Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Dieses Mal: Panini-Sticker sammeln mit Xav und der Luxemburger Heiland.
Copytani hat wieder zugeschlagen. Nachdem fast alle anderen Regierungschefs der EU bereits nach Kyiv reisten, um sich mit dem standhaften Politstar Wolodymyr Selenskyj in Kyiv ablichten zu lassen, wollte auch Xavier Bettel sein Fotoalbum aufpolieren. Dabei hatte er vor einigen Wochen im Plausch mit Journalisten genau das noch als Sammeln von „Panini-Stickern“ bezeichnet. Wenn er sich auf den Weg in die Kriegszone mache, dann nur, wenn er auch etwas anzubieten habe.
Also machte es Xav einfach wie Olaf Scholz. Auch der Bundeskanzler wollte zuerst auf keinen Fall ein „kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin“ machen, nur um dann wenig später doch kurz rein und raus zu fahren und reichlich Fotomaterial mitzubringen. Erst das eine sagen, dann das andere machen: So geht eben Politik. Was interessiert mich mein leeres Panini-Album von gestern?!
The great compilation
Wie man mittlerweile weiß: Die neue Bettel’sche Maxime des kontrolliert-offensiven Nachahmens hat sich auch in Luxemburgs Kunstszene durchgesetzt. Nein, die Rede ist nicht von einem Kunststudierenden, der in Strassen laut Kunstkoryphäe Gaston Vogel das beste Werk, seit es Luxemburger Künstler gibt, ausstellte.
Auch der Nationalfeiertag sollte ganz im Zeichen der „Inspiration“ à la Xavier Bettel stehen. Das Feuerwerk werde nämlich musikalisch begleitet von einer „compilation de compositions“ der vergangenen Jahre. Der bisher in der Musikszene eher unbekannte Komponist Prof. Etienne Criqui hatte sich alle Mühe gegeben.
Die größten Hits der letzten Jahrhunderte würde wohl auch die katholische Kirche gerne wieder hören. Aktuell geht es aber eher bergab im Marienland. Immer weniger Menschen in Luxemburg sind religiös. Wieso eine so extrem frauenfreundliche, weltoffene und absolut skandalfreie Institution wie die katholische Kirche die Leute nicht mehr überzeugt, ist natürlich schleierhaft. Aber vielleicht muss Erzbischof Jean-Claude Hollerich seinen Pfaffen auch nur ein Medientraining verschreiben und ihnen fesche dunkelblaue Maßanzüge schneidern lassen, um seine verlorenen Schäfchen zurückzugewinnen.
Der Messias aus Beggen
Denn so schlimm, wie die Umfrage des Ketzerverbands AHA es auf den ersten Blick darstellt, ist die Lage nicht. Zwar glauben die Bürger nicht mehr an Gott. Dafür aber umso fester an den Heiland. Nein, nicht an den ungepflegten Wirtschaftsflüchtling Jesus von Nazareth. Die Luxemburger huldigen natürlich einem der ihren: Sven von Beggen.
Der schneidet nicht nur im Jahrmarkt der Politiker-Eitelkeiten von „TNS Ilres“ hervorragend ab, nein, auch die Medien sind schockverliebt. So kommentierte etwa „RTL“ den dritten Platz vom Chef-Matrosen auf der jährlichen Beliebtheitsskala mit: „Sëtz kann ee multiplizéieren. De Sven Clement net.“
Noch wilder trieb es nur das unangefochtene Leitmedium für die Intellektuellenszene des Landes. „Luxprivat“ hatte den beliebten Süßwasserpiraten vor zwei Wochen überlebensgroß auf seiner Titelseite abgebildet mit der Schlagzeile „DER MESSIAS. Auf ihn haben die Luxemburger lange gewartet.“

Lange warten können indes auch jene, die sich fragen, ob ein gewisser Immobilienhändler und Tierfreund von der Mosel etwas mit der Titelseite zu tun hatte. Diese Frage wird wohl ebenso ungeklärt bleiben, wie jene auf welcher Seite des Grenzflusses Daniel Frères denn jetzt wohnt.
Spätestens wenn die Jünger des pausbäckigen Messias in die Chamber einziehen sollten, werden wir wissen, wer Paulus und wer Judas in der Piratenpartei ist. Erst mit dem sympathischen Tierschützer aus Remich wäre allerdings das parlamentarische Piraten-Abendmahl komplett. Wir finden schon lange: Sven Clements Karma hätte es sich verdient.
Fear and Loathing in Portugal
Bleiben wir aber bei der Bibel: Wie die Jungfrau zum Kind kam bekanntlich Paulette Lenert zur Politik. Doch da man im Leben ja nie auslernt, zeigt sich auch die Gesundheitsministerin Neuerungen offen gegenüber. Nein, die Rede ist nicht von der Impfpflicht, die überlassen wir doch lieber den Experten. Oder wir tun so als ob und verschieben die Entscheidung immer wieder um zwei Wochen, bis auch der letzte Journalist die Lust am Nachfragen verloren hat.
Mit der Impfpflicht ist es wie bei der Cannabis-Legalisierung. Ja, aber Nein, aber vielleicht, oder ein Bisschen, also mal schauen, lautet die Paulette-Maxime. Vergangene Woche wollte die Ministerin denn auch erstmal ihr Bewusstsein erweitern. Gemeinsam mit einem auserwählten Pressepool unternahm Paulette Nationale nämlich einen „Drogentrip nach Portugal“, wie es im „Luxemburger Wort“ hieß. Nach so langer Pandemiebekämpfung ist ein kleiner berauschter Roadtrip für die Vizepremierministerin aber auch das Mindeste, das man ihr gönnen könnte.

Und die Reise hat wohl geholfen. Denn Lenert ist auf einmal gar nicht mehr so abgeneigt, härtere Drogen zu entkriminalisieren. Der Weg zum Kifferland wird auf jeden Fall nach und nach frei. Also nur, wenn die Wählerinnen und Wähler mitspielen und der Dreierkoalition es noch einmal abnehmen, dass sie ihr Versprechen beim nächsten Mal wirklich, also diesmal bestimmt umsetzen werden.
Für die kommende Erlaubnis, vier Pflanzen zu besitzen, hat die Retrospect-Redaktion auch schon das passende 60-seitige Konzept erstellt. Wir präsentieren die „Canna-Betreiung“. Nicht jeder hat nämlich einen Grünen Daumen und kann seinen Stoff selbst problemlos anbauen. Das Team von Canna-Betreiung bietet eine individuelle Begleitung jeder Pflanze an, lieber „high“ oder doch eher „stoned“? Kein Problem für Canna-Betreiung! Die Experten werden der Pflanze in Ihrer Wohnung genau das Richtige geben, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
Denn wie es ein gewisser Etienne Schneider schon wusste: Selbst aus einer schlechten politischen Idee lässt sich halt immer noch ein Business machen. Vielleicht nicht für die Allgemeinheit, dafür aber für den Eigenbedarf. Aber immerhin!
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