Von Benazir Bhutto bis Malala Yousufzai: Pakistan mangelte es nie an charismatischen und starken Frauen. Doch die gesellschaftliche Realität ist oft schwierig. Die Stellung der Frau ist auch heute noch äußerst ambivalent. Eine Analyse.
Benazir Bhutto, Pakistans erste Premierministerin, erklärte den Gegenwind, der einer erfolgreichen Frau entgegen bläst einmal so: „Natürlich ist es für Frauen in der modernen Gesellschaft nicht einfach, egal wo sie leben. Nach wie vor müssen wir uns besonders anstrengen, um zu beweisen, dass wir mit Männern gleichgestellt sind. Wir müssen Überstunden machen und Opfer bringen. Und wir müssen uns emotional vor unfairen, oftmals bösartigen Angriffen wappnen, die von den Männern in unseren Familien ausgehen.“
Dass Bhutto, die Tochter einer traditionsreichen pakistanischen Politikerdynastie, im Jahr 1988 nach dem Ende der Militärdiktatur von Zia ul-Haq zur ersten Premierministerin des südasiatischen Landes gewählt wurde, war eine Sensation. Bhutto, die mit einem engagierten Demokratisierungs- und Modernisierungsprogramm angetreten war, war die erste Frau an der Spitze einer muslimischen Nation überhaupt. Doch während Bhutto viele gebildete Pakistanis aus den Städten sowie die Bewohner ihrer Heimatprovinz Sindh hinter sich hatte, war das „fundamentalistisch-islamische Establishment aufgebracht.
Bhutto schrieb später: „Ich stellte fest, dass mich eine ganze Reihe Menschen schlichtweg ablehnten, weil ich eine Frau war. Kleriker zogen in die Moscheen und ließen verlauten, dass Pakistan sich von der muslimischen Welt und der Gemeinschaft der Muslime disqualifiziert habe, da es eine Frau gewählt hatte; eine Frau, welche die Stelle eines Mannes ergriffen hatte.
Jahrhunderte altes patriarchisches System
Bhutto wurde 2007 von einem jungen Selbstmordattentäter bei einer Wahlkampfveranstaltung ermordet. Eine Frau mit Affinitäten zum Westen – das ging den Extremisten, die das Land seit Jahrzehnten plagen, zu weit. Man geht davon aus, dass die pakistanische Taliban hinter der Erschießung von Bhutto steht, wobei es nie zur Aufspürung der Verantwortlichen in dem Fall gekommen ist.
Der Fall Benazir Bhutto zeigt jedoch eines mehr als deutlich: Die ambivalente Situation der Frau in Pakistan. Zwar haben Frauen theoretisch die Möglichkeit in das höchste Amt des Landes vorzudringen, doch die gesellschaftliche Realität in dem 200-Millionen-Einwohner-Land sieht oftmals ganz anders aus.
Während Frauen in der urbanen pakistanischen Kunst- und Kulturszene eine starke Präsenz haben, sind sie politisch nach wie vor stark unterrepräsentiert.“
Abgesehen von den urbanen Zentren Lahore, Karachi und Islamabad ist das Leben pakistanischer Frauen meist auf die Rollen reduziert, welche ein Jahrhunderte altes patriarchisches System für sie vorgesehen hat. Besonders in den Stammesgesellschaften des ländlichen Pakistan wird der Ehrbegriff eines Mannes an seiner Frau festgemacht – das hat oft weniger mit der islamischen Religion zu tun als mit überlieferten Stammeskodize.
In solchen sozialen Milieus wird ein Mann, der seine Frau nicht unter Kontrolle hat, von seiner Umgebung geächtet. Die Mobilität der Frauen wird dadurch meist stark eingeschränkt, ihre Existenz auf ein Leben im Haushalt beschränkt. Zuletzt gab der Film „Dukhtar“ einen realistischen Einblick in die Strukturen der archaisch-maskulinen Gesellschaft in der nordwestlichen Provinz Khyber-Pakthunkhwa. Der international erfolgreiche Streifen der pakistanischen Regisseurin Afia Nathaniel handelt vom Ausbruch einer Hausfrau, Alla Rakhi, aus dem Korsett einer arrangierten Dorfehe.
„Dukhtar“: Ein Film trägt zur Aufklärung bei
Die Inspiration zu „Dukhtar“ stammt von der wahren Geschichte einer paschtunischen Mutter, die mit zwei Töchtern aus ihrem Dorf flieht – wohlwissend, dass sie dafür umgebracht werden kann. Die Geschichte von Regisseurin Afia Nathaniel ist selbst ein Novum in Pakistan: Nathaniel wurde im pakistanischen Quetta geboren, verbrachte ihre Kindheit in Lahore und lebt heute als unabhängige Filmemacherin in den Vereinigten Staaten. Nathaniel mag die erste Frau sein, die über zwei Monate als Regisseurin in den Dörfern Nordpakistans gedreht hat.
Um ein möglichst authentisches Bild des Lebens von paschtunischen Frauen zu transportieren, traf sich Nathaniel im Vorfeld mit Paschtuninnen zum Gespräch. Besonders überrascht habe sie dabei die natürliche Wissbegier dieser Frauen, etwa im Erlernen von Sprachen, was sich im Film darin widerspiegelt, dass Allah Rakhi von ihrer Tochter Englischunterricht bekommt. „Die Konzeption des Films ist etwas ganz anderes als die übliche Mischung aus Song und Tanz im pakistanischen Film, bei der Frauen sexualisiert werden um männliche Fantasien zu bedienen“, sagt Nathaniel über „Dukhtar“.

Im südasiatischen Glitzerkino werden Frauen zu Diven heraufgestylt, was mit der Realität des Lebens der überragenden Mehrheit von Frauen in Südasien wenig zu tun hat. „Dukhtar“ bietet nichts, was das übliche Unterhaltungskino auf Lager hat. Umso mehr war Nathaniel überrascht, dass die erste Vorstellung von „Dukhtar“ in Pakistan bereits innerhalb von wenigen Minuten ausverkauft war.
Unter dem Hashtag „#ISupportDukhtar“ riefen Prominente zudem im Internet dazu auf, die Botschaft des Films zu unterstützen. Zahlreichen Frauen, die ihre Familien mitbrachten und ganzen Schulklassen, die auf Initiative ihrer Lehrer ins Kino gingen, schauten sich den Film an – nicht unbedingt das typisch Arthouse-Publikum. Das allein zeigt schon, dass Nathaniel mit „Dukhtar“ in ihrer Heimat einen Nerv getroffen hat.
Fort- und Rückschritte in Sachen Frauenrechte
Während Kino, Literatur und Journalismus in Pakistan die Frauenthematik immer wieder aufgreifen, zeigen sich in Pakistan Fortschritte in Sachen Frauenrechte: Die Alphabetisierungsrate von Mädchen ist steigend und auch religiöse Vereinigungen verurteilen inzwischen Gewalt gegen Frauen mit mehr Entschlossenheit. Nicht nur hat der „All Pakistan Ulema Council“, der größte Klerikerverbund Pakistans, Rechtssprüche gegen so genannte Ehrenmorde herausgegeben, sondern Gerichte haben in der Vergangenheit schärfere Urteile bei Gewaltverbrechen gegen Frauen ausgesprochen.
Während Frauen in der urbanen pakistanischen Kunst- und Kulturszene eine starke Präsenz haben, sind sie politisch nach wie vor stark unterrepräsentiert: Nur rund ein Fünftel der Abgeordneten im pakistanischen Parlament sind Frauen, ganz zu schweigen von den Provinzialregierungen, wo die Zahlen meist deutlich geringer sind.
Wer heute in Pakistan für Frauenrechte kämpft, beruft sich nicht selten auf Benazir Bhutto. Und muss gleichzeitig mit der Gefahr zurechtkommen, das gleiche Schicksal zu erleben wie Bhutto. Eine davon ist Sabeen Mahmud: Im April 2015 wurde die engagierte Menschenrechtsaktivistin in Karachi vor dem von ihr gegründeten Kulturzentrum „The Second Floor“ erschossen.
Doch „The Second Floor“ führt seine Aktivitäten seitdem mit größerer Entschlossenheit weiter. Auf wöchentlicher Basis bietet das Zentrum eine Plattform für schwierige gesellschaftliche Debatten, etwa zur Situation von Frauen oder ethnischen Minderheiten in Pakistan. Dass eine Initiative wie „The Second Floor“ weiterhin floriert, sagt einiges über die zähe Zivilgesellschaft in Pakistan aus. Oder wie die inzwischen weltberühmte Frauenrechtsaktivistin Malala Yousufzai es einmal ausdrückte: „Wenn die ganze Welt still ist, hat schon eine Stimme Macht.“