Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Eine Philosophie-Lehrstunde in der Chamber und andere existenzielle Fragen.

„Es ist 1996
Meine Freundin ist weg und bräunt sich
In der Südsee – allein?
Ja, mein Budget war klein – na fein
Herein, willkommen im Verein.“

Falls Sie diese Zeilen nicht auf Anhieb einordnen können und jetzt für das ganze Wochenende keinen Ohrwurm haben, sind Sie einerseits zu beneiden. Andererseits werden Sie erst in den folgenden Absätzen verstehen, was die deutsche Hiphop-Gruppe Fettes Brot mit Luxemburgs Politik und der Impfpflicht-Debatte zu tun hat. Aber gut.

Auch wir waren jedenfalls – sozusagen – geflasht von der Qualität der Debatte im Parlament – so sehr beeindruckt, dass wir eine Woche Pause einlegen mussten, um sie auf uns wirken zu lassen. Denn auch wenn die Dramedy-Serie „Chamber TV“ immer für Überraschungen gut ist – dass man nach einer Folge unwissender und verwirrter als zuvor ist, kommt nicht allzu oft vor.

Paulette Sokrates Lenert

Da war zum einen die Gesundheitsministerin, die in Sachen Impfpflicht den weitesten Weg zurückzulegen hatte. Während der Politprofi Xavier Bettel seine Meinung nämlich in einer Nanosekunde ändern kann, blieb Paulette Lenert doch tatsächlich noch ihren „Prinzipien“ verhaftet. Dazu gehört bekanntlich: Über eine Maßnahme, die eine Pandemie beenden könnte, sollte man unbedingt erst nach der Pandemie diskutieren. Klingt komisch, ist aber so.

Wer das nicht versteht, ist selber schuld. Denn wie wir spätestens seit vergangener Woche wissen, ist Paulette Lenert eigentlich keine Politikerin, sondern Hobby-Philosophin. Nach dem Motto „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ führt sie das Land sokratisch-didaktisch durch die Krise. Ist sie denn nun für oder gegen die Impfpflicht? „Es gibt kein absolutes Ja und kein absolutes Nein“, philosophierte die Ministerin im Parlament. Was soll man sonst machen? „Et wees een’t net.“ Oder, um es eben mit den Gelehrten von Fettes Brot zu sagen: „Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Jein…“

Auch nach der Debatte ging die Denkerin äußerst dialektisch vor. Gegen die Impfpflicht, aber auch irgendwie dafür, also je nachdem, sagte Paulette Sokrates Lenert im Interview mit dem Philosophie-Magazin „Paperjam“. Die Synthese ihres inneren Dialogs mit sich selbst lautet natürlich: Philosophen sind nicht dazu da, Entscheidungen zu treffen. Und die Politik auch nicht, also vielleicht schon, aber andererseits auch wieder nicht. Auch wir finden: Da gibt es kein absolutes Ja und kein absolutes Nein.

Näischt verstan

Dagegen hat die CSV mal wieder nichts, also rein gar nichts verstanden. Während Paulette ihre Hausarbeit aus dem Philosophie-Proseminar vortrug, wollten die notorischen Regierungskritiker doch tatsächlich Politik machen. Zur Erinnerung: Die größte und übermütigste Oppositionspartei traute sich, sich als allererste und unmissverständlich für eine allgemeine Impfpflicht auszusprechen. Sie arbeitete ein Konzept aus, mit Daten, Fakten, Argumenten und so, und ließ das Ganze am Ende auch noch recht schlüssig, wenn auch gewohnt spaßfrei, von Prof. Dr. Wiseler im Parlament vortragen.

Mal wieder rein gar nichts verstanden und dann noch sichtlich stolz darauf: Die CSV-Fraktion. (Foto: Chambre des députés)

Was jedoch nicht ganz fair war: Niemand hatte den Christsozialen das wahre Memo für diese Debatte geschickt. Denn ausnahmsweise ging es in der politischen Arena nicht darum, eine konsequente, stringente Position einzunehmen und diese dann noch unverzüglich umzusetzen. Pfff, wo kämen wir denn da hin?! Nein, die Koalitionsparteien wollten nur bisschen drüber plaudern, um die Sache mit der Impfpflicht dann ein paar Monate schleifen lassen. Die CSV steht jetzt mit ihrer klaren Position natürlich ziemlich blöde da.

„Mee wat kafen?“

Doch nicht nur in pandemischen Fragen dreht die politische Aktualität bekanntlich schnell am Rad. Wir finden: Nach einer Woche verquerer Debatte über die Impfpflicht ist es nun wieder Zeit für die wahren Probleme des Landes. Zum Glück gibt es den „RTL Kloertext“, der sich regelmäßig genau diesen Fragen widmet. Ganz im Sinne des Luxemburger Mindset ist deshalb auch nicht die Frage, wie sinnvoll der Kauf eines neuen Autos in Zeiten des Klimawandels ist, sondern: „Et ass Autosfestival, mee wat kafen?“

Zur Beantwortung dieser Frage wurde auch Mobilitätsminister François Bausch eingeladen – der sich gleich zu Beginn einen Affront leistete. Er mache zwar keine „Politik gegen das Auto“, gehe aber dieses Jahr nicht zum Autofestival. #Whaaat?! Wie soll er dann zur Arbeit fahren oder einkaufen oder in die Ferien oder zum Nachbarn? Da kann man ja schlecht das Auto vom letzten Jahr benutzen. Manche Gäste bei der einstündigen Sponsored Story auf „RTL“ wagten selbst zu behaupten, ein Kauf sei vielleicht zurzeit noch verfrüht. Ja, wo kommen wir denn hin? Luxemburg hat immerhin einen Ruf zu verteidigen als das europäische Land mit der jüngsten Fahrzeugflotte! Oder wie der Premier sagen würde: „Dir sidd Deel vun der Léisung oder Deel vum Problem.“

Dennoch finden wir das Konzept, aus einem journalistischen Format eine Dauerwerbesendung für eine Messe zu machen, eine wunderbare Idee. Wir freuen uns auch schon auf den „Kloertext“ für die Vakanzefoire, nach dem Motto „Mee wouhi fléien?“. Als Gast darf natürlich Lex Delles nicht fehlen. Der beste Frühstücksminister unter dieser Sonne darf dann über die neusten Angebote der Fluggesellschaften und Hoteliers informieren, das wird sicherlich spannend.

Mee wat leeft?!

Andererseits: „RTL“ ist dennoch der Garant für die schnellsten und hottesten News, die das Marienland je gesehen hat. Wer wollte nicht schon immer eine halbe Stunde vor dem Pressebriefing wissen, was auf diesem Pressebriefing angekündigt wird? Und wer will nicht seit rund zwei Jahren immer pünktlich über die neusten Kennziffern der Pandemie zugepusht werden – ohne jeglichen Kontext oder Erklärung? Kurz vor dem Wochenende ist in der Newsschmiede auf Kirchberg allerdings etwas gründlich schief gelaufen …

Screenshot: RTL.lu

Wie Sie uns kennen, sind wir aber stets nachsichtig in solchen Fällen und würden sie niemals für einen billigen Joke missbrauchen. Auch wir wissen nämlich: Solche krassen Fehler kommen in den besten Private-Public-Partnerships vor.

Unser journalistisches Ethos zwingt uns allerdings dann doch dazu, daran zu erinnern: „RTL“ erhält für solche Schnitzer immerhin die stattliche Summe von XXXX Millionen Euro pro XXXX, um damit die privatwirtschaftlich erzielten Verluste von XXXX zu kompensieren. Wenn es nach der Regierung geht, sollen es bald sogar XXXX Millionen mehr sein. Aber pssst!

Die Waffen der Patex-Diplomatie

Leider nicht unbeziffert ist dagegen die Drohkulisse unserer verlässlichen russischen Geschäftspartner an der ukrainischen Grenze. Aber schließlich muss sich Luxemburg nicht um so unerfreuliche Dinge wie Weltpolitik kümmern. Dennoch haben auch wir bekanntlich einen Außenminister, der zumindest den Anschein erweckt, dass Luxemburg nicht nur bei der Frage von Cash und Cash, sondern auch bei der Frage von Krieg und Frieden ein Wörtchen mitzureden hat.

Auch wenn er im Interview mit seinem Haussender „Deutschlandfunk“ ein seltenes Geständnis machte: „Ich bin kein gelernter Diplomat, sondern ein Autodidakt in der Diplomatie.“ Doch wir wissen: Halb so schlimm. Spätestens seit er den Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten kennt, kann unserem Jang keiner mehr etwas vormachen. Schließlich ist er auch mit dem netten Sergey per ты. „Lawrow ist die Nummer zwei, ich bin die Nummer drei – weltweit gesehen“, sagte Jang über Asselborn zur Primetime im deutschen Radio. Dabei geht es aber nicht um die Truppenstärke im Nato-Einzugsgebiet, sondern um das schnöde Dienstalter. „Nur auf was die Zeit angeht, sonst nix.“

Diplomatie statt Mobilmachung: Atemschutzmasken-Autodidakt Jean Asselborn. (Foto: Chambre des députés)

Nicht erst seit 2004 wissen die gut informierten Einheimischen aber: Mehrsprachig dahin geschwurbelte Selbstironie ist sozusagen Luxemburgs Soft Power. Jedenfalls ist Asselborn mächtig stolz, „weltweit“ zu den Dienstältesten zu zählen. Auf den vorderen Plätzen sind tatsächlich nur weitere lupenreine Demokratien zu finden: Platz 1: Raşit Meredow, Turkmenistan; Platz 4: Mahamoud Ali Youssouf, Dschibuti usw. Die wahre Lektion lautet aber: Wenn man nur lange genug an seinem Stuhl klebt, kann man jedes noch so gefährliche Säbelrasseln im Handumdrehen verniedlichen.

Und eins ist sowieso so sicher wie die Impfpflicht im kommenden Herbst: Luxemburgs Finanzplatz wird weiter zu den Freunden der Russen zählen (also zumindest von jenen mit dem nötigen Kleingeld). Darauf einen Wodka und ein schönes Wochenende!


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