Am Freitag verlor der spanische Regierungschef Mariano Rajoy ein Misstrauensvotum mit 180 zu 169 Stimmen. Der Führungswechsel hin zum Sozialisten Pedro Sanchez bringt neue Hoffnungen, aber auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich – nicht zuletzt der weiter ungelöste Katalonienkonflikt.
„Dieses Lied ist für das neue Spanien. Und für M.“ schallte es über die Lautsprecher. Dann klatschte das Publikum des Primavera Sound Festivals in Barcelona begeistert. Sollte es bei Spaniens größtem Musikfestival nur um kurzweilige Unterhaltung gehen, konnte die Nachricht am Freitag nicht unkommentiert bleiben: Mariano Rajoy wurde zum ersten Präsidenten der Zentralregierung in der Geschichte der jüngeren spanischen Demokratie, der seinen Posten durch ein verlorenes Misstrauensvotum im Parlament abgeben musste.
Der konservative Politiker kam in den vergangenen Wochen bei öffentlichen Auftritten öfters wie ein schusseliger Großvater rüber – mal stimmte er versehentlich im Parlament gegen seinen eigenen Abstimmungsantrag, mal ignorierte er einen BBC-Journalisten, weil dieser seine Frage auf Englisch stellte. Die Videos sorgten für garantierte Lacher auf YouTube.
Doch auch darüber hinaus sehen viele Spanier die Absetzung Rajoys letztlich als eine unvermeidbare Lösung. Die Bilder der Polizei, die während dem unilateralen Unabhängigkeitsreferendum auf Menschen in der Straße einprügelte, gingen aus Katalonien um die ganze Welt. Unter Rajoy wurde auch die sogenannte „Ley Mordaza“ eingeführt, bei denen Rechte für Demonstranten stark eingeschränkt wurden und politische Aktionen mit hohen Bußgeldern bestraft werden können.
„Gürtel-Affäre“ und demokratische Würde
Der politische Todesstoß für Mariano Rajoy, der sieben Jahre lang das Amt des „Präsidenten der Regierung“, so der offizielle Titel in Spanien, innehatte, kam durch die richterliche Entscheidung in der sogenannten „Gürtel-Affäre“. Nach jahrelangen Ermittlungen gegen das korrupte Netzwerk um Francisco Correa (Correa: spanisch für Gürtel), welches mit Firmen und Politikern von Rajoys Partido Popular zusammenarbeitete, wurden 29 der 37 Angeklagten vergangene Woche schuldig gesprochen. Es geht um Bestechungsgelder, Dokumentenfälschung, Veruntreuung, Geldwäsche und weitere Vergehen.
Die Partei an sich wurde nicht anbelangt, doch die Richter beschlossen, dass die Partido Popular als juristische Einheit finanziell von der Korruption profitierte. Als Rajoy versuchte, dies herunterzuspielen, war die Grenze für die Leader der beiden größten Oppositionsparteien – die sozialdemokratische PSOE und die Linkspartei Podemos, erreicht: Pablo Iglesias und Pedro Sanchez forderten ein Misstrauensvotum. Der Generalsekretär der Sozialdemokraten Pedro Sanchez sagte, man müsse die Würde der spanischen Demokratie wiederherstellen.
Neue Hoffnung, neue Versprechen
Schon im Sommer 2017 hatte Pedro Sanchez Rajoys Rücktritt gefordert, als der heutige Ex-Premier als Zeuge in der „Gürtel-Affäre“ aussagen musste, jedoch verneinte er den Ringführer Francisco Correa überhaupt zu kennen. Sanchez versprach, nach dem Misstrauensvotum eine Übergangsregierung zu stellen, um die politische Situation in Spanien zu stabilisieren und Neuwahlen in etwa 18 Monaten anzustreben.
Ob es zu einer politischen Erneuerung kommen wird, muss sich noch herausstellen. Sanchez‘ PSOE gehört neben Rajoys PP zu den Akteuren des oft kritisierten spanischen Zweiparteiensystems. Auch die Position des neuen Regierungschefs innerhalb der eigenen Partei war nicht immer garantiert. Nach mehreren schlechten regionalen Wahlergebnissen sowie seiner Haltung, auf keinen Fall mit Rajoy zusammenzuarbeiten und die dritten Neuwahlen innerhalb eines Jahres in Kauf zu nehmen, musste er 2016 von seinem Posten als Generalsekretär kurzzeitig zurücktreten.
Der scheidende Präsident Mariano Rajoy erschien nicht zur Debatte des Misstrauensvotums am vergangenen Donnerstag und Freitag. Es sei jetzt am Antragssteller Pedro Sanchez, sich zu erklären. Sanchez versprach in seiner Antrittsrede fortschrittliche Reformen im Sozial- und Bildungsbereich sowie eine Revision des umstrittenen „Knebelgesetz“ („Ley Mordaza“), mit dem die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit in Spanien wesentlich eingeschränkt worden war.
Besonders gespannt blickten politische Beobachter auf seinen Umgang mit den nationalistischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien. Schon vor dem Misstrauensvotum kündigte Sanchez an, dass eine Regierung unter seiner Führung garantieren werde, dass die spanische Verfassung erfüllt sowie die nationale Souveränität und territoriale Integrität gewährleistet werden.
Sanchez benötigte jedoch die Stimmen der nationalistischen Parteien, um das Misstrauensvotum zu gewinnen. So versprach er, den vorgeschlagenen Haushaltsplan 2018 von Rajoy, gegen den seine Partei eigentlich gestimmt hatte, nicht anzufechten. Dieser Haushaltsplan sieht etwa mehr Gelder für das Baskenland vor.
Unklare Folgen für Katalonienfrage
Auch ließ er verkünden, dass er den Dialog mit der katalanischen Regionalregierung anstrebt. Wie genau dieser aussehen wird, ist unklar, vor allem da Sanchez den neuen katalanischen Präsidenten Quim Torra noch vor zwei Wochen öffentlich einen Rassisten nannte. In Katalonien wurde währenddessen eine Regierung vereidigt, womit der Einsatz des Artikels 155, der seit Oktober 2017 den Autonomiestatus der Region temporär aussetzte, verfällt.
Für Pedro Sanchez wird es schwer, mit einer Minderheitsregierung auf die vielen, zum Teil widersprüchlichen Forderungen der einzelnen Parteien einzugehen. Seine Regierungszeit wird wohl nur wenige Monate dauern. Rezente Wahlumfragen machen auch klar, dass Sanchez in Neuwahlen momentan wenig Chancen hätte, mehr Wählerstimmen als die aufstrebende liberale Partei Ciudadanos um Albert Rivera zu erhalten.
Und trotzdem bringt das Misstrauensvotum für viele Spanier neue Hoffnung auf der iberischen Halbinsel: Endlich eine Reaktion gegen die systematische Korruption in Spanien. Und vielleicht bringt der neue Wind in der Führungsetage sogar einen neuen Elan für den politisch notwendigen Dialog im Katalonienkonflikt mit sich.