Frische Produkte, menschlicher Umgang, aber auch ein gewinnbringendes Geschäft: Der Marktverkauf hat in Luxemburgs Gemeinden eine lange Geschichte. Eine junge Metzgerin zeigt, warum die Tradition trotz steigender Konkurrenz so schnell wohl nicht aussterben wird.
Für Schinken und Wurst ist es nie zu früh. Zumindest nicht bei Isabelle Hoss. Schon um acht Uhr steht sie an diesem Donnerstagmorgen in Düdelingen bereit, um ihre Waren zu verkaufen. Wie eine typische Marktfrau sieht die 31-Jährige nicht unbedingt aus. Aber vielleicht ist auch gerade das ihr Erfolgsgeheimnis. Ein Halstuch mit Leo-Muster schaut unter ihrer schwarzen Schürze hervor, große goldene Ohrringe schwingen im Takt ihrer Bewegungen mit.
Trotz des winterlichen Schmuddelwetters kommen die Menschen zu ihr. Sie sind bepackt mit Körben, Taschen, Regenschirmen und heben ihre Gesichter aus ihren dicken Winterjacken, um die Ware hinter der Kühltheke zu begutachten. Es sind vorwiegend Menschen mittleren Alters und Rentner, waschechte Düdelinger und Leute aus der Umgebung.
Fast jeder kennt die junge Frau hinter der Theke. Die meisten grüßen sie mit dem Vornamen. Als Antwort schenkt sie ihnen ein Lächeln. „Was kann ich heute Gutes für dich tun?“, fragt sie und nimmt die Bestellung entgegen.
Marktleben statt Metzgerei
Seit sieben Jahren verkauft Isabelle Hoss Fleisch- und Wurstwaren auf Märkten. Dabei ist sie gelernte Köchin. Doch bis spät abends, an den Sonn- und Feiertagen in der Küche stehen und immer dann arbeiten, wenn alle anderen frei haben? Das war auf Dauer nicht das Richtige für sie. Eher durch Zufall entdeckte sie, was sie wirklich machen will.
„Ein Freund hat einen Pasta-Stand und ich habe ihm ein paar Mal beim Verkauf geholfen“, sagt Isabelle Hoss. „Der direkte Kontakt mit den Menschen, die lockere Stimmung – das machte mir Spaß.“ Sie hatte Blut geleckt und bald musste ein eigener Stand her. Ein Business-Plan, ein eigener Truck, und „Lecker Schmecker“ war geboren. Den ausgefallenen Namen für ihr kleines Unternehmen hatte sie sich zusammen mit ihrer Mutter ausgedacht. „Er sollte witzig sein und in den Köpfen der Menschen hängen bleiben“, erzählt sie, bevor sie sich um die nächsten Kunden am Stand kümmert.
Die Wurstwaren hatte zunächst ihr Vater hergestellt. Er ist gelernter Metzger und arbeitet mit Isabelle Hoss im Betrieb. Von ihm lernte sie, wie sie die richtigen Gewürze zusammenmischt, wie sie Würstchen zubereitet und wie lange der traditionelle „Paté au Riesling“ im Ofen braucht.
35.000 Euro Startkapital
Die „Paschtéitecher“ sind bis heute ihr Verkaufsschlager. In der Kühltheke liegen sie aufeinander gestapelt. „Ich verwende Blätter- statt Mürbeteig“, erzählt die Inhaberin von „Lecker Schmecker“. Durch die feine Zubereitung seien sie allerdings nicht so lange haltbar wie herkömmliche Patés au Riesling. Das müssen sie auch nicht. Denn der Andrang auf die „Paschtéitecher“ ist groß. Dabei liegt der Preis pro Stück bei 4,10 Euro. Nicht gerade ein Schnäppchen, doch den Kunden ist das egal. Die Qualität und der Geschmack rechtfertigen offenbar den Preis.
Der Vorteil an einem Stand ist, dass man nicht viel Startkapital benötigt. Ein entscheidender Punkt, wenn man sich selbstständig machen will.“Isabelle Hoss, Marktverkäuferin
So wie die „Paschtéitecher“ sind alle Waren am Stand von Isabelle Hoss selbstgemacht. Zu Hause in Schifflingen hat sie eine Küche mit großem Ofen, Fleischwolf, Arbeitsfläche und professioneller Spüle eingerichtet. Für rund 40.000 Euro, wie sie verrät. Eine Investition, die sich gelohnt hat.
Zusätzlich dazu hätte sie sich eine eigene Metzgerei aber nicht leisten können. Zu teuer, zu aufwändig. „Der Vorteil an einem Stand ist, dass man nicht viel Startkapital benötigt“, sagt sie. „Ein entscheidender Punkt, wenn man sich selbstständig machen will.“ 35.000 Euro hätten ganz am Anfang gereicht, sagt sie.
Viele Ausgaben hat sie pro Monat nicht: Die Produkte, Spritkosten, das Standgeld – mehr nicht. Letzteres würden sich auf 220 Euro pro Monat belaufen. Strom und Wasser werde dabei in der Regel von den Gemeinden übernommen oder seien im Preis inbegriffen. Nicht zu vergleichen mit dem Kostenaufwand einer eigenen Metzgerei.
Aller Anfang ist schwer
Dennoch drängt sich die Frage auf, ob man von einem Marktstand leben kann. „Ja“, sagt Isabelle Hoss und nickt selbstbewusst. Die goldenen Ohrringe schwingen wieder mit. Wie viel Umsatz sie macht, will sie nicht verraten. Das sei von Monat zu Monat unterschiedlich. Es reiche aber, um einen Verkäufer und einen Metzger bezahlen zu können, die zeitweise aushelfen. So kann sie sich die Zeit zwischen der Produktion und den Märkten besser einteilen. Hinzu kommen Finanzen und Verwaltung, um die sie sich am Wochenende kümmert.

Ihre Woche ist durchgetaktet, der Terminkalender gut gefüllt. Von Dienstag bis Samstag fährt sie quer durchs Land, von Markt zu Markt, von Düdelingen bis Diekirch. Doch das war nicht immer so. Isabelle Hoss hatte Startschwierigkeiten.
„Die ersten sechs Monate hatte ich nur drei Märkte pro Woche“, sagt sie. So zu überleben war schwierig. „Ich hatte zwar mein Konzept und meine Ware, es war aber kompliziert, überhaupt einen freien Marktstand zu finden.“ Veranstalter würden Neulingen nur ungerne einen Platz geben. Viele Plätze seien für alte Familienbetriebe reserviert und die Märkte sowieso zum größten Teil ausgebucht.
So musste sie Kunden und Veranstalter erst einmal von sich und ihren Produkten überzeugen. Doch sie blieb hartnäckig und das machte sich bezahlt. Heute kennt fast jeder „d’Isabelle“.
Die richtige Verkaufsstrategie
Auch in Düdelingen kann man sich davon überzeugen. Neben Isabelle Hoss bieten hier aber noch rund 25 andere Händler ihre Waren an: Fisch und Fleisch, Obst und Gemüse, Blumen, Eier, Brot, Marmeladen, Kaffee.
So vielfältig wie die Auswahl, so unterschiedlich sind auch die Verkäufer. Jeder hat sein Markenzeichen, jeder seine Verkaufsstrategie. Isabelle Hoss ist herzlich und charmant, bei René Parage, der gebackenen Fisch verkauft, ist es die „Minetter“ Direktheit, bei Olivenverkäufer Paravaneh Peimann, ist es Witz und Humor.
Wer sich seinen Stand anschaut, bleibt an einem Fetakäse mit dem Namen „Schwiegermutter“ hängen. Warum der so heißt? „Der wird aus freilaufenden Schwiegermüttern hergestellt“, scherzt der Marktverkäufer, ohne lange überlegen zu müssen. „Probieren Sie mal, man schmeckt es sofort raus“, und schon hält er einen kleinen Probierlöffel bereit. In Sekundenschnelle folgen zwei weitere Löffel mit zwei anderen Sorten. Peimann weiß sich und seine Produkte in Szene zu setzen. Der Kunde muss nichts kaufen, aber Probieren ist Pflicht.

Wie Isabelle Hoss und Parvaneh Peimann sind eigentlich alle Marktleute: offen, schlagfertig, charmant. Ihr Geschäft ist schon fast ein Gesamtkunstwerk. Die Kundschaft wird zum Publikum, es wird diskutiert, beraten und beworben. Auf dem Markt bekommt der Kunde mehr geboten, als nur die Ware, die er in seinen Einkaufskorb legt. Er erhält ein ganzes Unterhaltungsprogramm.
„Dieses entschleunigende Gefühl“
Doch die Konkurrenz schläft nicht. Neben den kleinen lokalen Märkten schießen in Luxemburg Kaufhäuser und Supermärkte aus dem Boden. 2017 haben mit dem Opkorn in Differdingen, dem Borders in Schengen und dem Nordstrooss in Marnach gleich drei große Kaufhäuser ihre Türen geöffnet. 2019 sollen das Royal Hamilius und das Kaufhaus in Cloche d’Or folgen. Die Preise sind dort definitiv niedriger, die Auswahl größer. Aber auch die Atmosphäre ist eine völlig andere.
Ein Besuch auf dem Markt ist ein anderes Erlebnis, als wenn man schnell durch die Gänge eines Supermarktes hetzt. Dieses entschleunigende Gefühl spielt eine wichtige Rolle.“ Claude Bizjak, Confédération Luxembourgeoise du Commerce
Gründe für die Entwicklung hin zu mehr Supermärkten gibt es laut Claude Bizjak von der Confédération Luxembourgeoise du Commerce (CLC) viele: verändertes Konsumverhalten, eine wachsende Bevölkerung, der Wunsch nach flexibleren Öffnungszeiten.
„Wer nach der Arbeit noch schnell einkaufen will, der macht eher dort Halt als bei einem Markt“, sagt der Experte. Hinzu komme, dass Supermärkte auch längst die Nische von lokalen und Bio-Produkten für sich entdeckt haben. „So dass sie auch in dem Bereich eine Konkurrenz für die Markthändler geworden sind.“
Nutzlos sind die Märkte aber nicht. Sie bieten nicht nur Lebensmittel an, sondern sorgen für Leben auf dem Dorf. Es fühlt sich ein bisschen an wie früher – oder zumindest so, wie man sich „früher“ vorstellt. „Ein Besuch auf dem Markt ist ein anderes Erlebnis, als wenn man schnell durch die Gänge eines Supermarktes hetzt“, sagt Bizjak. „Dieses entschleunigende Gefühl spielt eine wichtige Rolle.“
Subvention durch die Gemeinden
Das weiß auch Christian Flammang von der Abteilung „Fêtes et Manifestations Publiques“ der Gemeinde Düdelingen. Er ist davon überzeugt, dass der Markt der kleinen Stadt Leben einhaucht und sie für die Einwohner attraktiver macht.
Wir wollen den Menschen hier etwas bieten. Dass die Gemeinde eher etwas draufzahlt als Gewinn macht, ist da Nebensache.“Christian Flammang, Gemeinde Düdelingen
Jeden Donnerstag zieht Flammang seine Runden über den Marktplatz und schaut, ob alles glatt läuft. Den Kragen seiner Jacke hat er hochgeklappt, den Lederhut wie ein Sheriff ins Gesicht gezogen. „Wir wollen den Menschen hier etwas bieten“, sagt er. „Dass die Gemeinde eher etwas draufzahlt als Gewinn macht, ist da Nebensache.“
44 Euro pro laufenden Meter zahlen die Händler. Die Gemeinde übernimmt Wasser- und Stromkosten, kümmert sich nach dem Markt um die Reinigung des Platzes. Wer sich einen Platz für sechs Monate oder ein Trimester sichert, wie die meisten Marktverkäufer, zahlt zudem deutlich weniger.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Die Marktleute wissen den Einsatz der Kommunen zu schätzen. Vom Zuwachs der Kaufhäuser halten sie nicht viel und lassen sich auch nur wenig davon beeindrucken. Ihre Ware ist frischer, ihr Service besser – davon sind sie überzeugt. „Wir können die Menschen beraten, weil wir wissen, was wir verkaufen“, sagt Obsthändler Victor Dias. „Wir kennen unsere Produkte.“
Obwohl es in Düdelingen mehrere Gemüse- und Metzger-Stände gibt, stört das in der Marktgemeinschaft niemanden. Das ist keine Konkurrenz, das sind Kollegen, beteuert man hier. „Und ein bisschen Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Isabelle Hoss. Vor ihrem Stand hat sich mittlerweile eine kleine Schlange gebildet. Kurz vor Mittag läuft das Geschäft. Sie streckt kurz den Finger aus und zeigt in Richtung eines anderen Metzgers. „Dort kaufen viele Kunden ihre Mettwurst, weil die besser ist als meine. Das ist aber ok. Dafür kommen sie zu mir, um andere Produkte zu kaufen.“
Oder sie bleiben einfach nur stehen, um ein bisschen zu plaudern. „Ich hatte schon Kunden, die stundenlang hier waren und mir ihr ganzes Leben erzählt haben“, sagt Isabelle Hoss. Auch das sei aber fester Bestandteil des Marktlebens. Die Nähe, die Vertrautheit. Oder wie es Olivenverkäufer Parvaneh Peimann formuliert: „Es ist einfach ein Segen, an der Front zu arbeiten.“
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