er.

Mag sein, dass es sich hier „nur“ um einen schlampigen Gebrauch der Begriffe handelt. Doch was, wenn dadurch tatsächlich Lücken in der sozialen Absicherung der Erntehelfer entstehen? Was, wenn ein Arbeiter positiv getestet wird und ärztlich behandelt werden muss, jedoch keine Krankenversicherung besitzt? Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, aber das Worst-Case-Szenario sollte zumindest theoretisch durchgespielt werden, bevor die Weinlese beginnt.

Heimatländer der Erntehelfer

Die genaue Anzahl an Saisonarbeitern, die zur diesjährigen Weinlese nach Luxemburg kommen, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Schätzungen des Institut viti-vinicole zufolge handelt es sich um etwa tausend Menschen. Der überwiegende Teil komme aus Polen, weitere aus Rumänien und Bulgarien, sowie aus der Großregion. Das Infektionsgeschehen ist je nach Herkunftsland sehr unterschiedlich. Während in Polen und Bulgarien zum jetzigen Zeitpunkt weniger als 25 Menschen pro 100.000 Einwohner infiziert sind, ist die Lage in Rumänien ernster. Dort sind es knapp 85 Infizierte pro 100.000 Einwohner.