Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Dieses Mal: Ein Premier mal ganz persönlich und neue Angebote der Politberatung.

Wir sind wieder da, doch das gute Wetter hat sich verabschiedet. Vorbei die Zeiten, in denen man mal am Strand so richtig die Seele baumeln lassen konnte. Rekorddürre und Hitze sind gebrochen, endlich ist das vertraute Luxemburger Grau zurück. Mit anderen Worten: Der „angenehme Sommer“, wie CSV-Twitterstar Laurent Mosar ihn nannte, ist passé. Dem Vernehmen nach wurden nach wohlverdienten zehn Wochen Pause auch schon die ersten Parlamentarier wieder in der Videokonferenz einer Kommissionssitzung gesichtet.

Zurück bleiben schöne Erinnerungen an das Sommerloch. An dieser Stelle wollen wir dem „Luxemburger Wort“ ausdrücklich danken für die heiter-sommerliche Serie mit den Neuparlamentariern. Um die (politische) Dürre zu überbrücken, stellte die Tageszeitung immer wieder die gleichen Fragen an die Abgeordneten. Die Retrospect-Redaktion berichtete bereits über die vielversprechende Antwort des ersten Interviewpartners.

Historische Gemeindefusion

Nun haben die anderen Parlamentarier nachgelegt. Wieder einmal war die Frage nach dem historischen Ereignis, an dem man gerne teilgenommen hätte, das absolute Highlight. Sieben Abgeordnete von 22 antworteten etwa, dass sie sich gerne ein Stück der Berliner Mauer abgeschlagen hätten. Voll langweilig, dachten sich Carlo Weber und Jeff Engelen. Nein, das wahrlich größte Ereignis der neuen Zeitrechnung ist bekanntlich im Norden Luxemburgs passiert: Die Gemeindefusion von Wintger. Ein atemberaubender Moment, den die Historiker dieser Welt noch lange beschäftigen werden.

Wissen Sie noch, was Sie am Tag taten, als die Fusionsgemeinde entstand? Nein? Nicht schlimm, Jeff Engelen und Carlo Weber auch nicht. An das genaue Datum können die beiden sich nämlich nicht mehr erinnern. Während Carlo Weber lieber 1977 dabei gewesen wäre, will Jeff Engelen die Zeitmaschine auf 1978 einstellen. Das eigentliche Datum ist aber eh zweitrangig. Vielmehr steht die Antwort sinnbildlich für die Vorstellungskraft der beiden Politiker. Carlo Webers politisches Vorbild ist übrigens „Unser Jang Asselborn“. Wirklich ein spannender Typ dieser Carlo.

Svenni from the Block

Auch der beste Oppositionspolitiker, seit es Oppositionspolitik gibt, stellte sich den Fragen der flämischen Traditionszeitung. Sein politisches Vorbild: Die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (AOC). Sie sei „jemand im selben Alter wie ich mit einem ähnlichen Hintergrund“, so Clement, der bekanntlich auch eine selbstbewusste Frau ist, in der Bronx aufwuchs, ständig mit Sexismus und Rassismus konfrontiert wird und von Tausenden Anhängern der jüngeren Generationen als progressive Hoffnungsträgerin gefeiert wird. „Genau wie ich hat sie als ‚Underdog‘ auf der politischen Bühne begonnen“, sagt SC über AOC.

Was viele nicht wissen: Der Piratenabgeordnete hat nicht nur unglaublich viel mit der US-Politikerin gemein, er gilt auch als heimliches Genie hinter ihrem Erfolg. Seine Besserwisserei hat längst die Grenzen des für sein Ego zu klein geratenen Luxemburg überschritten. Vor jeder wichtigen Abstimmung holt sich die US-Kongressabgeordnete Rat bei ihrem Mentor ein – und das nicht nur, weil sie ja soooooviel gemeinsam haben.

„I wake up every day, and I’m a Puerto Rican girl from the Bronx. Every single day“: Sven Clement. (Foto: Alexandria Ocasio-Cortez for Congress 2018)

Eine ähnliche Dienstleistung bietet der bescheidene Alleskönner Clement mit seiner Consulting-Firma übrigens auch allen anderen Volksvertretern der Welt an. Dumm nur: Dem Piratenabgeordneten kommt es manchmal vor, vom falschen Twitteraccount seine Nachrichten zu senden. Seine Äußerungen zum Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien etwa waren eigentlich für den Account des UN-Generalsekretärs bestimmt.

Aber der Patzer geschah dem Politstar offensichtlich öfter. Von seinem persönlichen Account äußerte sich der Großherzog im Geiste super-staatsmännisch auf Englisch zu 9/11, dem Tod der Queen, dem ukrainischen Unabhängigkeitstag und russischen Visas. Jenseits der Luxemburger Leitmedien interessiert sich zwar niemand dafür, was der smarte Sven so twittert. Aber wie schon Alexandria Ocasio-Cortez einmal sagte: „Ob Beggen oder Bronx, Hauptsache Underdog.“

Piraten üben Wahlkampf

Sein Angebot hat er nun auch erweitert. Inzwischen kann Sven Clement auch als Ersatz für Visiten gebucht werden, auf die andere Politiker keine Lust haben. Mit Yuriko Backes und Kardinal Jean-Claude Hollerich zeigte er sich etwa im August auf dem „LuxFest“ in den USA.

Symbolbild: Luxemburger Politik (Foto: Twitter.com)

Aber nach Belieben kann der beste Politiker des Universums auch seine staatsmännische Veste ablegen und das tun, was er am besten kann: Neunmalklug und ohne den Hauch der Selbstwahrnehmung auf Twitter herumpöbeln.

Frei nach dem Motto: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe“ (das fälschlicherweise Winston Churchill zugesprochen wird und eigentlich von Sven Clement stammt), wollten die Piraten diese Woche mit verwirrenden Zahlen Energieminister Claude Turmes vor sich her scheuchen. In einem kurzen Video wollte Clement wohl auch zeigen, dass er selbst Populismus auf der höchsten Ebene beherrscht.

Der Vorwurf: Claude Turmes habe persönlich für eine Profitsteigerung der Ölmultis gesorgt. „Beweisen“, tut er das mit einer schön aussehenden Grafik, ohne diese zu beschriften. Super praktisch, dann kann auch niemand den Vorwurf überprüfen. Ein weiterer Geniestreich des Schmalspur-Demagogen aus Beggen.

De Xav vu Bouneweg

Der Luxemburger Underdog an sich hat aber harte Wochen vor sich, denn jetzt ist Tripartite-Time und da haben gewählte Volksvertreter bekanntlich nichts zu melden. Demokratische Legitimität führt zu schlechten Ergebnissen – so will es das Luxemburger Sozialmodell. Allerdings ist diesmal alles anders – es gibt keine Mini-Krise, sondern eine richtige.

Da ist es gut, dass die Regierung so geschlossen in die Verhandlungen geht, dass allein Xavier Bettel schon drei Meinungen hat. Eine als Premier, eine als Liberaler und eine „persönliche“. Mit Letzterer überraschte er die Journalisten am Mittwochabend. „De Bettel huet dat doten an dat doten och gesot“, sagte Xav über Xav. Seine Meinung – also ganz privat – sei ja, dass eine Indextranche nicht einfach so wegfallen könne. Wer sich dann eine tiefgründigere Analyse über die soziale und ökonomische Lage erwartete, wurde allerdings enttäuscht. Der persönliche Xav wollte einfach nur ein bisschen poteren.

„Haut sinn ech villäicht méi perséinlech, ech schwätze méi als Xavier Bettel, wéi als Premierminister, mee als Xavier Bettel sinn ech der Meenung, dass een iwwert alles soll diskutéiere kënnen an dat ass och esou wéi ech ticken.“ Wie Radio-Journalisten wissen, die sogenannte „Vox pop“ oder „Micro trottoir“ ergibt selten etwas Ergiebiges. Auch nicht bei Xav aus Bonneweg.

Millionen für Symbole

Die Regierung glaubt trotzdem an die Weisheit der Massen. Xav hat eine Million Euro ausgegeben, damit sorgfältig selektierte Bürger ihm erklären, was er beim Klimaschutz noch mehr machen könnte als eine Joghurtmaschine zu kaufen und seinen Müll zu trennen. Überraschung: Die Auserwählten des Klimabiergerrot sagen das, was alle anderen sagen: Nicht mehr der Sprit-Dealer Westeuropas sein und vielleicht ein paar mehr Windparks und Solarpanels errichten.

Symbolbild: Klimabiergerrot

Der Vorschlag eines Tempolimits und einer höheren Autosteuer triggerten allerdings Vizepremier François Bausch. „Symbolik“ sei das, sein Super-Mobilitätsplan 2135 sei viel krasser. Er rang sich dann doch durch, die Anliegen der Bürger zumindest „sympathisch“ zu finden. Bürger außerhalb von Wahlkämpfen zu befragen, ist ja ein bisschen pfui, fast so lästig wie gewählte Volksvertreter bei der Krisenbewältigung einzubinden. Dabei hatte Bauschs grüner Ministerkollege Claude Turmes auch „nur“ 1,4 Millionen Euro für das ähnlich ablaufende Bürgerkomitee „Luxembourg in Transition“ ausgegeben. Ja, das gab es tatsächlich. Und nein, es ist normal, dass Sie nichts davon mitbekommen haben.

François Bausch gibt sich auf jeden Fall bereits richtig Mühe, seinen Mobilitätsplan umzusetzen. Inzwischen ist er so in die Materie vertieft, dass er die Gewohnheiten der Personentransportunternehmen übernommen hat. Vor ein paar Tagen antwortete der Minister etwa auf eine parlamentarische Anfrage über den Schienenersatzverkehr nach Metz. Die Antwort kam selbst für CFL-Standards spät: Seit Ende August läuft der Betrieb wieder regulär. Wie unprofessionell. Der Minister gehört offenbar nicht zur Kundschaft von Sven Clement.