Überwiegend befristete Verträge sorgen für Prekarität in der Wissenschaft. Das international verbreitete Phänomen macht auch vor der Universität Luxemburg nicht Halt. Auf der Strecke bleibt vor allem die Diversität. Denn Wissenschaftler zu sein, muss man sich leisten können.   

Als „Forschungsuniversität von Weltniveau“ beschreibt sich die Universität Luxemburg auf ihrer Webseite. „Inklusiv und fair“ sowie „international und mehrsprachig“ werden dort als selbstverpflichtende Werte angeführt. Und Stéphane Pallage versicherte als neu ernannter Uni-Rektor in einem „Land“-Interview im Jahr 2018: „Bei uns haben alle Träume ihren Platz.“

Dieser erfolgversprechenden Rhetorik liegt durchaus eine bemerkenswerte Entwicklung der jungen Universität zugrunde: Dem hochmodernen Campus in Belval kann fast mit bloßem Auge beim Wachsen zugesehen werden. Die staatliche Finanzierung der Universität beläuft sich 2021 auf rund 231 Millionen Euro. Auch die internationalen Rankings sprechen für den Erfolg der erst 2003 gegründeten Lehr- und Forschungseinrichtung. 2021 belegte Luxemburg erstmals den 20. Platz auf der Rangliste der „Young Universities“.

Abschied wider Willen

Doch was bringen Rankings und hervorragend ausgestattete Hörsäle und Labore, wenn die besten Forscher und Forscherinnen der Universität kurz nach ihrer Promotion den Rücken kehren? Wenn sie ihren Traum einer akademischen Karriere zugunsten von sicheren, besser bezahlten und familienkompatiblen Jobs beim Staat oder in der Privatwirtschaft aufgeben?

Es kommt darauf an, mit welcher Erwartungshaltung man sich für ein Doktorat entscheidet. Nur die wenigstens können auch Professor werden.“Pit Péporté, promovierter Historiker

„Mein Abschied von der akademischen Welt war sehr schmerzhaft. Es fiel mir schwer, mich zu distanzieren, eigentlich wäre ich gerne an der Universität geblieben“, erzählt etwa Anne Franziskus im Gespräch mit Reporter.lu. Nachdem sie 2013 ihre Promotion über Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt abgeschlossen hatte, gab es für sie nur zwei Möglichkeiten: „Entweder ich verlasse Luxemburg und lasse mich auf kurze, unsichere Zeitarbeitsverträge ein. Oder aber, ich verlasse die Forschung“, beschreibt Anne Franziskus ihre damalige Situation.

„Von meinen ehemaligen Unikollegen sind erschreckend wenige an der Universität geblieben“, erzählt die heute 38-Jährige. Die meisten von ihnen würden heute für den Staat arbeiteten. So wie sie auch. „Ein Jahr hier, ein Jahr da, das ist mit einem Familienleben einfach nicht zu vereinbaren.“

Asymmetrie auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt

„Es kommt darauf an, mit welcher Erwartungshaltung man sich für ein Doktorat entscheidet“, sagt seinerseits Pit Péporté. Man müsse sich bewusst sein: „Nur die wenigsten können auch Professor werden.“ Die Konkurrenz um die wenigen Professorenstellen nennt der promovierte Historiker eine „Lotterie“. „Nach meinen Erfahrungen bewerben sich auf einen Posten 80 bis 100 Leute“, erzählt er. „Und das auf einem internationalen Arbeitsmarkt, der völlige Flexibilität und Unabhängigkeit verlangt, das geht eigentlich nur ohne Verpflichtungen.“

Pit Péporté war nach seiner Promotion noch fünf Jahre lang im Rahmen einer befristeten Arbeitsstelle als Postdoktorand an der Universität Luxemburg beschäftigt, dann hat auch er die Universität verlassen. Er hat sich selbstständig gemacht und vermittelt heute historisches Wissen an ein breiteres Publikum. „Den ständigen Kampf und die komplette Unsicherheit wollte ich mir nicht mehr antun“, sagt er. „Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem wissenschaftlichen Markt ist mittlerweile völlig asymmetrisch“, so der Historiker.

In der Praxis hat diese arbeitsrechtliche Flexibilität dazu geführt, dass befristete Verträge Standard geworden sind.“ Frédéric Krier, OGBL

Zwischen 2014 und 2019 sind die Zahlen der Promotionsstudenten weltweit etwa um 25 Prozent gestiegen. Das geht aus einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Sie beschreibt die Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in den OECD-Ländern als prekär.

Überall auf der Welt seien immer mehr Postdocs in befristeten Arbeitsverträgen angestellt und hätten kaum Aussicht auf eine Festanstellung. Dies befördere nicht nur die Konkurrenz unter den Forschenden, sondern sorge auch für undurchsichtige Auswahlverfahren und Missbrauch der Arbeitskräfte, heißt es in der Studie weiter.

#IchbinHanna: Der Widerstand wächst

In Deutschland hat ein Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung dem Widerstand gegen schwierige Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft jetzt eine neue Dimension verliehen. In dem mittlerweile gelöschten Video werden befristete Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft als notwendige Voraussetzung für Innovation dargestellt. Es wird von der Gefahr der „Systemverstopfung“ gesprochen, sollten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unbefristet arbeiten dürfen.

#IchbinHanna ist ein spontan auf dieses Video entstandener Twitter-Trend, unter dem sich seit Mitte Juni Tausende an der Diskussion beteiligten. Der Widerstand gegen zeitlich begrenzte Verträge führte zu einer aktuellen Stunde im Bundestag, die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen sind mittlerweile zum Thema des Bundestagswahlkampfs geworden.

Sonderregelung im Arbeitsrecht

Die Abgeordnete Lydia Mutsch (LSAP) brachte das Thema der befristeten Verträge in der Wissenschaft mit einer parlamentarischen Anfrage vom 14. Juli nun auch hierzulande auf die politische Agenda. Die Antworten auf die Fragen stehen zwar noch aus, doch nahezu unbestritten ist, dass Prekarität in der Wissenschaft auch in Luxemburg ein Problem ist.

Seit ihrer Gründung verfügt die Universität über eine Sonderregelung im Arbeitsrecht. Ähnlich wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Deutschland, sieht auch der „Code de travail“ vor, dass Beschäftigte an der Universität länger als gewöhnlich in befristeten Verträgen angestellt werden dürfen. Während ein befristetes Arbeitsverhältnis normalerweise nicht länger als zwei Jahre dauern darf, ist die befristete Beschäftigung an der Universität fünf Jahre lang erlaubt.

Teilweise seien diese befristeten Verträge gerechtfertigt, findet der Gewerkschaftler Frédéric Krier. Besonders dann, wenn ein Arbeitsvertrag an ein Projekt gebunden sei, das in einem gewissen Zeitrahmen abgeschlossen wird. Dennoch stuft der Generalsekretär des OGBL die Sonderregelung als problematisch ein und warnt: „In der Praxis hat diese arbeitsrechtliche Flexibilität jedoch dazu geführt, dass befristete Verträge Standard geworden sind“, sagt er. „Und das bei weitem nicht nur in der Forschung. Die Sonderregelung wird auch für Posten in der Verwaltung missbraucht“, so der Gewerkschaftler.

Um den Problemen entgegenzuwirken, hat der OGBL gemeinsam mit der Universitätsleitung einen Kollektivvertrag ausgearbeitet, der im Herbst 2018 unterschrieben wurde und ab 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist. Darin sind nun zumindest gewisse Mindeststandards, wie die Anpassung der Löhne, das Anrecht auf Teilzeit oder die Mindestzahl der Urlaubstage festgelegt. An der grundsätzlichen, den befristeten Arbeitsverträgen geschuldeten Unsicherheit kann jedoch auch der Kollektivvertrag nicht viel ändern.

Vorbereitung auf alternative Karrieren

Jens Kreisel ist Vizerektor für Forschung an der Universität Luxemburg. Er schätzt die Situation für Nachwuchsforscherinnen und -forscher in Luxemburg im internationalen Vergleich dennoch als überdurchschnittlich gut ein. Er hebt hervor, dass der überwiegende Anteil der Doktorandinnen und Doktoranden hierzulande im Rahmen eines sicheren Arbeitsvertrages mit der Universität promoviere.

Es liegt mit an uns, die Studierenden für Alternativen in der Wirtschaft oder auch in der Industrie zu sensibilisieren und fit zu machen.“Jens Kreisel, Vizerektor für Forschung

Die große Herausforderung liegt für den Vizerektor für Forschung darin, die Studierenden schon während der Promotion auf eine eventuelle Karriere außerhalb der Universität vorzubereiten. „Es handelt sich um pure Mathematik“, erklärt auch er. Die Zahlen sprächen für sich: Seit zehn Jahren haben sich die Promotionsabschlüsse an der Universität Luxemburg fast verdoppelt, für das Studienjahr 2020/2021 sind insgesamt 923 PhD-Studierende eingeschrieben. Nur ein Bruchteil von ihnen wird tatsächlich eine akademische Karriere einschlagen können.

„Es liegt mit an uns, die Studierenden für Alternativen in der Wirtschaft oder auch in der Industrie zu sensibilisieren und fit zu machen“, sagt Jens Kreisel und verweist auf die Salzburger Prinzipien zur Doktorandenbetreuung in Europa, die dieser Entwicklung Rechnung tragen sollen. „Wir nehmen die Betreuung während der Promotion sehr ernst.“

Die #IchbinHanna-Kampagne ist für Jens Kreisel eine „deutsch-deutsche Geschichte“. Sie habe viel mit der „Glorifizierung der Unikarriere“ in Deutschland zu tun. In Frankreich etwa, dort, wo er selbst promoviert hat, sei es Usus, die Universität zu verlassen, wenn es bis Anfang 30 nicht zu einer Festanstellung gereicht habe.

Auf Kosten der Diversität

Eine der Kernthesen der OECD-Studie ist jedoch auch, dass der harte Kampf um einige wenige Festanstellungen zwangsläufig Auswirkungen auf die ohnehin nicht besonders ausgeprägte Diversität in der wissenschaftlichen Arbeitswelt hat. Nicht immer die Besten setzten sich durch, sondern vor allem jene, die sich eine oft viele Jahre andauernde, missliche Arbeitssituation leisten könnten. Auf der Strecke blieben demnach überwiegend Frauen sowie Forschende aus sozial schwachen Milieus oder aus Drittstaaten.

„Mit der prekären Arbeitssituation zwingen wir Forscher und Forscherinnen, die wir gerne im Land halten würden, zu gehen“, sagt Frédéric Krier vom OGBL. Gerade für Forschende aus Drittstaaten sei eine Aufenthaltserlaubnis oft direkt an einen Arbeitsvertrag gebunden. „Mit dem Ablauf eines Vertrages werden Wissenschaftler direkt des Landes verwiesen“, beschreibt Frédéric Krier die Situation. „Selbst wenn ihre Karriere hier eigentlich weitergehen könnte“.

Die Doktorandenvereinigung LuxDoc beobachtet eine ähnliche Entwicklung und stuft das Studentenvisum als dringend reformbedürftig ein, wenn Luxemburg auch Nachwuchsforscher aus Drittstaaten gezielt fördern möchte.

Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern steigt mit den Stufen der Hierarchie. Während das Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Studierenden fakultätsübergreifend ausgewogen ist und sich bei den Promovierenden mit 43 Prozent Frauen und 57 Prozent Männern auch noch in etwa die Waage hält, sehen die Zahlen beim akademischen Personal völlig anders aus. Im so genannten Mittelbau (PostDoc) und den Professuren sind weit weniger als ein Drittel der Stellen von Frauen besetzt (29,4 Prozent). Unbefristete Verträge gibt es beinahe ausschließlich ab Professur-Niveau.