20 Stunden Gratis-Kinderbetreuung: Die seit mehr als einem Jahr geltende Reform hört sich gut an, verfehlt in vielen Fällen aber ihre Wirkung. Private Tagesstätten erhöhen ihre Tarife. Den meisten Eltern sind die Hände gebunden. Und auch die Politik will vorerst nicht eingreifen.

Die Freude der erwerbstätigen Eltern von Kleinkindern war sicher groß, als die Regierung die teilweise Gratis-Betreuung für Kinder zwischen einem und vier Jahren einführte. Seit Oktober 2017 werden die Kosten von bis zu 20 Stunden pro Woche in kollektiven Betreuungsstrukturen vom Staat übernommen. Wer seine Kinder davor in Kindertagesstätten gab, musste mehrere Hundert Euro pro Monat in die Fremdbetreuung investieren – bei höherem Einkommen wurde die 1.000-Euro-Marke pro Monat regelmäßig überschritten.

In der Theorie ist die Rechnung ganz einfach: Bei Teilzeit-Einschreibungen, die in kommerziellen Tagesstätten oft auf 30 Stunden pro Woche berechnet werden, sollten Eltern mindestens zwei Drittel des vorher bezahlten Betrags einsparen. Bei einer mit 60 Stunden berechneten Vollzeit-Betreuung müssten sie mindestens ein Drittel sparen.

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Einsparungen nicht immer so hoch wie erwartet ausfallen. Der Grund: Einige private Tagesstätten verrechnen auf die nicht vom Staat erstatteten Stunden einen höheren Preis als zuvor. Die von Blau-Rot-Grün eingeführte Maßnahme verfehlt also in vielen Fällen ihre Wirkung. Entsprechende Recherchen von REPORTER wurden von mehreren Betreibern von Tagesstätten in und um Luxemburg-Stadt bestätigt.

Gratis heißt noch lange nicht gratis

Ein Beispiel: In einer Einrichtung wurde der Stundentarif kürzlich von 7,00 auf 9,40 Euro erhöht. Für einen Haushalt, der seine Kinder in Vollzeit bei einer Kindertagesstätte betreuen lässt, macht das Mehrausgaben von fast 400 Euro im Monat aus. Den Eltern bleibt dabei meist keine andere Wahl, als die Preiserhöhung zu akzeptieren. Denn während des Schuljahres sind die Betreuungsplätze meist ausgelastet. Ein alternativer Betreuungsplatz ist kurzfristig nur schwer zu finden.

Der Sachverhalt gilt wohl bemerkt nur für bestimmte private Anbieter. Öffentlich geförderte Tagesstätten, die ihre Betreuungsstunden aufgrund ihrer Konvention mit dem Ministerium zum Stundentarif von sechs Euro anbieten müssen, sind ausgenommen. Im Gegenzug deckt der Staat bis zu 75 Prozent ihrer Betriebskosten.

Es stellt sich die Frage, wie man jene, die vom System profitieren, ausgrenzen kann, ohne jene, die korrekt arbeiten, deshalb zu bestrafen.“Manuel Achten, Bildungsministerium

Anders sieht es bei kommerziellen Einrichtungen aus, die immerhin rund 12.000 Kinder, sprich zwei Drittel aller Kleinkinder betreuen. Diese erklären die höheren Preise mit den Mindereinnahmen, die für sie durch die Einführung der 20-Gratis-Stunden entstehen. Letztere werden ihnen vom Staat mit einem maximalen Stundenbetrag von sechs Euro erstattet. Einige waren es allerdings gewohnt, den Eltern einen höheren Tarif in Rechnung zu stellen.

Um jegliche Missbräuche zu unterbinden, ist es den Anbietern grundsätzlich verboten, höhere Preise für die 20 vom Staat bezahlten Stunden zu verrechnen. Doch das Ministerium hat keine Handhabe über jene Preise, die über diese 20 Stunden hinaus verbucht werden. Für manche Einrichtungen scheint es also nur logisch, die Mindereinnahmen der 20-Stunden auf die Preise der restlichen Stunden, und damit ihrer Kunden, zu übertragen.

Die Effizienzfrage der vom Steuerzahler finanzierten 20-Stunden-Gratis-Betreuung, die jährlich mit fast 80 Millionen Euro zu Buche schlägt, liegt auf der Hand. Dem Ministerium ist die Praxis auch bekannt.

Mehr Kosten, höhere Auflagen

Arthur Carvas, Präsident der „Fédération des services d’éducation et d’accueil pour enfants“ (FELSEA), der rund 75 kommerzielle Tagesstätten vertritt, sieht gegenwärtig keine Alternative zur Preiserhöhung. Denn die vom Ministerium vorgeschriebenen Auflagen seien in den vergangenen Jahren immer bedeutender geworden. Die Zulassungsbedingungen wurden angepasst, neue Vorgaben der Arbeitsaufsicht ITM eingeführt, Betreiber mussten pädagogische Konzepte entwickeln und bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.

Der staatliche Zuschuss, den die Anbieter pro Betreuungsstunde über die „Chèques-Service“ erhalten, sei weder dem Index angepasst noch sonst erhöht worden, so Arthur Carvas weiter. Gleichzeitig seien die Gehälter der Erzieher per Index aber gestiegen, was die zu leistende Arbeit verteuere.

Die Einführung der 20-Gratis-Stunden war eine politische Entscheidung. Die Botschaft, die den Eltern damit vermittelt wurde, dass sie dabei 20 Stunden einsparen würden, war aber die falsche.“Arthur Carvas, „Fédération des services d’éducation et d’accueil pour enfants“

Hinzu kommen die Auflagen des obligatorischen mehrsprachigen Programms. Damit Kunden die 20-Stunden-Gratis-Betreuung und die „Chèques-services“ in Anspruch nehmen können, muss in jeder Einrichtung jeweils mindestens ein Mitarbeiter Luxemburgisch und Französisch sprechen. „Einige Tagesstätten mussten daraufhin luxemburgisches Personal einstellen, was ein anderer Kostenpunkt bedeutet als gleich qualifiziertes ausländisches Personal“, erklärt Carvas. Tagesstätten im konventionierten Bereich würden dem Personal im Schnitt monatlich bis zu 1.000 Euro mehr Gehalt anbieten.

Ein „flächendeckendes“ Phänomen

Die von Bildungsminister Claude Meisch (DP) eingeführten Qualitätskriterien seien ganz klar zu begrüßen, allerdings könne man nicht verlangen, dass eine höhere Qualität zum selben Preis angeboten würde, so der Vertreter der privaten Anbieter. Das sei rein rechnerisch nicht machbar. „Wir können diese Mehrkosten auf den 20 ersten Betreuungsstunden nicht eintreiben. Es gibt deshalb einige Betreiber, die das durch höhere Kosten auf den zusätzlichen Stunden ausgleichen müssen“, bestätigt Arthur Carvas. Dass es Mehrkosten gebe, sei flächendeckend zu beobachten. Wie viele der rund 400 Betreiber tatsächlich solche Preiserhöhungen umsetzen, konnte Carvas nicht sagen.

Für den FELSEA-Präsidenten steht jedenfalls fest: „Die Einführung der 20-Gratis-Stunden war eine politische Entscheidung. Die Botschaft, die den Eltern damit vermittelt wurde, dass sie dabei 20 Stunden einsparen würden, war aber die falsche. Es gibt keine Gratis-Kinderbetreuung.“

Seiner Ansicht nach wäre eine Gratis-Betreuung, die für die Eltern kostenneutral sei nur folgendermaßen möglich: „Das Ministerium müsste ein Pflichtenheft festlegen, in denen es bestimmte Punkte vom Anbieter einfordert und für dessen Umsetzung es im Gegenzug den Kostenpunkt des Anbieters berücksichtigt.“ Dementsprechend könnte der Staat anstatt einer bestimmten Stundenanzahl bestimmte Aufgaben subventionieren.

Ministerium: Keine einfache Lösung in Sicht

Die optimale Lösung gibt es für das zuständige Ministerium nicht. Die Frage nach der optimalen Bezuschussung sei mit einem Teufelskreis vergleichbar, meint der Erste Regierungsrat Manuel Achten: „Würden wir den Betreibern höhere Summen pro Stunde rückerstatten, würden es wiederum Kindertagesstätten geben, die noch mehr fordern würden“, so der in Meischs Ministerium für Kindheit und Jugend zuständige Beamte. Es gebe derart unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Konzepten, Ausgaben und demnach Preissparten, dass es schwer sei alle Anbieter dauerhaft mit einem bestimmten Betrag zufrieden zu stellen.

Wollte das Ministerium einerseits seine Ausgaben für die Bezuschussung deckeln, so ist ihm natürlich auch daran gelegen, dass die Maßnahme nicht der Gewinnmaximierung von kommerziellen Betrieben dient. Generell habe man gegenwärtig keinen Einblick auf die konkreten Preise und könne den privaten Einrichtungen diese auch nicht vorschreiben, heißt es von offizieller Seite.

Dass einige Tagesstätten vom neuen System profitieren, ist der Politik auch durchaus bewusst: „Es stellt sich die Frage, wie man jene, die vom System profitieren, ausgrenzen kann, ohne jene, die korrekt arbeiten, deshalb zu bestrafen“, so der hohe Beamte aus dem Bildungsministerium.


*Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel wurde ausschließlich der Präsident der „Fédération des services d’éducation et d’accueil pour enfants“ (FELSEA) zitiert, die die kommerziellen Tagesstätten vertritt. In einer ersten Version des Artikels wurde Arthur Carvas an einer Stelle fälschlicherweise als FEDAS-Präsidenten bezeichnet. Die „Fédération des acteurs du service social“ (FEDAS) vertritt die staatlich konventionierten Tagesstätten.