Nach dem „Homeschooling“ weisen viele Kinder vermehrt Wissenslücken und Lernrückstände auf. Das Bildungsministerium reagiert mit zusätzlichen Angeboten. Doch es ist fraglich, ob diese die am stärksten betroffenen Schüler tatsächlich erreichen.

Eine Vielzahl von Schulkindern kämpft nach der Wiedereinführung des normalen Unterrichts mit den Folgen des „Homeschooling“. So heißt es in einem offenen Brief des „Syndikat Erzéiung a Wëssenschaft“ (SEW). Mitte Juli betonte auch Bildungsminister Claude Meisch (DP), dass nach dem Lockdown bei den Schülern „große Unterschiede, was den schulischen Fortschritt anbelangt“, festgestellt wurden. Wie viele Schüler insgesamt betroffen sind, ist jedoch nicht klar. Genaue Zahlen fehlen noch.

Das Ministerium verweist aber auch auf die Leistungen des Lehrpersonals während der Ausgangssperre. Die Lehrer hätten stets die individuellen Bedürfnisse der Schulkinder berücksichtigt, wenn nötig, mithilfe mehrmaliger Anpassung der Schulaufgaben. Es habe auch ein kontinuierlicher Austausch zwischen dem Lehrpersonal, den Schulleitungen und dem Bildungsministerium stattgefunden.

Nicht alle Schüler erreichbar

Zur Erinnerung: Die Durchführung des Unterrichts „à distance“ wurde anfangs durch mehrere Hindernisse erschwert. So verfügten nicht alle Schüler über die notwendige technische Ausrüstung. Die Schulleitungen und das Lehrpersonal kontaktierten und betreuten die betroffenen Familien. Auch verteilten Schulen, Gemeinden und Initiativen wie „Digital Inclusion“ bei Bedarf Computer. Das Ministerium konnte auf die Frage, ob alle Schüler schließlich angemessen ausgestattet wurden, jedoch keine eindeutige Antwort geben.

Zudem waren nicht alle Schüler in den ersten zwei Wochen des „Lockdowns“ erreichbar. Im „Secondaire“ beläuft sich die Zahl der Schüler, zu denen zunächst kein Kontakt hergestellt werden konnte, auf rund zehn Prozent. In der Grundschule liegt der Prozentsatz je nach Region im niedrigen einstelligen Bereich. Diese Zahlen nannte Claude Meisch in einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“.

Dem Bildungsminister zufolge entstand diese Kommunikationslücke durch organisatorische Schwierigkeiten innerhalb der Familien. Bis Anfang des dritten Trimesters hätten alle Grundschüler bis auf wenige Ausnahmen erreicht werden können. Darüber, wie viele Schüler letztlich nicht an der „Schoul doheem“ teilnahmen, konnte das Ministerium aufgrund fehlender Daten aber keine genaue Auskunft geben.

Mehr Nachhilfeangebote

Auf die festgestellten Wissenslücken der Schüler reagiert das Bildungsministerium nun mit der Aktion „Prett fir d’Rentrée“. Bereitwillige Lehrende und Studierende sollen in den letzten zwei Wochen der Sommerferien Nachhilfekurse in den Schulen anbieten. Schüler mit Lernrückständen werden von der zuständigen Lehrperson oder den Eltern zu dem Programm angemeldet. Darüber hinaus stellt das Ministerium Ende August fächerspezifische Aufgabenhefte mitsamt Lösungen ins Netz. So haben Schüler die Möglichkeit, ihre schulischen Kenntnisse zuhause aufzufrischen.

Das Bildungsministerium begreift beide Maßnahmen als Vorkehrungen gegen die Entstehung langfristiger Bildungsnachteile. Und es beschließt noch einen weiteren Schritt: Die „cours d’appui“, die in den Schulen angeboten werden, fokussieren sich Anfang nächsten Schuljahres auf die Wiederholung des möglicherweise nur oberflächlich aufgenommenen Lehrstoffes der vergangenen Monate.

Die Frage der sozialen Ungleichheit

Das Programm „Prett fir d’Rentrée“ bewertet das SEW jedoch als unzureichend. Je nach Alter und Fach fallen pro Schüler nämlich nur sechs bis zwölf Nachhilfestunden an. Auch das „Syndicat National des Enseignants“ (SNE) befürchtet, dass sich die Ungleichheiten, die sich durch den Fernunterricht verschärft hätten, noch weiter verfestigen würden. Ausgangspunkt dafür ist die Annahme, dass Schüler, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, nicht unbedingt als Erste von diesem fakultativen Angebot Gebrauch machen würden. Demnach würde das Projekt „Prett fir d’Rentrée“ die eigentliche Zielgruppe verfehlen, so das SNE.

Den möglichen Zusammenhang zwischen „Homeschooling“ und wachsender sozialer Ungleichheit griffen auch Déi Gréng in einer parlamentarischen Anfrage auf. Das Bildungsministerium bezog dazu bereits Stellung: Durch die enge Zusammenarbeit aller Instanzen im Bildungsbereich habe eine Zuspitzung der sozialen Ungleichheit innerhalb der Schülerschaft vermieden werden können. Doch auch hier fehlt es zur Untermauerung des Befunds an Zahlenmaterial.

Demnach scheint die Frage der langfristigen schulischen Folgen der Pandemie noch nicht endgültig geklärt. So hat das Bildungsministerium ein Forscherteam der Uni.lu beauftragt, um das mögliche Auseinanderklaffen der „sozialen Schere“ in Zeiten des „enseignement à distance“ näher zu untersuchen.