Immer mehr Frauen setzen sich mit der Möglichkeit der Hausgeburt auseinander. Dabei hat die Alternative zum Gang in die Klinik in Luxemburg einen besonders schweren Stand. Ein Bericht über Vor- und Nachteile, gängige Missverständnisse und eine Wahlmöglichkeit, die noch keine ist.

In Luxemburg ein Kind auf die Welt zu bringen, das ist Arztsache. So denken viele Eltern, die in ihren Geburtsanzeigen zuerst den betreuenden Ärzten danken. So denken Journalisten, die zu Themen wie Schwangerschaft und Geburtshilfe zunächst einen Arzt befragen. Und so denken auch Hebammen, die sich in Zeiten von klinischem Profitzwang und technischer Dauerüberwachung aus dem Kreißsaal gedrängt fühlen. Dies geschieht oft zu Lasten der Frauen, die sich eine natürliche, selbstbestimmte Geburt in einer sicheren, geborgenen Atmosphäre wünschen.

Doch zur Geburt im Krankenhaus gibt es in Luxemburg (fast) keine Alternative. Also „Hauptsache lebend und gesund“? Immer mehr Frauen halten sich an den Satz des französischen Gynäkologen Michel Odent, der meint, dass es nicht egal ist, wie wir geboren werden. Sie suchen nach Alternativen. Kommt es zur Renaissance der Hausgeburt?

„Gibt es das denn noch?“, „Ist das überhaupt erlaubt?“, „Mein Arzt hat gesagt, dass das verboten ist“ – Diese Kommentare bekommt Martine Welter zu hören, wenn sie erzählt, dass sie als einzige freiberufliche Hebamme in Luxemburg Hausgeburten begleitet. Dabei geht sie damit nicht hausieren, denn dieses Angebot steht weder auf einer Internetseite noch auf ihrem Auto. Dennoch bekommt sie bis zu 15 Anfragen im Jahr, wovon dann sechs bis zehn Hausgeburten tatsächlich stattfinden. Diese Zahlen sind verschwindend gering, gemessen an den knapp 7.000 Geburten pro Jahr hierzulande. Sind das nur verpeilte Ökos oder andere Sonderlinge, deren Existenz man kopfschüttelnd ignorieren kann?

Kritik an der Geburtsmedizin in Kliniken

Statistiken sagen dazu etwas anderes, denn Hausgeburtsmütter sind meist überdurchschnittlich hochgebildet. Viele der Frauen sind Akademikerinnen, und nicht wenige von ihnen sind selbst Hebammen oder Krankenschwestern, wie im Buch Luxus Privatgeburt von Caroline Oblasser und Martina Eirich zu erfahren ist. Deren Recherchen haben auch ergeben, dass Mütter, die zuhause entbinden, im Durchschnitt 2,4 Kinder gebären. Diese Zahl liegt deutlich über dem europäischen (2016: 1,6) bzw. luxemburgischen Durchschnitt (2016: 1,41).

Gewalt unter der Geburt ist in Luxemburg ein Tabuthema.“Sandy Girotto

Auf die Suche nach Alternativen zur Klinikgeburt haben sich auch junge Frauen wie Stéphanie Fabbri und Sandy Girotto gemacht. Beide Mütter haben bereits Kinder zu Hause zur Welt gebracht, und geben nun ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Kursen an (künftige) Eltern weiter. In ihren Geburtsvorbereitungskursen, Workshops und Elternberatungen bemängeln sie die existierende Geburtsmedizin in Kliniken. Diese würde zwar die Schwangeren unter der Geburt körperlich gut betreuen, deren seelische, ganzheitliche Betreuung käme jedoch viel zu kurz.

„Eine Geburt dauert, aber aus Angst und Unsicherheit wird oft zu früh medizinisch eingegriffen, was nicht immer zum Wohl von Mutter und Baby beiträgt“, so Fabbri. Ihre eigene Hausgeburt beschreibt sie als „befreiend“. „Es reicht nicht, medizinisch gut versorgt zu sein, denn eine Geburt ist nichts Medizinisches. Geburt bedeutet natürliche Ausscheidung“, meint Sandy Girotto. Fehlende medizinische Aufklärung während der Geburt, zu viel ärztliche Intervention wie Dammschnitte oder Oxytocin-Gaben, aber auch psychischer Druck, Entmündigung oder sogar Gewalterlebnisse lassen immer mehr Frauen am Monopol der Klinikgeburt zweifeln.

Sandy Girotto sieht ein deutlich gesteigertes Interesse an alternativen Geburtsmöglichkeiten in den letzten Jahren. Dies betreffe auch Frauen, die bei einer vorangegangenen Geburt in einem Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht hätten. „Gewalt unter der Geburt ist in Luxemburg ein Tabuthema, man spricht nicht darüber. Nach einer Geburt erwartet das Umfeld, dass die Frau glücklich und zufrieden ist, wenn das Kind gesund ist“, erzählt Sandy Girotto.

Es geht um die Möglichkeit, die Wahl zu haben

Doch die Ergebnisse einer inoffiziellen und nicht repräsentativen Umfrage auf Girottos Facebook-Seite lassen zumindest erahnen, dass Gewalterlebnisse wie verletzende Worte der Hebamme oder unvorbereitete Dammschnitte keine Seltenheit sind. Viele der Teilnehmenden gaben an, dass psychische oder physische Gewalt bei ihren Geburten eine Rolle gespielt habe. Diese Erfahrungen decken sich mit den offiziellen Statistiken von Menschenrechtsorganisationen. Weltweit formieren sich Initiativen wie „The Roses Revolution“, um betroffenen Frauen eine Stimme zu geben, indem sie rosafarbene Rosen vor den Kreißsälen ablegen und dies in den sozialen Netzwerken dokumentieren. Auch in Luxemburg ist eine solche Aktion für kommenden November geplant.

Schlechte Klinikgeburt – gute Hausgeburt? Auch dieser Schluss greift zu kurz, geht es doch im Idealzustand darum, dass jede Schwangere wählen kann, wo und wie sie entbinden will. „Ich würde niemals einer Frau ausreden, in einer Klinik zu entbinden, wenn sie das möchte. Ich versuche aufzuklären und lasse den Eltern Wahlmöglichkeiten“, so Sandy Girotto. Nur muss eine Frau dazu überhaupt Wahlmöglichkeiten haben. In Luxemburg gilt die Krankenhausgeburt als Standard, Alternativen sind nur unzureichend bekannt.

Oder die Betroffenen müssen weder Kosten noch Mühe scheuen. Denn wer eine stationäre Geburt ablehnt, dem bleibt nur die Hausgeburt oder ein Geburtshaus im benachbarten Ausland. Doch das ist gar nicht so einfach, denn nicht jede Schwangere taugt zur Hausgeburt: „Ich sage nicht, dass eine Hausgeburt für jede Frau gut ist, denn ich bin nicht blauäugig, sondern professionell“, erklärt Hebamme Martine Welter. Erstgebärende, Schwangere vor der 37. und nach der 42. Woche, Steißlagen, Zwillingsgeburten, Komplikationen bei vorherigen Geburten oder aber die Ablehnung der Hausgeburt durch den Partner – das alles sind Umstände, die Martine Welter bei Hausgeburten ablehnt.

Die Suche nach dem Normalen

Vielmehr noch sträubt sie sich aber gegen die Bedingungen, unter denen Geburten in Kliniken stattfinden. „Geburten sind immer weniger durch Hebammen geleitet, schon allein, weil es nicht genug Hebammen gibt. Wir sind keine streitende Mehrheit, wir haben keine Lobby“, beschreibt sie die Situation. Schwangere Frauen seien während der Geburt sehr sensibel, sie hätten feine Antennen für eine Angst vermittelnden Atmosphäre.

Die Ärzte und das Gesundheitssystem geben sich die Mühe, eine ausgezeichnete und sorgfältige pränatale Diagnostik durchzuführen, da überlässt man die Geburt nicht einem Zufall.“Robert Lemmer

„Ärzte suchen nach dem Haar in der Suppe, für sie ist alles mit Risiko verbunden, aber ich suche nach dem Normalen“, erläutert Martine Welter die unterschiedlichen Herangehensweisen. Die 56-Jährige verweist auf den hohen Anteil von Kaiserschnitten von über 30 Prozent in Luxemburg. Der Grund: „Weil das die Ärzte so brauchen, denn es ist einfacher und programmierbarer“. Letztlich seien Kliniken heute Unternehmen, die rentabel sein müssten, beklagt die erfahrene Hebamme.

Anhaltende ärztliche Skepsis

Robert Lemmer, Präsident der Gesellschaft der Gynäkologen in Luxemburg, ist in der Tat kategorisch gegen Hausgeburten. „Die Ärzte und das Gesundheitssystem geben sich die Mühe, eine ausgezeichnete und sorgfältige pränatale Diagnostik durchzuführen, da überlässt man die Geburt nicht einem Zufall. Denn dann wären ja die vorherigen Bemühungen vergebens.“ Allerdings relativiert der erfahrene Gynäkologe die Aussage dann doch, indem er auf die Lage in den Niederlanden verweist. Dort sei man so gut organisiert, dass innerhalb von zehn Minuten ein Notfallarzt zur Stelle sei. Deshalb seien in den Niederlanden sichere Hausgeburten keine Ausnahmen, so Lemmer.

Was so gar nicht nach gegenseitiger Annäherung klingt, könnte auch daran liegen, dass Hausgeburten spätestens seit den 1970er Jahren aus der  gesellschaftlichen Wahrnehmung verschwunden sind. Mediziner sehen in ihrem Berufsalltag nicht die komplikationslosen Hausgeburten, sondern nur die, die notfallmäßig zu ihnen in die Klinik verlegt werden müssen. Wer Geburten nur im medizinischen Kontext kennen lernt, kann sich schwerlich vorstellen, dass es komplikationslose Geburten ohne ärztliches Eingreifen gibt. Vielmehr empfehlen Ärzte stationäre Geburten, weil sie überzeugt sind, dass dies der sicherste Weg für Mutter und Kind ist – ohne die Alternativen zu kennen.

„Jede Frau hat eine Hebamme verdient“

„Die Gynäkologen haben das Monopol, und wir sind die besseren Krankenschwestern“, beschreibt die freischaffende Hebamme Anne Dahm das Verhältnis zwischen Arzt und Hebamme. Dieser Jahrtausende alte Beruf ist kein „Traumjob“ mehr und genießt in der Gesellschaft wenig Anerkennung. Die Hebammen erleben konstanten Personalmangel, hohen Zeitdruck und bekommen dafür einen Stundenlohn von umgerechnet zehn bis zwölf Euro. Zur Frage der gesellschaftlichen Anerkennung kommt freilich die wieder aktuelle Diskussion um die finanzielle Übernahme der Betreuung durch die Krankenkassen hinzu.

Der Druck nimmt weiter zu. „Erst letzte Woche habe ich überlegt, ob ich meine freiberufliche Tätigkeit nicht aufgeben soll“, erzählt Anne Dahm, die auch an einer großen Maternité angestellt ist. Und auch im stationären Bereich sähe es nicht besser aus, da die Geburtenzahlen zwar erfreulicherweise gestiegen seien, aber dieser Mehrarbeit beantworte man weiterhin mit den gleichen Personalbesetzungen. So müssten etwa drei Hebammen sechs Entbindungen betreuen. „Doch jede Frau hat eine Hebamme verdient, es fehlt die Eins-zu-eins-Betreuung“, bestätigt Hebamme Martine Welter.

Was sollte sich also ändern? Wie kann man Frauen, die nicht in einer Klinik entbinden wollen, Alternativen anbieten? „Wir brauchen ein Pilotprojekt“, ist sich Martine Welter sicher. „Das könnte die Gründung eines Geburtshauses sein, auch wenn das noch niemand hier probiert hat. Oder eine Maternité, wo auf der einen Seite das medizinisch-funktionelle Überwachungsprogramm stattfindet, aber auf der anderen Seite nur Hebammen arbeiten. Dann hätten Frauen tatsächlich eine Wahl.“