In Spanien werden Politikern, darunter Ministerpräsident Pedro Sánchez, geschenkte Master-Titel oder Plagiate bei der Doktorarbeit vorgeworfen. Ein Institut in Madrid steht dabei besonders unter Kritik und kommt jetzt vor Gericht. Ein Bericht unserer Korrespondentin Tessy Troes.
Cristina Cifuentes, damalige Präsidentin der madrilenischen Regionalregierung, wurde im April als Erste vom Reporterteam der Zeitung „El Diario“ entlarvt: Zwei Pflichtklassen habe die konservative Politikerin in ihrem Studiengang 2011 nicht belegt, so der Vorwurf. Zwei Jahre später wurde diese Anmerkung von einer Angestellten zu „beachtenswert“ umgeschrieben, und Cifuentes hatte einen Master in öffentlichem Regionalrecht in der Tasche.
Pablo Casado, stellvertretender Generalsekretär des konservativen „Partido Popular“ (PP), der Partei von Cifuentes, musste kurz darauf öffentlich eingestehen, dass er 2009 den gleichen Master-Titel erhielt, ohne an Klassen oder Klausuren teilgenommen zu haben. Sein zusätzlich auf dem Lebenslauf angegebener Studienaufenthalt an der Harvard-Universität entpuppte sich als viertägiger Kurs in Madrid.
Im September erhob wiederum das Reporterteam von „El Diario“ Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang der Masterarbeit der Gesundheitsministerin Carmen Montón. Sie trat von ihrem Posten zurück als bekannt wurde, dass sie unter anderem Texte von Wikipedia ohne Quellenangaben kopiert hatte.
Ein Forschungsinstitut außer Kontrolle
Brisant: Alle drei Politiker erwarben ihren Master am Institut öffentlichen Rechtes (IDP) der staatlichen Universität „Rey Juan Carlos“ (URJC), in den Vororten von Madrid gelegen. Über die Jahre hinweg baute das IDP Kontakt mit privaten Fortbildungsschulen aus – eine im Prinzip legale Aktivität. Das Angebot dieser Kurse hat aber üblicherweise wenig mit dem originellen Material zu tun. Diese Privatschulen locken neue Schüler durch den Namen des öffentlichen Institutes an, welches im Gegenzug ein Honorar in Form von Einschreibegebühren bezieht. Im Mai musste das IDP nach richterlichem Beschluss einem enttäuschten Studenten 4.000 zurückerstatten – wegen „trügerischer Werbung“.
Recherchen, die sowohl von Journalisten als auch der spanischen Justiz geführt werden, legten in den letzten Wochen offen, dass das IDP seit 2008 ohne jegliche Kontrolle der Universität agierte. Auf die Frage eines TV-Teams hin, wem der Direktor Álvarez Conde außer Cifuentes, Casado und Montón noch einen Titel geschenkt habe, antwortete dieser: „Deiner Mutter.“ Das IDP hat mittlerweile seine akademische Aktivität eingestellt. Ein Gericht in Madrid bearbeitet nun die Klage wegen verschenkten Titeln, ein weiteres ermittelt wegen des Verdachts der Veruntreuung.
Der „caso master“ des Regierungschefs
Im sogenannten „caso master“ (Fall Master) blieb auch Ministerpräsident Pedro Sánchez, der seit Juni eine Minderheitsregierung anführt, nicht verschont. Die konservative Zeitung „ABC“ erhob Mitte September Plagiatsvorwürfe mit Bezug auf die Doktorthese des als Saubermann geltenden Sozialdemokraten, welche dieser an der Privatuniversität Camilo José Cela verfasst hatte. Sánchez bestritt dies heftig und veröffentliche seine These mit dem Namen „Innovaciones de la diplomacia económica española: análisis del sector público“ integral online. Mithilfe einer Plagiatserkennungs-Software wie „TurnItIn“ und „PlagScan“ wurde Sanchez schließlich von aller Schuld freigesprochen.
Die Kritik an mangelnder wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit von Spaniens politischer Klasse blieb allerdings ein Thema. Doch die Konsequenzen halten sich bisher in Grenzen. Pablo Casado seinerseits stieg sogar die Karriereleiter hoch und ist seit Juli Vorsitzender der „Partido Popular“. Das Oberste Gericht sprach ihn Ende September frei – bei seinem Master handele es sich um einen Gefallen, jedoch nicht um ein Delikt. Die beiden Frauen Cristina Cifuentes und Carmen Montón hingegen gaben dem Druck der Öffentlichkeit nach und zogen sich nach den Fälschungs- und Plagiatsvorwürfen von ihren Posten zurück. Cifuentes lebt und arbeitet mittlerweile in Paris.
„Unverhältnismäßige Wertschätzung“
Die Vorfälle erinnern stark an die Plagiatsvorwürfe, die 2011 und 2012 in Deutschland die Runde machten, als der damalige Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und die Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) nach langer Debatte ihre Posten abgeben mussten.
Der „Caso Master“ illustriert zum einen das ewige Gefecht zwischen den beiden alteingesessenen Parteien PSOE und PP, wodurch die aufstrebende Mitte-Rechts Partei „Ciudadanos“ sich weiter profilieren kann. Ciudadanos, eine laute Stimme gegen die betroffenen Politiker, ist seit April – als Cifuentes entlarvt wurde – auf dem ersten Rang der Beliebtheit bei den Wählern zu finden.
Zum anderen zeigt es auf, wie vereinzelte Institutionen sich am Phänomen der „titulocratia“ bereichern konnten – ein Phänomen, das so spanisch ist, dass der Begriff es sogar in die RAE, die Akademie für die Pflege der spanischen Sprache, schaffte: „Die unverhältnismäßige Wertschätzung von Titeln und Urkunden als Garantie für Wissen.“ In diesem Sinn ist Spanien zwar keine Ausnahme. Doch die Forderung nach einem Überdenken dieser Wertschätzung ist aktueller denn je.