Seit rund einer Woche patrouillieren Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma im Bahnhofsviertel der Hauptstadt. Ihr Auftrag steht rechtlich auf wackligen Füßen und ihr Handlungsspielraum ist ohnehin begrenzt. Vor Ort sehen viele die politische Kontroverse demnach eher gelassen.
Mitten im Gespräch in der Rue de Strasbourg zeigt der Mann, der sich Mike nennt, auf die Kreuzung zur Rue Joseph Junck. „Schau. Da hinten stehen sie.“ Der junge Mann meint die Sicherheitsleute der Firma GDL Security. Schon von weitem sind die beiden Männer zu erkennen. Sie tragen neongelbe Warnwesten und werden von einem Schäferhund begleitet.
Ob er schon Erfahrungen mit den Wachleuten gemacht habe, die an diesem Montagabend seit fast einer Woche jeden Abend im Bahnhofsviertel patrouillieren? „Nein. Ich mache mein Ding und bisher gab es keine Probleme.“
Sein Ding, das ist für den 30-Jährigen aus Nigeria eigenen Aussagen zufolge der Verkauf von Heroin und Kokain. „Ich hätte natürlich lieber einen geregelten Job, aber bis dahin mache ich halt das hier.“ Seit knapp zwei Monaten ist Mike mittlerweile in Luxemburg und verdient sich seinen Unterhalt im Bahnhofsviertel.
Angst erwischt zu werden, hat Mike nicht. „Ich habe ja keine Drogen bei mir. Wir arbeiten im Team. Wenn jemand etwas braucht, rufe ich einen Freund an“, erklärt er die Geschäftsabwicklung. Deshalb mache er sich auch keinen Kopf über die Polizei, und noch weniger über den privaten Sicherheitsdienst in der Nachbarschaft.
Ein teures Experiment
Für etwas mehr Kopfzerbrechen sorgen die Patrouillen von GDL Security am gleichen Abend knapp einen Kilometer Luftlinie entfernt in der Oberstadt. Im Rathaus tagt der Gemeinderat. Schöffe Laurent Mosar (CSV) hat gerade das Budget für 2021 vorgestellt. Darin vorgesehen: Rund 200.000 Euro für private Sicherheitsdienste.
Entweder sie sind sehr gut bezahlte Gassigänger oder sie übernehmen einen Teil der Polizeiarbeit. In jedem Fall ist ihre Arbeit nicht vom Gesetz für Sicherheitsfirmen gedeckt.“Frank Rollinger, Rechtsanwalt
Nächster Punkt auf der Tagesordnung sind Fragen der Ratsmitglieder an den Schöffenrat und die Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP). Eine Frage befasst sich mit den Befugnissen von GDL Security, ein anderer Vertreter der Opposition will wissen, ob durch den Auftrag der Sicherheitsfirma nicht das Gewaltmonopol des Staates infrage gestellt wird.
Bürgermeisterin Lydie Polfer argumentiert zunächst parteipolitisch: „Wenn ich eine Partei und einen Minister nicht verstehe, dann sind es die Grünen und den grünen Polizeiminister.“ Denn, so Polfer weiter, die Gemeinde Differdingen beschäftige bereits seit einem Jahr die gleiche Firma, um ebenfalls in den Straßen Präsenz zu zeigen. Ohne dass dies eine öffentliche Polemik ausgelöst habe, so die Bürgermeisterin.
Der Hintergrund des Seitenhiebs der DP-Politikerin: Die Gemeinde Differdingen hat mit Christiane Brassel-Rausch eine grüne Bürgermeisterin. Zudem hat Polizeiminister Henri Kox (Déi Gréng) das Zurückgreifen auf private Sicherheitsdienste in der Hauptstadt öffentlich deutlich kritisiert. Die Lage in Differdingen ließ der Minister aber unkommentiert, so der Vorwurf von Lydie Polfer.
Warnung vor Ersatzpolizei
In der Tat patrouillieren seit 18 Monaten zwei Mitarbeiter von GDL Security in Differdingen. Allerdings ohne Hund, wie das hauptstädtische Gemeinderatsmitglied Christa Brömmel (Déi Gréng) in der Sitzung vom Montag hervorhebt. Bei einer Ortsbesichtigung mit dem TV-Sender „RTL“, unterstreicht der für die öffentliche Sicherheit zuständige Differdinger Schöffe Robert Mangen (CSV) die guten Erfahrungen, die man mit der Firma gemacht habe. Über Tausend Mal hätten die privaten Sicherheitsmänner bereits „interveniert“, 150 Mal hätten sie die Polizei verständigt.
Eine Erläuterung, wann und wie die Sicherheitsmänner eingriffen, bleibt der Schöffe jedoch schuldig. Und so bleibt eine zentrale Frage in der Debatte ungeklärt: Sind die Patrouillen bloß ein bezahlter Spaziergang oder ein neuer Schritt in der öffentlichen Sicherheit?

Die Bürgermeisterin der Hauptstadt wird an dieser Stelle deutlich: „Es ist nicht angebracht von einer zweiten Polizei zu reden.“ Auch der Präsident des Gemeindesyndikats Syvicol Emile Eicher (CSV) unterstreicht im Interview mit dem „Radio 100,7“, dass es sich dabei nicht um öffentliche Ordnungskräfte handelt. Sowohl Eicher als auch Polfer, die beide neben ihren Bürgermeistermandaten auch in der Abgeordnetenkammer vertreten sind, sehen solche Aufträge im Kompetenzbereich der Gemeinden. Ihr Einsatz sei nicht bedenklich, schließlich würden Sicherheitsfirmen bereits bei anderen Veranstaltungen eingesetzt.
Eine andere Lesart vertritt jedoch unter anderem die Polizei. Private Sicherheitsfirmen hätten im öffentlichen Raum „nichts verloren“, sagte der Präsident der Polizei-Gewerkschaft Pascal Ricquier laut „RTL“. Das Sicherheitsproblem im Bahnhofsviertel habe unterschiedliche Ursachen, welche die Polizei nicht allein in Angriff nehmen könne, so der Gewerkschafter. Er plädierte etwa dafür, für solche Aufgaben statt auf private Dienste auf die „Agents municipaux“ der Gemeinde zurückzugreifen. Doch nicht nur in diesem Punkt fehlt eine klare gesetzliche Basis.
Rechtlich unsicheres Terrain
Wie vage die Rechtslage in Luxemburg beim Einsatz von Sicherheitsfirmen ist, weiß Rechtsanwalt Frank Rollinger. „Eigentlich sieht das Gesetz, das die Sicherheitsfirmen regelt, nur vier Aufgabenbereiche vor: Objektschutz, Personenschutz, Geldtransporte und Alarmanlagen. Für jeden Bereich muss eine Genehmigung des Justizministeriums vorliegen.“ Versuche man das Gesetz von 2002 auf Patrouillen im Stadtgebiet auszuweiten, stoße man schnell an juristische Grenzen, so der Anwalt weiter.
„Argumentiert man, dass die Patrouillen Objektschutz seien, müsste man ein konkretes Gebäude benennen, das bewacht wird. Auch der Personenschutz bezieht sich immer auf eine konkrete Person, etwa bei einer Bodyguard-Tätigkeit. Es auf jede Person in einem Stadtgebiet auszuweiten, halte ich für rechtlich schwer vertretbar“, so Frank Rollinger. „Entweder sie sind sehr gut bezahlte Gassigänger oder sie übernehmen einen Teil der Polizeiarbeit. In jedem Fall ist ihre Arbeit nicht vom Gesetz für Sicherheitsfirmen gedeckt,“ erklärt der Rechtsanwalt.
Sollte die aktuelle Situation Anpassungen verlangen, wird man Diskussionen mit den betroffenen Akteuren in die Wege leiten.“
Eine Sprecherin des Justizministeriums
In der offiziellen Ausschreibung der Stadt Luxemburg, die Reporter.lu vorliegt, wird die Aufgabe der Sicherheitsfirma, wie folgt, beschrieben: „Die Mission besteht darin, aktive und sichtbare Prävention im öffentlichen Raum sicherzustellen. Dies durch Überwachungsrundgänge von je zwei Personen und einem Wachhund.“ Ein Hinweis auf das geltende Gesetz für Sicherheitsfirmen findet sich im Lastenheft nicht. Ausgeschrieben wurde der Auftrag durch den „Service Espace public, fêtes et marchés“ der Hauptstadt. Der Dienst ist unter anderem für Weihnachtsmärkte und die „Schueberfouer“ zuständig. Auch dort kamen in der Vergangenheit bereits private Sicherheitsdienste zum Einsatz.
Justiz hält sich bedeckt
Schon 2016 sorgte die unklare Rechtslage für politische Diskussionen. Konkret ging es um eine Sicherheitsfirma, die von der Gemeinde für die Schueberfouer engagiert worden war. Der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar fragte den damaligen Justizminister Felix Braz (Déi Gréng) in einer parlamentarischen Anfrage nach dem gesetzlichen Rahmen, in dem Sicherheitsdienste handeln. Dabei bezog sich der Abgeordnete auf ein Urteil aus dem November 2015. Eine Sicherheitsfirma war damals zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie nicht die nötigen Zulassungen des Justizministeriums hatte.
In der Urteilsbegründung warfen die Richter zudem die Frage auf, ob Einlasskontrollen und das Durchsuchen von Taschen bei größeren Veranstaltungen nicht gesetzlich geregelt werden müssten. Der damalige Justizminister antwortete knapp, das Gesetz sei klar genug. Darauf, dass Gemeinden private Sicherheitsdienste beauftragen, wollte Braz nicht weiter eingehen: „Es ist nicht an der Regierung, Entscheidungen von Gemeinden zu kommentieren oder zu bewerten.“

Ähnlich bedeckt hält sich das Justizministerium auch in der aktuellen Debatte. Auf die Frage, ob Patrouillen durch private Firmen im öffentlichen Raum überhaupt durch das bestehende Gesetz gedeckt sind, heißt es von einer Sprecherin der Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng): „Sollte die aktuelle Situation Anpassungen verlangen, wird man Diskussionen mit den betroffenen Akteuren in die Wege leiten.“ Die Generalstaatsanwaltschaft wollte den ganzen Sachverhalt auf Anfrage von Reporter.lu nicht kommentieren.
Tun, was jeder tun kann
Die Polizeigewalt liege weiter klar beim Staat, rechtfertigt Bürgermeisterin Lydie Polfer den Einsatz. Das heiße jedoch nicht, dass die Sicherheitsleute nicht einschreiten könnten, so die Bürgermeisterin. „Sie können das tun, was jeder Bürger tun kann“, erklärt Lydie Polfer und zitiert Artikel 43 des Code de procédure pénale: „Dans le cas de crime flagrant ou de délit flagrant puni d’une peine d’emprisonnement, toute personne a qualité pour en appréhender l’auteur et le conduire devant l’officier de police judiciaire le plus proche.“
Wenn keine Erlaubnis vom Justizministerium verlangt wird, dann könnten auch ein paar Arbeitssuchende den Auftrag übernehmen.“
Frank Rollinger, Rechtsanwalt
Eine rechtliche Lesart, welche die Frage aufwirft, wieso die Aufgabe überhaupt von einer privaten Sicherheitsfirma übernommen werden muss, wenn eigentlich jeder Bürger sie leisten könnte. Oder wie Rechtsanwalt Frank Rollinger es formuliert: „Wenn keine Erlaubnis vom Justizministerium verlangt wird, dann könnten auch ein paar Arbeitssuchende den Auftrag übernehmen.“ Gemeinderat Guy Foetz (Déi Lenk) unterstellte dem Schöffenrat deshalb, sich mit einer schnellen PR-Aktion als Macher zu inszenieren, ohne die zugrundeliegenden juristischen, politischen und sozialen Probleme in Angriff zu nehmen.
Unaufgeregtes „Quartier populaire“
Bei den Geschäftsleuten in der Rue de Strasbourg hat man von der Sicherheitsfirma bisher kaum Notiz genommen. Sergio Da Silva Costas betreibt seit 2004 das Restaurant „Oscar’s Diner“. Eine Verschlimmerung der Situation hat er in letzter Zeit nicht wahrgenommen. „Natürlich sieht man Drogenabhängige, aber das war hier noch immer so“, erklärt der Geschäftsmann. Prinzipiell finde er die Initiative zwar gut, nur gesehen habe er die Patrouille bisher nicht, so Costas. Ein Mitarbeiter eines angrenzenden Lebensmittelgeschäfts hat die Sicherheitsfirma zwar bereits gesichtet, doch scheint ihm deren Sinnhaftigkeit etwas unklar: „Das hier ist doch einfach bloß ein normales ‚Quartier populaire‘. Ich persönlich finde, dass es in den letzten Jahren schon viel besser geworden ist.“
In der Rue Joseph Junck sieht man die Diskussion noch gelassener. Angelo hat sich mit seinem Bekannten Theo unter dem verwaisten Eingang des Nachtklubs „Chez Alex“ auf ein Bier getroffen. Auf die Patrouillen des Sicherheitsdienstes angesprochen, müssen beide lachen. „Die gehen hier spazieren. Ich verstehe nicht, was das soll“, sagt Angelo, der bereits seit 20 Jahren in der Rue Joseph Junck wohnt. Auch zur Drogenproblematik haben beide ihre Meinung. Theo erklärt: „Die Szene hat sich doch längst verlagert. Mittlerweile wird halt woanders gedealt. Hier ist es eigentlich ruhig, die Cafés haben ja auch alle zu.“