Homeoffice, Heizung runterdrehen, das Auto stehen lassen: Auch ohne Embargos wäre es möglich, die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu verringern. Die Regierung sieht jedoch von einem Aufruf zum Energiesparen ab – mit teils fragwürdigen Argumenten.

„Als Luxemburger sind wir machtlos, was das politische Geschehen im Ausland anbetrifft. Wir haben jedoch die Möglichkeit, die Schwierigkeiten der Ölversorgung zu mildern“, hieß es im „Luxemburger Wort“ am 23. November 1973. Mit einer Anzeige rief das Wirtschaftsministerium damals die Bevölkerung zum Energiesparen auf. Hintergrund war die globale Ölpreiskrise. Die Ratschläge gingen von „Heizen Sie nicht unnötig“ über „Fahren Sie langsamer“ bis hin zu „Es geht auch oft ohne Auto“.

Zwei Tage später verhängte die Regierung damals einen autofreien Sonntag – bis heute das ultimative Symbol zum Einsparen von fossilen Energien. Fast 50 Jahre später befindet sich Europa in einer ähnlichen Lage wie im Herbst 1973. Und auch heute wird der Ruf nach Energieeinsparungen wieder laut. Dieses Mal allerdings nicht aus akuter Knappheit, sondern um dem russischen Regime vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs den Geldhahn zuzudrehen.

Doch anders als in früheren Zeiten kommt dieser Ruf nun nicht von der Regierung – im Gegenteil. „Um aus dieser Krise rauszukommen, sind das die falschen Lösungen. Das sind symbolische Maßnahmen, die mittel- und langfristig das Problem nicht lösen“, sagte Vizepremier und Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng) kürzlich bei „RTL Radio“. Auch sein Parteikollege Claude Turmes spielt den Nutzen eines Appells zum Energiesparen an die Bevölkerung herunter. Ein Alleingang Luxemburgs hätte weder Einfluss auf die internationale Nachfrage noch auf die Preisentwicklung, so der Energieminister.

Kleine Wirkung, leichte Umsetzung

Es sind erstaunliche Worte der grünen Minister, die in Sachen Klimaschutz stets die Vorreiterrolle Luxemburgs betonen. Nicht nur im historischen Rückblick zeigt sich zudem: Werden sie konsequent angewendet, sind Einsparungen von fossilen Energien sehr wohl mehr als Symbolpolitik.

Wenn ich solche Maßnahmen hier nur diskutieren würde, dann würden die Menschen lachen, weil wir einfach zu klein sind.“Claude Turmes, Energieminister

Die Maßnahmen, mit denen jeder zu Energieeinsparungen beitragen kann, liegen auch schon auf dem Tisch. Die Internationale Energieagentur (IEA) hatte bereits Anfang März mehrere Empfehlungen für die Mitgliedstaaten ausgearbeitet, wie der Verbrauch von Öl und Gas schnell reduziert und die Preise somit stabilisiert werden könnten. Erst kürzlich wurden diese Empfehlungen zusammen mit der Europäischen Kommission überarbeitet. Daraus resultierten zehn zum größten Teil leicht umsetzbare Maßnahmen, wie Haushalte Energie einsparen können.

Neben dem Herabsetzen des Tempolimits, autofreien Sonntagen oder auch einem zeitweisen Abschalten der Heizung schlägt die IEA vor, stärker auf das Homeoffice zurückzugreifen. Zudem sollten Fahrzeuge durch Fahrgemeinschaften effizienter genutzt werden. Des Weiteren empfiehlt die Agentur, Distanzen unter drei Kilometern zu Fuß zu absolvieren oder verstärkt auf das Fahrrad umzusteigen. Für längere Strecken sollte der öffentliche Transport genutzt und auf Flugreisen wenn möglich ganz verzichtet werden.

Tempolimit als praktisches Beispiel

Die Empfehlungen sind nicht neu und zum Teil zurückhaltend formuliert. Beispiel Tempolimit: Die IEA rät etwa zum Herabsetzen der Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen um zehn Stundenkilometer. Die internationale Behörde rechnet vor, dass allein dies zu einer Einsparung von rund 60 Euro jährlich pro Haushalt führen könnte. Mit dieser einfachen Maßnahme könnte der CO2-Ausstoß laut Berechnungen des deutschen Umweltbundesamts um etwa 1,8 Prozent reduziert werden.

„Für das Klima wäre diese Maßnahme nicht phänomenal, aber besser als nichts“, sagt der Energieexperte Michel Cames im Gespräch mit Reporter.lu. Diese Einsparung spiegele sich ungefähr im Verbrauch des Fahrzeugs wider, so der gelernte Ingenieur. Die Berechnungen basieren jedoch auf Daten aus Deutschland. „Durch die vielen Staus in Luxemburg wird die Höchstgeschwindigkeit zurzeit ohnehin kaum erreicht. Der Verbrauch ist dafür aber umso höher“, sagt Michel Cames.

Ob Tanktourismus oder Aufrufe zum Energiesparen und Verzicht: Gerade beim Autoverkehr tut sich die Regierung mit Appellen an die Bevölkerung schwer. (Foto: Mike Zenari)

Nützlicher sei demnach eine Reduktion des Tempolimits auf Landstraßen. „Der Verbrauch der meisten Fahrzeuge ist bei 60 bis 70 Stundenkilometer optimal“, so der Experte. Doch auch hier will die Regierung auf eine internationale Einigung warten. Eine weitere Option bestehe laut der IEA darin, den autofreien Sonntag wieder einzuführen – wie schon in den 1970er Jahren oder 1956 im Zuge der Suezkrise.

Claude Turmes tut diese Maßnahme aber gewissermaßen als lachhaft ab. Wenn der Energieminister von autofreien Tagen spricht, dann erwähnt er Großstädte wie Paris, München, New York oder Tokio – nicht Luxemburg. „Wenn ich solche Maßnahmen hier nur diskutieren würde, dann würden die Menschen lachen, weil wir einfach zu klein sind“, so der Minister bei „Radio 100,7“. Tiefgründiger setzt sich die Regierung öffentlich bisher nicht mit diesen Maßnahmen auseinander.

Gemeinsame Lösung statt Handeln

Dabei zeigt sich: Was für die Umweltpolitik im Allgemeinen gilt, gilt offenbar nicht für die kurzfristige Umstellung der Energiepolitik. Denn wo Luxemburg sonst immer betont, mit gutem Beispiel voranzugehen, tut es gerade dies nun nicht. Statt Vorreiter zu sein, setzt man auf eine europäische Lösung. Claude Turmes mache sich auf internationaler und europäischer Ebene für ein koordiniertes Vorgehen stark, heißt es von der Pressestelle des Energieministeriums auf Nachfrage von Reporter.lu.

Eine eigene nationale Kampagne zur Energieeinsparung sei allerdings bereits in Ausarbeitung, sagte der Minister dem „Luxemburger Wort“. Dabei sind Energiesparmaßnahmen in den Berechnungen der EU-Kommission schon vorgesehen. Anfang März erklärte die Kommission, die Abhängigkeit von russischer Energie mit der „Repower Europe“-Initiative reduzieren zu wollen. Unter den Maßnahmen findet sich auch das Herabsetzen der Temperatur von Heizungen.

Natürlich müssen wir sparen, wo es geht, aber der Schlüssel liegt im Umbau der Energieversorgung.“
Johan Lilliestam, Experte für Energiepolitik

Dass die Regierung auf ein gemeinsames Vorgehen der EU pocht, könnte jedoch auch an der wohl wirksamsten Maßnahme für Luxemburg liegen. Laut der IEA sollen Regierungen wieder verstärkt auf Telearbeit setzen. Dies würde laut ihren Berechnungen auf internationaler Ebene zu genauso großen Einsparungen führen wie das Herabsetzen des Tempolimits. In Luxemburg wäre der Einfluss durch die rund 200.000 Grenzgänger wohl noch bedeutender.

Als diese Maßnahme während der letzten beiden Jahre pandemiebedingt umgesetzt wurde, musste die Regierung mit den Nachbarländern Verträge über die Besteuerung der Gehälter abschließen. Diese laufen nun Ende Juni ab. Ohne eine europäische Koordination müssten die Gehälter von Grenzgängern in ihrem Heimatland zusätzlich besteuert werden – etwas, was die Regierung auf jeden Fall vermeiden will. „Das spielt sicherlich auch mit“, heißt es dazu aus dem Energieministerium. Von einem Regierungsmitglied selbst wurde dieses Argument jedoch noch nicht vorgebracht.

Die Frage der Notwendigkeit

Die Situation auf dem Erdölmarkt kann sich jedoch schnell verändern. Die Abhängigkeit von russischem Öl hat seit Beginn der Krise stärker abgenommen als die von Erdgas. Dadurch sind zumindest aus geopolitischer Sicht Einsparungen nicht zwingend. Dafür ist der Markt zu diversifiziert. „Bei Öl ist es schlicht schwerer nachzuvollziehen, woher es stammt“, sagt Johan Lilliestam vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam im Gespräch mit Reporter.lu. Bei einem Embargo müssten etwa auch alle Unternehmen, die russisches Öl vertreiben, sowie ihre Kunden komplett vom europäischen Markt ausgeschlossen werden, so der Professor für Energiepolitik.

„Frieren für den Frieden“: Die Maßnahmen, die jeder einzelne Bürger treffen kann, können laut Experten helfen. Sie ersetzen aber keine vorausschauende Energiepolitik. (Foto: Mike Zenari)

„Zehn Prozent Energie einsparen geht immer“, wird indes der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck in den Medien zitiert. Ebenso kündigte der Grünen-Politiker kürzlich an, dass Deutschland demnächst von russischem Öl unabhängig werde. Damit wäre eine weitere Hürde für ein Embargo überwunden. Bereits Mitte April sah Claude Turmes dies während einer Konferenz des „Mouvement Ecologique“ als Bedingung für ein Embargo. „Dann wird es Anfang Juni bei dem nächsten Gipfeltreffen der Staatschefs beschlossen“, so der Minister. Zurzeit ist die Nachfrage nach Öl zudem durch die coronabedingten Lockdowns in China rückläufig. Danach könnte das Öl allerdings knapper werden.

Auch in diesem Punkt unterscheidet sich die jetzige Krise von der Ölpreiskrise der 1970er Jahre. „Jetzt ist nur der Preis gestiegen, wobei der Gaspreis sich wieder, zumindest momentan, auf dem Vorkriegsniveau eingependelt hat. Aufforderungen zu Energieeinsparungen sind deshalb politisch schwierig“, sagt Johan Lilliestam. Der Druck auf die Politik sei nicht groß genug, um zu handeln. Die Maßnahmen seien zwar „politisch notwendig, um auf Russland Druck auszuüben“. Die politische Machbarkeit sieht der Professor für Energiepolitik jedoch nicht.

Dessen ist sich auch Claude Turmes bewusst. „Kommunikationskampagnen sind einflussreich, aber riskant, denn wenn man auf die falsche Botschaft setzt, kann man das Vertrauen der Bürger für mehrere Jahre verspielen“, sagte der Minister etwa während einer Konferenz der IEA Ende April. Johan Lilliestam formuliert es deutlicher: „Wer sich an das Auto herantrauen will, hat politisch ein Problem.“ Solange es also möglich ist, keine weiteren Maßnahmen von der Bevölkerung zu fordern, ohne dabei die Vorräte zu gefährden, wird die Politik im Alleingang diesen Schritt wohl auch nicht tun.

Viele erste Schritte

Dabei lässt sich die Politik auf ein gefährliches Spiel ein. „Man müsste den Sommer jetzt nutzen, um sich vorzubereiten und zum Beispiel Wohnungen besser zu isolieren. Wenn im Sommer aber nichts passiert und der Gashahn im November abgedreht wird, dann sitzen wir in der Falle“, sagt Johan Lilliestam. Bei den Einsparungen von Gas stellt sich für den Forscher jedoch die Frage, wie lange die Bevölkerung Maßnahmen aushalten könnte, um dem Kreml tatsächlich zu schaden. Dafür müssten die Heizungen über mehrere Winter deutlich heruntergeschraubt werden. „Natürlich müssen wir sparen, wo es geht, aber der Schlüssel liegt im Umbau der Energieversorgung: kurzfristig durch LNG, also Flüssigerdgas, sowie andere Gasimporte, und mittelfristig durch einen Umstieg auf Erneuerbare“, erklärt Johan Lilliestam.

Um aus dieser Krise rauszukommen, sind das die falschen Lösungen. Das sind symbolische Maßnahmen, die mittel- und langfristig das Problem nicht lösen.“François Bausch, Vizepremier

Zumindest in Bezug auf die Gaspreise lenkte das Energieministerium nun offenbar leicht ein. Mit Blick auf die Preisexplosion hat das Energieministerium eine neue Webseite eingerichtet, die mehrere Tipps auflistet, wie man die Gaskosten senken kann. Demnach wird auf einer speziellen Seite der Klimaagentur empfohlen, die Temperatur in der Wohnung um ein Grad zu reduzieren. Dadurch könnten sechs Prozent der Energie eingespart werden. Bei den Empfehlungen stehen allerdings nicht die klima- oder geopolitischen Effekte, sondern die privaten finanziellen Einsparungen im Vordergrund. Auch eine offizielle Ankündigung dieser Empfehlungen durch das Ministerium gab es bisher noch nicht.

Weltpolitik soll somit eine Sache der Staaten bleiben und nicht die ihrer Bevölkerung. Dabei ist man sich auf Regierungsebene bewusst, wie brenzlig die Lage ist. „Außer wir gehen zu einer weltweiten Einsparungskampagne über, wird es diesen Sommer nicht ausreichend Öl geben, wenn die Fahrsaison startet“, meinte Minister Claude Turmes auf der Konferenz der IEA.

Eigentlich sollte es auf dieser Konferenz darum gehen, wie die Empfehlungen der IEA und EU-Kommission schnell umgesetzt werden könnten. Für Claude Turmes war diese Konferenz dagegen lediglich ein erster Schritt für dieses gemeinsame Vorgehen. Bereits vor gut einem Monat erklärte der Energieminister bei „Radio 100,7“, die Empfehlungen würden auf der Tagesordnung der IEA-Konferenz in Paris stehen, und nannte auch dies als „ersten Schritt“. Die Konferenz fand vor vier Wochen statt. Nach diesem ersten Schritt folgte also erneut ein erster Schritt.

Der zweite Schritt ist nun aber zumindest bereits angekündigt worden. Laut „Radio 100,7“ wird die Europäische Kommission in zwei Wochen ein Dokument vorlegen, in dem sich ein ganzes Kapitel mit Energiesparmaßnahmen beschäftigen soll. Somit scheint der Luxemburger Energieminister sich auf EU-Ebene durchgesetzt zu haben. Wann die Einsparkampagne tatsächlich kommen soll, ist jedoch noch nicht klar.