Beratende Gremien schlugen 2013 der Regierung einen Fortschrittsanzeiger vor, der das Bruttoinlandsprodukt ergänzen sollte. Die Idee: Wachstum bedeutet nicht zwangsläufig, dass es dem Land besser geht. Doch der sogenannte „PIBien-être“ ist bisher eine sperrige Excel-Tabelle.
63 Indikatoren aus 11 Bereichen von Bildung über Beschäftigung bis Umwelt: Das umfasst das „PIBien-être“. Aktuell veröffentlicht die Statistikbehörde eine Excel-Tabelle, die die Daten umfasst. Der Anspruch: Es soll eine Alternative zum Bruttoinlandsprodukt sein – sprich dem Messwert des Wirtschaftswachstums.
Die Idee geht auf das Programm 2009 der CSV-LSAP-Koalition zurück: „Für ein besseres Verständnis der Nachhaltigkeit führen wir neben dem klassischen BIP ein ‚PIB du bien-être‘ ein, der auch eine Reihe qualitative Daten auflistet, die nicht rein wirtschaftlicher Natur sind. Das BIP pro Kopf sagt vieles. Das qualitativ breiter aufgestellte ‚PIB du bien-être‘ sagt mehr“, sagte der damalige Premier Jean-Claude Juncker in seiner Regierungserklärung.
Die blasse Alternative
Das „PIBien-être“ entstand in der Folge eines gemeinsamen Berichts des Nachhaltigkeitsrats sowie des Wirtschafts- und Sozialrats. Dem Auftrag des Staatsministers folgend legten sie 2013 eine Liste von 63 Indikatoren vor, die den Wohlstand der Bevölkerung abbilden sollte. Der Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise hatte den Glauben an das Wirtschaftswachstum getrübt. Zudem wollte der Staat die nachhaltige Entwicklung Luxemburgs überwachen. Und schließlich wurde das Bruttoinlandsprodukt in den letzten Jahren unzuverlässiger.
Allerdings bleibt der Fortschrittsanzeiger bisher hinter dem Anspruch seiner Erschaffer zurück. Das, obwohl Blau-Rot-Grün das Projekt weiter unterstützt, wie aus dem Koalitionsabkommen 2018 hervorgeht. Die minimale Anforderung erfüllt das Statec: Die Indikatoren werden regelmäßig aktualisiert. Aktuell reichen sie bis 2017. Einen technischen Bericht veröffentlichte die Behörde 2017. Seitdem folgte eine Analyse im Herbst 2018. Kommenden Oktober werden die Statistiker die Entwicklung der Indikatoren im Rahmen des Berichts „Travail et Cohésion sociale“ erneut untersuchen.
Trotz dieser Arbeit bleibt das „PIBien-être“ weit von der Sichtbarkeit des klassischen „PIB“ entfernt. Keine Pressekonferenz, keine Zeitungsartikel, keine Kommentare von Politikern. Das Problem ist dem Statec bewusst: „Es sind große Anstrengungen in der Kommunikation und Pädagogik nötig, damit die Entscheider und die Bürger auf den ‚PIBien-être‘ zurückgreifen und seinen ganzen Nutzen erkennen“, heißt es auf Nachfrage von REPORTER.
Verbesserungen angekündigt
Allerdings ist Bewegung im Dossier. Es erfolge aktuell eine kritische Prüfung der 63 Indikatoren hinsichtlich Kriterien wie Verfügbarkeit, Klarheit oder Kohärenz, erklärt der zuständige Abteilungsleiter. Dabei könne die Zahl der Indikatoren sinken oder neue Werte aufgenommen werden. Ein Problem ist etwa, dass ein Teil der Zahlen nur alle fünf Jahre aktualisiert wird.
Die hauptsächliche Herausforderung ist allerdings, dass es sehr schwierig ist, sich einen Überblick über 63 Werte zu verschaffen. Das BIP als einzelne Zahl ist deutlich praktischer. Das Statec versuchte 2017 das Problem zu beheben und entwickelte einen „Luxembourg Index of well being“, der die einzelnen Indikatoren zusammenfassen sollte. Allerdings ist das methodologisch problematisch und in den vergangenen zwei Jahren wurde dieser Index nicht mehr aktualisiert.
Im März 2020 findet auf Initiative des Statec eine internationale Konferenz zur Messung des Wohlstandes in Luxemburg statt. Zeitgleich will die Behörde einen neuen Bericht zum „PIBien-être veröffentlichen. Für den Herbst dieses Jahres hat der CSV-Abgeordnete Serge Wilmes eine Interpellation im Parlament zum „PIBien-être“ beantragt.
Klar ist eins: Das „PIBien-être“ hat das Potenzial eine solide Grundlage für die Wachstumsdebatte zu liefern, die in Luxemburg seit Monaten brodelt. Zahlen statt Emotionen.