Das Lagern von Nabelschnurblut ist Trend. Eltern lassen es nach der Geburt im Ausland einfrieren – und hoffen, ihr Kind damit vor möglichen Krankheiten schützen zu können. Die Lagerung ist aber teuer. Und das Business dahinter fragwürdig.

„Ich dachte, ich wäre eine schlechte Mutter, wenn ich es nicht mache.“ Als Martine* erfährt, dass sie das Nabelschnurblut ihres Babys einfrieren lassen und es quasi als Gesundheitsvorsorge anlegen kann, ist ihre Entscheidung schnell gefasst. Sie will das Blut einer Privatfirma in Deutschland geben. Die soll es für den Notfall aufbewahren.

Im Nabelschnurblut befindet sich eine hohe Anzahl sogenannter adulter Stammzellen. Sie gelten als kleine Alleskönner, aus denen sich andere Zellen bilden. Die Hoffnung der Forschung liegt darin, dass mit diesen Zellen irgendwann Therapien gegen Krankheiten entwickelt werden. Kommen diese Heilmethoden tatsächlich auf den Markt, sind die Menschen im Vorteil, die einen Vorrat an eigenen Zellen im Gefrierschrank haben.

Das dachte sich auch die werdende Mutter. Bis sie sich näher mit dem Thema befasste.

Zellen auf Eis – wie die Einlagerung funktioniert

Das Nabelschnurblut wird noch im Kreißsaal aus der Nabelschnurvene gewonnen und direkt an eine private Firma geschickt. Dort wird es dann gelagert. Nabelschnurblut enthält besonders viele adulte Stammzellen. Auch im Knochenmark sind sie zu finden, allerdings in weit geringerer Anzahl. Ein weiterer Vorteil der Blutkonserven: Die Stammzellen aus dem Blut der Neugeborenen sind im Bedarfsfall (beispielsweise bei einer Leukämie) sofort verfügbar, während das Knochenmark von in Frage kommenden Spendern dann erst in einem aufwändigen Verfahren durchgetestet werden muss. Allerdings enthält eine Konserve an Nabelschnurblut meist nicht genügend Stammzellen, um sie auch für erwachsene Empfänger einsetzen zu können.

Die Lagerung hat ihren Preis

Martine kennt mehrere Familien in Luxemburg, die das Nabelschnurblut ihres Kindes haben einfrieren lassen. Sie selbst ist durch Bekannte auf die Methode aufmerksam geworden.

Die Idee der medizinischen Absicherung ist gut – doch die Lagerung ist teuer. Vita34, Marktführer in Deutschland, wirbt mit einem Einstiegspreis von 990 Euro. Im Schnitt liegt er mit 2.000 bis 3.000 Euro aber deutlich höher.

Vita34 ist ein Privatunternehmen aus Leipzig und hat aktuell ein Depot von 215.000 Stammzellen. Wie viele davon von Kindern aus Luxemburg kommen, will die Firma REPORTER nicht preisgeben. Im Geschäftsbericht von 2017 steht lediglich, dass es „die Erlaubnis zur Entnahme, Bearbeitung, Kryokonservierung und Lagerung von Nabelschnurgewebe in Deutschland, Österreich, der Schweiz (DACH-Region) und in Luxemburg“ hat. Fest steht aber, dass das Unternehmen hierzulande die bekannteste Stammzellenbank ist.

Ich gebe die Zellen meines Kindes ab und weiß aber eigentlich gar nicht genau, was damit passiert.“

Von den 215.000 Stammzellen wurden bisher 34 bei Patienten angewendet. Vonseiten der Firma heißt es, die Zellen hätten „Geschwistern bei Blut- und Krebserkrankungen“ geholfen und seien „als Heilversuch“ bei kindlichen Hirnschäden und im Rahmen einer klinischen Studie zu Typ-1-Diabetes eingesetzt worden. In welchen Fällen es während der Therapie auch zu einer Genesung kam, ist nicht bekannt.

(Zu) viele Details sind unklar

Erst war sie überzeugt, dann wurde Martine gegenüber des Konzeptes immer skeptischer. Gründe dafür zählt sie viele auf. „Mein Arzt meinte, dass er für jeden Patienten, den er an die Firma vermittelt, 10 Prozent Provision erhält“, so die junge Frau. „Das hatte für mich etwas von Teppichverkäufern, die ihre Ware loswerden wollen.“ Das System wurde ihr zu kommerziell.

Auch von der Lagerung des Nabelschnurblutes in einer Stammzellenbank war sie irgendwann nicht mehr überzeugt. „Die Zellen werden eingefroren, es weiß aber niemand so genau, wie lange sie überhaupt haltbar sind“, sagt sie weiter. Und: „Ich gebe die Zellen meines Kindes ab und weiß aber eigentlich gar nicht genau, was damit passiert.“ Ob das Blut ihrem Kind im Falle einer Erkrankung helfen könnte, sei außerdem auch nicht eindeutig klar.

Fragt man Experten, ist der Grundtenor mehr oder weniger der gleiche. Ja, die Stammzellen sind wichtig. Und ja, mit ihnen könnten aggressive Krankheiten geheilt werden. Momentan stecke die Forschung aber noch in den Kinderschuhen – und welche Krankheiten genau man mit den Zellen bekämpfen kann, sei noch nicht genau definiert.

„Die Stammzellenforschung ist ein wichtiger Bereich“, so der Gynäkologe Dr. Robert Lemmer. Es sei aber auch noch Zukunftsmusik. Wo die kleinen Wunderwaffen überall eingesetzt werden können? Das kann man heute noch gar nicht sagen. „Wichtig ist deshalb, dass die Forschung vorangeht“, sagt Lemmer. Eltern, die die Zellen lagern, lassen diese aber in der Regel für den Eigenbedarf einfrieren – und nicht zur Forschung. Schlummern die Zellen in der Bank vor sich hin, nützen sie niemandem. Weder den „Besitzern“, noch der Forschung. „Und genau das ist das Problem“, so Lemmer. Das Forschungsmaterial ist da, nur genutzt werden darf es nicht.

Dem Kind so gut wie möglich helfen

Eine, die auf die Wirksamkeit der Zellen setzt, ist Sylvie*. Sie hat das Nabelschnurblut ihres Kindes nach der Geburt in Deutschland einfrieren lassen. Es war ein Geburtstagsgeschenk des Patenonkels an das Baby als Absicherung für später. Sylvie selbst war die Lagerung der Stammzellen bis dahin unbekannt. „Wenn der Patenonkel es uns nicht vorgeschlagen hätte, wüsste ich wahrscheinlich bis heute nichts davon“, so die Mutter.

„In Luxemburg erfährt man eher durch Mund-zu-Mund-Propaganda davon. Ich selbst habe es auch Familien vorgeschlagen“, sagt sie. Die seien aber nicht darauf eingegangen – auch wegen des hohen Preises.

Sylvie ist aber überzeugt – und hofft, dass im Fall der Fälle die gefrorenen Stammzellen zum Einsatz kommen können und ihrem Kind helfen. „Dafür macht man es ja“, sagt sie.

Innovativ aber unbekannt

In Luxemburg ist es momentan eine Minderheit, die sich für das Einfrieren des Nabelschnurbluts entscheidet. Dr. Robert Lemmer schätzt, dass zwei bis drei Prozent der Patientinnen eine Einlagerung wollen. Er denkt, dass vor allem der Preis viele Eltern abschreckt.

Davon, dass Ärzte mit der Vermittlung von Familien etwas hinzuverdienen, will er nichts wissen. Der Vertrag würde zwischen Familie und Firma laufen, für den Arzt würde nur ein minimaler Betrag abfallen. „Der bekommt 20 Euro dafür, dass er das Formular ausfüllt“, sagt Lemmer.

Vita34 teilt REPORTER mit, dass es Gynäkologen „auf Wunsch Informationsmaterial zur Verfügung“ stellt, damit sie es an die Schwangeren weitergeben können. Ob oder wie viel die Ärzte vom Unternehmen an Geld bekommen, will die Pressestelle aber nicht präzisieren. Damit auch außerhalb der Praxen mehr Menschen von der Bank erfahren, plant Vita34 eigenen Aussagen nach im Frühling 2019 eine große Kampagne.

Hin zur Zwei-Klassen-Medizin

Die Methode der Nabelschnur-Forschung könnte der Medizin demnach viel bringen – die Frage ist nur, wem genau sie hilft. Nur denjenigen, die es sich leisten können? Dr. Lemmer sagt, dass die private Stammzellen-Lagerung zu einer Zwei-Klassen-Medizin beiträgt. „Nicht alle Eltern können sich das leisten. Und von der Krankenkasse wird die Lagerung auch nicht übernommen. Es sind also diejenigen im Vorteil, die das Geld haben“, so der Gynäkologe.

Martine würde die Nabelschnur ihres Kindes am liebsten spenden. Das war bis jetzt in Luxemburg nicht möglich. Die Krankenhausgruppe Hopitaux Robert Schumann hat aber jetzt im Rahmen der Télévie-Kampagne darauf aufmerksam gemacht, dass Eltern die Stammzellen ihres Babys nach der Geburt zur Forschung bereitstellen können. Auf dem Flyer heißt es, dass das Material ausschließlich zu Forschungszwecken verwendet und danach zerstört wird: „Aucun stockage – aucune manipulation génétique“.

Es wäre hierzulande eine erste nicht-kommerzielle Alternative zu den privaten Anbietern. Aber eben auch keine direkte Absicherung für das eigene Kind. Denn für alle, die auf das Nabelschnurblut als private Gesundheitsvorsorge setzen, denen bleibt nichts anderes übrig als der Weg ins Ausland zu einer der Privatfirmen. Und die haben alle ihren Preis.

*Namen von der Redaktion geändert.