In Luxemburgs Notaufnahmen fehlt es an Kinderärzten. Darunter leiden die Patienten – und deren Eltern gleichermaßen. Jetzt soll das Budget und damit das Personal aufgestockt werden. Doch das ist leichter gesagt, als getan. 

„Wir sind dankbar für jedes Kind, das nicht zu uns kommt“, sagt Dr. Romain Nati. Lange Wartezeiten, überfüllte Zimmer, zu viele Patienten – die Probleme, die in seiner Kindernotaufnahme herrschen, kennt der Generaldirektor des Centre Hospitalier de Luxembourg und der dazu gehörigen Kannerklinik nur zu gut.

Die sind auch nicht neu. Ebenso wenig wie die Vorwürfe der Eltern. „Nie wieder Kannerklinik“ oder „Uns werden sie dort nie wiedersehen“ zählen noch zu den harmloseren Kommentaren, mit denen sie ihrem Ärger in sozialen Netzwerken Luft machen. Eine Frau startete Anfang des Jahres sogar eine Petition, damit mehr Kindernotaufnahmen in Luxemburg eingeführt werden. Der Grund: Die aktuellen seien überlaufen und unorganisiert.

Die Kannerklinik gilt als nationales Zentrum für Kindermedizin, ist eine sogenannte „Pédiatrie spécialisée“ mit einem 24-Stunden Notfalldienst. Für die meisten Familien ist sie erste Anlaufstelle, wenn es dem Nachwuchs nicht gut geht. Eine Anlaufstelle, die überlaufen ist. Doch auch gegen andere Krankenhäuser, wie das Centre Hospitalier Emile Mayrisch (CHEM), die Clinique Dr. Bohler und das Centre Hospitalier du Nord (CHdN) gibt es immer wieder Vorwürfe. Kurz: Die Notaufnahmen für Kinder stehen in keinem guten Licht. Ursache: Es fehlt an Pädiatern.

Mehr Geld bedeutet nicht mehr Ärzte

Die Kannerklinik geht deswegen offensiv vor. Es wird an gleich drei Schrauben gedreht, um die Lage zu verbessern. Infrastrukturen sollen erweitert, Geld und Personal aufgestockt werden. So zumindest der Wunsch der Krankenhausleitung. In Wirklichkeit sind die Pläne aber nicht so leicht umsetzbar. Der Ausbau der Infrastruktur ist dabei das kleinste Problem. Ein Budget gibt es noch nicht, der Staat soll das laut Nati aber zur Verfügung stellen. Das größte ist und bleibt der Personalmangel.

Aufatmen kann das Klinikum schon jetzt dank des Spitalgesetzes von 2018. Im Rahmen dessen wurden ab dem 1. Januar 2019 für bestimmte Dienstleistungen in den Notaufnahmen neue Tarife festgelegt – auch bei Kindern. Durch die Tariferhöhung fließt mehr Geld in die Krankenhauskasse. Das soll wiederum genutzt werden, um Mediziner einstellen zu können. Im Kinderkrankenhaus arbeiten aktuell 6,5 Kinderärzte in der Notaufnahme. Elf sollen es werden.

Die sind auch nötig. Die Patientenzahlen in der Kannerklinik sind alleine von 2017 auf 2018 von 40.330 auf 43.493 gestiegen.

Das Geld ist demnach da. Die neuen Pädiater lassen aber auf sich warten. Dabei bietet das CHL, anders als die anderen Kliniken des Landes, seinen Medizinern einen festen Arbeitsvertrag und ein festes Gehalt. „Wir finden keine Leute und wissen auch nicht, wie wir sie finden sollen“, sagt Dr. Romain Nati. Die Personalaufstockung werde „nicht von heute auf morgen“ passieren. „Und alle, die dann zu uns kommen, werden natürlich an anderer Stelle fehlen.“ 

Das Problem mit der Notaufnahme

Der Beruf des Kinder-Notarztes ist schlichtweg unbeliebt. Die Mediziner sind ähnlich gestresst wie die Eltern, die zu ihnen kommen. Jeder will schnell Hilfe, alle stehen unter Strom. Wie schnell ein Kind behandelt wird, hängt immer vom Schweregrad der Krankheit oder Verletzung ab. Und längst nicht alle sind Notfälle. Dr. Romain Nati schätzt, dass sieben Prozent der Kinder, die ins Kinderkrankenhaus kommen, auch eingewiesen werden. Mehr nicht. Bei den Erwachsenen sind es zwölf Prozent.

Wir sind nicht die einzigen im Land. Auch andere müssen ihre Verantwortung übernehmen und für die Patienten da sein.“Dr. Romain Nati, CHL

Der Generaldirektor weiß sich gegen die anhaltenden Vorwürfe gegen die Kannerklinik zu wehren. Er schiebt das Problem der überfüllten Säle einerseits auf die Familien, die wegen Kleinigkeiten vorbeikommen. Andererseits auf die mangelnde Dienstbereitschaft der freischaffenden Kinderärzte in ihren Praxen.

Sie würden keine flexiblen Sprechstunden-Zeiten anbieten. „Heutzutage arbeiten Mutter und Vater. Sie kommen zu uns, wenn sie ihr Kind aus der Kita abgeholt haben und merken, dass etwas nicht stimmt“, so Dr. Romain Nati. Abends noch einen Termin bei einem privaten Kinderarzt zu bekommen, sei aber alles andere als leicht. Eltern bliebe oft nichts anderes übrig, als in die Notaufnahme zu kommen. Dort würde es nach Feierabend zu regelrechten „Tsunamis“ kommen.

Der Generaldirektor weist darauf hin, dass es für Familien – zumindest rein theoretisch – Ausweichmöglichkeiten gibt: „Wir sind nicht die einzigen im Land. Auch andere müssen ihre Verantwortung übernehmen und für die Patienten da sein.“ „Die anderen“ müssten dafür vor allem flexibler arbeiten, so Nati. „Die anderen“ sehen das aber anders.

Spagat zwischen Praxis und Bereitschaftsdienst

So einfach wie Romain Nati es darstellt, ist es nicht. Denn nicht nur in der Kannerklinik fehlt es an Pädiatern. Zwar sind auf dem Onlineportal eSanté 109 Kinderärzte in Luxemburg aufgelistet, davon sind aber viele im Ruhestand oder arbeiten nur ein paar Stunden pro Woche – bei Freischaffenden kein Problem.

Die Arbeit bleibt demnach an jenen hängen, die übrig bleiben. Dr. Patrick Theisen, Präsident der Société Luxembourgeoise de Pédiatrie, schätzt, dass 45 von den 109 als private Kinderärzte aktiv sind.

Problematisch ist die Situation für alle, die neben ihrer Privatpraxis auch einen Notfall-Bereitschaftsdienst im CHEM oder CHdN anbieten. 2015 sagte die damalige Gesundheitsministerin Lydia Mutsch noch, dass 34 von 80 Kinderärzten bereit wären, sich diese Schichten aufzuteilen. Die Freischaffenden arbeiten auch abends, an Wochenenden und Feiertagen in den Maisons Médicales im Zentrum und in Ettelbrück und bieten Familien dort medizinische Hilfe an (hier mehr dazu).

Im Wartezimmer der Kannerklinik gibt es Spielzeug zum Zeitvertreib. (Foto: Martine Pinnel)

Laut dem Krankenhausgesetz von 2018 kann jedes nationale Krankenhaus eine sogenannte „Garde pédiatrique“ von acht Uhr morgens bis 20 Uhr abends anbieten. Zusätzlich kann ein Rufdienst angeboten werden oder können Notfälle auch vom herkömmlichen Notarzt behandelt werden.

Durch dieses flexible Modell sollen die Kinderärzte bei ihrem Spagat zwischen eigener Praxis und Krankenhaus-Dienst entlastet werden. Das funktioniert aber nicht immer. Ärzte pendeln für ihre Krankenhaus-Schicht zwischen Praxis und Klinik, lassen ihre Arbeit liegen, wenn ein Notfall vorliegt. Wenn sie in Wiltz arbeiten und in Ettelbrück Schicht haben, brauchen sie alleine für die Hinfahrt etwa eine halbe Stunde.

Niemand will die Verantwortung übernehmen

Man spielt sich gegenseitig den Ball und damit die Verantwortung zu. Die Kinderärzte plädieren für eine komplette Zentralisierung der Notdienste in der Kannerklinik. Nati fordert seinerseits mehr Einsatz von den anderen Akteuren, um die Notaufnahme des Kinderkrankenhauses entlasten zu können. 

Zwar spreche man sich untereinander ab, welche Fälle ins Kinderkrankenhaus gehören. Nati sagt aber auch, dass viele Kinder bei seinen Ärzten landen, weil die Abläufe im CHEM und CHdN nicht rund liefen. Unter anderem, weil nicht immer ein Kinderarzt vor Ort sei, sondern erst gerufen werden muss. Dr. Theisen kann das nur teilweise bestätigen. Ja, es gebe den Rufdienst. Aber sowohl in Ettelbrück als auch in Esch und in Kirchberg seien stundenweise Ärzte vor Ort und auf Abruf bereit.

Im Jahr 2014 hatten die Kinderärzte aus dem CHEM und CHdN gedroht, ihre Verträge mit den beiden Krankenhäusern zu kündigen. Der Druck wurde zu groß, die Arbeitsbedingungen immer schlimmer. Die Situation eskalierte, dann war Schluss. Seitdem arbeitet man zunehmend auf eine Zentralisierung der pädiatrischen Dienste in der Kannerklinik hin.

Außerdem arbeiten heute im Norden fünf Pädiater für den ambulanten Notdienst, im CHEM will man keine Auskunft darüber geben. Für größere Fälle sei aber immer noch die Notaufnahme der „Kannerklinik“ verantwortlich. Für die kleinen aber bis auf Weiteres auch.