Was wäre, wenn Autos aus der Innenstadt verbannt würden? Manche europäischen Städte haben es vorgemacht. Auch in Luxemburg entstehen alternative Mobilitätskonzepte – umgesetzt werden sie aber nur, solange sie den Autoverkehr nicht stören.
Wer heute an Teilen der Seine entlangspaziert, hat keinen Autolärm im Ohr, sondern kann das Flusswasser hören. Kein Motorengeheul und kein Hupen, dafür Möwen, Stare und Spatzen, die um die Wette schnattern. Und das mitten in Paris. Auf dem Weg von der „Place de la Bastille“ bis zum Eiffelturm zum Beispiel.
Als Anne Hidalgo 2014 zur Bürgermeisterin von Paris gewählt wurde, kündigte sie an, die Innenstadt weitestgehend autofrei gestalten zu wollen. Dafür wurde die Sozialistin nicht nur von der Opposition hart angegriffen, sondern auch von Kollegen aus dem eigenen Lager als naiv belächelt. Doch mit einem konsequenten Politikstil im Namen der „sozialen Ökologie“ setzte die Sozialistin ihre Vision um. Trotz politischen und juristischen Tauziehens hatte sie nach weniger als drei Jahren im Amt viele Autos vom Seine-Ufer verbannt und die Straße in eine ausgedehnte Flaniermeile umgewandelt.
Doch das reichte der Bürgermeisterin nicht. In der verkehrsberuhigten Zone „Paris Centre et Saint-Germain“, die seit 2020 die ersten vier Arrondissements, sowie die nördlichen Teile des fünften, sechsten und siebten Arrondissements umfasst, herrscht durchgehend Tempo 30. Auf dem Gebiet der französischen Hauptstadt hat die Stadtverwaltung neue Fahrradwege mit einer Gesamtlänge von 60 Kilometern bauen und rund 60.000 Parkplätze in Terrassen und Grünflächen umwandeln lassen.
Langsames Umdenken der Stadtplaner
Paris ist in wenigen Jahren zu einer Stadt geworden, die Fußgängern und Fahrradfahrern Vorrang gibt und Autos in die Peripherie verbannt. Weitere Beispiele sind die Fahrradstadt Amsterdam, Barcelona mit seinen Superblocks oder auch Wien, wo der Anteil des motorisierten Individualverkehrs bereits heute bei weniger als einem Drittel liegt.
Und Luxemburg? Auch hier scheint sich die Mentalität langsam zu verändern. Politische Entscheidungen, wie das Schaffen von finanziellen Anreizen zum Kauf von Elektro-Fahrrädern, der kostenlose öffentliche Transport oder auch die Investitionen in die Tram signalisieren die Bereitschaft, sich von der seit Jahrzehnten auf das Auto konzentrierten Stadtplanung zu entfernen.
Auch rezente Umbauarbeiten in der Stadt, wie die drei großen Stadtbrücken, die nun über breite, gesicherte Fahrradwege verfügen, oder die Neuausrichtung der „Avenue de la Liberté“, sprechen für ein wachsendes Bewusstsein, alternative Verkehrsmittel mitzudenken. Allerdings, so scheint es, nur solange der Autoverkehr nicht darunter leidet. Ein konsequentes Umdenken wie in Paris fällt den Luxemburger Verkehrsplanern, die jahrzehntelang autogerechte Städte entworfen und geplant haben, sichtlich schwer.
Fahrradfahrer werden als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer nicht ernst genommen.“Jo Klein, „Provelo“
Von „Alibi-Arbeit“ spricht in diesem Zusammenhang Jo Klein vom Verein „Provelo“. Er bezeichnet die Mobilitätspolitik als halbherzig, es werde zwar ein Wille bekundet, doch bei der Umsetzung scheitere es weiterhin an einer klaren Priorisierung der Autofahrer. Beispiele für diese These gibt es viele: Anstatt verstärkt in Park-and-Ride-Anlagen außerhalb der Stadt zu investieren, saniert die Stadt gerade für viele Millionen Euro die Parkhäuser im Stadtkern und baut sie weiter aus. Auf der „Avenue Monterey“ hört der Fahrradweg von Belair kommend plötzlich auf, da der zur Verfügung stehende Platz einer neuen Einfahrt zum Parkhaus gewidmet wurde. Ähnlich vor den Kopf gestoßen werden Fahrradfahrer, die sich dem Stadtkern von den teils gut aufgestellten Fahrradachsen von Kirchberg, Bonneweg oder Hollerich nähern.
Das Fahrradnetz: ein Flickenteppich
Die neue „Avenue de la Liberté“ ist ein weiteres Beispiel: Sie ist zwar verkehrsberuhigt, die Tram dominiert das Geschehen und dennoch wurde das Fahrrad auch hier aus Platzmangel aus einigen Teilen der Allee verbannt. Während Autofahrer weiterhin von der Adolphe-Brücke direkt zum Bahnhof hinunterfahren können, müssen Fahrradfahrer hingegen einen Schlenker durch das Bahnhofsviertel in Kauf nehmen.
Das Fahrradnetz ist ein Flickenteppich, der signalisiert, dass Fahrradfahrer dort willkommen sind, wo sie die Autos nicht stören. „Die Gemeinde hat noch nicht verstanden, dass Fahrradfahrer und Fußgänger auch potentielle Käufer sind“, sagt Jo Klein. „Fahrradfahrer werden als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer nicht ernst genommen.“
Will man die Verkehrswende, so muss man beim Auto ansetzen.“Markus Hesse, Urbanismusforscher
Es ist kein Geheimnis, dass die Luxemburger zu den größten Autoliebhabern Europas gehören. Dies bescheinigen internationale Studien dem Großherzogtum immer wieder. 2019 kamen auf 1.000 Einwohner 694 Autos. Kein anderes europäisches Land besitzt so viele PKWs pro Kopf wie Luxemburg. Dies geht aus einer Publikation des europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA) hervor.
Hinzu kommen die über 200.000 Grenzpendler, die jeden Tag vorzugsweise mit dem Auto in die Stadt Luxemburg zum Arbeiten fahren. Und trotz rezenter Preiserhöhungen locken die vergleichsweise günstigen Steuern auf Benzin und Diesel weiterhin auch Tanktouristen ins Land. Staus auf den Hauptverkehrsachsen aus der Stadt hinaus, aber auch durch die Stadt hindurch, gehören zum Alltag der Festungsstadt.
Eine „Imagekampagne der Regierung“
Kritik an der am Auto orientierten Verkehrspolitik des Landes kommt auch aus der Wissenschaft. Markus Hesse, Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg, findet in einem Interview mit dem deutsch-französischen Fernsehsender „arte“ klare Worte. Den kostenlosen öffentlichen Transport etwa stuft er als „Imagekampagne der Regierung“ ein. Dieser sei jedoch kein Mittel, um die Verkehrswende einzuleiten. „Will man die Verkehrswende, so muss man beim Auto ansetzen“, so der Professor. Solange Autofahrer weiter verschont würden, sei es illusorisch zu glauben, dass sich die Staus und die damit verbundene Umweltbilanz verbessern würden.
Warum tun sich Luxemburg und besonders die Hauptstadt so schwer, über die Neuverteilung des öffentlichen Raums nachzudenken? Warum wird das Konzept einer autoarmen Innenstadt nicht mutiger entwickelt? Was antworten die politisch Verantwortlichen ihren Kritikern? Eine Antwort auf diese Fragen hat Reporter.lu trotz mehrwöchiger Bearbeitungszeit von der Stadt Luxemburg nicht erhalten.

Vieles deutet aber darauf hin, dass das schleppende Umdenken einem Mentalitätsproblem geschuldet ist. Dabei ist es nie einfach, den Autos Fläche zu nehmen. Doch ein intelligentes Konzept bedeutet auch nicht, jegliche Autos aus der Stadt zu verbannen, alle Läden nur noch mit Lastenfahrrädern zu beliefern und fußschwache Personen mit Rikschas durch die Stadt zu befördern. Wie Beispiele aus dem Ausland zeigen, sind es häufig auch einfache und günstige Maßnahmen, die langfristig die Mobilität in einer Stadt verändern und dadurch zur Steigerung der Lebensqualität beitragen.
Multifunktionsstreifen und andere Maßnahmen
Sogenannte Multifunktionsstreifen ersetzen in vielen europäischen Großstädten bereits die klassischen Parkstreifen. Auf ihnen kann weiterhin geparkt, Geschäfte können beliefert und Bushaltestellen eingerichtet werden. Aber auch die Tische der Restaurants und Cafés finden hier (zumindest im Sommer) ihren Platz. In der „Rue Notre-Dame“ bekam man besonders über die Pandemie-Sommer-Monate einen Vorgeschmack davon, wie eine konsequente Umgestaltung solcher Parkstreifen die Lebensqualität verändern kann. Jetzt, mit der Wiedereröffnung des „Knuedler“-Parkhauses, dominieren jedoch wieder Autoschlangen den Raum.
Viele Menschen in Luxemburg fahren gerne Fahrrad und sie würden es auch in den Städten stärker nutzen, wäre die Infrastruktur sicherer.“Christophe Reuter, Mobilitätsministerium
„Knackpunkt sind in Luxemburg immer noch die Parkplätze“, sagt auch Christophe Reuter. Im Gespräch mit Reporter.lu spricht der hohe Beamte aus dem Mobilitätsministerium von einer „zögerlichen Haltung“, wenn es darum gehe, auf Kosten des Autos sowohl Fußgängern als auch Fahrradfahrern mehr Platz im öffentlichen Raum einzuräumen. „Fährt ein Bürgermeister oder ein Schöffe in seinem Alltag selbst Fahrrad, dann kann es zu interessanten Gesprächen kommen“, so Christophe Reuter. Bei der tatsächlichen Umsetzung hin zu autoarmen Innenstädten hingegen bleibe es bei „punktuellen Initiativen“.
Christophe Reuter stimmt mit den Verkehrsplanern von Paris, Wien, Mailand oder Kopenhagen überein, dass eine der Lösungen darin liegt, den Durchgangs- und Transitverkehr aus den Innenstädten zu verbannen. Etwa durch konsequent eingesetzte Poller, durch mit Blumenkübeln, Hochbeeten und Bremsschwellen umgestaltete, temporeduzierte Straßen und durch sichere, vom motorisierten Verkehr klar abgetrennte Fahrrad- und Fußwege. „Viele Menschen in Luxemburg fahren gerne Fahrrad und sie würden es auch in den Städten stärker nutzen, wäre die Infrastruktur sicherer“, ist Christophe Reuter überzeugt.
Bei der Frage danach, warum die Politik hier nicht verstärkt eingreife, verweist der Beamte auf die Gemeindeautonomie. „Wir können helfen, aber die Initiative muss von der Gemeinde ausgehen“, sagt Christophe Reuter. „Wir haben in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme des Interesses festgestellt und würden uns natürlich freuen, wenn dies noch mehr Gemeinden betreffen würde.“
Ein visionäres Leitbild für die Nordstadt
Als positives Beispiel führt Christophe Reuter Diekirch und das Mobilitätskonzept für die „Nordstad“ an. Hier sei es der Diekircher Schöffenrat gewesen, der mit einer Vision im Kopf die Unterstützung der nationalen Politik forderte. Entstanden ist ein Leitbild, das mit vielen Projektionen die Vorstellung einer autoarmen, fahrradfreundlichen und überwiegend grünen Diekircher Innenstadt beflügelt. Das Jahr 2035 wurde als Zieldatum festgelegt, vor den Planern liegt also noch ein langer Weg voller Hindernisse.
Währenddessen sprießt in Barcelona ein Superblock nach dem anderen aus dem Boden. Anne Hidalgo wird in weniger als acht Jahren im Amt den Durchgangsverkehr aus der Pariser Altstadt verbannt haben und Amsterdam weihte im Herbst 2021 ein weiteres von über 25 Fahrradparkhäusern ein.
In Luxemburg-Stadt gehen derweil die Umbauarbeiten der Parkhäuser weiter. Erst „Hamilius“ und „Knuedler“, jetzt „St. Esprit“ und „Rousegärtchen“ und letztlich noch das Parkhaus am Theaterplatz. Beim Komfort für die Autofahrer erfolgt die Umsetzung dann auch vergleichsweise schnell.