Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Die Kunst der Kompilation und warum man mit Geld besser tankt.

Gegen 14 Uhr droht die Lage auf der Place Clairefontaine der Polizei endgültig zu entgleiten. Und das trotz Verstärkung aus der Lorraine. Mehrere Hundert vermummte Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter, ein selbsternannter „Mob der Anständigen“, skandieren „geklaut ass geklaut“ und versuchen zum Hotel de Bourgogne durchzudringen. Ihre Forderung: der sofortige Rücktritt des Premierministers.

Nachdem eine Woche zuvor das Plagiat des Regierungschefs öffentlich wurde, kam es in der Hauptstadt immer wieder zu spontanen Kundgebungen von Akademikern. Medienwirksam legten mehrere Fakultäten der Universität die Arbeit nieder. Zusätzlich aufgeheizt wurde die Stimmung auch dadurch, dass sich weder Xavier Bettel noch seine Alma mater in Nancy zu den Vorwürfen äußerten. Die Opposition reagierte zunächst zurückhaltend, schlug sich alsdann doch auf die Seite der Empörten.

Ein aufgeregter Claude Wiseler lud zu einer Pressekonferenz, bei der er seine 700-seitige Doktorarbeit symbolisch verbrannte. Schnell folgten weitere Wissenschaftler dem Vorbild des CSV-Politikers und warfen ihre Doktor- und Masterarbeiten in den Mülleimer. Diese seien ja nichts mehr wert, wenn so offensichtliche Plagiate null Konsequenzen haben, schrieben die Doktoranden in einer Pressemitteilung mit dem Titel #EtGeetEloDeckDuer.

Unter dem medialen und politischen Druck musste Xavier Bettel das Offensichtliche eingestehen: Ja, er habe getrickst und geschummelt, und es tue ihm aufrichtig leid. Die „Université de Lorraine“ kündigte indes eine Untersuchung des Vorfalls an. Innerhalb einer Woche sollten zwei unabhängige Wissenschaftler ihr Verdikt abgeben. Da das Plagiat jedoch so lächerlich offensichtlich ist, konnten die Untersuchungen bereits nach zwei Tagen abgeschlossen werden. Xavier Bettel wird sein DEA aberkannt und gegen seinen Professor Etienne Criqui wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

#LOL

Nicht kein Plagiat, also doch nicht

Damit aber genug der kontrafaktischen Geschichte. Ein Skandal ist die Plagiatsaffäre wohl doch nur in einem Paralleluniversum, in dem Luxemburg eine echte Zivilgesellschaft hat, mit selbstbewusster Universität, öffentlichen Intellektuellen, die auch außerhalb von Twitter eine Meinung haben, und allem drum und dran.

Andererseits wurde das Land diese Woche mit einer der besten Pressemitteilungen seit der Lewinski-Affäre verwöhnt. Die Universität, der aufstrebende liberale Tausendsassas vertrauen, hat ihr Urteil in der Plagiatsaffäre verkündet. Das glasklare Fazit der wissenschaftlichen Integritätsfundamentalisten, die in nur drei Monaten in mühevoller Kleinstarbeit die ganzen 56 Seiten – also etwas mehr als eine halbe Seite pro Tag – beurteilt, und dem Vernehmen nach auch vorher gelesen haben: Es ist nicht kein Plagiat. Aber ein Plagiat ist es dennoch, also nicht. Sonst noch Fragen?

Die Arbeit enthalte zwar Passagen, die man als Plagiat bewerten könnte, aber die auch so zu nennen: Wo kämen wir da hin?! Sind wir jetzt auf einmal eine ernstzunehmende Universität, oder was? Immerhin sei wissenschaftliche Integrität etwas, das man in seinem historischen Kontext bewerten müsse, schwadronierte die Uni. Genau. So wie Kolonialgeschichte. Oder Gleichberechtigung. Oder Steilvorlagen für ausländische Regierungschefs.

Aber wenn es kein Plagiat ist, was ist es dann? Die „Université de Lorraine“ wäre keine Bildungsstätte von Weltrang, hätte sie keine Lösung für dieses semantische Problem. Die nahezu integral abgeschriebene Arbeit von Xavier Bettel ist nämlich ganz klar eine „Kompilation“. Aufmerksamen Duden-Lesern dürfte der Begriff bekannt vorkommen. Dort heißt es nämlich: „kompilieren“ –  „lateinisch compilare = ausplündern, berauben“. Auch wir finden: Klingt wirklich viel besser als Plagiat.

Université de Criqui in Höchstform

Der Regierungschef hat demnach nicht wie ein dahergelaufener Hochstapler einfach abgeschrieben, sondern als „DJ DEA“ ein Best-of der größten Hits zum Europawahlrecht zusammengestellt. Und das sei ja immerhin auch eine Leistung, schlussfolgert man in Nancy. Über mehrere Wochen viele Seiten lang aus Büchern abschreiben: Es ist ja nicht so, als könnte jeder halbwegs begabte Grundschüler das Gleiche hinbekommen.

Leider war es aber nicht in der Grundschule und Student Xavier hat zudem „vergessen“, die einzelnen Hits auch klar im Text zu kennzeichnen. Kein Problem, meint die „Universität“. Der Premier soll doch einfach 22 Jahre später die Fußnoten nachreichen, dann kann er sein DEA behalten. Eine Lösung, die jeder von seinen Eltern kennt. Damals, als man mit vier die Kaugummis beim Bäcker geklaut hatte und die Mutter einen mit 30 daran erinnert und bittet, sich bei dem nun vergreisten Bäcker zu entschuldigen und die Kaugummis zu bezahlen.

Doch die „Université“ de Lorraine hat in den letzten Tagen nicht nur ihre Expertise in wissenschaftlicher Integrität unter Beweis gestellt, sondern auch gleich belegt, dass man auch in der Lage sein muss, politische Skandale zu bewerten. Die SREL-Affäre – ein „Non-Event“ findet die „Université de Criqui“ hochoffiziell auf Twitter.lu. Und natürlich gilt das auch für das fleißige Abschreiben des heutigen Premierministers.

Toller Scherz, da setzen wir als offizieller Account der „Université de Lorraine“ doch gleich mal ein Like drunter. (Screenshot: Twitter)

Die CSV findet im Übrigen wohl auch, dass es sich dabei – also bei der Plagiats- und der SREL-Affäre – um „Non-events“ handelt. Immerhin fordert sie keine politischen Konsequenzen. Das soll die Regierung irgendwie unter sich ausmachen, das geht die Opposition ja nichts an, meinte Dr. Claude Wiseler am Rande einer Pressekonferenz. Und damit ist die Sache auch definitiv gegessen. Eine „Universität“, die einem alles verzeiht, und eine „Opposition“, die auch nicht weiter beim Regieren stören will – es war wohl noch nie so einfach, Premier zu sein.

Cash in den Tank

Die CSV hat aber inzwischen eine ganz neue Strategie, wie sie in Zukunft Wahlen gewinnen will. In der Parteizentrale hat man sich deshalb etwas ganz Ausgeklügeltes einfallen lassen: Man will nun doch tatsächlich auf die Probleme der Luxemburger eingehen. Nein, nicht, was Sie jetzt denken. Die teuren Wohnungspreise sind damit nicht gemeint, denn der gute CSV-Wähler ist bereits Eigentümer von acht bis zwei Häusern.

Nein, es geht ums Eingemachte. Was, wenn nicht der hohe Preis für einen vollen SUVchen-Tank, ist das wohl größte Problem eines jeden Luxemburgers? Die neue Grafikabteilung der Fraktion wurde sogleich beauftragt, etwas auszuarbeiten …

(Screenshot: Facebook)

Leider haben aber noch nicht alle CSV-Mitglieder verstanden, was das bedeutet. Léon Gloden zeigte sich etwa überrascht, dass er bis jetzt wohl sein Leben lang falsch getankt haben soll. Bisher sagte ihm niemand, dass sein Auto mit zwei Fünfzigern im Tank besser fahren würde. Doch Gloden hatte ein Problem: An der Tankstelle in Grevenmacher fragte er eine Passantin, ob man auch 100-Euro-Scheine in den Tank schmeißen könne, er habe es gewöhnlich nicht kleiner. So fühlt Gloden jetzt endlich mit dem kleinen Mann mit: Brutto gibt es künftig nur noch 19.800 Euro monatlich anstelle von 20.000 Euro an Nebenverdiensten. „Genau sou fillt dat sech un, oder?“, dachte sich der Député-Maire-Avocat-etc. …


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